Spruch:
In der Medienrechtssache des Antragstellers Ing. Siegfried K***** gegen die Antragsgegnerin K***** GmbH & Co KG (vormals K***** GmbH & Co KG) wegen §§ 6 Abs 1, 8a Abs 6 MedienG, AZ 9 Hv 133/06i des Landesgerichts für Strafsachen Graz, verletzen
1. das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 27. Februar 2007, GZ 9 Hv 133/06i-14, § 6 Abs 1 MedienG;
2. das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 7. August 2007, AZ 11 Bs 203/07x (ON 21 des Hv-Akts), §§ 474 StPO aF iVm § 489 Abs 1 StPO aF, § 258 Abs 2 und § 270 Abs 2 Z 5 StPO.
Das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 7. August 2007 wird aufgehoben und dem Oberlandesgericht Graz die neue Verhandlung und Entscheidung aufgetragen.
Mit ihrem Antrag auf Erneuerung des Strafverfahrens gemäß § 363a StPO wird die Antragsgegnerin auf die kassatorische Entscheidung verwiesen.
Text
Gründe:
In der Medienrechtssache des Antragstellers Ing. Siegfried K***** gegen die Antragsgegnerin K***** GmbH & Co KG (vormals K***** GmbH & Co KG) wegen §§ 6 Abs 1, 8a Abs 6 MedienG, AZ 9 Hv 133/06i des Landesgerichts für Strafsachen Graz, wurden mit Urteil dieses Gerichts vom 27. Februar 2007 (ON 14) die Anträge des Antragstellers, der Antragsgegnerin wegen der in dem unter der Überschrift „Zwei Teile sind kein Ganzes" und der Subüberschrift „Protokoll eines seit 15 Monaten währenden Spaltungsprozesses" auf der Website www.k*****.at am 4. August 2006 veröffentlichten (über das Verhältnis der FPÖ zum BZÖ berichtenden) Artikel enthaltenen Behauptung, der „blaue" Bundesrat Siegfried K***** habe (ebenso wie John G*****) „Nazi Sager" von sich gegeben, was Unheil fürs BZÖ bedeutet habe, sodass H***** seinen alten Freund K***** habe disziplinieren müssen, die Zahlung einer Entschädigung nach § 6 Abs 1 MedienG und die Urteilsveröffentlichung nach § 8a Abs 6 MedienG aufzutragen, abgewiesen.
Nach den Urteilsfeststellungen löste eine in der Debatte zu einer in der 720. Sitzung des Bundesrats vom 14. April 2005 an die Bundesministerin für Justiz gestellten Dringlichen Anfrage betreffend die Rehabilitierung der Opfer der NS-Militärjustiz, insbesondere der Wehrmachtsdeserteure im von der Bundesregierung ausgerufenen „Gedenkjahr 2005" gehaltene - im Urteil im Einzelnen wiedergegebene - Rede des Antragstellers Ing. Siegfried K***** beträchtliches Aufsehen in den Medien aus und war auch Anlass heftigster Kritik von verschiedenen Seiten. Nach einer auf einen Bericht in der Tageszeitung „S*****" verweisenden Meldung der Austria Presse Agentur (APA) vom 18. April 2005 habe der Antragsteller Wehrmachtsdeserteure als „zum Teil Kameradenmörder" bezeichnet und von einer „brutalen Naziverfolgung" und einer Politik der Arroganz nach 1945 gesprochen. Aus Anlass dieser glamourösen Medienberichte wurde mit dem Antragsteller ein am 19. April 2005 in der ORF-Sendung „Morgenjournal" wiedergegebenes Telefoninterview geführt, in welchem dieser das von ihm von der Redakteurin vorgehaltene Zitat einer „brutalen Naziverfolgung nach 1945" nicht in Abrede stellte. Dieses Interview und die zuvor genannte APA-Meldung waren Grundlage für einen in der K***** vom 20. April 2005 veröffentlichten Artikel, in dem berichtet wurde, dass sich der Antragsteller zu seinen Äußerungen im Bundesrat bekannt und neuerlich von einer „brutalen Naziverfolgung nach 1945" gesprochen habe. Zu dem inkriminierten Vorwurf, der Antragsteller habe „Nazi-Sager" geäußert, stellte der Einzelrichter - ohne zu dessen Bedeutungsinhalt im Gesamtzusammenhang des in Rede stehenden Artikels aus der maßgeblichen Sicht des hier konkret angesprochenen Rezipientenkreises Konstatierungen zu treffen - bloß den Wortlaut der inkriminierten Textpassage und weiters fest, dass der erwähnte Vorwurf „die oben geschilderten Ereignisse aufgreift und auf der besagten Bundesratsrede des Antragstellers und den Artikeln der APA und der K***** sowie auf dem ORF-Interview gründet".
In rechtlicher Hinsicht führte der Einzelrichter, ausgehend von der (Tatsachen-)Annahme eines durch die inkriminierte Aussage verwirklichten - indes nach seinem Bedeutungsinhalt nicht näher festgestellten - Werturteils aus, dass dieses - ungeachtet einer solcherart fehlenden Vergleichsgrundlage - auf einem mit Beziehung auf die zuvor festgestellten Ereignisse ausreichenden Tatsachensubstrat beruhe und solcherart kein (unzulässiger) Wertungsexzess vorliege, sodass der objektive Tatbestand der üblen Nachrede nicht hergestellt sei.
Rechtliche Beurteilung
Der gegen dieses Urteil erhobenen, das Fehlen von Feststellungen zum Bedeutungsinhalt der inkriminierten Textpassage reklamierenden Berufung des Antragstellers wegen Nichtigkeit (§ 41 Abs 1 MedienG iVm §§ 468 Abs 1 Z 4, 489 Abs 1 aF StPO; ON 16) gab das Oberlandesgericht Graz als Berufungsgericht mit Urteil vom 7. August 2007, AZ 11 Bs 203/07x (ON 21 des Hv-Akts), Folge, hob das angefochtene Urteil auf und erkannte in der Sache selbst zu Recht, dass durch die inkriminierte Textpassage der Antragsteller Ing. Siegfried K***** der Gesinnungsnähe zum Nationalsozialismus geziehen, somit in einem Medium der objektive Tatbestand der üblen Nachrede hergestellt wurde und daher der Antragsgegnerin gemäß § 6 Abs 1 MedienG die Zahlung einer Entschädigung von 4.000 Euro auferlegt und ihr gemäß § 8a Abs 6 MedienG (iVm § 34 Abs 6 MedienG) die Urteilsveröffentlichung aufgetragen werde.
Nach den vom Berufungsgericht - ohne Beweisaufnahme im Gerichtstag zur Verhandlung über die Berufung (ON 20) - getroffenen Feststellungen zum Bedeutungsinhalt des - als Tatsachenbehauptung beurteilten - inkriminierten Vorwurfs, „Nazi-Sager" der „blauen" Bundesräte John G***** und Siegfried K***** hätten Unheil fürs BZÖ bedeutet, werde damit aus der Sicht eines sachlich unvoreingenommenen, objektiven Betrachters behauptet, der Antragsteller habe „Nazi-Sager" von sich gegeben. Dies inkludiere unzweideutig den Vorwurf nationalsozialistischer Gesinnungsnähe, der sich in der Gegenwart insbesondere in einer Verharmlosung der NS-Ideologie manifestiere. Den (im Hinblick auf die Beurteilung der inkriminierten Textpassage als Tatsachenbehauptung zulässigen) Wahrheitsbeweis (§ 6 Abs 2 Z 2 lit a MedienG) habe die Antragsgegnerin nicht erbracht, weil (soweit hier relevant) der Wortmeldung des Antragstellers in der Bundesratssitzung und dem Inhalt seines Telefoninterviews nach den (ebenfalls ohne Beweisaufnahme im Gerichtstag getroffenen) Tatsachenannahmen des Berufungsgerichts ein dem inkriminierten Inhalt der Website im Wesentlichen kongruenter Aussagegehalt dahin, dass der Antragssteller NS-Gedankengut nahestehe oder sich mit diesem sogar identifiziere, nicht zu entnehmen sei.
Wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde im Ergebnis zutreffend ausführt, stehen die Urteile des Landesgerichts für Strafsachen Graz und des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht mit dem Gesetz nicht im Einklang:
1. Der Bedeutungsinhalt einer inkriminierten Textpassage ist - als Tatfrage - aus der Sicht jenes Rezipienten, an den sich die Publikation nach ihrer Aufmachung und Schreibweise sowie den behandelten Themen richtet, nach deren Wortsinn aus dem Gesamtzusammenhang der damit inhaltlich im Konnex stehenden Ausführungen zu ermitteln, sodass auf den situativen Kontext abzustellen ist, in den der fragliche Aussagegehalt einzuordnen ist. Die Feststellung bloß des Wortlauts der zu beurteilenden Textstelle reicht daher für die Konstatierung deren Bedeutungsinhalts gerade im vorliegenden Fall nicht hin (15 Os 6/08h, 7/08f; 11 Os 124/07f, 125/07b; Rami in WK2 § 41 MedienG Rz 36 mwN; Polley in Berka/Höhne/Noll/Polley, MedienG2 Vor §§ 28 bis 42 Rz 41).
Da der Einzelrichter solcherart entscheidende Feststellungen zum Bedeutungsinhalt der in Rede stehenden inkriminierten Textpassage über deren Wortlaut hinaus nicht getroffen und damit die rechtliche Konsequenz der Verneinung des objektiven Tatbestands der üblen Nachrede ohne die dazu erforderliche Tatsachengrundlage gezogen hat (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 605), verletzt das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz das Gesetz in der Bestimmung des § 6 Abs 1 MedienG.
2. Zu der weiters geltend gemachten Verletzung des § 473 Abs 2 iVm § 489 Abs 1 StPO durch das Oberlandesgericht Graz führt die Generalprokuratur aus:
„Gemäß der zufolge des § 489 Abs 1 StPO (aF und gF) auch im Verfahren über Berufungen gegen Urteile des Einzelrichters des Landesgerichts durch das Oberlandesgericht anzuwendenden Vorschrift des § 473 Abs 2 StPO (aF und gF) ist das Berufungsgericht grundsätzlich an den vom Erstgericht festgestellten Sachverhalt gebunden und darf von diesem nur nach Beweiswiederholung oder -ergänzung abgehen. Auch darf es (in Erledigung einer Berufung wegen Nichtigkeit) vom Erstgericht unterlassene rechtlich erhebliche Feststellungen, um den Grundsätzen der Mündlichkeit und Unmittelbarkeit zu entsprechen - und solcherart den Verfahrensparteien überhaupt Gelegenheit zu geben, im Gerichtstag zu den noch zu klärenden Tatfragen Stellung zu nehmen (S. Mayer, Commentar § 474 Z 29 f, 32) -, nur dann selbst treffen, wenn es die für die Beurteilung der betreffenden Tatumstände in Betracht kommenden Beweise im Wege der Ergänzung des Beweisverfahrens selbst aufgenommen hat (RIS-Justiz RS0101766; Fabrizy StPO10 § 473 Rz 3).
Der Vorgang, dass das Oberlandesgericht Graz ohne entsprechende Beweisaufnahme im Gerichtstag zur Verhandlung über die Berufung (ON 20) Feststellungen zum Bedeutungsinhalt der inkriminierten Textpassage (sowie zum Aussagegehalt der Bundesratsrede und des Telefoninterviews des Antragstellers) und von jenen des Erstgerichts abweichende Konstatierungen zu der - ebenfalls aus der Sicht des konkret angesprochenen Rezipientenkreises unter Berücksichtigung des Gesamtkontextes der Publikation zu beurteilenden - Tatfrage des Verständnisses der inkriminierten Äußerung als Werturteil oder aber Tatsachenbehauptung (RIS-Justiz RS0067266; RS0031815; Ratz, Schutz der freien Meinungsäußerung und Schutz vor ihr im Straf- und Medienrecht durch den OGH, ÖJZ 2007/81 [952]) getroffen hat, verletzt daher das Gesetz in der genannten Bestimmung."
Dazu hat der Oberste Gerichtshof erwogen:
Das Berufungsgericht hat seine Feststellungen zum Bedeutungsinhalt der Veröffentlichung ohne jedes Beweisverfahren getroffen, sodass es seinerseits § 474 StPO verletzt hat, weil in erster Instanz unterlassene - nicht anders als erfolgreich wegen eines Verfahrens- oder Begründungsmangels (§ 281 Abs 1 Z 2 bis 5 [§ 489 Abs 1] StPO) angefochtene - Feststellungen vom Berufungsgericht nur nach Maßgabe des vierten und fünften Abschnitts des XVII. (seit 1. Jänner 2008: 14.) Hauptstücks nachgeholt werden können (Ratz, WK-StPO § 473 Rz 13, 17).
Ein Vorgehen nach § 473 Abs 2 StPO wäre zwar insoweit, als die vom Erstgericht getroffene Feststellung, wonach dem Verständnis des Lesens nach ein Werturteil vorliege (RIS-Justiz RS0067266, RS0031815; Ratz, Schutz der freien Meinungsäußerung und Schutz vor ihr im Straf- und Medienrecht durch den OGH, ÖJZ 2007, 948 [952]), dem Antragsteller nachteilig war, ohne von ihm als verfahrens- oder begründungsmangelhaft (§ 281 Abs 1 U 2 bis 5 StPO) bekämpft worden zu sein, zulässig gewesen. Dies hätte zur Konsequenz gehabt, dass der inkriminierte Text im Berufungsverfahren nicht verlesen hätte werden müssen (WK-StPO § 473 Rz 8). Da aber der Bedeutungsinhalt des Texts in erster Instanz nicht festgestellt worden war und daher insoweit ohnehin ein vollständiges Beweisverfahren - einschließlich der Beachtung des § 252 Abs 2 StPO - durchgeführt werden musste, schlug mangels Trennbarkeit der Beweisaufnahmen zu den beiden entscheidenden Tatsachen (Bedeutungsinhalt einerseits und Tatsachenbehauptung oder Werturteil) andererseits die Beweiserleichterung des § 473 Abs 2 StPO nicht durch, sodass diese Bestimmung auch nicht verletzt wurde.
3. Im Übrigen blieben die Feststellungen zum Bedeutungsinhalt der inkriminierten Textstelle sowie zu deren Beurteilung als Tatsachenbehauptung gänzlich unbegründet, wodurch - als mit Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes wahrzunehmender Rechtsfehler (15 Os 6/08h, 7/08f) - die auch für Urteile der Oberlandesgerichte als Berufungsgericht geltende Begründungspflicht gerichtlicher Entscheidungen (§§ 270 Abs 2 Z 5 iVm 474 aF sowie 489 Abs 1 aF StPO; Danek WK-StPO § 270 Rz 28) verletzt wurde. Hinzu kommt schließlich, dass das Oberlandesgericht - wiewohl es das Erfordernis einer nicht isolierten, sondern am Gesamtzusammenhang der Publikation orientierten Beurteilung des Bedeutungsinhalts einer Textpassage zutreffend erkannte (US 13) - in bloß punktueller Betrachtung der inkriminierten Textpassage den Gesamtkontext des diese enthaltenden Artikels zur Gänze unberücksichtigt ließ und damit - ebenso rechtsfehlerhaft (§§ 258 Abs 2 iVm 474 aF sowie 489 Abs 1 aF StPO; neuerlich 15 Os 6/08h, 7/08f) - für die Beurteilung der entscheidenden Frage des konkreten Bedeutungsinhalts der inkriminierten Textstelle erhebliche Umstände mit Stillschweigen überging. Solcherart blieb unerörtert, ob (aus der Sicht des konkret angesprochenen Leserkreises) der den Spaltungsprozess und das Verhältnis zwischen der FPÖ und dem BZÖ unter verschiedenen Aspekten gleichsam schlaglichtartig im historischen Rückblick thematisierende Artikel nach dieser publizistischen Zielrichtung tatsächlich auf den Vorwurf nationalsozialistischer Gesinnungsnähe ausgerichtet war oder aber mit der Chiffre „Nazi-Sager" bloß die seinerzeitige Kontroverse über Äußerungen des Antragstellers zu Vorgängen in der Zeit des Nationalsozialismus und danach („Nazi-Verfolgung") plakativ bezeichnet wurde.
Die aufgezeigten Gesetzesverletzungen durch das Oberlandesgericht Graz gereichen der Antragsgegnerin als Medieninhaberin zum Nachteil (§ 292 letzter Satz StPO iVm § 41 Abs 6 MedienG), sodass sich der Oberste Gerichtshof zur Aufhebung des genannten Urteils des Berufungsgerichts veranlasst sah.
Mit ihrem ebenfalls gegen das aufgehobene Urteil gerichteten Erneuerungsantrag war die Antragsgegnerin auf die kassatorische Entscheidung zu verweisen.
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