European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0140OS00143.20S.0218.000
Spruch:
In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde werden das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) und in der Anordnung der Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 2 StGB sowie der Beschluss auf Absehen vom Widerruf einer bedingten Entlassung unter Verlängerung der Probezeit aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Wels verwiesen.
Mit ihren Berufungen werden der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung verwiesen.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde C***** B***** des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person nach § 205 Abs 2 StGB schuldig erkannt und zu einer unbedingten Freiheitsstrafe verurteilt. Zugleich wurde seine Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 2 StGB angeordnet.
[2] Danach hat er am 7. Juli 2020 in O***** eine wehrlose Person, und zwar seine schlafende Schwester A***** B*****, unter Ausnützung dieses Zustands dadurch missbraucht, dass er an ihr eine geschlechtliche Handlung vornahm, indem er sie im Genitalbereich, und zwar am „Venushügel“, betastete.
[3] Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 11 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, der Berechtigung zukommt.
Rechtliche Beurteilung
[4] Die Sanktionsrüge (Z 11 erster Fall) zeigt zutreffend auf, dass das Erstgericht bei Verhängung der Freiheitsstrafe von zwei Jahren seine Strafbefugnis zum Nachteil des Angeklagten überschritten hat. Denn trotz Vorliegens die Voraussetzungen der Rückfallsverjährung (§ 39 Abs 2 StGB) indizierender (in der Hauptverhandlung vorgekommener [ON 28 S 2 iVm ON 30 S 14]) Verfahrensergebnisse ging es von einer nach § 39 Abs 1a StGB erweiterten Strafbefugnis, nämlich einem Strafrahmen von sechs Monaten bis siebeneinhalb Jahren Freiheitsstrafe, aus (US 7 f). Laut Strafregisterauskunft (ON 28 S 2) erfolgte jedoch die hier maßgebliche bedingte Entlassung aus der mit dem zweiten (vom Erstgericht herangezogenen) Vorurteil verhängten Freiheitsstrafe am 29. November 2012 (Eintrag 6 der Strafregisterauskunft). Somit wäre das Erstgericht aufgrund des Zeitpunkts der hier gegenständlichen Tat (7. Juli 2020) und der (vorliegend) an den Tag der bedingten Entlassung aus der früheren (zweiten) Freiheitsstrafe anknüpfenden Rückfallsverjährungsfrist ( Flora in WK² StGB § 39 Rz 33) von (hier) fünf Jahren (§ 39 Abs 2 erster Satz erster Fall StGB) dazu verhalten gewesen, zu diesen Verfahrensergebnissen, die in Richtung eines Sachverhalts weisen, der dem Ausnahmesatz des § 39 Abs 2 StGB entspricht, Stellung zu beziehen.
[5] Dieser (die Sanktionsbefugnis betreffende) Feststellungsmangel begründet – trotz der innerhalb des Strafrahmens des § 205 Abs 2 StGB von sechs Monaten bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe verhängten Strafe (RIS-Justiz RS0125295; Ratz , WK-StPO § 281 Rz 668/3) – Nichtigkeit des Sanktionsausspruchs gemäß § 281 Abs 1 Z 11 erster Fall StPO.
[6] Es waren daher – im Einklang mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bei nichtöffentlicher Beratung das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten im Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) und – zur Ermöglichung der neuerlichen Beurteilung der gesamten Sanktionsfrage (§ 289 StPO [13 Os 151/18g; vgl RIS-Justiz RS0115054]) – in der Anordnung der Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 2 StGB sowie der Beschluss auf Absehen vom Widerruf einer bedingten Entlassung unter Verlängerung der Probezeit aufzuheben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zu verweisen (§ 285e StPO; vgl Ratz , WK-StPO § 285i Rz 4 f).
[7] Mit ihren Berufungen waren der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung zu verweisen.
[8] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
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