Spruch:
Es verletzen das Gesetz
1. der Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 5. Dezember 2006, GZ 061 Hv 130/06t-104, mit dem die „Ausscheidung des hinsichtlich Isfah D***** ausgedehnten Faktums IV. der Anklage gemäß § 57 StPO" angeordnet und ausgesprochen wurde, dass „gemäß § 263 Abs 2 StPO dem Staatsanwalt diesbezüglich die selbständige Verfolgung vorbehalten wird", in der Bestimmung des § 263 Abs 2 StPO und
2. das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 9. Jänner 2007, GZ 061 E Hv 172/06v-9, in der Bestimmung des § 263 Abs 4 StPO. Das in Punkt 2. bezeichnete Urteil wird ersatzlos aufgehoben.
Text
Gründe:
Beim Landesgericht für Strafsachen Wien war zum AZ 061 Hv 130/06t auf Grund einer drei Anklagepunkte (I. bis III.) umfassenden Anklageschrift ein Strafverfahren gegen Isfah D***** und einen weiteren Angeklagten vor einem Schöffengericht wegen mehrerer strafbarer Handlungen nach dem Suchtmittelgesetz anhängig. In der Hauptverhandlung vom 5. Dezember 2006 (ON 104) dehnte der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft nach Vernehmung der Angeklagten über die Herkunft eines in der gemeinsamen Wohnung sichergestellten Geldbetrages die Anklage dahingehend aus, dass es „als Faktum IV./" zu lauten habe: „Isfah D***** hat in Wien vor dem 14. Juli 2006 wissentlich einen Geldbetrag in Höhe von 43.270 Euro, der aus einem Verbrechen eines anderen, nämlich dem Suchtgifthandel eines nicht näher ausgeforschten Schwarzafrikaners stammt, durch Übernahme an sich gebracht; er hat hiedurch das Vergehen der Geldwäscherei nach dem § 165 Abs 2 StGB begangen und wird hiefür wie bisher schriftlich zu bestrafen sein; gemäß § 20 Abs 1 StGB wird die Abschöpfung des Geldbetrages in Höhe von 43.270 Euro beantragt." (S 59/III).
Nach Schluss des Beweisverfahrens und nach Beratung verkündete der Vorsitzende vorerst den Beschluss auf „Ausscheidung des hinsichtlich Isfah D***** ausgedehnten Faktums IV./ der Anklage gemäß § 57 StPO, wobei gemäß § 263 Abs 2 StPO dem Staatsanwalt diesbezüglich die selbständige Verfolgung vorbehalten wird" (S 61/III). Mit dem anschließend verkündeten (auch den Mitangeklagten betreffenden) Urteil wurde Isfah D***** strafbarer Handlungen nach dem SMG schuldig erkannt und über ihn eine zweijährige Freiheitsstrafe verhängt. Das Urteil erlangte unangefochten Rechtskraft (S 63/III).
Am 18. Dezember 2006 verfügte der Vorsitzende die „Faktenausscheidung und Aktenneubildung (§ 165 Abs 2 StGB)" (ON 110).
Im dementsprechend angelegten Akt AZ 061 E Hv 172/06v des Landesgerichts für Strafsachen Wien beraumte der selbe Richter (nunmehr als Einzelrichter) die Hauptverhandlung gegen Isfah D***** an (ON 3), obwohl der Ankläger (dem der neue Akt nicht zugemittelt wurde) keinen Antrag auf Einleitung des gesetzlichen Verfahrens (§ 263 Abs 4 StPO) eingebracht hatte.
Mit gekürzt ausgefertigtem Urteil vom 9. Jänner 2007, GZ 061 E Hv 172/06v-9, wurde Isfah D***** im Sinn der Anklageausdehnung im vorangegangenen Verfahren des Vergehens der Geldwäscherei nach § 165 Abs 2 StGB schuldig erkannt; unter Bedachtnahme „gemäß §§ 31, 40 StGB" auf das oben genannte Urteil wurde von einer Zusatzstrafe abgesehen. Gemäß § 20 Abs 1 Z 1 StGB wurde jedoch „die Bereicherung in Höhe von 43.270 Euro abgeschöpft".
Rechtliche Beurteilung
Der im Verfahren AZ 061 Hv 130/06t ergangene Beschluss vom 5. Dezember 2006 und das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 9. Jänner 2007, GZ 061 E Hv 172/06v-9, stehen, wie der Generalprokurator in der Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend ausführt, mit dem Gesetz nicht im Einklang.
Zur Verfahrensausscheidung:
§ 57 StPO aF war auf eine Tat, auf die der Ankläger die Anklage erst in der Hauptverhandlung ausgedehnt hat, nicht anwendbar. Vielmehr hat sich nach § 263 Abs 2 StPO das Urteil, wenn eine sofortige Aburteilung einer solchen Tat nicht möglich ist, auf den Gegenstand der schriftlichen Anklage zu beschränken und dem Ankläger die selbständige Verfolgung wegen der hinzugekommenen Tat vorzubehalten, außer welchem Fall wegen dieser Tat eine Verfolgung nicht mehr zulässig ist. Das Gericht hat den Vorbehalt im Urteil und nicht etwa in einem besonderen Beschluss auszusprechen (Fabrizy StP09 § 263 Rz 13 mwN). Eine Ausscheidung nach § 57 StPO aF war keine gesetzmäßige Erledigung einer in der Hauptverhandlung ausgedehnten Anklage (RIS-Justiz RS0098812, RS0096950).
Die im Verfahren AZ 061 Hv 130/06t des Landesgerichts für Strafsachen Wien verkündete Entscheidung vom 5. Dezember 2006, wonach das Verfahren hinsichtlich des Faktums, auf das der Staatsanwalt die Anklage in der Hauptverhandlung ausgedehnt hatte, gemäß § 57 StPO aF ausgeschieden und mit diesem Beschluss „gemäß § 263 Abs 2 StPO dem Staatsanwalt diesbezüglich die selbständige Verfolgung vorbehalten" wurde, verletzte somit das Gesetz in der zuletzt genannten Bestimmung.
Dieser Verfahrensverstoß führte jedoch nicht zum Verlust des Anklagerechts, weil das Schöffengericht (wenngleich unrichtig in Beschlussform) klar zum Ausdruck gebracht hat, dass dem Ankläger das Recht zur Verfolgung der neu hinzugekommenen Straftat gesichert werden sollte (13 Os 133/03, SSt 2003, 82).
Zum ausgeschiedenen Verfahren:
Gemäß § 263 Abs 4 StPO aF musste der Ankläger, wenn sich das Urteil in der Sache auf den Gegenstand der ursprünglichen Anklage beschränkte und dem Ankläger - wenngleich nicht in der von § 263 StPO vorgesehenen Form - die selbständige Verfolgung wegen der hinzugekommenen Taten vorbehalten wurde, binnen 14 Tagen (§§ 27 und 46 StPO aF) seine Anträge wegen Einleitung des gesetzlichen Verfahrens anbringen. Es bedarf somit zur weiteren Verfolgung, auch wenn im früheren Verfahren die Anklage gemäß § 263 Abs 1 StPO ausgedehnt wurde, eines förmlichen Antrags des Anklägers entsprechend den allgemeinen Verfahrensvorschriften (vgl 15 Os 150/01 = RIS-Justiz RS0119097). Darunter ist nichts anderes zu verstehen als eine förmliche Anklageerhebung (§§ 451 Abs 1, 483f, 207 StPO aF). Im Verfahren AZ 061 E Hv 162/06v des Landesgerichts für Strafsachen Wien wurde aber, ohne dass vom Staatsanwalt ein Strafantrag in Betreff der ihm zur Verfolgung vorbehaltenen Straftat eingebracht worden war, gegen Isfah D***** mit Urteil vom 9. Jänner 2007 ein Schuldspruch wegen des Vergehens nach § 165 Abs 2 StGB gefällt und gemäß § 20 Abs 1 Z 1 StGB die Bereicherung abgeschöpft (ON 9). Diesem in Rechtskraft erwachsenen Urteil liegt somit keine rechtswirksame Anklageerhebung zu Grunde. Der Schuldspruch gereicht Isfah D***** ebenso zum Nachteil wie die Abschöpfung der Bereicherung nach § 20 Abs 1 Z 1 StGB.
Die rechtsfehlerhafte Entscheidung war aufzuheben (§ 292 letzter Satz StPO). Davon rechtslogisch abhängige Verfügungen sind damit - ohne dass auch deren Aufhebung erforderlich wäre - obsolet (RIS-Justiz RS0100444).
Der Ansicht der Generalprokuratur zuwider kann Isfah D***** wegen der ihr zugrunde gelegten Tat nicht erneut vor Gericht gestellt und verurteilt werden. Anders als im Fall der Urteilsaufhebung aufgrund einer wegen - hier erfolgter - Anklageüberschreitung (§§ 281 Abs 1 Z 8 [§§ 468 Abs 1 Z 4, 489 Abs 1], 345 Abs 1 Z 7 StPO) vom Ankläger ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerde (§§ 288 Abs 2, 349 Abs 1 StPO), welche keine Ne-bis-in-idem Wirkung zeitig (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 529 f), wurde er durch das unangefochten gebliebene Erkenntnis des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 9. Jänner 2007, GZ 061 E Hv 172/06v, nämlich „rechtskräftig verurteilt" (XX. Hauptstück der StPO; Art 4 7. ZPMRK).
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