OGH 15Os204/96 (15Os205/96)

OGH15Os204/96 (15Os205/96)16.1.1997

Der Oberste Gerichtshof hat am 16.Jänner 1997 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Reisenleitner als Vorsitzenden sowie durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kuch und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Strieder, Dr.Rouschal und Dr.Schmucker als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag.Heißenberger als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Klaus K***** und eine weitere Verurteilte wegen des Verbrechens des teils vollendeten, teils versuchten gewerbsmäßig schweren Diebstahls nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 2 und Z 4, 129 Z 1, Z 2 und Z 3, 130 zweiter Fall, 12 und 15 StGB über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen die Urteile des Landesgerichtes Innsbruck als Schöffengericht vom 13.Februar 1996, GZ 28 Vr 3387/95-23, und des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht vom 19.Juni 1996, AZ 6 Bs 292/96, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr.Kirchbacher, jedoch in Abwesenheit der Verurteilten zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Durch das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 13.Februar 1996, GZ 28 Vr 3387/95-23, und das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck vom 19.Juni 1996, AZ 6 Bs 292/96 (= ON 37 des Vr-Aktes), wurde das Gesetz in der Bestimmung des § 1 Abs 4 TilgG verletzt.

Gemäß § 292 letzter Satz StPO werden das - im übrigen unberührt bleibende - Urteil des Landesgerichtes Innsbruck im Strafausspruch und das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck zur Gänze aufgehoben, und es wird dem Landesgericht Innsbruck aufgetragen, die Strafe ohne Berücksichtigung der (getilgten) Verurteilung des Klaus K***** durch das Landesgericht Innsbruck vom 23.November 1990, GZ 23 Vr 2482/90-23, neu zu bemessen.

Text

Gründe:

Mit Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Schöffengericht vom 13. Februar 1996, GZ 28 Vr 3387/95-23, wurde Klaus K***** des Verbrechens des teils vollendeten, teils versuchten gewerbsmäßig schweren Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 2 und Z 4, 129 Z 1, Z 2 und Z 3, 130 zweiter Fall, 12 (erster Fall) und 15 StGB schuldig erkannt, weil er - zusammengefaßt - von Jänner bis Juni 1995 (fast durchwegs im bewußten und gewollten Zusammenwirken mit seiner Gattin Michaela K*****) in 63 Angriffen Diebstähle (davon in 49 durch Einbruch) mit einem Gesamtschaden von rund 37.000 S begangen und (in 16 Fällen) zu begehen versucht hatte. Das Schöffengericht verhängte hiefür über ihn nach dem zweiten Strafsatz des § 130 StGB eine Freiheitsstrafe in der Dauer von 15 Monaten.

Bei der Strafzumessung wertete es neben anderen Umständen die "massive einschlägige - wenn auch (vom Beginn der Diebstahlsserien im Jänner 1995 gerechnet) etwas mehr als vier Jahre zurückliegende - Vorstrafe" des Angeklagten als erschwerend. Wegen dieser Vorstrafe, seiner führenden Rolle bei den Taten und deren Vielzahl innerhalb eines Zeitraumes von mehreren Monaten versagte der Schöffensenat dem Angeklagten die bedingte Nachsicht auch nur eines Teils der Strafe (US 19 unten bis 21 oben).

Klaus K***** war schon mit Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Schöffengericht in Jugendstrafsachen vom 23.November 1990, GZ 23 Vr 2482/90-23, des Verbrechens des teils vollendeten, teils versuchten gewerbsmäßig schweren Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 2 und 4, 129 Z 1 und 2, 130 und 15 StGB schuldig gesprochen und zu einer teilbedingten (§ 43 a Abs 3 StGB) Freiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt worden, weil er - meist durch Einbruch - zahlreiche Diebstähle begangen hatte. Die bedingte Nachsicht eines Teils dieser Freiheitsstrafe in der Dauer von fünfeinhalb Monaten wurde mit Beschluß des Landesgerichtes Innsbruck vom 28.Dezember 1993 für endgültig erklärt. Der unbedingte Teil der Freiheitsstrafe war mit 2.Dezember 1990 vollzogen (ON 29 und 39 im Akt 23 Vr 2482/90 des Landesgerichtes Innsbruck).

Demzufolge war diese (einzige) Verurteilung mit Ablauf der fünfjährigen Tilgungsfrist am 2.Dezember 1995, somit vor Fällung des eingangs bezeichneten Urteils, getilgt (§§ 1 Abs 1, 2 Abs 1, 3 Abs 1 Z 2 TilgG). Daß sie dennoch bei der Strafbemessung erschwerend wirkte, begründete das Erstgericht unter Bezugnahme auf die in EvBl 1995/63 veröffentlichte Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 20. Oktober 1994, 12 Os 124/94, mit dem Hinweis, die Tilgung sei erst nach Begehung der abgeurteilten Taten eingetreten (US 20).

Die Formulierung des Erstgerichtes, die Vorverurteilung sei bereits "tilgbar" gewesen, geht - wie zur Klarstellung erwähnt sei - daran vorbei, daß die Tilgung einer gerichtlichen Verurteilung, sofern sie nicht ausgeschlossen ist (§ 5 TilgG), grundsätzlich mit Ablauf der Tilgungsfrist kraft Gesetzes eintritt (§ 1 Abs 1 TilgG). Ausnahmen bestehen im Fall einer Begnadigung oder Amnestie (Art 65 Abs 2 lit c undArt 93 B-VG) sowie für ausländische Verurteilungen (§ 7 TilgG).

Mit Urteil vom 19.Juni 1996, AZ 6 Bs 292/96, gab das Oberlandesgericht Innsbruck der Berufung des Angeklagten gegen den Ausspruch über die Strafe nicht Folge. Es übernahm die Strafzumessungsgründe des angefochtenen Urteils und ergänzte sie um einen weiteren Erschwerungsgrund (ON 37, S 435 im Akt AZ 28 Vr 3387/95 des Landesgerichtes Innsbruck). Die bedingte Nachsicht eines Teils der Freiheitsstrafe hätte nach Ansicht des Oberlandesgerichtes zwar aus spezialpräventiver Sicht "allenfalls in Betracht gezogen werden" können, schied aber aus generalpräventiven Erwägungen aus.

Klaus K***** hat die fünfzehnmonatige Freiheitsstrafe am 5.August 1996 angetreten.

Rechtliche Beurteilung

Die angeführten Urteile des Landesgerichtes Innsbruck und des Oberlandesgerichtes Innsbruck stehen, wie der Generalprokurator in seiner zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt, mit dem Gesetz nicht im Einklang:

Ist eine Verurteilung getilgt, so gilt der Verurteilte fortan als gerichtlich unbescholten, soweit dem nicht eine andere noch ungetilgte Verurteilung entgegensteht (§ 1 Abs 4 TilgG).

Tritt die Tilgung zwar nach Begehung einer neuerlichen Straftat, aber vor deren rechtskräftiger Aburteilung ein, so ist die wiedergewonnene Unbescholtenheit des Täters zufolge des eben erwähnten Gesetzesbefehls in jeder Lage des Verfahrens über die neue Tat zu beachten. Eine Tilgung vor Urteilsfällung in erster Instanz ist demgemäß vom erkennenden Gericht zu berücksichtigen, eine solche während des (Neuerungen offenstehenden) Berufungsverfahrens vom Rechtsmittelgericht. Aus der getilgten Verurteilung dürfen keine dem Täter nachteiligen rechtlichen Konsequenzen mehr abgeleitet werden.

Dies entspricht der nahezu einhelligen Judikatur des Obersten Gerichtshofes (Mayerhofer/Rieder, StPO3 E 20 zu § 295, Nebenstrafrecht3 E 3 und 8 zu § 1 TilgG; EvBl 1978/201; weiters 9 Os 19/76, 11 Os 90/76, 12 Os 164/76, 9 Os 66/79, 13 Os 119/82, 13 Os 2/83, 13 Os 137/83, 11 Os 99/84, 12 Os 143/84, 11 Os 88/86, 12 Os 170/86, 10 Os 172/86, 11 Os 167/87, 10 Os 48/87, 14 Os 81/87, 12 Os 121/89, 13 Os 120/92, 11 Os 121/93, alle [insoweit] nv, und jüngst 15 Os 97/96 vom 5.Dezember 1996 und 11 Os 168/96 vom 10.Dezember 1996; zu den gleichlautenden tilgungsrechtlichen Vorgängerbestimmungen bereits SSt 7/100 und 27/27).

Die abweichenden Entscheidungen 12 Os 201/71 (Leitsatz in Mayerhofer/Rieder, StGB4 § 33 E 20) und - darauf Bezug nehmend - 12 Os 124/94 (= EvBl 1995/63) beruhen auf der Argumentation, daß die Tilgung nicht zurückwirke. Von einer Rückwirkung der Tilgung kann jedoch im gegebenen Zusammenhang nicht gesprochen werden. Denn die zitierte Bestimmung, wonach der Verurteilte fortan als gerichtlich unbescholten gilt, bedeutet, daß im Zeitpunkt der Tilgung ein Umstand wegfällt, der (erst) bei einer nachfolgenden Verurteilung als erschwerend (§ 33 Z 2 StGB) oder rückfallsbegründend (§ 39 StGB, § 41 FinStrG) ausschlagen könnte. Der Rehabilitierte ist demnach - zufolge des erklärten Willens des Gesetzgebers - vom Eintritt der Tilgung an so zu behandeln, als wäre er immer unbescholten gewesen. Mit der Tilgung ändert sich somit der Maßstab für die künftige Beurteilung des Täters (in diesem Sinn schon Kadecka, Das Gesetz vom 21.März 1918, Nr 108 RGBl, über die Tilgung der Verurteilung, 153 ff; Pallin,

Die Strafzumessung in rechtlicher Sicht Rz 42).

Demnach durfte die schon im Zeitpunkt der erstgerichtlichen Urteilsfindung getilgte Vorstrafe des Klaus K***** bei der Strafbemessung keine Berücksichtigung finden. Da angesichts der Strafzumessungserwägungen des Schöffensenates und des Berufungsgerichtes eine Benachteiligung des Verurteilten durch die gesetzwidrig verwertete Vorstrafe nicht auszuschließen ist, waren das Ersturteil im Strafausspruch und die Berufungsentscheidung zur Gänze aufzuheben und dem Erstgericht die Neubemessung der Strafe ohne Berücksichtigung der getilgten Verurteilung als Erschwerungsgrund aufzutragen.

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