European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0150OS00130.16F.0215.000
Spruch:
In der Straf‑ und Medienrechtssache der Privatanklägerin und Antragstellerin Dr. Eva G***** gegen den Angeklagten und Antragsgegner Michael O***** wegen § 111 Abs 1 und Abs 2 StGB sowie §§ 6 Abs 1, 33 Abs 1, 34 Abs 1 MedienG, AZ 5 Hv 119/15i des Landesgerichts für Strafsachen Graz, verletzen
1./ das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 19. Jänner 2016 § 111 Abs 1 StGB und § 6 Abs 1 MedienG;
2./ das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 11. Mai 2016, AZ 9 Bs 121/16m, § 252 Abs 2 StPO iVm §§ 474 und 489 Abs 1 StPO.
Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde verworfen.
Gründe:
Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 19. Jänner 2016, GZ 5 Hv 119/15i‑11, wurde Michael O***** vom Vorwurf der gegen ihn erhobenen Privatanklage, er habe am 23. November 2015 in T***** Dr. Eva G***** dadurch in einer für Dritte wahrnehmbaren Weise einer verächtlichen Eigenschaft oder Gesinnung geziehen oder eines unehrenhaften oder gegen die guten Sitten verstoßenden Verhaltens beschuldigt, das geeignet ist, sie in der öffentlichen Meinung verächtlich zu machen oder herabzusetzen, dass er auf der Website www.facebook.com/f *****, mithin in einem periodischen elektronischen Medium (§ 1 Abs 1 Z 5a lit b MedienG), wodurch die üble Nachrede einer breiten Öffentlichkeit zugänglich wurde, ein Lichtbild der Privatanklägerin mit dem Text: „Schutzsuchende müssen das Recht haben auf Mädchen loszugehen! 'Alles andere wäre rassistisch Flüchtlingen gegenüber'“veröffentlichte, gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.
Zugleich wurden auf diese Veröffentlichung bezogene Anträge auf Zuerkennung einer Entschädigung nach § 6 Abs 1 MedienG, auf Urteilsveröffentlichung nach § 34 Abs 1 MedienG und auf Löschung des die strafbare Handlung begründenden Beitrags nach § 33 Abs 1 MedienG abgewiesen.
Nach den Urteilsannahmen zum Bedeutungsinhalt der inkriminierten Veröffentlichung konnte nicht festgestellt werden, dass der Privatanklägerin dadurch unterstellt werde, sie habe die in Rede stehende Behauptung tatsächlich geäußert. Der durchschnittliche, hier konkret angesprochene Medienkonsument verstehe die inkriminierte Bild- und Textveröffentlichung vielmehr als Kritik an der von der Privatanklägerin [als Klubobfrau und Bundessprecherin der politischen Partei D*****] vertretenen politischen Einstellung zur aktuellen sogenannten „Flüchtlingskrise“. Einen auf eine Tatbildverwirklichung nach § 111 Abs 1 StGB bezogenen Vorsatz des Angeklagten konnte das Erstgericht ebenso nicht feststellen (US 2 f).
Die Negativfeststellung, der Angeklagte habe der Privatanklägerin keine tatsächliche Äußerung unterstellen wollen, stützte der Erstrichter darauf, dass der Angeklagte die inkriminierte Veröffentlichung – unmittelbar daran anschließend – durch die Anmerkung: „Ihr kann diese Aussage zugetraut werden“ kommentierte, jene zum mangelnden Vorsatz überdies auf die Verantwortung des Angeklagten, er habe bloß seinen Unmut über die von der Privatanklägerin bzw der politischen Partei D***** vertretene Einstellung im Rahmen der Flüchtlingspolitik zum Ausdruck bringen und damit Kritik an der Privatanklägerin üben wollen (US 3). Solcherart sei nach den abschließenden Urteilserwägungen zur Beweiswürdigung die inkriminierte Veröffentlichung „mit Blick auf die hinreichend bekannte politische Einstellung der Privatanklägerin zur Frauenpolitik sowie angesichts der [zuvor zitierten] Kommentierung des Angeklagten unter Bedachtnahme auf die sogenannte Unklarheitenregel ausschließlich dahingehend auszulegen, dass dadurch Kritik an der von der Privatanklägerin und ihrer Partei vertretenen politischen Einstellung zur Flüchtlingskrise geübt wird“ (US 4).
Nach den Urteilsausführungen in rechtlicher Hinsicht sei der Tatbestand des § 111 Abs 1 StGB nicht verwirklicht worden, weil sich die vom Angeklagten veröffentlichte Grafik tatsächlich als bloße Kritik an einer in der Öffentlichkeit stehenden Politikerin präsentiere, die insbesondere auch mit Blick auf Art 10 MRK zulässig sei.
Urteilsfeststellungen zum Inhalt der angenommenen Kritik sowie – als deren Bezugspunkt – zu einem die politische Einstellung der Privatanklägerin (und der von ihr vertretenen politischen Partei) zur „Flüchtlingskrise“ konkretisierenden Tatsachensubstrat wurden nicht getroffen.
Der dagegen erhobenen Berufung der Privatanklägerin und Antragstellerin wegen Nichtigkeit und wegen des Ausspruchs über die Schuld gab das Oberlandesgericht Graz als Berufungsgericht mit Urteil vom 11. Mai 2016, AZ 9 Bs 121/16m (ON 17 des Hv‑Akts), nicht Folge und wies im Übrigen die (nur angemeldete) Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe zurück.
Nach den Urteilsannahmen des Berufungsgerichts zum Bedeutungsinhalt der inkriminierten Veröffentlichung habe das Erstgericht im Hinblick auf die Kommentierung des Angeklagten („Ihr kann diese Aussage zugetraut werden“) zutreffend festgestellt, dass der Privatanklägerin eine tatsächliche Äußerung der in Rede stehenden Behauptung nicht zugeschrieben werde. Aufgrund dieser Kommentierung werde ihr aber auch nicht unterstellt, dass ihr eine derartige Äußerung (auch nur) tatsächlich zuzutrauen sei, vielmehr sei in jener Anmerkung bloß eine Kritik an der „sehr liberalen“ politischen Einstellung der Privatanklägerin zu erblicken. Denn in Anwendung der Unklarheitenregel sowie im Hinblick auf die Gesamterscheinung der Veröffentlichung und die bekannte politische Einstellung der Privatanklägerin sei vorliegend davon auszugehen, dass kein durchschnittlich verständiger Leser ernsthaft annehmen würde, die Privatanklägerin würde (abseits einer derartigen Äußerung auch nur) eine solche Meinung vertreten. Durch die [solcherart nur vordergründig transportierte] bei extensiver Auslegung anzunehmende Forderung, Flüchtlingen solle erlaubt sein, ein Verbrechen zu begehen, werde daher tatsächlich bloß Kritik an einer seinerzeit unter dem Schlagwort „Willkommenspolitik“ zusammengefassten (die Aufnahme Schutzsuchender ohne Obergrenzen befürwortenden) politischen Position geäußert, indem– „offenkundig die Realität verzerrend“ – angedeutet werde, diese ginge so weit, dass Ausländern gegenüber mehr Toleranz entgegengebracht würde als Österreichern (US 6 f).
Die gleichzeitige Mitteilung, welche politische Position die Privatanklägerin in der sogenannten „Flüchtlingskrise“ vertritt, woran vorliegend also Kritik geübt werde, sei hier „wegen der allgemeinen Bekanntheit der Begleitumstände und der verschiedenen, von Spitzenpolitikern bzw deren Parteien vertretenen Standpunkte“ entbehrlich. Die notwendige Tatsachenbasis für das vorliegend vermittelte kritische Werturteil sei nämlich in dem einem unbefangenen Durchschnittsadressaten zum Zeitpunkt der inkriminierten Veröffentlichung im Hinblick auf die seinerzeit geführte politische Diskussion zum Thema „Flüchtlingskrise“ „notorisch zu präsumierenden“ Vorwissen gelegen, dass die politische Partei D***** und die Privatanklägerin als deren prominente Proponentin im Hinblick auf Obergrenzen bei der Flüchtlingsaufnahme und auf unbeschränkte Zugangsrechte eine „sehr liberale“ Position vertreten (US 8 f). Der Konnex zu diesem Tatsachensubstrat werde durch die Bezugnahme auf „Schutzsuchende“ und „Flüchtlinge“ in der inkriminierten Veröffentlichung hergestellt.
Ein Wertungsexzess liege hier nicht vor. Vielmehr sei die Privatanklägerin als exemplarische Befürworterin von Menschen- und Frauenrechten bekannt, sodass aufgrund der völligen Verzerrung dieses Standpunktes im Posting „die Satireauf der Hand“ liege (US 9).
Insgesamt stelle sich die inkriminierte Veröffentlichung als – wenngleich plakativ, unhöflich und grob formulierte – Wertung dar, die von Art 10 MRK gedeckt sei, weil diese Bestimmung nicht nur stilistisch hochwertige, sachlich vorgebrachte und niveauvoll ausgeführte Bewertungen, sondern „jedwedes Unwerturteil“, das nicht wertungsexzessiv sei, schütze (US 10 f).
Rechtliche Beurteilung
Die Urteile des Landesgerichts für Strafsachen Graz und des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht stehen – wie die Generalprokuratur zutreffend ausführt – mit dem Gesetz nicht im Einklang:
I./ Zur öffentlichen Meinungsbildung bestimmte kritische Werturteile sind (auch unter dem Gesichtspunkt des Grundrechts auf Freiheit der Meinungsäußerung nach Art 10 MRK) nach § 111 Abs 1 StGB nicht tatbildlich, wenn sie auf (unbestrittene oder erwiesene, wenigstens aber gutgläubig angenommene) gleichzeitig berichtete oder zumindest allgemein bekannte Tatsachen gestützt werden, solcherart durch ein hinreichendes Tatsachensubstrat gedeckt und in Relation zu diesem nicht exzessiv, nämlich unverhältnismäßig überzogen sind und sich nicht in bloß formalen Ehrenbeleidigungen erschöpfen (vgl RIS‑Justiz RS0075690, RS0075702; jeweils mwN Kienapfel/Schroll BT I5 Vorbem §§ 111 ff Rz 12, 14 ff; Lambauer, SbgK Vorbem §§ 111 ff Rz 58, 70; Grabenwarter/Pabel, EMRK6 § 23 Rz 28).
Gewährt Art 10 MRK nach gesicherter Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zwar dem kritischen Werturteil im Besonderen in der politischen Auseinandersetzung eine sehr weitreichende Privilegierung, so wird damit aber keineswegs eine schrankenlose Meinungs‑ und Kritikfreiheit eingeräumt (vgl Art 10 Abs 2 MRK). Denn auch gegenüber Politikern sind – ungeachtet der solcherart weiter als bei Privatpersonen gezogenen Grenzen der zulässigen Kritik – (Un‑)Werturteile ohne (einzelfallbezogen) hinreichendes Tatsachensubstrat oder Wertungsexzesse vom Grundrecht auf Meinungs-äußerungsfreiheit nicht gedeckt (vgl mwN 15 Os 171/08y; mit Beziehung auf diese Entscheidung EGMR 12. 1. 2016, 55495/08, Genner/Österreich, MR 2016, 126).
Das konkrete Ausmaß dieser Verbindung eines Werturteils mit den dieses unterstützenden Fakten kann von Fall zu Fall variieren, sodass die Notwendigkeit, die einem Werturteil zu Grunde liegenden Tatsachen darzulegen, dann weniger zwingend ist, wenn diese Umstände der Allgemeinheit bereits bekannt sind (vgl EGMR 27. 10. 2005, 58547/00, Wirtschafts‑Trend Zeitschriften- Verlags GmbH/Österreich, MR 2005, 465). Doch ist auch hier essentielles Erfordernis einer Straflosigkeit stets, dass für den Rezipienten ersichtlich ist, auf welches konkrete Sachverhaltssubstrat sich das kritische Werturteil bezieht. Denn nur eine korrekte, den Tatsachen entsprechende Information ermöglicht dem Adressaten im politischen Diskurs und in der öffentlichen Debatte (vgl zu deren Bedeutung RIS‑Justiz RS0125220) eine selbständige Beurteilung des Geschehens und der geäußerten Kritik (vgl Kienapfel/Schroll BT I5 Vorbem §§ 111 ff Rz 23 mwN).
Bei Anwendung dieser Grundsätze sind in einem Urteil, das über die Strafbarkeit oder Straflosigkeit eines (festgestelltermaßen) kritischen Werturteils nach § 111 Abs 1 StGB abspricht, Feststellungen einerseits zum Inhalt der Kritik und andererseits zu einer für den Rezipienten ohne weiteres ersichtlichen konkreten Sachverhaltsbasis zu treffen, um solcherart die rechtliche Beurteilung zu ermöglichen, ob ein abfälliges Werturteil ohne (hinreichendes) Tatsachensubstrat oder ein Wertungsexzess vorliegt.
Vorliegend hat der Einzelrichter solcherart entscheidende Feststellungen zu den in Rede stehenden Tatumständen nicht getroffen, sondern sich mit der Konstatierung begnügt, die inkriminierte Äußerung werde als Kritik an der von der Privatanklägerin vertretenen politischen Einstellung zur aktuellen sogenannten „Flüchtlingskrise“ verstanden. Indem das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz somit schon aus dem Umstand geäußerter politischer Kritik schlechthin Straflosigkeit gefolgert und damit die rechtliche Konsequenz der Verneinung des objektiven Tatbestands der üblen Nachrede ohne die dazu erforderliche Tatsachengrundlage gezogen hat (vgl Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 605; 15 Os 15/08g, 148/08s, 149/08p), verletzt es das Gesetz in den Bestimmungen des § 111 Abs 1 StGB und des § 6 Abs 1 MedienG.
II.1./ Das Oberlandesgericht Graz als Berufungsgericht hat seine (zusätzlichen) Feststellungen zum Bedeutungsinhalt der inkriminierten Veröffentlichung, wonach auch mit der Anmerkung: „Ihr kann diese Aussage zugetraut werden“ dem Rezipienten bloß eine Kritik an der „sehr liberalen“ politischen Einstellung der Privatanklägerin, nicht aber vermittelt werde, diese würde eine der Äußerung entsprechende Meinung tatsächlich vertreten (US 7), sowie zu dem durch Bezugnahme auf „Schutzsuchende“ und „Flüchtlinge“ in der Grafik für den Adressaten ersichtlich vermittelten Tatsachensubstrat (US 7: „Zusammenhang der Veröffentlichung mit der aktuellen politischen Lage“; vgl auch US 9) ohne Beweisverfahren, nämlich ohne Verlesung der inkriminierten Veröffentlichung in der Berufungsverhandlung (vgl ON 16) getroffen, sodass es § 252 Abs 2 StPO iVm §§ 474, 489 Abs 1 StPO verletzt hat. Denn in erster Instanz unterlassene Feststellungen können vom Berufungsgericht nur nach Maßgabe des vierten und fünften Abschnittes des 14. Hauptstücks der StPO nachgeholt werden (RIS‑Justiz RS0124362; Ratz, WK‑StPO § 473 Rz 13, 17).
In ihrer Nichtigkeitsbeschwerde führt die Generalprokuratur weiters aus:
Diesen somit aufgrund eines rechtlich mangelhaften Verfahrens zustande gekommenen Feststellungen des Berufungsgerichts haften überdies wegen offenbar unzureichender Begründung (vgl § 281 Abs 1 Z 5 vierter Fall StPO) – ebenfalls mit Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes wahrzunehmende (RIS‑Justiz RS0123668; Schroll, WK‑StPO § 23 Rz 6b) – formale Begründungsmängel an, wodurch die auch für Urteile der Oberlandesgerichte als Berufungsgericht geltende Begründungspflicht gerichtlicher Entscheidungen (§ 270 Abs 2 Z 5 iVm §§ 474, 489 Abs 1 StPO; Danek, WK‑StPO § 270 Rz 28) verletzt wurde:
Die Begründungserwägung für die Urteilsannahme bloß geübter Kritik (US 7), dass mit der Kommentierung: „Ihr kann diese Aussage zugetraut werden“ der Privatanklägerin – in kontradiktorischem Widerspruch hiezu – nicht unterstellt werden soll, „dass ihr eine derartige Äußerung tatsächlich zuzutrauen sei“, vielmehr werde ihr eine derartige Meinung gerade nicht zugeschrieben, ist logisch und empirisch unhaltbar, mithin offenbar unzureichend (vgl RIS‑Justiz RS0118317). Aus der somit rechtsfehlerhaften Begründung der Urteilsannahme, vorliegend sei aus dem Empfängerhorizont nicht die tatsächliche Meinung oder Haltung der Privatanklägerin wiedergegeben worden, folgt weiters, dass auch der Annahme einer satirischen Darstellungsform ein formaler Begründungsmangel anhaftet. Denn Satire meint gerade die – aus der geradezu diametral gegenläufigen Kommentierung nicht mängelfrei ableitbare – Verfremdung der Realität durch Verzerrung oder Übertreibung der Wirklichkeit (vgl RIS‑Justiz RS0031735; Kienapfel/Schroll BT I5 Vorbem §§ 111 ff Rz 32).
Soweit das Oberlandesgericht im Übrigen den festgestellten Bedeutungsinhalt auch an der allgemeinen Bekanntheit der – zur inkriminierten Veröffentlichung konträren – politischen Einstellung der Privatanklägerin orientiert (US 7, 9), stellt es, einen weiteren formalen Begründungsmangel verwirklichend, nicht auf Kriterien ab, die für die Feststellung des Bedeutungsinhaltes einer Äußerung entscheidend sind. Denn der Bedeutungsinhalt einer inkriminierten Textpassage ist (als Tatfrage) aus der Sicht jenes Rezipienten, an den sich die Publikation nach ihrer Aufmachung und Schreibweise sowie den behandelten Themen richtet, nach deren Wortsinn aus dem Gesamtzusammenhang der damit inhaltlich im Konnex stehenden Ausführungen zu ermitteln, sodass auf den situativen Kontext abzustellen ist, in den der fragliche Aussagegehalt einzuordnen ist (RIS‑Justiz RS0092588 [T35]). Maßgeblich ist daher – im vorliegenden Zusammenhang – ausschließlich, welche Meinung oder Haltung einer Person aus der Sicht des angesprochenen Rezipientenkreises zugeschrieben wird, nicht aber, welche Meinung oder Haltung diese Person tatsächlich vertritt (vgl auch § 111 Abs 3 erster Satz StGB).
Bei Anwendung empirischer Erfahrungssätze kann aus der bloßen Bezugnahme auf „Schutzsuchende“ und „Flüchtlinge“ in der inkriminierten Veröffentlichung (auch im Zusammenhang mit dem beigefügten Lichtbild der Privatanklägerin) nicht rechtlich fehlerfrei abgeleitet werden, dass damit dem Rezipienten als Tatsachensubstrat für das (vermeintliche) kritische Werturteil just eine von der politischen Partei D***** und der Privatanklägerin vertretene „sehr liberale“ Position in Betreff von Obergrenzen und unbeschränkten Zugangsrechten bei der Aufnahme von Flüchtlingen vermittelt wird. Auch dieser Urteilsannahme des Berufungsgerichtes haftet daher ein formaler Begründungsmangel an.
Der Oberste Gerichtshof hat erwogen:
Offenbar unzureichend (§ 281 Abs 1 Z 5 StPO) ist eine Begründung, welche den Kriterien folgerichtigen Denkens oder grundlegenden Erfahrungswerten widerspricht (RIS‑Justiz RS0116732), das heißt, wenn für den Ausspruch über eine entscheidende Tatsache entweder überhaupt keine oder nur solche Gründe (Scheingründe) angegeben sind, aus denen sich nach Denkgesetzen oder allgemeiner Lebenserfahrung ein Schluss auf die zu begründende Tatsache entweder überhaupt nicht ziehen lässt oder der logische Zusammenhang kaum noch erkennbar ist (RIS‑Justiz RS0108609, RS0099413).
Das Oberlandesgericht gründete die Urteilsannahme bloß geübter Kritik nicht nur auf die der graphischen Darstellung beigefügte Anmerkung („Ihr kann diese Aussage zugetraut werden“), sondern leitete sie – unter Anwendung der „Unklarheitenregel“ (vgl RIS-Justiz RS0123503) – aus der Gesamterscheinung der Veröffentlichung bzw dem Gesamtzusammenhang ab (US 7 zweiter Abs). Bei Ermittlung des Bedeutungsinhalts hat das Oberlandesgericht – richtigerweise (RIS‑Justiz RS0092588 [T33, T35, T39]) – auf das Verständnis des angesprochenen Rezipientenkreises abgestellt (US 7: „durchschnittlich verständiger Leser“; US 9: „unbefangenen Durchschnitts-adressat“). Dass unter dem Aspekt des situativen Kontextes in die Beurteilung auch die „bekannte politische Einstellung der Privatanklägerin“ (US 7) eingeflossen ist, ist unter dem Blickwinkel der Begründungstauglichkeit nicht zu beanstanden. Diese – das Tatsachensubstrat für das kritische Werturteil bildende – politische Position der Privatanklägerin als Klubobfrau einer Partei, die dem Schutz von Flüchtlingen großes Augenmerk widme und eine „diesbezügliche Obergrenze“ ablehne, wurde ausdrücklich in der Berufungsverhandlung „als gerichtsnotorisch festgestellt“ (ON 16 S 2).
Schließlich haftet auch der Annahme einer satirischen Darstellungsform (US 9 f) kein formaler Begründungsmangel an, ist doch die – von der Generalprokuratur angesprochene – Verfremdung der Realität durch Verzerrung oder Übertreibung der Wirklichkeit zwar ein charakteristisches, aber nicht das einzige Stilmittel der Satire, die sich zB auch der Entstellung, Travestie, Bloßstellung, Kontrastierung der Wirklichkeit, der Gegenüberstellung oder der Darstellung des Gegenteils bedient und sich solcherart einer abschließenden Definition entzieht.
Eine den Kriterien logischen Denkens oder grundlegenden Erfahrungssätzen widersprechende Begründung (§ 281 Abs 1 Z 5 vierter Fall StPO) liegt somit nicht vor. Insoweit war die Nichtigkeitsbeschwerde zu verwerfen.
Die aufgezeigten Gesetzesverletzungen (I./ und II.1/) gereichen dem Angeklagten und Antragsgegner zum Vorteil, sodass es mit deren Feststellung sein Bewenden hat (§§ 292 letzter Satz StPO; 41 Abs 1 MedienG).
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