OGH 13Os37/99

OGH13Os37/997.4.1999

Der Oberste Gerichtshof hat am 7. April 1999 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Brustbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Rouschal und Dr. Schmucker als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin MMag. Thumb als Schriftführerin in der bei dem Landesgericht für Strafsachen Wien zum AZ 25a Vr 11017/98 anhängigen Strafsache gegen Ronald H***** und andere Beschuldigte wegen des Verbrechens nach § 209 StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die Grundrechtsbeschwerde des Ronald H***** gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien vom 10. Feber 1999, AZ 19 Bs 46/99, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Durch den angefochtenen Beschluß wurde Ronald H***** im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Text

Gründe:

Über Ronald H***** wurde am 9. Dezember 1998 aus den Haftgründen der Flucht-, Verdunkelungs- und Tatbegehungsgefahr nach § 180 Abs 1 Z 1, 2 und 3 lit b StPO die Untersuchungshaft verhängt (ON 13) und mit weiteren Beschlüssen vom 22. Dezember 1998 und vom 22. Jänner 1999 fortgesetzt (ON 20 und ON 32).

In der gegen ihn wegen des Verbrechens nach § 209 StGB und des Vergehens nach § 229 Abs 1 StGB geführten Voruntersuchung wird ihm zur Last gelegt, seit längerem in Wien wiederholt mit verschiedenen Personen männlichen Geschlechts, die zwar das vierzehnte, aber noch nicht das achtzehnte Lebensjahr vollendet hatten, insbesondere auch mit dem am 1. Juli 1981 geborenen Martin K*****, gleichgeschlechtliche Unzucht getrieben bzw versucht, sowie fremde Reisepässe unterdrückt zu haben.

Mit dem angefochtenen Beschluß hat das Oberlandesgericht auf Grund einer Haftbeschwerde zwar den Tatverdacht betreffend § 229 Abs 1 StGB nicht mehr als dringend eingestuft, jedoch im Hinblick auf § 209 StGB die Fortsetzung der Untersuchungshaft (nur mehr) aus dem Haftgrund der Tatbegehungsgefahr nach § 180 Abs 2 Z 3 lit b StPO (unter Haftfristenbestimmung) angeordnet.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen hat der Untersuchungshäftling Ronald H***** eine Grundrechtsbeschwerde erhoben, welche jedoch nicht berechtigt ist.

Vorerst erfordern die einleitenden Beschwerdeausführungen eine grundlegende Bemerkung:

Sie behaupten nämlich zunächst, ein faires Haftprüfungsverfahren (Art 5 Abs 4 EMRK) habe wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs nicht stattgefunden; weder dem Beschwerdeführer noch dem Verteidiger seien (bestimmte) Aktenteile, insbesondere die Aussage des Michael He***** (ON 37) bekannt gewesen, auch habe keine Möglichkeit bestanden, das Aussageprotokoll einzusehen und zu neuen Anschuldigungen Stellung zu nehmen, sodaß dazu - nach wie vor - nicht Stellung bezogen werden könne. Dies, obwohl sich der angefochtene Beschluß eben gerade auch auf die "vorenthaltene" Aussage des Michael He***** stütze.

Dem ist zu entgegnen, daß über die behauptete Verzögerung bzw Unterlassung der Zustellung von Akten und Aktenabschriften mittlerweile die hiezu berufene Ratskammer (abschlägig) entschieden hat (ON 63), darüber hinaus erfordern schon der Natur der Sache nach - und auch durchaus einsichtig - Aktenkopien einen gewissen Verwaltungs- und damit verbundenen Zeitaufwand, wodurch nicht immer gewährleistet ist, daß - insbesondere bei beschleunigten Verfahren, wie dies Haftverfahren sind - diese den letzten Aktenstand wiedergeben. Es wäre daher - zur Sicherung der Kenntnis vom aktuellsten Verfahrensstand - Sache des Beschuldigten bzw seines Verteidigers gewesen, einen Antrag auf Gewährung von Akteneinsicht zu stellen (s. § 45 Abs 2 StPO), dies ist nach der Aktenlage nicht erfolgt, die Abweisung eines solchen Antrages wird von der Beschwerde auch gar nicht behauptet. Ebensowenig führt sie aus, aus welchen auf Seiten des Gerichtes gelegenen Gründen die Einvernahmeprotokolle nicht hätten eingesehen werden können. Im übrigen würde nicht einmal eine - ohnedies nicht erfolgte - Verweigerung der Akteneinsicht eine grundrechtsrelevante Entscheidung darstellen (Hager-Holzweber GRBG § 1 E 3, 4).

Damit ist aber auch der Einwand des behaupteten mangelnden rechtlichen Gehörs erledigt, ist doch die Ursache der behaupteten Unmöglichkeit zur Abgabe entsprechender Stellungnahmen im Bereich des Beschuldigten bzw seines Verteidigers gelegen.

Im übrigen läßt sich aus dem Umstand, daß das Oberlandesgericht bei seiner Beschwerdeentscheidung die gesamte Aktenlage berücksichtigt hat, eine Grundrechtsverletzung nicht ableiten, weil das Beschwerdegericht zu einer umfassenden amtswegigen Überprüfung des angefochtenen Beschlusses verpflichtet ist, somit auch dann, wenn nicht einmal schriftliche Beschwerdeausführungen vorliegen würden. Demzufolge kann es - auch unter Abweichung von der Begründung der überprüften Entscheidung - aus anderen bzw weiteren Erwägungen zu deren Bestätigung gelangen (Hager-Holzweber aaO § 2 E 75, 76).

Abgesehen von der mangelnden Grundrechtsrelevanz verstößt die jetzt erstmals behauptete Verletzung des Rechtes auf Information (Art 5 Abs 2 EMRK) bezüglich neuer Tatvorwürfe (§ 207 Abs 1 StGB, § 27 Abs 2 SMG) gegen das auch im Grundrechtsverfahren herrschende Neuerungsverbot und ist demnach unbeachtlich; aus gegebenen Anlaß ist darauf hinzuweisen, daß dem Obersten Gerichtshof eine Kompetenz im Sinne der §§ 113 und 15 StPO nicht zukommt.

In der Sache selbst bestreitet die Beschwerde das Vorliegen des Haftgrundes der Tatbegehungsgefahr, indes zu Unrecht. Auf Grund mängelfrei erhobener Prämissen (§ 10 GRBG iVm § 281 Abs 1 Z 5 und 5a StPO) hat das Beschwerdegericht durchaus vertretbar auf das Vorliegen des angezogenen Haftgrundes geschlossen und ist rechtsrichtig dabei auch von nicht bloß leichten Folgen von zu besorgenden weiteren Angriffen ausgegangen. Abgesehen davon, daß bei Beurteilung von Haftgründen individuell auf jeden einzelnen Beschuldigten abzustellen ist, ist die Beschwerde, die sich auf die Spruchpraxis des Obersten Gerichtshofes stützt, nicht nachvollziehbar, steht sie doch mit dieser im Widerspruch (15 Os 59, 61/94: "nicht bloß leichte Folgen").

Auch die Frage der Verhältnismäßigkeit hat das Oberlandesgericht einwandfrei gelöst; im Zeitpunkt seiner Entscheidung (auf welche allein abzustellen ist) kann von einer unverhältnismäßigen Dauer der Untersuchungshaft keine Rede sein.

Zur "Bedeutung der Sache" genügt der Hinweis auf die derzeit geltende Rechtslage, zur Frage gelinderer Mittel auf die zutreffenden Ausführungen des angefochtenen Beschlusses.

Da eine Grundrechtsverletzung sohin nicht stattgefunden hat, war die Beschwerde (die in ihrem Aufhebungsbegehren bezüglich des erstinstanzlichen Beschlusses überdies von vornherein unzulässig ist) ohne Kostenausspruch (§ 8 GRBG) abzuweisen.

Stichworte