OGH 14Os38/00

OGH14Os38/0018.4.2000

Der Oberste Gerichtshof hat am 18. April 2000 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Massauer als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Holzweber und Dr. Ratz als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Graf als Schriftführer, in der beim Landesgericht Korneuburg zum AZ 10 Vr 1.174/97 anhängigen Strafsache gegen Franz G***** und andere Angeklagte wegen des Verbrechens der Untreue nach § 153 Abs 1 und Abs 2 zweiter Fall StGB sowie weiterer strafbarer Handlungen über die Grundrechtsbeschwerde des Angeklagten Franz G***** gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien vom 2. März 2000, AZ 24 Bs 38/00, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Franz G***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Text

Gründe:

Mit Beschluss vom 2. März 2000, AZ 24 Bs 38/00, gab das Oberlandesgericht Wien einer Beschwerde des Franz G***** gegen die von der Vorsitzenden des Schöffengerichtes - nach Feststellung einer Grundrechtsverletzung durch den Obersten Gerichtshof amtswegig (§ 7 Abs 2 GRBG iVm § 193 Abs 5 zweiter Satz StPO) - beschlossene Fortsetzung der Untersuchungshaft keine Folge und setzte diese aus dem Haftgrund der Tatbegehungsgefahr nach § 180 Abs 2 Z 3 lit a und b StPO fort.

Darnach richtet sich gegen den Angeklagten der dringende Verdacht, die Verbrechen des teils vollendeten, teils versuchten gewerbsmäßig schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1 und Abs 3, 148 zweiter Fall, 12 zweiter Fall, 15 StGB und der teils vollendeten, teils versuchten Untreue nach §§ 153 Abs 1 und 2 zweiter Fall, 12 zweiter und dritter Fall, 15 StGB, die Vergehen der Bestechung nach § 307 Abs 1 Z 1 StGB "und § 307 Abs 1 Z 2 StGB" sowie der Verletzung des Amtsgeheimnisses nach §§ 12 zweiter Fall, 310 Abs 1 StGB und schließlich die Finanzvergehen nach § 33 Abs 1 und Abs 2 lit a FinStrG begangen zu haben.

Die gegen diese Entscheidung erhobene Grundrechtsbeschwerde geht fehl.

Rechtliche Beurteilung

Soweit sie sich in allgemeiner Kritik an der vom Obersten Gerichtshof zuvor (14 Os 1/00) bejahten Grundrechtsrelevanz von Darstellungsmängeln (§ 281 Abs 1 Z 5 StPO) eines (zweitinstanzlichen) Fortsetzungsbeschlusses und an der gefestigten jüngeren Rechtsprechung zur subsidiären Geltung der Grundsätze des Verfahrens bei Nichtigkeitsbeschwerden (vgl EvBl 1999/192, im gleichen Sinne 11 Os 53/99, 11 Os 62/99, 11 Os 67/99, 11 Os 143, 144/99, 13 Os 37/99, 13 Os 56/99, 13 Os 77, 78/99, 13 Os 135/99 mwN; 13 Os 157/99, 15 Os 69, 70/99, 15 Os 156/99 mwN) erschöpft, ist sie einer Erwiderung nicht zugänglich, weil sich das Erkenntnis auf den von § 1 Abs 1 GRBG umrissenen Beschwerdegegenstand zu beschränken hat.

Klarstellend bemerkt sei jedoch, dass der Oberste Gerichtshof in Konsequenz dieser Auslegung des § 10 GRBG ausdrücklich auch die subsidiäre Geltung des § 362 StPO bejaht hat (13 Os 92/98 = ÖJZ-LSK 1998/243, 11 Os 143, 144/99) und also entgegen der Befürchtung der Beschwerde auch berechtigt ist, eine angefochtene Entscheidung oder Verfügung von Amts wegen und zwar dann aufzuheben, wenn sich ihm erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der dieser zugrundegelegten tatsächlichen Annahmen ergeben, die auch nicht durch einzelne von ihm etwa angeordnete Erhebungen beseitigt werden (§ 10 GRBG iVm § 362 StPO).

Zu einer kassatorischen Entscheidung sah sich der Oberste Gerichtshof anlässlich der zu 14 Os 1/00 getroffenen Entscheidung jedoch nicht bestimmt, ebensowenig wie zu dem Ausspruch, die Freiheitsentziehung (,die Anhaltung" im Sinn des StEG) sei ohne materiell-rechtliche Grundlage, nicht in Befolgung eines gesetzmäßigen Verfahrens oder ohne Haftgrund erfolgt (vgl Peukert in Frowein/Peukert EMRK-Kommentar2 Art 5 Rz 24), weshalb auch die Rechtswirkung des § 11 GRBG (arg ,soweit") mit dem Erkenntnis nicht verbunden ist.

Kann die materiell-rechtliche Grundlage (einschließlich eines Haftgrundes) für den Grundrechtseingriff vom Obersten Gerichtshof (noch) nicht bejaht werden, weil die angefochtene Entscheidung formalen Erfordernissen im Sinne des § 281 Abs 1 Z 5 StPO nicht genügt, ist damit nämlich keineswegs gesagt, dass diese nicht vorhanden war. Eben deshalb ist eine Enthaftung nicht stets "erforderlich" (§ 7 Abs 1 GRBG; vgl auch § 288 Abs 2 Z 1 StPO). In einem solchen Fall hat der Betroffene aber Anspruch auf unverzügliche Prüfung der Haftfrage durch die dafür zuständigen Gerichte, um die Wirksamkeit der Grundrechtsbeschwerde sicherzustellen (§ 7 Abs 2 GRBG) und gleichzeitig zu vermeiden, dass der Oberste Gerichtshof durch eigene, die Anhaltung rechtfertigende tatsächliche Erwägungen - zu Lasten des Betroffenen - vorzeitig Einfluss auf das Strafverfahren nimmt.

Die Bejahung der Grundrechtsrelevanz von Darstellungsmängeln eines (zweitinstanzlichen) Haftfortsetzungsbeschlusses (Haftgründe betreffend vgl § 180 Abs 2 StPO: "aufgrund bestimmter Tatsachen") hinwieder stellt sicher, dass das Erfordernis einwandfreier Sachverhaltsprüfung als Voraussetzung des Grundrechtseingriffs den dafür zuständigen Gerichten nachhaltig in Erinnerung gerufen wird. Sie bezweckt eine Erhöhung des Mindeststandards für Haftbeschlüsse über bloße Ordnungsvorschriften hinaus (vgl §§ 179 Abs 4, 182 Abs 3 neunter und Abs 4 zweiter Satz StPO). Als Grundrecht (iS des § 2 Abs 1 GRBG, arg "insbesondere"), das über Verfassungsgarantien hinausgeht, ist das Erfordernis formal einwandfreier Begründung Reflex des durch das GRBG eingeführten Beschwerderechtes an den Obersten Gerichtshof.

Insofern die Kritik des Beschwerdeführers der Sache nach die Anfechtbarkeit des bekämpften (Fortsetzungs-)Beschlusses in Hinsicht auf die Einhaltung formeller Begründungsstandards in Frage stellt, ist sie nicht zu seinem Vorteil ausgeführt (§ 10 GRBG, § 282 StPO); indem sie die in § 180 Abs 1 zweiter Satz StPO genannten Bezugspunkte der Verhältnismäßigkeitsprüfung ("Bedeutung der Sache" und "zu erwartende Strafe") bestreitet, bekämpft sie nicht die angefochtene Entscheidung, sondern - unzulässig - das Gesetz. Eben dieses Gesetz hinwieder stellt beim Haftgrund der Tatbegehungsgefahr nach § 180 Abs 2 Z 3 lit a und b StPO - der Beschwerdeauffassung zuwider - ausdrücklich auf die Begehung (irgend-)einer gegen dasselbe Rechtsgut gerichteten strafbaren Handlung mit schweren bzw nicht bloß leichten Folgen und nicht auf die - naturgemäß nicht mögliche - Vorhersage konkreter Taten ab (EvBl 1999/192; zu den Begriffen "Tat" und "strafbare Handlung" vgl Ratz in WK2 Vorbem zu §§ 28 bis 31 Rz 1).

Darstellungsmängel (§ 10 GRBG, § 281 Abs 1 Z 5 StPO) in Hinsicht auf die tatsächliche Fundierung der Tatbegehungsgefahr werden durch beweiswürdigende Erwägungen nicht geltend gemacht. Prozessförmiges Aufzeigen einer Unvollständigkeit hätte des Hinweises auf bestimmte Beweisergebnisse (§§ 3 Abs 1 erster Satz GRBG, 10 GRBG iVm § 285 Abs 1 zweiter Satz StPO) bedurft, zu denen die angefochtene Entscheidung nicht Stellung nahm, obwohl diese gegen die Richtigkeit ihrer tatsächlichen Annahmen sprechen (vgl Mayerhofer StPO4 § 281 Z 5 E 63). Pauschale Behauptungen genügen dafür nicht. Aktenwidrigkeit wird mit dem Hinweis, bei der "B*****" handle es sich nicht um mehrere "Familienfirmen", weshalb "es dazu auch keinen Dunstkreis" gebe, ebensowenig aufgezeigt (vgl Mayerhofer aaO E 185). Zu Unrecht unterstellt die Beschwerde dem Oberlandesgericht schließlich, die Ablehnung gelinderer Mittel (§ 180 Abs 1 zweiter Satz StPO) nicht begründet zu haben (vgl S 13 des angefochtenen Beschlusses).

Die Beschwerde war daher ohne Kostenzuspruch abzuweisen (§ 8 GRBG).

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