OGH 13Os60/23g

OGH13Os60/23g20.9.2023

Der Oberste Gerichtshof hat am 20. September 2023 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Michel, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Brenner und Dr. Setz‑Hummel LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin FI Trsek in der Strafsache gegen * R* wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 1. März 2023, GZ 36 Hv 29/22d‑47, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0130OS00060.23G.0920.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

Fachgebiet: Sexualdelikte

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde * R* eines Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB (I) und eines Vergehens der Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1 StGB (II) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er am 27. Oktober 2022 in W* * P*

(I) mit Gewalt zur Vornahme einer dem Beischlaf gleichzusetzenden Handlung, nämlich eines Oralverkehrs, genötigt, indem er sie an den Haaren durch ein Gebüsch zerrte, sie gegen einen Zaun sowie auf die Knie zu Boden drückte, sie mehrmals ohrfeigte, ihre Kiefer zusammendrückte, sodass sie aufgrund von Atemnot und Schmerzen gezwungen war, ihren Mund zu öffnen, und mit seinem Penis mehrmals in ihren Mund eindrang, sowie

(II) durch gefährliche Drohung mit zumindest einer Verletzung am Körper zu einer Unterlassung, nämlich zur Abstandnahme von der Alarmierung der Polizei oder sonstiger Personen, zu nötigen versucht, indem er ihr gegenüber nach der zu I beschriebenen Tat sinngemäß äußerte: „Wenn du das jemandem erzählst, werde ich dich finden und es beim nächsten Mal richtig machen!“.

Rechtliche Beurteilung

[3] Gegen dieses Urteil wendet sich die auf § 281 Abs 1 Z 4, 5, 5a und 9 (richtig) lit a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

[4] Entgegen der Verfahrensrüge (Z 4) zu Recht abgewiesen (ON 46 S 8) wurden die in der Hauptverhandlung gestellten Anträge (ON 46 S 7) des Beschwerdeführers auf

- „Auswertung des Instagram-Account, durch Antragstellung an Instagram, dass das für eine Stunde geöffnet wird, zum Beweis dafür, dass hier sehr wohl die Konten ausgetauscht wurden und das Opfer dem Angeklagten ihren Instagram-Profilnamen mitgeteilt hat,“ sowie

- „neuerliche Einvernahme des Opfers, […] um ihr auch die Ergebnisse der DNA‑Untersuchungen vorzulegen“:

[5] Ersterer, weil das Beweisthema dem Schöffengericht ohnehin als erwiesen galt (§ 55 Abs 2 Z 3 StPO, siehe US 4 und 7), Letzterer schon deshalb, weil er kein Beweisthema nannte (§ 55 Abs 1 zweiter Satz StPO).

[6] Das die Anträge ergänzende Beschwerde‑vorbringen hat mit Blick auf das aus dem Wesen des herangezogenen Nichtigkeitsgrundes resultierende Neuerungsverbot auf sich zu beruhen (RIS-Justiz RS0099618).

[7] Soweit die Beschwerde – der Sache nach als Aufklärungsrüge (Z 5a) – das Unterbleiben der Aufnahme von (nicht näher bezeichneten) „Kontrollbeweise[n]“ reklamiert, legt sie nicht dar, wodurch der Beschwerdeführer an sachgerechter Antragstellung in der Hauptverhandlung gehindert gewesen sein sollte (siehe aber RIS‑Justiz RS0114036 und RS0115823).

[8] Bezugspunkt der Mängelrüge ist der Ausspruch des Schöffengerichts über entscheidende Tatsachen, also – soweit hier von Interesse (Sanktionsfragen werden nicht angesprochen) – über schuld- oder subsumtionsrelevante Tatumstände (RIS-Justiz RS0106268).

[9] Schon dieses Anfechtungskriterium verfehlt das auf Z 5 gestützte, gegen den Schuldspruch I gerichtete Beschwerdevorbringen, soweit es folgende Urteilsaussagen bekämpft:

- die (übrigens im Sinn des erwähnten Beweisbegehrens und der Verantwortung des Beschwerdeführers folgend getroffene) Feststellung, das Opfer und der Beschwerdeführer hätten sich zunächst miteinander unterhalten und „Instagram‑Daten“ ausgetauscht (US 4),

- die im Rahmen der Beweiswürdigung angestellte Erwägung (siehe aber RIS-Justiz RS0130729 [T2]), wonach es „im Gerichtsalltag regelmäßig vor[kommt]“, dass „Vergewaltigungsopfer Details des Tatherganges erst bei weiteren Vernehmungen angeben“ und es „notorisch“ sei, „dass es vielen Opfern sehr unangenehm ist, Fremden gegenüber über derart intime Vorgänge zu sprechen“, (US 6) sowie

- die – (weil der als begründet erachtete Strafsatz des § 201 Abs 1 StGB keine Verletzungsfolgen verlangt) für die Subsumtion nicht bedeutsame – Feststellung, das Opfer habe durch die Tat Nasenbluten, einen Bluterguss am rechten Knie und „leichte seelische Schmerzen“ erlitten (US 5).

[10] Ihre den Schuldspruch I (mit-)tragenden Feststellungen zur nach § 201 Abs 1 StGB tatbildlichen Gewaltanwendung (US 4 f) erschlossen die Tatrichter vor allem aus – vom Gericht als glaubhaft erachteten – zeugenschaftlichen Angaben des Opfers im Zusammenhalt mit dazu angestellten Plausibilitätserwägungen und Wahrscheinlichkeitsschlüssen (US 6 f, zur Zulässigkeit RIS‑Justiz RS0098362).

[11] Die weitere Mängelrüge kehrt eine dieser Urteilserwägungen (welche auf ein einzelnes „Argument des Verteidigers“ Bezug nimmt [US 6]) isoliert hervor und hält (im Übrigen bloß) einen Teil jener Feststellungen (US 4) für dadurch offenbar unzureichend begründet (Z 5 vierter Fall). Damit versäumt sie es prozessordnungswidrig (RIS-Justiz RS0119370), an der Gesamtheit der Entscheidungsgründe Maß zu nehmen.

[12] Indem sie zusätzliche Feststellungen „zum eigentlichen psychischen Zustand“ des Opfers sowie „zum Hergang“ vermisst (nominell Z 5 zweiter Fall, der Sache nach eine Rechtsrüge), macht die Beschwerde nicht klar, weshalb es deren zur rechtsrichtigen Beurteilung bedurft haben sollte (siehe aber RIS-Justiz RS0116565).

[13] Die Tatsachenrüge (Z 5a) wiederum beschränkt sich darauf, aus – vom Gericht ohnedies gewürdigten (US 6 bis 8) – Zeugenaussagen des Opfers und dessen Mutter anhand eigenständig entwickelter Beweiswerterwägungen von jenen des Schöffengerichts abweichende Schlussfolgerungen einzufordern. Damit werden keine erheblichen Bedenken gegen konkrete Feststellungen über entscheidende Tatsachen (zum Anfechtungskalkül RIS-Justiz RS0118780) geweckt, sondern wird bloß die tatrichterliche Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO) nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen (§ 283 Abs 1 StPO) Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld bekämpft.

[14] Sollten die genannten (aus Z 5 und 5a erhobenen) Einwände als Infragestellung der „Glaubwürdigkeit“ des Opfers zu verstehen sein, sei darüber hinaus erwidert:

[15] Die tatrichterliche Beurteilung der Überzeugungskraft von Personalbeweisen (also die Glaubhaftigkeit der Angaben von Zeugen und Angeklagten) ist – so sie nicht undeutlich (Z 5 erster Fall) oder in sich widersprüchlich (Z 5 dritter Fall) ist (was hier nicht behauptet wird) – einer Anfechtung mit Nichtigkeitsbeschwerde entrückt (RIS-Justiz RS0106588 [T13]). Unter dem Aspekt der Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) kann sie nur dann mangelhaft erscheinen, wenn sich das Gericht mit gegen die Glaubhaftigkeit sprechenden Beweisergebnissen nicht auseinandergesetzt hat.

[16] Der Bezugspunkt besteht jedoch nicht in der Sachverhaltsannahme der Glaubhaftigkeit oder Unglaubhaftigkeit (die ihrerseits eine erhebliche Tatsache darstellt), sondern ausschließlich in den Feststellungen über entscheidende Tatsachen (RIS-Justiz RS0119422 [T2 und T4]; zu den Begriffen entscheidende und erhebliche Tatsachen Ratz, WK-StPO § 281 Rz 398 und 409). Erheblich, somit nach Maßgabe ihres Vorkommens in der Hauptverhandlung (§ 258 Abs 1 StPO) erörterungsbedürftig, sind insoweit demnach Tatumstände, welche die – von den Tatrichtern als notwendige Bedingung für die Feststellung einer entscheidenden Tatsache bejahte (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 410) – Überzeugungskraft der Aussage (eines Zeugen oder Angeklagten) in Bezug auf diese entscheidende Tatsache ernsthaft in Frage stellen (vgl RIS-Justiz RS0120109 [T3] sowie Ratz, WK-StPO § 281 Rz 29; zum Ganzen 13 Os 73/21s [Rz 11 f] und 11 Os 81/21b [Rz 10 f]).

[17] Dass das Schöffengericht einen solchen Tatumstand unerwogen gelassen hätte, behauptet die Beschwerde nicht deutlich und bestimmt.

[18] Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) vermisst Tatsachenfeststellungen

- zum auf die (nach § 201 Abs 1 StGB tatbildliche) Gewaltanwendung bezogenen subjektiven Handlungselement (Schuldspruch I) sowie

- zur Ernstlichkeit der (eine Tatbestandsvoraussetzung des § 105 Abs 1 StGB bildenden) Drohung und zu deren Bedeutungsinhalt (Schuldspruch II).

[19] Indem sie nicht von den – gerade dazu getroffenen – Urteilsfeststellungen (US 4 f) in ihrer Gesamtheit ausgeht, sondern diese teils ignoriert, teils beweiswürdigend bestreitet, verfehlt sie den (im Urteilssachverhalt gelegenen) Bezugspunkt materieller Nichtigkeit (RIS-Justiz RS0099810).

[20] Weshalb die zum Schuldspruch II konstatierte Äußerung (US 5) auf der Grundlage der tatrichterlichen Feststellungen – insbesondere auch zur vorangegangenen, vom Schuldspruch I umfassten Tat (US 4 f) – nicht geeignet gewesen sein sollte, dem Opfer begründete Besorgnisse einzuflößen (dazu Jerabek/Ropper in WK2 StGB § 74 Rz 33), lässt die Rüge offen (erneut RIS-Justiz RS0116565).

[21] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – gemäß § 285d Abs 1 StPO bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen.

[22] Die Entscheidung über die Berufung kommt dem Oberlandesgericht zu (§ 285i StPO).

[23] Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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