OGH 14Os97/21b

OGH14Os97/21b14.9.2021

Der Oberste Gerichtshof hat am 14. September 2021 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als Vorsitzende, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Nordmeyer, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann und Dr. Setz‑Hummel LL.M.sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin Mock in der Strafsache gegen * G* wegen des Vergehens der Weitergabe von Falschgeld oder verringerten Geldmünzen nach §§ 15, 236 Abs 1 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung, AZ 29 U 82/20y des Bezirksgerichts Innsbruck, über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil des genannten Gerichts vom 11. März 2021 (ON 24) und einen Vorgang in diesem Verfahren erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Oberstaatsanwältin Mag. Poppenwimmer,zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E133121

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

 

Im Verfahren AZ 29 U 82/20y des Bezirksgerichts Innsbruck verletzen

1./ das Unterbleiben der in § 260 Abs 1 Z 1 und 2 StPO bezeichneten Angaben im Hauptverhandlungsprotokoll vom 12. Juni 2020 (ON 6 S 3) § 271 Abs 1 Z 7 iVm § 458 zweiter Satz StPO;

2./ das Urteil vom 11. März 2021 (ON 24) § 270 Abs 2 Z 5 iVm § 17 Abs 1 StPO und

3./ die Verwertung in der Hauptverhandlung nicht vorgekommener Aktenstücke, nämlich von Protokollen über die Vernehmung des Angeklagten und von Zeugen, im Urteil vom 11. März 2021 (ON 24) § 258 Abs 1 iVm § 447 StPO.

Das Urteil des Bezirksgerichts Innsbruck vom 11. März 2021, GZ 29 U 82/20y‑24, wird aufgehoben und es wird in der Sache selbst erkannt:

* G* wird gemäß § 259 Z 3 StPO vom Vorwurf, er habe am 25. Jänner 2020 in I* nachgemachtes Geld, nämlich eine falsche Zwanzig‑Euro‑Note, dadurch, dass er damit im Geschäft In* Waren im Wert von 12,81 Euro habe bezahlen wollen, als echt und unverfälscht weiterzugeben versucht, wobei er das Geld von einem ihm Unbekannten gutgläubig als echt und unverfälscht empfangen habe, ohne sich dadurch strafbar zu machen, freigesprochen.

Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde verworfen.

 

Gründe:

[1] Mit rechtskräftigem Abwesenheitsurteil vom 12. Juni 2020 (ON 7) erkannte das Bezirksgericht Innsbruck * G* des Vergehens der Weitergabe von Falschgeld oder verringerten Geldmünzen nach „§§ 15, 236 Abs 1 StGB“ (richtig [vgl Oshidari, SbgK § 233 Rz 51 und § 236 Rz 27]: § 236 Abs 1 StGB [s US 2])schuldig und verurteilte ihn zu einer Geldstrafe.

[2] Danach hat G* am 25. Jänner 2020 in I* nachgemachtes Geld, nämlich eine falsche Zwanzig‑Euro‑Note, dadurch, dass er damit im Geschäft In* Waren im Wert von 12,81 Euro bezahlen wollte, als echt und unverfälscht weiterzugeben versucht, wobei er das Geld von einem ihm Unbekannten gutgläubig als echt und unverfälscht empfangen hatte, ohne sich dadurch strafbar zu machen.

[3] Das über die Hauptverhandlung aufgenommene Protokoll enthält hinsichtlich der Urteilsverkündung lediglich die Formulierung „Schuldspruch im Sinne des schriftlichen Strafantrages, 180 Tagessätze á € 4, insgesamt € 720, 90 Tage Ersatzfreiheitsstrafe, Kostenersatz gemäß § 389 StPO samt den wesentlichen Entscheidungsgründen“ (ON 6 S 3).

[4] Trotz dieses Urteils beraumte der Einzelrichter am 23. Jänner 2021 neuerlich die Hauptverhandlung an (ON 1 S 5). Zwei Tage später (ON 1 S 1 in ON 19) langte beim Bezirksgericht Innsbruck zu AZ 29 U 14/21z ein weiterer gegen G* erhobener Strafantrag der Staatsanwaltschaft Innsbruck vom 22. Jänner 2021 ein (ON 3 in ON 19). Darin wurde ihm eine als Vergehen der Sachbeschädigung nach § 125 StGB beurteilte, am 28. November 2020 begangene Tat zur Last gelegt.

[5] Am 5. Februar 2021 bezog das Bezirksgericht Innsbruck dieses Verfahren in das bereits angesprochene, dort anhängig gewesene Verfahren AZ 29 U 82/20y ein ([ON 1 S 5] s aber § 37 Abs 3 erster Satz StPO; vgl dazu Oshidari, WK‑StPO § 37 Rz 7/4). In der daraufhin (in Abwesenheit des Angeklagten) durchgeführten Hauptverhandlung vom 11. März 2021 hielt der Einzelrichter fest, dass die Einbeziehung wegen des bereits ergangenen Urteils vom 12. Juni 2020 „nicht erfolgen hätte dürfen“, und stellte klar, dass „der Sachverhalt laut Strafantrag vom 10.3.2020 bereits urteilsmäßig abgehandelt wurde [und] Gegenstand der […] Verhandlung ausschließlich der Strafantrag vom 22. Jänner 2021 zu ON 19“ sei (ON 23 S 3). Der Anklagevortrag umfasste beide im Akt erliegenden Strafanträge (ON 23 S 3).

[6] Nachdem ausschließlich der „wesentliche Akteninhalt der ON 19 mit Ausnahme der ZV […]“ gemäß § 252 Abs 2 StPO verlesen worden war (ON 23 S 3), erkannte das Bezirksgericht Innsbruck G* mit rechtskräftigem Urteil vom selben Tag (ON 24) neuerlich wegen der Tat vom 25. Jänner 2020 des Vergehens der Weitergabe von Falschgeld oder verringerten Geldmünzen nach „§§ 15, 236 Abs 1 StGB“ schuldig und verurteilte ihn unter Anwendung des § 39 Abs 1 StGB zu einer Geldstrafe. Hinsichtlich der mit Strafantrag vom 22. Jänner 2021 (ON 3 in ON 19) angeklagten Tat fällte das Bezirksgericht Innsbruck kein Urteil.

[7] Die Feststellungen zum Tathergang und zur subjektiven Tatseite stützte der Einzelrichter auf die (nicht näher bezeichneten) „Erhebungen“ der Kriminalpolizei, die Verantwortung des Angeklagten und auf Zeugenaussagen (US 3).

[8] Hinsichtlich der (bejahten) Voraussetzungen des § 39 Abs 1 StGB ergibt sich aus dem Urteil, dass der Angeklagte bereits mehrfach wegen Taten, die auf derselben schädlichen Neigung beruhen, zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wurde und er diese zumindest teilweise verbüßte (US 2 f).

[9] Bei der Strafbemessung ging der Einzelrichter von einem Strafrahmen von bis zu neun Monaten Freiheitsstrafe oder bis zu 540 Tagessätzen Geldstrafe aus (US 3 f).

[10]

Rechtliche Beurteilung

Wie die Generalprokurator in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend aufzeigt, wurde im bezeichneten Verfahren das Gesetz in mehrfacher Hinsicht verletzt:

[11] Vorauszuschicken ist, dass für das Hauptverfahren vor dem Bezirksgericht die Bestimmungen für das Verfahren vor dem Landesgericht als Schöffengericht, also jene über die Hauptverhandlung und das Urteil im schöffengerichtlichen Verfahren, gelten, soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt (§§ 447, 458 zweiter Satz StPO).

[12] 1./ Das über die Hauptverhandlung aufzunehmende Protokoll hat gemäß § 271 Abs 1 Z 7 StPO auch den Spruch des Urteils mit den in (soweit hier relevant) § 260 Abs 1 Z 1 und 2 StPO bezeichneten Angaben zu enthalten. Der im Hauptverhandlungsprotokoll vom 12. Juni 2020 erfolgte Verweis auf den schriftlichen Strafantrag (ON 6 S 3) genügt diesen Anforderungen nicht.

[13] 2./ Gemäß § 17 Abs 1 StPO ist die neuerliche Verfolgung desselben Verdächtigen wegen derselben Tat nach rechtswirksamer Beendigung eines Strafverfahrens, wie etwa nach rechtskräftiger Verurteilung (vgl Birklbauer, WK‑StPO § 17 Rz 1 ff und 42), unzulässig.

[14] Bei diesem Verbot der wiederholten Strafverfolgung (§ 17 Abs 1 StPO, Art 4 des 7. ZPMRK) handelt es sich um ein prozessuales Verfolgungshindernis (13 Os 12/20v, EvBl 2021/28, 198 [Ratz] = JBl 2021, 267 [Harta]; RIS‑Justiz RS0124619; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 621). Nicht durch Feststellungen geklärte Indizien in Richtung des Vorliegens eines solchen nicht angewendeten Ausnahmesatzes begründen einen (aus § 281 Abs 1 Z 9 lit b StPO beachtlichen) Feststellungsmangel (Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 534, 600 und 611).

[15] Durch den Hinweis auf die nach Eröffnung des Beweisverfahrens erfolgte, erkennbar den Strafantrag ON 3 und das Urteil ON 7 umfassende Erörterung des Prozessgegenstands in der Hauptverhandlung (ON 23 S 3) macht die Generalprokuratur der Sache nach einen derartigen, den angesprochenen Ausnahmesatz betreffenden Feststellungsmangel geltend (vgl zum Bezugspunkt der Anfechtung eines Urteils RIS‑Justiz RS0120220; Ratz, WK‑StPO § 292 Rz 6).

[16] Danach hätte der Einzelrichter aufgrund der bereits erfolgten Aburteilung der Tat vom 25. Jänner 2020 mit Urteil des Bezirksgerichts Innsbruck vom 12. Juni 2020 (ON 7) die tatsächlichen Voraussetzungen des Verbots wiederholter Strafverfolgung durch Feststellungen im Urteil klären müssen. Da dieses solche nicht enthält, verletzt es das Gesetz in § 270 Abs 2 Z 5 iVm § 17 Abs 1 StPO.

[17] 3./ Gemäß § 258 Abs 1 StPO hat das Gericht bei der Urteilsfällung nur auf das Rücksicht zu nehmen, was in der Hauptverhandlung vorgekommen ist. Aktenstücke können nur insoweit als Beweismittel dienen, als sie bei der Hauptverhandlung vorgelesen oder vorgetragen (§ 252 Abs 1, 2 oder 2a StPO) wurden. Da dies auf die Protokolle der Vernehmungen der Zeugen und des Angeklagten (in Bezug auf die abgeurteilte Tat) nicht zutrifft, verletzt ihre Berücksichtigung bei der Begründung der dem Schuldspruch zugrundeliegenden Sachverhaltsannahmen das Gesetz in der genannten Bestimmung.

[18] Aufgrund nachteiliger Auswirkungen der zu 2./ und 3./ aufgezeigten Gesetzesverletzungen für den Angeklagten sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, ihre Feststellung mit konkreter Wirkung zu verknüpfen (§ 292 letzter Satz StPO), das Urteil vom 11. März 2021 (ON 24) zur Gänze aufzuheben und – auf die im Spruch ersichtliche Weise (vgl [zur Vorgangsweise] Lendl, WK‑StPO § 259 Rz 40; 13 Os 12/20v)– in der Sache selbst zu erkennen. Dabei konnte der Oberste Gerichtshof aus den Akten eigenständige Feststellungen zur (prozessualen Tatsache der) bereits erfolgten (rechtskräftigen) Aburteilung der Tat vom 25. Jänner 2020 mit Urteil des Bezirksgerichts Innsbruck vom 12. Juni 2020, GZ 29 U 82/20y‑7, treffen (Ratz, WK‑StPO § 288 Rz 40 ff).

[19] Bleibt anzumerken, dass das von der Staatsanwaltschaft ungerügt gebliebene Unterlassen einer urteilsmäßigen Erledigung des in der Hauptverhandlung vom 11. März 2021 vorgetragenen Strafantrags vom 22. Jänner 2021 (ON 23 S 3) im Ergebnis einem Freispruch gleichkommt (Lendl, WK‑StPO § 259 Rz 14). Eine neuerliche Strafverfolgung wegen der diesem Strafantrag zugrundeliegenden Tat ist daher nicht mehr zulässig (RIS‑Justiz RS0099646 [T1, T5 und T8]).

[20] Mit dem weiteren Vorbringen ist die Nichtigkeitsbeschwerde hingegen nicht im Recht. Sie führte dazu aus:

[21] Gemäß § 260 Abs 1 Z 4 StPO, der auch im bezirksgerichtlichen Verfahren gilt (§ 458 zweiter Satz StPO), hat das Strafurteil auszusprechen, welche strafgesetzlichen Bestimmungen auf den Angeklagten angewendet wurden, bei Überschreiten der Strafgrenze in Anwendung des § 39 StGB somit auch diese Bestimmung (Lendl,WK‑StPO § 260 Rz 45 mwN). Da § 39 StGB vorliegend mangels Überschreiten der Strafgrenze solcherart nicht angewendet wurde, wurde diese Bestimmung verfehlt im Urteilsspruch zitiert.

[22] Die Entscheidungsgründe (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) haben in gedrängter Darstellung – unter anderem – die entsprechenden Umstände zu allen für die Strafbemessung im konkreten Fall entscheidenden Tatsachen, somit auch zur Anwendung des § 39 StGB (vgl dazu Leukauf/Steininger/Tipold,StGB Update 2020 § 39 Rz 2 ff; Bruckmüller, SbgK § 39 Rz 39), festzustellen, anderenfalls Nichtigkeit gemäß §§ 468 Abs 1 Z 4 iVm 281 Abs 1 Z 11 erster Fall StPO vorliegt (Danek/Mann, WK-StPO § 270 Rz 43; Kert in LiK‑StPO § 281 Abs 1 Z 11 Rz 12).

[23] Die Feststellungen, wonach „der Angeklagte […] zehn Verurteilungen, zuletzt am 2. Juli 2020 durch das Bezirksgericht Innsbruck, auf[weist], wobei sieben hiervon wegen Vermögensdelikten erfolgten“, und er „bereits mehrfach wegen Taten, die auf derselben schädlichen Neigung beruhen, zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wurde, er diese zumindest teilweise verbüßte und nun neuerlich eine strafbare Handlung aus derselben schädlichen Neigung beging“ (US 2 f), genügen diesem Erfordernis nicht.

[24] Der Oberste Gerichtshof hat dazu erwogen:

[25] Gemäß § 260 Abs 1 Z 4 StPO sind im Strafurteil zwar nur jene strafgesetzlichen Bestimmungen anzuführen, die auf den Angeklagten angewendet wurden, bei § 39 Abs 1 StGB handelt es sich aber seit Inkrafttreten des Gewaltschutzgesetzes 2019 (BGBl I 2019/105) am 1. Jänner 2020 um eine stets anzuwendende Bestimmung, mit der (nunmehr) zwingend die Höchststrafdrohung angehoben wird (Lendl, WK‑StPO § 260 Rz 45; vgl zu dessen Einordnung als reine Strafrahmenvorschrift 13 Os 39/21s mwN; RIS‑Justiz RS0133600). Ihre Zitierung im angefochtenen Urteil erfolgte daher zu Recht. Dass der Einzelrichter aber bei der Strafbemessung zu Gunsten des Angeklagten von einem falschen Strafrahmen ausging (neun Monate Freiheitsstrafe oder 540 Tagessätze Geldstrafe anstatt richtig 18 Monate Freiheitsstrafe oder 1080 Tagessätze Geldstrafe), wurde nicht als Gesetzesverletzung geltend gemacht.

[26] Weiters ergeben sich aus den in der Nichtigkeitsbeschwerde zitierten Urteilskonstatierungen, wonach der Angeklagte bereits mehrfach (sohin zumindest zwei Mal) wegen Taten, die auf derselben schädlichen Neigung (vgl US 2; „wegen Vermögensdelikten“ [vgl Schroll in WK² StGB § 236 Rz 2]) beruhen, zu Freiheitsstrafen verurteilt wurde und diese zumindest teilweise verbüßt hat (US 3), die Anwendungsvoraussetzungen des § 39 Abs 1 StGB (in tatsächlicher Hinsicht) hinreichend deutlich. Die in diesem Zusammenhang geltend gemachte Gesetzesverletzung liegt daher ebenfalls nicht vor.

[27] Lediglich aus Gründen der Vollständigkeit sei festgehalten, dass (zu Recht nicht als fehlend reklamierte) Feststellungen zu den Voraussetzungen des § 39 Abs 2 StGB nur bei in diese Richtung weisenden, in der Hauptverhandlung vorgekommenen Verfahrensergebnissen zu treffen gewesen wären (vgl zur Einordnung des § 39 Abs 2 StGB als die Strafbefugnis betreffender Ausnahmesatz und zur darauf bezogenen Geltendmachung von Feststellungsmängeln 14 Os 143/20s = EvBl‑LS 2021/85 [Ratz]).

Stichworte