European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0140OS00103.15A.1117.000
Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Mahmut Ö***** ‑ soweit für das Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerde relevant ‑ der Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB (A), der Verbrechen der schweren Nötigung nach §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 erster Fall und Z 3 erster Fall StGB (B/1), nach §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 letzter Fall und Z 3 erster Fall StGB (B/2), nach §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 letzter Fall StGB (B/3), nach §§ 15, 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 erster Fall StGB (B/4 und 5) sowie der Vergehen der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1 StGB (C), der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB (D) und der beharrlichen Verfolgung nach § 107a Abs 1 und Abs 2 Z 2 StGB (E) schuldig erkannt.
Danach hat er in M*****, P*****, T***** und an anderen Orten Ayse Ö*****
(A) von April 2014 bis Ende November 2014 in wiederholten Angriffen mit Gewalt sowie durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (§ 89 StGB) zur Duldung des Beischlafs genötigt, indem er sie jeweils mit beiden Händen an den Armen packte, auf das Bett drückte, sie festhielt und ihr drohte, sie umzubringen, „sollte sie sich ihm nicht hingeben“;
(B) durch gefährliche Drohung mit dem Tod (1, 4 und 5) oder der Vernichtung ihrer gesellschaftlichen Stellung (2 und 3) jeweils zu einer Handlung genötigt und zu nötigen versucht (4 und 5), nämlich
1) am 5. September 2014 durch die Äußerung, er schneide ihr die Kehle durch, wenn sie ihn nicht heirate, wobei er ihr ein Messer am Hals ansetzte, zur Eheschließung;
2) von April 2014 bis 4. Oktober 2014 in wiederholten Angriffen durch die Äußerung, er werde in ihrem muslimischen Bekanntenkreis erzählen, dass sie mit ihm vorehelichen Geschlechtsverkehr hatte, zur Eheschließung;
3) am 26. Dezember 2014 und am 8. Jänner 2015 durch die Ankündigung, Nacktfotos von ihr zu veröffentlichen, sollte sie ihn nicht anrufen, zur Kontaktaufnahme mit ihm;
4) am 17. Dezember 2014 durch die Äußerung, dass es für ihn ein Leichtes wäre, ihr das Genick zu brechen, zur Versöhnung mit ihm;
5) am 26. Dezember 2014 durch die Äußerung, dass er in der Ukraine zwei Kalaschnikows um 8.000 US‑Dollar erworben hätte und er diese Waffen nach M***** transportieren und Ayse Ö***** und ihre Familie vernichten werde, zur Versöhnung mit ihm;
(C) von April 2014 bis Ende November 2014 in zumindest 30 Angriffen durch Versetzen von ‑ jeweils Hämatome verursachenden ‑ Schlägen mit der flachen Hand ins Gesicht, Faustschlägen in den Bauch und Schlägen mit einem Kleiderbügel auf den Kopf sowie durch Reißen an den Haaren am Körper misshandelt und verletzt, sohin längere Zeit hindurch fortgesetzt Gewalt gegen sie ausgeübt;
(D) mit dem Tod gefährlich bedroht, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen und zwar
1) am 4. Jänner 2015 durch eine E‑Mail mit der Ankündigung, dass viele Köpfe abgehackt werden;
2) am 15. Februar 2015 durch Übermittlung von vier Fotos auf denen zwei Pistolen, zwei Maschinengewehre und ein Messer, eine Männerhand mit Faustfeuerwaffe sowie der mit einem Maschinengewehr und einer Pistole posierende Angeklagte selbst abgebildet waren;
(E) von 8. Dezember 2014 bis 26. Februar 2015, sohin eine längere Zeit hindurch, in einer Weise, die geeignet war, sie in ihrer Lebensführung unzumutbar zu beeinträchtigen, widerrechtlich beharrlich verfolgt, indem er im Wege der Telekommunikation durch eine Vielzahl von Telefonaten, E‑Mails, sowie SMS‑, WhatsApp‑ und Viber‑Nachrichten Kontakt zu ihr herstellte.
Rechtliche Beurteilung
Die dagegen aus den Gründen der Z 3, 4, 5, 5a und 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten ist nicht im Recht.
Die Verfahrensrüge (Z 3), die einen durch die Vorführung der Bild- und Tonaufnahmen über die kontradiktorische Vernehmung der Ayse Ö***** sowie die Verlesung des darüber aufgenommenen Protokolls bewirkten Verstoß gegen § 252 Abs 1 Z 2a StPO behauptet, schlägt schon deshalb fehl, weil nach dem ungerügten Protokoll über die Hauptverhandlung die Vorführung einverständlich ‑ somit nach § 252 Abs 1 Z 4 StPO zulässig ‑ erfolgte (ON 82 S 7) und zudem der wesentliche Inhalt sämtlicher Aktenstücke mit Zustimmung der Parteien ‑ demnach auch in Betreff der genannten Niederschrift prozessordnungskonform ‑ gemäß § 252 Abs 2a StPO vom Vorsitzenden referiert wurde (ON 82 S 10).
Im Übrigen hat die Zeugin in der Hauptverhandlung von ihrem Aussagebefreiungsrecht nach § 156 Abs 1 Z 1 StPO Gebrauch gemacht (ON 66 S 51). Staatsanwalt und Angeklagter hatten zudem Gelegenheit, sich an der gerichtlichen Vernehmung der Genannten im Ermittlungsverfahren zu beteiligen (ON 16), womit auch die Voraussetzungen für die Durchbrechung des Unmittelbargrundsatzes vorlagen (§ 252 Abs 1 Z 2a StPO).
Bleibt mit Blick auf das Argument, dem damals noch unvertretenen, der deutschen Sprache nicht mächtigen Beschwerdeführer sei die Bedeutung der kontradiktorischen Zeugenvernehmung nicht bewusst gewesen, anzumerken, dass er durch die in die türkische Sprache übersetzte Benachrichtigung vom Termin zu dieser Beweistagsatzung (ON 4; „Lad 55“) und eine anlässlich deren persönlicher Ausfolgung (in englischer Sprache) erfolgte mündliche Belehrung (ON 1 S 7) in einer für ihn verständlichen Weise sowohl über das Thema der Zeugenvernehmung informiert als auch auf den Wert, den ein zu diesem Termin beigezogener geschulter Rechtsbeistand darstellt, und das Recht, die Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers zu verlangen, hingewiesen wurde (vgl dazu RIS‑Justiz RS0125706 [T5]).
Soweit das Vorbringen auch auf Z 4 gestützt wird, scheitert es zudem schon an einer entsprechenden Antragstellung oder einem Widerspruch in der Hauptverhandlung (RIS‑Justiz RS0099112).
Gleiches gilt für die ‑ ebenfalls ohne Bezugnahme auf einen in der Hauptverhandlung gestellten Antrag aufgestellte ‑ Rügebehauptung (nominell Z 4), der Beschwerdeführer habe sich bloß aufgrund der Inaussichtstellung eines milden Urteils durch das Gericht zu einem ‑ nicht den Tatsachen entsprechenden ‑ Geständnis hinsichtlich der wesentlichen Anklagepunkte entschlossen, zudem sei aus der Inanspruchnahme des Aussagebefreiungsrechts und der Rückziehung des Privatbeteiligtenanschlusses durch die Zeugin Ayse Ö***** abzuleiten, dass deren belastende Angaben im Ermittlungsverfahren nicht den Tatsachen entsprachen.
Die Abweisung der in der Hauptverhandlung gestellten (ON 66 S 50, ON 82 S 9 iVm ON 63 und ON 80) Beweisanträge erfolgte ohne Verletzung von Verteidigungsrechten:
Jenen auf Vernehmung von Fehmi A*****, Osman A*****, Metin A***** und Davut Y***** zum Nachweis dafür, dass der Beschwerdeführer Ayse Ö***** weder zur Eheschließung genötigt, noch vergewaltigt oder längere Zeit Gewalt gegen sie ausgeübt hat, war nicht zu entnehmen, weshalb die beantragte Beweisaufnahme das behauptete (und nicht offensichtliche) Ergebnis habe erwarten lassen. Sie waren demnach auf im Erkenntnisverfahren unzulässige Erkundungsbeweisführung gerichtet ( Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 330, RIS‑Justiz RS0118444).
Dem Begehren, Ahmet Ö***** zum Beweis dafür zu vernehmen, dass sich Ayse Ö***** während ihres Aufenthalts in der Türkei in den Sommermonaten sowie im Oktober und November 2014 nicht über die Beziehung zum Angeklagten beschwerte, sich vielmehr sehr zufrieden und fröhlich zeigte und mit den Familienmitgliedern mehrmals zum Einkaufen ging, folgten die Tatrichter zu Recht nicht, weil es keinen Konnex zur Schuld‑ oder zur Subsumtionsfrage erkennen ließ (RIS‑Justiz RS0118444; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 327 ff). Dies gilt gleichermaßen für den Antrag auf Vernehmung des Selman T*****, dessen Befragung in der Hauptverhandlung zum Beweis dafür beantragt wurde, dass Ayse Ö***** diesem die gemeinsamen Kinder freiwillig und nicht auf Druck des Beschwerdeführers überließ.
Das weitere Beschwerdevorbringen vermengt den (wesensmäßig verschiedenen) Anfechtungsgegenstand von Mängel- (Z 5), Tatsachen- (Z 5a) und Rechtsrüge (Z 9 lit a; zum Ganzen: RIS-Justiz RS0116733, RS0117247 [T6]; Ratz , WK-StPO § 281 Rz 471, 581) und wird daher im Folgenden ‑
soweit überhaupt deutlich und bestimmt ein Sachverhalt angesprochen wird, der den Prüfungskriterien eines Nichtigkeitsgrundes entspricht ‑ ungeachtet der nominell falschen Einordnung jeweils im Sinn seiner inhaltlichen Ausrichtung behandelt („falsa demonstratio non nocet“; Ratz , WK-StPO § 285d Rz 9 f; RIS-Justiz RS0116879).
Entgegen dem Einwand von Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) haben sich die Tatrichter sowohl mit den vom Angeklagten vorgelegten „Viber‑Nachrichten“ (US 13) als auch mit seiner Verantwortung ‑ allgemein (US 9 ff) sowie bezogen auf jeden einzelnen Schuldspruch (US 12 ff) ‑ ausführlich auseinandergesetzt und mängelfrei dargelegt, aus welchen Gründen sie dieser nur teilweise (nämlich in Bezug auf das Teilgeständnis) zu folgen vermochten. Zu einer gesonderten Erörterung sämtlicher Details (oder einzelner, disloziert im Rahmen der Rechtsrüge hervorgehobener Passagen) seiner Einlassung waren sie ‑ dem Gebot zu gedrängter Darstellung der Entscheidungsgründe (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) folgend ‑ nicht verpflichtet. Welche weiteren „wichtigen“ Verfahrensergebnisse, die „gegen die Verantwortung sprechen“, im Urteil unberücksichtigt blieben, erklärt die Rüge nicht und entzieht sich solcherart einer inhaltlichen Erwiderung.
Soweit sie in diesem Zusammenhang auf der Beschwerde angeschlossene Urkunden („Viber‑Nachrichten und diverse andere Unterlagen“) verweist, genügt der Hinweis auf das aus dem Wesen des angesprochenen Nichtigkeitsgrundes resultierende Neuerungsverbot.
Die Ableitung der Feststellungen zum objektiven Sachverhalt im Wesentlichen aus den ‑ nach dem Vorgesagten gesetzeskonform in der Hauptverhandlung vorgekommenen und damit (dem Beschwerdestandpunkt zuwider) keinem Beweisverwertungsverbot unterliegenden (vgl dazu sowie zum Vorrang der Verfahrens- gegenüber der Mängelrüge: Kirchbacher , WK-StPO § 246 Rz 171 ff) ‑ Angaben des Tatopfers, der teilweise geständigen Einlassung des Beschwerdeführers und dessen an Ayse Ö***** gerichteten schriftlichen Erklärungen (vor allem den E-Mails vom 10. und 14. Jänner 2015; US 9 ff) entspricht den Gesetzen logischen Denkens und grundlegenden Erfahrungssätzen und ist solcherart unter dem Aspekt der Begründungstauglichkleit ebenso wenig zu beanstanden wie der
aus dem äußeren Geschehen gezogene Schluss auf die subjektive Tatseite (US 14 f; RIS‑Justiz RS0116732, RS0098671; Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 452).
Mit dem neuerlichen Hinweis auf die Motive des Angeklagten für sein ‑ angeblich nicht den Tatsachen entsprechendes ‑ Geständnis wird ein Begründungsmangel nicht aufgezeigt (vgl dazu auch Ratz , WK-StPO § 281 Rz 457).
Die Tatsachenrüge (Z 5a) lässt mit der Behauptung fehlender objektiver Beweisergebnisse (insbesonders zur subjektiven Tatseite) den unter dem Aspekt des herangezogenen Nichtigkeitsgrundes gebotenen Aktenbezug vermissen (RIS-Justiz RS0119310; vgl auch RS0128874). Mit der Berufung auf den Zweifelsgrundsatz wird Nichtigkeit aus Z 5a ebenfalls nicht geltend gemacht, mit spekulativen Erwägungen zu den Motiven des Tatopfers für die Inanspruchnahme ihres Aussagebefreiungsrechts in der Hauptverhandlung vielmehr unzulässig die dem Schöffengericht vorbehaltene Beweiswürdigung nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung bekämpft (RIS-Justiz RS0102162).
Aus welchem Grund „Feststellungen hinsichtlich der Reisen der Ayse Ö***** zum Rechtsmittelwerber in die Türkei und zu seinem Arbeitsplatz in Tunesien“ und weitere „für die Motive der Ayse Ö***** relevante“ Konstatierungen zur rechtsrichtigen Subsumtion erforderlich sein sollten, leitet die Rechtsrüge (Z 9 lit a) nicht methodisch vertretbar aus dem Gesetz ab.
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO). Daraus folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen (§ 285i StPO).
Auf die handschriftlichen Eingaben des Beschwerdeführers war im Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerde nicht einzugehen, weil die Strafprozessordnung nur eine einzige Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde zulässt (RIS-Justiz RS0100175).
Die Kostenersatzpflicht beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
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