OGH 14Os120/12x

OGH14Os120/12x29.1.2013

Der Oberste Gerichtshof hat am 29. Jänner 2013 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger und Mag. Marek, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Fürnkranz in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Fruhmann als Schriftführerin im Verfahren zur Unterbringung des Vinzenz W***** in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Betroffenen gegen das Urteil des Landesgerichts Ried im Innkreis als Schöffengericht vom 17. September 2012, GZ 10 Hv 40/12k-31, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde und die „Berufung wegen Schuld“ werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die gegen die Anordnung der Unterbringung gerichtete Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde die Unterbringung des Betroffenen Vinzenz W***** in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB angeordnet.

Danach hat er am 13. Mai 2012 in S***** „unter dem Einfluss eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustands, der auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad, nämlich einer mittelgradigen Intelligenzminderung mit behandlungsbedürftiger Verhaltensstörung beruht, wobei zu befürchten ist, er werde unter dem Einfluss seiner geistigen oder seelischen Abartigkeit eine mit Strafe bedrohte Handlung mit schweren Folgen begehen,

1) Joachim S***** durch Losgehen auf diesen mit einem Messer und anschließendes Nachlaufen hinter diesem mit dem Messer und einem Stein in der Hand, mit dem Tod gefährlich bedroht, um ihn in Furcht und Unruhe zu versetzen und

2) Veronika S***** durch zwei gezielt von unten nach vorne geführte, gegen deren Bauchbereich gerichtete Messerstiche eine schwere Körperverletzung absichtlich zuzufügen versucht,“

und dadurch das Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und 2 StGB (1) und das Verbrechen der absichtlichen schweren Körperverletzung nach §§ 15, 87 Abs 1 StGB (2) begangen.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die auf Z 5, 9 lit a und 10 des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Betroffenen, der keine Berechtigung zukommt.

Der Begründungsmangel der Undeutlichkeit (Z 5 erster Fall) liegt dann vor, wenn aus objektiver Sicht nicht für sämtliche unter dem Gesichtspunkt der Nichtigkeitsgründe relevanten Urteilsadressaten unzweifelhaft erkennbar ist, ob eine entscheidende Tatsache festgestellt wurde, aus welchen konkreten Gründen die Feststellung solcher Tatsachen erfolgte, oder wenn nicht zu erkennen ist, was das Urteil feststellen wollte (RIS-Justiz RS0117995). Unvollständigkeit im Sinne der Z 5 zweiter Fall ist gegeben, wenn das Gericht bei der für die Feststellung entscheidender Tatsachen angestellten Beweiswürdigung erhebliche, in der Hauptverhandlung vorgekommene Verfahrensergebnisse unberücksichtigt ließ (RIS-Justiz RS0118316). Der Ausspruch des Gerichts über entscheidende Tatsachen ist nur dann mit sich selbst im Widerspruch (Z 5 dritter Fall), wenn zwischen Feststellungen und deren zusammenfassender Wiedergabe im Urteilsspruch oder zwischen zwei oder mehr Feststellungen in den Entscheidungsgründen oder zwischen Feststellungen und den dazu in der Beweiswürdigung angestellten Erwägungen oder zwischen in der Beweiswürdigung angestellten Erwägungen ein Widerspruch besteht (RIS-Justiz RS0119089). Keine oder eine nur offenbar unzureichende Begründung (Z 5 vierter Fall) liegt dann vor, wenn für den Ausspruch über eine entscheidende Tatsache entweder überhaupt keine oder nur solche Gründe angegeben sind, aus denen sich nach den Denkgesetzen und allgemeiner Lebenserfahrung ein Schluss auf die zu begründende Tatsache entweder überhaupt nicht ziehen lässt oder der logische Zusammenhang kaum noch erkennbar ist (RIS-Justiz RS0099413). Aktenwidrig (Z 5 fünfter Fall) sind Entscheidungsgründe, wenn sie den eine entscheidende Tatsache betreffenden Inhalt einer Aussage oder eines anderen Beweismittels in seinen wesentlichen Teilen unrichtig oder unvollständig wiedergeben (RIS-Justiz RS0099547).

Worin die behauptete Undeutlichkeit (Z 5 erster Fall) der Urteilskonstatierungen betreffend Hergang der Tat zum Nachteil der Veronika S***** und zur diesbezüglichen subjektiven Tatseite (2) bestehen soll, lässt die Mängelrüge offen, sodass sie sich insoweit einer sachlichen Erwiderung entzieht. Auch mit dem weiteren Einwand, diese Feststellungen zu Anlasstat und Vorsatz stünden „im Widerspruch“ zu konkret bezeichneten Beweisergebnissen, vermag die Mängelrüge keine Nichtigkeit im Sinne des § 281 Abs 1 Z 5 StPO aufzuzeigen. Denn dass sich Veronika S***** nach eigenen Angaben an die gegen sie geführten Stiche nicht erinnern kann (Z 5 zweiter Fall), haben die Tatrichter in ihre - logisch nachvollziehbaren und empirisch einwandfreien - Überlegungen ohnehin einbezogen (US 6 f). Die einzelne Passagen der Depositionen des Zeugen Joachim S***** in der Hauptverhandlung (ON 30 S 24) hervorhebende Argumentation, aus diesen lasse sich eine gezielte Stichführung gegen den Bauch der Zeugin S***** nicht ableiten (Z 5 vierter Fall), vernachlässigt, dass die Tatrichter die entsprechenden Feststellungen - ohne Verstoß gegen Denkgesetze oder Empirie und aktenkonform - aus dem wesentlichen - für widerspruchsfrei befundenen (US 5) - Inhalt der Ausführungen des Joachim S***** vor der Polizei und in der Hauptverhandlung (ON 30 S 18 bis 31), somit unter Einschluss dessen Angaben konkret zu diesem in der Hauptverhandlung ausführlich hinterfragten Aspekt (ON 30 S 28 [ff]) ableiteten (US 5 und 6). Dass sie dabei nicht den vollständigen Inhalt dieser Aussage - etwa zur Sichtposition des Zeugen - im Detail erörterten (Z 5 zweiter Fall), begründet mit Blick auf das Gebot zu gedrängter Darstellung in den Entscheidungsgründen (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) keinen Urteilsmangel (RIS-Justiz RS0106642 [insbesondere T7]).

Letztlich laufen die spekulativen Überlegungen zur Wahrnehmbarkeit des konkreten Ablaufs dieses Vorfalls durch den erwähnten Belastungszeugen auf eine Kritik an der erstrichterlichen Beweiswürdigung nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren unzulässigen Schuldberufung hinaus.

Die nominell aus Z 5 zweiter Fall vorgebrachten Einwände gegen die Ausführungen des Erstgerichts zur Behandlungsmöglichkeit des Betroffenen, dessen (weiterer) Behandlungsbedürftigkeit und zur damit einhergehenden Gefährlichkeitsprognose betreffen keine für die Annahme einer Anlasstat oder deren Subsumtion entscheidenden Tatsachen. Die Anfechtung des Urteils über die Anordnung einer Maßnahme nach § 21 Abs 1 StGB wegen Nichtigkeit ist aber nur in Bezug auf jene materiell-rechtlichen Voraussetzungen des § 21 Abs 1 StGB möglich, deren Beurteilung dem richterlichen Ermessen entzogen sind, sohin der Grundvoraussetzungen dieser Anstaltsunterbringung; die Beurteilung der Gefährlichkeitsprognose im Sinn des § 21 Abs 1 StGB ist hingegen als Ermessensentscheidung ausschließlich mit Berufung bekämpfbar (RIS-Justiz RS0118581 [T11]; vgl Ratz in WK2 StGB Vor §§ 21-25 Rz 8 f; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 715 ff).

Indem die auf einen „Freispruch“ (die [teilweise] Abweisung des Unterbringungsantrags mangels Tatbestandsmäßigkeit der zweiten Anlasstat; vgl Fabrizy, StPO11 § 433 Rz 1) abzielende Rechtsrüge (Z 9 lit a) gegenteilige (Negativ-)Feststellungen einfordert, also nicht am Urteilssachverhalt festhält, verfehlt sie eine prozessordnungsgemäße Ausführung des in Anspruch genommenen materiell-rechtlichen Nichtigkeitsgrundes (Hager/Heller/Hetlinger, Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung S 65; RIS-Justiz RS0099810). Ebenso vernachlässigt das auf eine rechtliche Unterstellung der zweiten Anlasstat unter §§ 15, 83 Abs 1 StGB (nominell teils aus Z 9 lit a, teils aus Z 10; siehe im Weiteren auch Ratz in WK2 StGB § 21 Rz 5; Murschetz, WK-StPO § 430 Rz 5 und § 433 Rz 13 und 16), „in eventu“ §§ 15, 83 Abs 1, 84 StGB (Z 10; siehe dazu allerdings RIS-Justiz RS0089528 und RS0089439) abzielende Vorbringen den in den getroffenen Feststellungen gelegenen tatsächlichen Bezugspunkt der prozessordnungskonformen Geltendmachung materieller Nichtigkeit. Eine angebliche Verletzung des Zweifelsgrundsatzes kann niemals materiell-rechtliche Nichtigkeit nach sich ziehen (RIS-Justiz RS0099756).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung ebenso zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO) wie die „Berufung wegen Schuld“; ein derartiges Rechtsmittel gegen kollegialgerichtliche Urteile ist nämlich im Gesetz nicht vorgesehen (§§ 283 Abs 1, 433 Abs 1 erster Satz StPO; RIS-Justiz RS0098904 und RS0100080).

Aus der Zurückweisung der Nichtigkeitsbeschwerde folgt gemäß § 285i StPO die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die gegen die Anordnung der Unterbringung (Ratz in WK2 StGB Vor §§ 21 bis 25 Rz 8) gerichtete Berufung.

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