OGH 15Os137/16k

OGH15Os137/16k24.5.2017

Der Oberste Gerichtshof hat am 24. Mai 2017 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Melounek als Schriftführerin in der Strafsache gegen Wolfgang B***** wegen des Verbrechens der betrügerischen Krida nach § 156 Abs 1 und 2 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Linz als Schöffengericht vom 6. Oktober 2016, GZ 12 Hv 116/15y‑136, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Mag. Wachberger, und des Verteidigers Mag. Lughofer zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0150OS00137.16K.0524.000

 

Spruch:

 

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Linz verwiesen.

 

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Wolfgang B***** von dem wider ihn erhobenen Vorwurf, er habe in Linz als selbständig vertretungsbefugter Geschäftsführer „sämtlicher nachgenannten Gesellschaften“ Bestandteile des Vermögens der BZ***** GmbH beiseite geschafft und sonst deren Vermögen wirklich verringert und dadurch die Befriedigung der Gesellschaftsgläubiger oder wenigstens eines von ihnen vereitelt oder geschmälert, indem er am 28. Mai 2009 eine Sachausschüttung in Höhe von 275.793,65 Euro zugunsten der I***** GmbH vorgenommen habe, gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.

Die der Anklage zugrunde liegende Tat war bereits Gegenstand des Verfahrens zu AZ 20 Hv 69/13t des Landesgerichts Linz, in dem die Staatsanwaltschaft die wegen des Verbrechens der betrügerischen Krida nach § 156 Abs 1 und 2 StGB erhobene Anklage gegen B***** (ON 50) in der Hauptverhandlung am 10. November 2014 um den zuvor genannten Vorwurf (von dessen Verfolgung zunächst aus Anlass der Anklageeinbringung unter Vorbehalt späterer Verfolgung gemäß § 192 Abs 1 Z 1 StPO abgesehen worden war [ON 1 S 9 f]) ausgedehnt hat (ON 80 S 36). An diesem Verhandlungstag gab die Vorsitzende bekannt, dass „eine Ausscheidung des Faktums angedacht“ werde und sie verfügte die „Vertagung der Hauptverhandlung auf vorerst unbestimmte Zeit“ zur Ergänzung eines Buchsachverständigengutachtens und zur Beischaffung bestimmter Konkursunterlagen (ON 80 S 38 und 40).

In der Hauptverhandlung am 28. September 2015, in der auf eine Wiederholung der Verhandlung wegen Überschreitung der Frist von zwei Monaten gemäß § 276a zweiter Satz StPO verzichtet und die Anklage um einen weiteren Vorwurf ausgedehnt wurde (ON 113 S 2), verkündete die Vorsitzende den Beschluss auf Ausscheidung des hier gegenständlichen ausgedehnten Faktums (ON 113 S 59), behielt jedoch der Staatsanwaltschaft (auf deren Verlangen) in dem am selben Tag ergangenen Urteil „gemäß § 263 Abs 2 StPO die selbständige Verfolgung des Angeklagten wegen des Vorwurfs der ausgeschiedenen Fakten“ vor (ON 113 S 61, siehe auch ON 114 S 2).

Am 18. Dezember 2015 brachte die Staatsanwaltschaft beim Landesgericht Linz zu AZ 12 Hv 116/15y eine Anklageschrift ein, die unter anderem den hier gegenständlichen Vorwurf enthält.

In der Begründung des nunmehr angefochtenen, freisprechenden Urteils führte das Erstgericht aus, der Verfolgungsvorbehalt habe keine Wirkung entfaltet, weil die davon umfassten Taten weder im Urteilsspruch noch in den Urteilsgründen näher bezeichnet, sondern ausschließlich mit „ausgeschiedenen“ bzw „ausgedehnten“ Fakten umschrieben worden seien. Im Übrigen wäre das Anklagerecht schon deshalb erloschen, weil es die Staatsanwaltschaft verabsäumt hätte, innerhalb der bereits mit der Vertagung jener Hauptverhandlung, in welcher die Ausdehnung der Anklage erfolgt sei, zu laufen begonnenen Frist des § 263 Abs 4 StPO die Anklage einzubringen oder das Ermittlungsverfahren fortzuführen.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die auf Z 9 lit b des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft, mit der sie zu Recht den Bestand ihres Verfolgungsrechts reklamiert.

Denn indem das Schöffengericht im zu AZ 20 Hv 69/13t ergangenen Urteil vom 28. September 2015 den Ausspruch nach § 263 Abs 2 StPO auf die „ausgeschiedenen“ (ON 113 S 61; vgl aber RIS-Justiz RS0096950; 13 Os 68/07k, 69/07g) und „ausgedehnten“ (ON 114 S 2 und 22) Fakten bezog, hat es hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht, dass der Verfolgungsvorbehalt die beiden in der Hauptverhandlung erfolgten Anklageausdehnungen (siehe zu diesen Taten die von der Staatsanwaltschaft vorgenommenen Konkretisierungen in ON 80 S 36 und ON 113 S 2) betraf (vgl RIS-Justiz RS0124017 [T2, T7]).

Die Staatsanwaltschaft hat durch Einbringung der Anklage innerhalb von drei Monaten nach dem Ausspruch des Verfolgungsvorbehalts – entgegen der Meinung des Erstgerichts – auch nicht die Fallfrist nach § 263 Abs 4 StPO versäumt. Diese ist nach dem klaren Wortlaut (nur) maßgeblich, wenn das Schöffengericht entweder (wie hier) das Urteil auf den Gegenstand der Anklage beschränkt und dem Ankläger (auf sein Verlangen) die selbständige Verfolgung wegen der hinzugekommenen Tat(en) vorbehält (§ 263 Abs 2 StPO) oder die Hauptverhandlung abbricht und die Entscheidung über alle dem Angeklagten zur Last fallenden Straftaten einer neuen Hauptverhandlung vorbehält (§ 263 Abs 3 StPO).

Von der – vom Schöffensenat zu beschließenden und in seinem Ermessen liegenden – Abbrechung der Hauptverhandlung nach § 263 Abs 3 StPO ist die – der Entscheidung des Vorsitzenden obliegende (vgl § 226 Abs 1 StPO) – Vertagung der (bereits begonnenen) Hauptverhandlung nach § 276 StPO zu unterscheiden. Letztere hat (nach dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes) gerade nicht die in § 263 Abs 4 StPO genannte Konsequenz und führt im Übrigen (selbst wenn die Verhandlung gemäß § 276a StPO wiederholt wird) auch nicht zum Entfall der temporären Wirksamkeit der Anklageausdehnung ( Danek/Mann , WK-StPO § 276 Rz 20, § 276a Rz 13 und § 279 Rz 7 [im Druck]; ohne Differenzierung zwischen Abbrechung und Vertagung hingegen zu § 263 Abs 4 StPO idF vor BGBl I 2007/93 RIS-Justiz RS0098828; 13 Os 144/80). Der Ausspruch eines Verfolgungsvorbehalts ist daher nicht nur möglich, wenn die Hauptverhandlung gerade an jenem Verhandlungstag endet (§ 257 StPO), an dem die Staatsanwaltschaft die Anklage ausgedehnt hat, sondern auch dann, wenn zwischen Anklageausdehnung und Urteilsfällung mehrere Verhandlungstage liegen.

Bleibt anzumerken, dass es bei der gegebenen prozessualen Lage für die Staatsanwaltschaft zur erfolg-reichen Freispruchsanfechtung nicht notwendig war, – neben dem Aufzeigen des erstgerichtlichen Rechtsfehlers – zusätzlich Feststellungsmängel hinsichtlich fehlender (hier: aller) Tatbestandselemente geltend zu machen oder entsprechende Beweisanträge in der Hauptverhandlung zu stellen und deren Abweisung mit Verfahrensrüge (Z 4) zu bekämpfen (vgl RIS-Justiz RS0127315, RS0118580 [T17 und T20]).

Denn diese Anforderungen an die Anfechtung eines Freispruchs wurden von der Rechtsprechung für jene Fälle entwickelt, in denen das Gericht die Täterschaft bzw das Vorliegen eines Tatbestandsmerkmals verneint hat, ohne eine Aussage zu sämtlichen Tatbestandsmerkmalen zu treffen. Wenn sich hingegen das Urteil – wie hier - auf die Erörterung des (fehlenden) Verfolgungsrechts beschränkt und keine (Negativ-)Feststellungen zum Tatbestand oder zur Täterschaft trifft, kommt diese Rechtsprechungslinie – schon nach dem Wortlaut der sie begründenden Entscheidungen (vgl 13 Os 18/10m, 13 Os 147/11h) – nicht zur Anwendung.

Eines gesonderten Vorbringens zur Relevanz des erstgerichtlichen Fehlers bedarf es vorliegend jedenfalls insofern nicht, als evident ist, dass die unrichtige Anwendung des Gesetzes durch die Tatrichter bei Prüfung der Frage, ob Umstände vorhanden sind, durch die die Verfolgung der Tat ausgeschlossen ist (aktuell: ob das Verfolgungsrecht der Staatsanwaltschaft weiterhin bestand), einen die Anklage beeinträchtigenden Einfluss auf die Entscheidung des Erstgerichts hatte.

Es war daher in Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zu verweisen.

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