European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0150OS00062.23S.0830.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
[1] Soweit im Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerde relevant wurde mit dem angefochtenen Urteil * J* mehrerer Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB, eines solchen Verbrechens nach § 207 Abs 1 und Abs 3 erster Fall StGB (A./) sowie mehrerer Vergehen der sexuellen Belästigung und öffentlichen geschlechtlichen Handlungen nach § 218 Abs 1 Z 1 StGB (B./) schuldig erkannt.
[2] Danach hat er in K*
A./ von Ende 2015 bis 15. Mai 2016 in zumindest monatlichen Angriffen außer dem Fall des § 206 StGB geschlechtliche Handlungen an der am * 2002 geborenen, sohin zu den Tatzeiten unmündigen * P* vorgenommen, indem er sie über der Kleidung an der Scheide intensiv betastete, wobei die Taten eine schwere Körperverletzung, nämlich eine krankheitswertige psychische Störung in Form einer posttraumatischen Belastungsstörung zur Folge hatten, die sich aus den Missbrauchshandlungen entwickelte und zu einer mehr als 24 Tage dauernden Gesundheitsschädigung führte;
B./ im Zeitraum von * 2016 bis Sommer 2017 * P* in zumindest monatlichen Angriffen durch geschlechtliche Handlungen an ihr belästigt, indem er sie über der Kleidung an der Scheide intensiv betastete.
Rechtliche Beurteilung
[3] Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 4, 5, 5a und 9 lit a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, die ihr Ziel verfehlt.
[4] Entgegen der Verfahrensrüge (Z 4) wurde der Angeklagte durch die Abweisung (ON 28.3 S 4) seines Antrags (ON 28.3 S 2 f) auf Enthebung der Sachverständigen wegen Befangenheit in seinen Verteidigungsrechten nicht verletzt. Denn mit dem Vorbringen, die Sachverständige habe „in unzulässiger vorgreifender Beweiswürdigung“ festgehalten, dass es „bereits im Rahmen dieser Besuche“ zu den sexuellen Vorfällen gekommen ist, was nicht ihre Aufgabe sei, wurde nicht substantiiert ein Grund aufgezeigt, der geeignet wäre, die volle Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit der Sachverständigen in Zweifel zu ziehen (§ 126 Abs 4 iVm § 47 Abs 1 Z 3 StPO; vgl RIS-Justiz RS0106258). Indizien dafür, dass die Sachverständige nach Abgabe ihres schriftlichen Gutachtens dieses auch dann nicht zu ändern gewillt sei, wenn die Beweisergebnisse dessen Unrichtigkeit aufzeigten (RIS‑Justiz RS0126626; vgl auch Hinterhofer, WK‑StPO § 126 Rz 69, 72), legte der Antrag im Übrigen nicht dar.
[5] Das den Antrag ergänzende Vorbringen in der Nichtigkeitsbeschwerde ist mit Blick auf das aus dem Wesen des herangezogenen Nichtigkeitsgrundes resultierende Neuerungsverbot unbeachtlich (RIS‑Justiz RS0099618).
[6] Dass das Schöffengericht die Feststellungen zur subjektiven Tatseite „aus den festgestellten äußeren Umständen“ abgeleitet hat (US 14), ist – der Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) zuwider – unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit nicht zu beanstanden (RIS‑Justiz RS0098671, RS0116882). Die Verantwortung des Angeklagten hat das Erstgericht im Übrigen – entgegen der Beschwerde – einer Würdigung unterzogen, sie aber im Ergebnis als „unglaubwürdige Schutzbehauptung“ gewertet (US 13 f).
[7] Mit der Behauptung (Z 5 vierter Fall), es hätte „umfassend und nachvollziehbar begründet werden müssen“, „wie eine solch massive Körperverletzung einem Durchschnittsmenschen und konkret dem Angeklagten bewusst“ gewesen sei, wird vernachlässigt, dass objektive und subjektive Vorhersehbarkeit als Teil der objektiven und subjektiven Sorgfaltswidrigkeit (vgl Burgstaller/Schütz in WK2 StGB § 6 Rz 35 f, 96 f; RIS‑Justiz RS0088909) grundsätzlich nicht Gegenstand von (Tatsachen‑)Fest-stellungen, sondern als Rechtsfragen einer Anfechtung mit Mängelrüge entzogen sind (RIS‑Justiz RS0089151 [T4], RS0089253; siehe auch Burgstaller/Schütz in WK² StGB § 7 Rz 21 ff).
[8] Keine erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit des Ausspruchs über entscheidende Tatsachen weckt die Tatsachenrüge (Z 5a) mit dem Vorbringen, dass sämtliche (namentlich aufgezählten) Zeugen, welche bei den tatgegenständlichen Familientreffen anwesend gewesen seien, angegeben hätten, die Tathandlungen nicht gesehen zu haben, solche teilweise sogar ausgeschlossen hätten (RIS‑Justiz RS0118780).
[9] Soweit behauptet wird, es würde den „Erfahrungs- und Denkgesetzen“ völlig widersprechen, dass bei etwa 18 Treffen keiner Person die Tathandlungen aufgefallen wären, erschöpft sich das Vorbringen in Beweiswürdigungskritik nach Art einer im schöffengerichtlichen Verfahren unzulässigen (§ 283 Abs 1 StPO) Schuldberufung. Das gilt auch für die Kritik an den Erwägungen der Tatrichter (US 10), wonach die Aussagen der Zeugen R*, E* und A* Z* auf das Gericht „insgesamt tendenziös“ wirkten (RIS‑Justiz RS0099649).
[10] Mit der Kritik am psychiatrischen Sachverständigengutachten, auf welches das Schöffengericht die Feststellungen (US 5) zu den Folgen der Missbrauchshandlungen gestützt hat (US 13), zeigt die Beschwerde ebenso wenig Nichtigkeit aus Z 5a auf wie mit der auf eigene beweiswürdigende Erwägungen gestützten Behauptung, das Gutachten sei nicht geeignet, zu Feststellungen einer mehr als 24 Tage dauernden Gesundheitsschädigung zu gelangen.
[11] Dass die Tatrichter aus dem Schreiben des Opfers an R* Z* nicht die vom Beschwerdeführer angestrebten Schlussfolgerungen zum Beginn der Missbrauchshandlungen gezogen haben (vgl US 8 f), kann mit dem Nichtigkeitsgrund der Z 5a nicht geltend gemacht werden (RIS‑Justiz RS0099668).
[12] Welche über jene zur objektiven und subjektiven Tatseite sowie zur Kausalität des Täterverhaltens für die posttraumatische Belastungsstörung (US 4 ff) hinausgehenden Feststellungen für die vorgenommene rechtliche Beurteilung erforderlich gewesen wären, legt die Rechtsrüge (Z 9 lit a) nicht dar. Soweit sie kritisiert, die Feststellungen würden zur subjektiven Tatseite ausschließlich verba legalia verwenden und die darauf bezogene Begründung erschöpfe sich in Wendungen wie „aus den festgestellten äußeren Umständen“, „zweifelsfrei erkennbar“ oder „dem Durchschnittsmenschen bewusst“, zeigt sie keine materiell‑rechtliche Nichtigkeit auf (RIS‑Justiz RS0099810).
[13] Warum das Erstgericht entgegen § 7 Abs 2 StGB einen Eventualvorsatz zu den (hier: die Qualifikation des § 207 Abs 3 erster Fall StGB erfüllenden) Folgen der Missbrauchshandlungen feststellen hätte müssen, legt die Beschwerde nicht dar (RIS‑Justiz RS0116565; vgl im Übrigen RS0089253, RS0089151).
[14] Soweit sie die Feststellungsgrundlage für die Rechtsfrage des Vorliegens einer schweren Körperverletzung als unzureichend kritisiert, weil der vom Erstgericht verwendete Begriff „psychische Funktionsstörung von Krankheitswert“ eine abschließende rechtliche Beurteilung nicht zulasse, nimmt sie nicht an der Gesamtheit der getroffenen Feststellungen Maß (RIS‑Justiz RS0099810), wonach das Opfer eine länger als 24 Tage dauernde posttraumatische Belastungsstörung mit Krankheitswert (ICD‑10; F43.1) erlitt (US 5 f).
[15] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung resultiert (§ 285i StPO).
[16] Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.
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