OGH 14Os100/98

OGH14Os100/9815.9.1998

Der Oberste Gerichtshof hat am 15. September 1998 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Massauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Mayrhofer, Dr. Holzweber, Dr. Ratz und Dr. Philipp als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Kolarz als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Harald M***** wegen des Verbrechens der Verleumdung nach § 297 Abs 1 zweiter Fall StGB, AZ 26 E Vr 835/96 des Landesgerichtes Linz, über die vom Generalprokurator erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht vom 9. März 1998, AZ 10 Bs 31/98 (= ON 84), nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin des Generalprokurators, Staatsanwältin Dr. Fuchs, jedoch in Abwesenheit des Verurteilten, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht vom 9. März 1998, AZ 10 Bs 31/98, verletzt das Gesetz in den Bestimmungen der §§ 57, 252 Abs 1 Z 2a und Abs 4 StPO in Verbindung mit § 281 Abs 1 Z 3 und 4 StPO.

Text

Gründe:

Mit dem Urteil des Einzelrichters vom 7. November 1997 (ON 72) wurde Harald M***** des Verbrechens der Verleumdung nach § 297 Abs 1 zweiter Fall StGB schuldig erkannt, weil er am 19. März 1996 in Linz Armin R***** durch die gegenüber Beamten des Gendarmeriepostens Hörsching aufgestellte Behauptung, dieser habe am 13. März 1996 Maria R***** und Camilla P***** unter Verwendung einer Pistole gefährlich mit dem Tode bedroht (§ 107 Abs 1 und Abs 2 StGB), der Gefahr einer behördlichen Verfolgung aussetzte, obwohl er wußte, daß die Verdächtigung falsch ist. Außerdem enthält das Urteil einen in Rechtskraft erwachsenen Freispruch der Maria R***** vom damit in engem sachlichen Zusammenhang stehenden Vorwurf des Verbrechens der Verleumdung nach § 297 Abs 1 zweiter Fall StGB und des Vergehens der falschen Beweisaussage vor Gericht nach § 288 Abs 1 StGB.

Den Schuldspruch des Angeklagten M***** stützte der Erstrichter (ua) auf die gegen den ausdrücklichen Widerspruch des Verteidigers gemäß § 252 Abs 1 Z 2a StPO verlesene Aussage des Zeugen Armin R***** (der das Entschlagungsrecht nach § 152 Abs 1 Z 1 StPO in Anspruch genommen hatte - S 101/II) in der Hauptverhandlung vom 30. April 1996 in dem ebenfalls gegen den (damals anwesenden und von einem Verteidiger vertretenen) Angeklagten Harald M***** gemäß § 57 StPO gesondert geführten Verfahren AZ 28 E Vr 675/96 des Landesgerichtes Linz, das (ua) gleich der inkriminierten Verleumdung Ereignisse der Nacht zum 13. März 1996 im Lokal "Dirty Dancing" zum Gegenstand hatte (ON 37).

Das Verfahren gegen die Mitbeschuldigte Maria R***** war vor dieser Verlesung "wegen sonstiger Verfahrenserschwerung" nach § 57 StPO ausgeschieden und anschließend gemäß § 56 StPO wieder einbezogen worden (S 111/II). Folgerichtig wurde die in Rede stehende Aussage des Zeugen R***** in Ansehung der Genannten nicht verwertet, was mangels ausreichender sonstiger Beweise zu ihrem Freispruch führte (S 138 f/II).

Mit dem angefochtenen Urteil gab der Gerichtshof zweiter Instanz der Berufung des Angeklagten Harald M***** wegen Nichtigkeit (aus den Gründen der Z 3 und 4 des § 281 Abs 1 StPO) Folge, hob den Schuldspruch auf und verwies die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht. Er begründete diese Entscheidung im wesentlichen damit, daß die gegen den Antrag der Verteidigung beschlossene, allein zum Zwecke der Verlesung der Aussage des Zeugen Armin R***** vorgenommene Ausscheidung des Verfahrens gegen Maria R***** nach § 57 StPO gegen das Umgehungsverbot des § 252 Abs 4 StPO verstoße, weil Verfahrenstrennungen ausschließlich um dem Prozeßstandpunkt des öffentlichen Anklägers zum Durchbruch zu verhelfen, unfair (Art 6 Abs 3 lit d EMRK) seien. Ferner beeinträchtige die Verlesung der Aussage des Zeugen R***** das Verteidigungsrecht des Angeklagten M*****, weil die Verlesungs- und Verwertungsmöglichkeit einer Aussage nach § 252 Abs 1 Z 2a StPO bloß auf Abschnitte ein- und desselben Verfahrens mit identem Anklagesachverhalt beschränkt sei; die Parteien könnten das ihnen bei Errichtung eines kontradiktorischen Protokolls eingeräumte Fragerecht nur dann sinnvoll ausüben, wenn zu diesem Zeitpunkt eine Identität des strafrechtlichen Vorwurfes mit jenem in der Hauptverhandlung, in dem die Verlesung stattfinden soll, gegeben sei. Wegen des anderslautenden Anklagevorwurfes seien die Parteien in der Hauptverhandlung vom 30. April 1996 nicht gehalten gewesen, gleichsam vorsorglich alle im Raum stehenden strafrechtlichen Vorwürfe mit dem Zeugen zu erörtern.

Das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz steht - wie der Generalprokurator in seiner zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde im Ergebnis zutreffend aufzeigt - mit dem Gesetz nicht im Einklang.

Rechtliche Beurteilung

Die temporäre Ausscheidung des Verfahrens gegen Maria R***** trug dem Umstand Rechnung, daß die Genannte - im Gegensatz zu Harald M***** - im Verfahren AZ 28 E Vr 675/96 des Landesgerichtes Linz keine Gelegenheit gehabt hatte, sich an der Vernehmung des Zeugen Armin R***** zu beteiligen.

Nach Lage des Falles stellte die der Regel des § 56 StPO gemäße gemeinsame Führung der Verfahren eine die Verfahrenstrennung nach § 57 StPO rechtfertigende Erschwerung der Wahrheitsfindung dar. Es gibt keinen aus den Verfahrensgesetzen ableitbaren Grund, die mit dem Strafrechtsänderungsgesetz 1993 unter dem Gesichtspunkt der Verfahrensökonomie und damit letztlich im Interesse der Wahrheitsfindung (1157 BlgNR 18. GP, 6 f) installierte Neuregelung der objektiven Konnexität zum Vorteil des Angeklagten M***** - der dadurch besser gestellt wäre, als bei getrennter Durchführung des Verfahrens aus anderen gesetzlichen Gründen - ins Gegenteil zu verkehren.

Die Ablehnung des gegen die Ausscheidung des Verfahrens gerichteten Antrages verletzte somit - der Auffassung des Berufungsgerichtes zuwider - keine Verteidigungsrechte (§ 281 Abs 1 Z 4 StPO).

Das Oberlandesgericht irrte auch insoweit, als es im Vorgehen nach § 57 StPO eine Umgehung des Verlesungsverbotes nach § 252 Abs 4 StPO erblickte (§ 281 Abs 1 Z 3 StPO). Der Hinweis auf eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofes (14 Os 102/89 vom 18. Oktober 1989), welche die Ausscheidung des Verfahrens gegen einen Mitangeklagten ausschließlich zum Zweck seiner zeugenschaftlichen (und damit unter Wahrheitspflicht stehenden) Vernehmung für unzulässig erklärte, versagt angesichts der hier völlig anders gelagerten prozessualen Konstellation, die erst durch das StRÄG 1993 geschaffen wurde, mit dem (ua) das Entschlagungsrecht (§ 152 StPO) und die Verlesung von Protokollen über die Vernehmung von Mitbeschuldigten und Zeugen (§ 252 StPO) grundlegend geändert worden sind.

Nach der damit (BGBl 1993/526) neu eingeführten Z 2a des § 252 Abs 1 StPO erstrecken sich die mit Nichtigkeit bewehrten Verlesungsbeschränkungen nicht auf gerichtliche Vernehmungen, bei denen die Parteien Gelegenheit zur Beteiligung hatten (§§ 162a, 247 StPO). Dabei ist es - weil das Gesetz insoweit keine Einschränkungen vorsieht - gleichgültig in welchem gegen den Angeklagten geführten gerichtlichen Verfahren, in welchem Verfahrensstadium und bei welcher Verdachtslage sie stattgefunden haben. Die in Rede stehende Verlesungsvorschrift setzt also nicht voraus, daß die gerichtliche Vernehmung im selben Verfahren erfolgt ist, und stellt weder auf einen identen Anklagesachverhalt noch auf eine sich aus den Akten ergebende spezielle Verdachtslage ab. Aus einer Verschiedenheit der Verfahren und damit einer Inkongruenz der Anklagesachverhalte oder aus einer im selben Verfahren inzwischen (regelmäßig) eingetretenen Verbreiterung der Ermittlungsergebnisse sich ergebende, mit einer faktischen Einschränkung der Möglichkeiten zur Fragestellung verbundene thematische Defizite der kontradiktorischen Vernehmung sind nur für die Begründungstauglichkeit des verlesenen Protokolls unter dem Gesichtspunkt einer Anfechtung (vgl §§ 281 Abs 1 Z 5 und 5a; 464 Z 2; 489 Abs 1 StPO) von Bedeutung.

Das Vorgehen des Erstgerichtes bei Verlesung des Protokolles über die kontradiktorische Vernehmung (§ 247 StPO) des Zeugen Armin R***** stand somit im Einklang mit den Verfahrensgesetzen. Die vom Berufungsgericht vertretene gegenteilige Auffassung hat sich allerdings zum Vorteil des Angeklagten ausgewirkt, weshalb es mit der Feststellung der Gesetzesverletzungen sein Bewenden haben mußte.

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