OGH 14Os66/22w

OGH14Os66/22w27.9.2022

Der Oberste Gerichtshof hat am 27. September 2022 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Nordmeyer, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann und Dr. Setz‑Hummel LL.M. sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in Gegenwart des Schriftführers Mag. Buttinger in der Strafsache gegen * B* wegen des Verbrechens des schweren gewerbsmäßigen Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 5, § 129 Abs 2 Z 1 (iVm Abs 1 Z 1), § 130 Abs 3 (iVm Abs 1 erster Fall) StGB, AZ 147 Hv 9/21b des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil dieses Gerichts vom 2. Februar 2021 (ON 112) ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes und den Antrag des Verurteilten auf Erneuerung des Strafverfahrens gemäß § 363a StPO nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Artner, des Verurteilten und seiner Verteidigerin Dr. Scheimpflug sowie der Dolmetscherin Mag. Dr. Rauter zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0140OS00066.22W.0927.000

 

Spruch:

 

Das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 2. Februar 2021, GZ 147 Hv 9/21b‑112, verletzt § 270 Abs 2 Z 5 StPO iVm § 31 Abs 1 EU‑JZG.

Dieses Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, wird im Schuldspruch zu I/A und in der dazu gebildeten Subsumtionseinheit, demgemäß auch im Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung), und im Verfallserkenntnis hinsichtlich 2.000 Euro (ersatzlos) aufgehoben, und in diesem Umfang in der Sache selbst erkannt:

* B* wird vom Vorwurf freigesprochen, er habe am 21. März 2019 in W* als Mitglied einer kriminellen Vereinigung und gewerbsmäßig im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit weiteren, abgesondert verfolgten Mittätern * M* und H* M* 2.000 Euro Bargeld durch Einbruch in eine Wohnstätte weggenommen, indem er deren Wohnungstür aufdrückte und einen Möbeltresor, in welchem sich das Bargeld befand, an sich nahm.

Für das ihm nach dem unberührt gebliebenen Schuldspruch zu I/B, II, III, IV und V unter Neubildung der Subsumtionseinheit weiterhin zur Last liegende Verbrechen des schweren gewerbsmäßigen Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 5, § 129 Abs 2 Z 1 (iVm Abs 1 Z 1), § 130 Abs 3 (iVm Abs 1 erster Fall) StGB wird B* nach § 130 Abs 3 StGB unter Anwendung des § 39 Abs 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von

fünfeinhalb Jahren

verurteilt.

Die in der Zeit vom 8. Februar 2020, 16:30 Uhr, bis zum 2. Februar 2021, 15:00 Uhr, verbüßte Vorhaft wird auf diese Strafe angerechnet.

Mit seinem Antrag auf Erneuerung des Strafverfahrens wird der Verurteilte auf diese Entscheidung verwiesen.

 

Gründe:

[1] Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 2. Februar 2021, GZ 147 Hv 9/21b‑112, wurde * B* des Verbrechens des schweren gewerbsmäßigen Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 5, § 129 Abs 2 Z 1 (iVm Abs 1 Z 1), § 130 Abs 3 (iVm Abs 1 erster Fall) StGB schuldig erkannt.

[2] Danach hat er, teils im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit (teils namentlich genannten) Mittätern, gewerbsmäßig und mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz anderen fremde bewegliche Sachen in einem 5.000 Euro übersteigenden Gesamtwert durch Einbruch in Wohnstätten, nämlich durch gewaltsames Öffnen verschlossener Wohnungseingangstüren mit im Urteil teils näher beschriebenen Werkzeugen, weggenommen, und zwar

I/ am 21. März 2019 in W*

A/ * M* und H* M* 2.000 Euro Bargeld indem er einen Möbeltresor, in welchem sich das Bargeld befand, an sich nahm;

B/ * T* Schmuck im Gesamtwert von 800 Euro;

II/ am 26. März 2019 in W* * S* und * Z* 900 Euro Bargeld;

III/ am 27. März 2019 in V* * H* Bargeld und Schmuck im Gesamtwert von etwa 850 Euro;

IV/ am 28. März 2019 in W* * N* und weiteren namentlich genannten Opfern Bargeld und Schmuck im Gesamtwert von etwa 2.240 Euro;

V/ am 14. Mai 2019 im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit * D*

A/ in G* Dr. * F* verschiedene Wertgegenstände im Gesamtwert von 1.600 Euro;

B/ in P* * G* und C* G* Wertgegenstände im Gesamtwert von etwa 1.800 Euro.

[3] Das Erstgericht verhängte über B* eine Freiheitsstrafe von acht Jahren und erklärte einen Betrag von 7.040 Euro für verfallen.

[4] Der gegen den Strafausspruch gerichteten Berufung des Angeklagten gab das Oberlandesgericht Wien als Berufungsgericht mit Urteil vom 27. April 2021, AZ 22 Bs 104/21m (ON 123), durch Reduktion der Freiheitsstrafe auf sechs Jahre Folge.

Rechtliche Beurteilung

[5] Das bezeichnete Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien steht – wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend aufzeigt – mit dem Gesetz nicht in Einklang.

[6] Gemäß § 31 Abs 1 EU‑JZG darf eine Person, die auf Grund eines von einer österreichischen Justizbehörde erlassenen Europäischen Haftbefehls an Österreich übergeben wurde, ohne Zustimmung des Vollstreckungsstaats wegen einer vor ihrer Übergabe begangenen anderen Handlung, auf die sich der Europäische Haftbefehl nicht erstreckt hat, (unter anderem) weder verfolgt noch verurteilt, noch einer Freiheitsstrafe unterworfen werden. Von diesem – den Lebenssachverhalt, nicht dessen rechtliche Würdigung betreffenden (vgl RIS‑Justiz RS0087147; Hinterhofer in WK2 EU‑JZG § 31 Rz 1 und 14) – Grundsatz der Spezialität normiert § 31 Abs 2 EU‑JZG Ausnahmen. Ohne deren Vorliegen oder die Ausstellung eines neuen Europäischen Haftbefehls samt Ergänzung des Übergabeverfahrens gemäß § 31 Abs 4 EU‑JZG entfaltet dieser Grundsatz die Wirkung eines prozessualen Verfolgungshindernisses (13 Os 110/19d, 13 Os 111/19a; vgl RIS‑Justiz RS0098426; Hinterhofer in WK2 EU‑JZG § 31 Rz 37 ff).

[7] Am 27. Jänner 2020 erließ die Staatsanwaltschaft Wien einen Europäischen Haftbefehl gegen B* (ON 24), wobei sie vom dringenden, dem Verbrechen des „gewerbsmäßigen Diebstahls durch Einbruch nach § 127, 129 (2), 130 (3), 15 StGB“ subsumierten Verdacht ausging, dieser habe im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit teils namentlich genannten Mittätern „von 2018 bis Oktober 2019 in W* und anderen Orten im Bundesgebiet, gewerbsmäßig (§ 70 StGB) und mit dem Vorsatz sich unrechtmäßig zu bereichern, diverse – teils versuchte – Einbruchsdiebstähle in Pensionistenwohnheime und Wohnungen von betagten Personen, in unterschiedlicher Zusammensetzung der handelnden Personen, begangen (zumindest 14 Fakten)“.

[8] Nach Festnahme des Beschuldigten am 8. Februar 2020 in Tschechien teilte die Kreisstaatsanwaltschaft in Plzeň mit, dass dieser seiner Übergabe zur Strafverfolgung in Österreich nicht zugestimmt habe und daher „nach tschechischem Recht“ der „Grundsatz der Spezialität eingehalten werden muss“, und ersuchte deshalb um Konkretisierung der bis dahin „relativ unbestimmt“ erfolgten Beschreibung der B* zur Last gelegten Tathandlungen (ON 45 S 3). Daraufhin übermittelte die Staatsanwaltschaft Wien einen „Faktenbericht“, der 14 bis dahin bekannte Taten enthielt (ON 1 S 99, 103 und 113 iVm ON 28).

[9] B* wurde am 2. September 2020 den österreichischen Behörden übergeben (ON 63 S 3). Mit Bericht der Kriminalpolizei vom 16. Dezember 2020 wurde ihm eine bis dahin nicht verfahrensgegenständliche (und im bezeichneten „Faktenbericht“ nicht enthaltene) Tat neu zugeordnet (ON 93 S 6 und 14 [Diebstahl vom 21. März 2019 zum Nachteil von * M* und H* M*]; vgl auch ON 98).

[10] In der Hauptverhandlung wurde „der gesamte Akteninhalt“ (insbesondere die hier relevanten Bestandteile ON 24, 28 und 45) „gemäß § 252 Abs 1 Z 4, Abs 2 und 2a StPO“ zusammengefasst vorgetragen (ON 111 S 10).

[11] Da in der Hauptverhandlung Indizien für das Vorliegen der Spezialitätsbindung vorkamen (§ 258 Abs 1 StPO), hätte das Erstgericht die tatsächlichen Voraussetzungen dieses Verfolgungshindernisses (oder eines Ausnahmetatbestands) durch Feststellungen im Urteil klären müssen. Indem dies unterblieb, verletzt das Urteil § 270 Abs 2 Z 5 StPO iVm § 31 Abs 1 EU‑JZG (vgl 14 Os 97/21b, 14 Os 98/21z, 14 Os 99/21x, 14 Os 100/21v).

[12] Der Oberste Gerichtshof sah sich veranlasst, die Feststellung dieser Gesetzesverletzung gemäß § 292 letzter Satz StPO auf die im Spruch ersichtliche Weise mit konkreter Wirkung zu verknüpfen, weil eine nachteilige Wirkung für den Verurteilten nicht auszuschließen war.

[13] Das Verfallserkenntnis war nur insoweit zu beseitigen, als es sich erkennbar auf den aufgehobenen Teil des Schuldspruchs stützt; im Übrigen konnte es unberührt bleiben (vgl 14 Os 50/22t; Ratz, WK-StPO § 289 Rz 7).

[14] Rechtslogisch abhängige Verfügungen und Entscheidungen (etwa das Urteil des Berufungsgerichts) gelten gleichfalls als beseitigt (RIS‑Justiz RS0100444).

[15] Da ein Verfahren zur Ergänzung der Übergabe nach § 31 Abs 4 EU-JZG im Zeitpunkt des erstinstanzlichen Urteils nicht aktenkundig ist, war im Umfang der Aufhebung in der Sache selbst durch Freispruch zu entscheiden (erneut RIS‑Justiz RS0098426). Der Annahme eines Verfolgungshindernisses (bei gleichzeitigem Fehlen von Ausnahmetatbeständen) legte der erkennende Senat dabei die im Sinn des oben wiedergegebenen Sachverhalts anhand der Aktenlage getroffenen Feststellungen zu prozessualen Tatsachen zugrunde (RIS‑Justiz RS0118545 [insbesondere T2 bis T4]).

[16] Bei der erforderlichen Neufestsetzung der Strafe ging der Oberste Gerichtshof vom Vorliegen der Voraussetzungen einer Strafschärfung nach § 39 Abs 1 StGB, aus. Dies ergibt sich bereits aus zwei von slowakischen Gerichten wegen Diebstahls ausgesprochenen Verurteilungen des B* zu Freiheitsstrafen, wobei er die mit Urteil vom 1. Oktober 2009 verhängte bis zum 16. Mai 2011, jene mit Urteil vom 26. November 2014 verhängte bis zum 27. Februar 2019 verbüßte (ON 25 S 9 ff und S 29 ff). Die Strafe war daher innerhalb eines Rahmens von einem bis zu 15 Jahren Freiheitsstrafe zu bemessen.

[17] Dabei wurden die Tatwiederholung und die mehrfache Qualifikation des Diebstahls (§ 33 Abs 1 Z 1 StGB) sowie zahlreiche Verurteilungen wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhender Taten (§ 33 Abs 1 Z 2 StGB) erschwerend, hingegen das reumütige Geständnis (§ 34 Abs 1 Z 17 StGB) mildernd gewertet.

[18] Im Rahmen allgemeiner Strafbemessungs-erwägungen (§ 32 Abs 2 und 3 StGB) waren der rasche Rückfall nach Entlassung aus der Strafhaft am 27. Februar 2019 (ON 25 S 31 und ON 111 S 6) zum Nachteil des Angeklagten (RIS-Justiz RS0091041), die teilweise Sicherstellung der Beute zu seinem Vorteil (Ebner in WK2 StGB § 34 Rz 33) zu berücksichtigen.

[19] Davon ausgehend erschien die im Spruch angeführte Freiheitsstrafe schuldangemessen.

[20] Die Anrechnung der Vorhaft stützt sich auf § 38 Abs 1 Z 1 StGB.

[21] Über die Anrechnung der nach dem Urteil erster Instanz verbüßten Vorhaft hat das Erstgericht mit Beschluss zu entscheiden (Lässig, WK-StPO § 400 Rz 3; vgl RIS-Justiz RS0091600 [T1]).

[22] Mit seinem Antrag auf Erneuerung des Strafverfahrens, welcher ebenfalls eine Verletzung des Grundsatzes der Spezialität reklamiert, war B* auf diese Entscheidung zu verweisen (RIS-Justiz RS0126458).

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