Spruch:
In der Mediensache AZ 24 Hv 18/04v des Landesgerichtes Feldkirch verletzt das Unterbleiben der Mitteilung der Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Landesgerichtes Feldkirch vom 21. Juni 2004 (ON 19), womit Kosten des Berufungsverfahrens bestimmt wurden, an die Antragsgegnerin zur allfälligen Äußerung binnen angemessener Frist Art 6 Abs 1 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl Nr. 210/1958. Der Beschluss des Oberlandesgerichtes Innsbruck vom 21. Juli 2004, AZ 6 Bs 296/04, welcher im Zuspruch des auf den Kostenbestimmungsantrag entfallenden Betrages von 14,02 Euro (einschließlich 20 % Umsatzsteuer) unberührt bleibt, wird aufgehoben und dem Oberlandesgericht Innsbruck aufgetragen, über die Verfahrenskosten zu entscheiden.
Text
Gründe:
Mit Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 9. März 2004, GZ 24 Hv 18/04v-8, wurde ein Antrag der D***** OEG gegen die E***** Gesellschaft mbH auf Anordnung der Veröffentlichung einer Gegendarstellung abgewiesen.
Die Antragstellerin meldete dagegen rechtzeitig „volle Berufung" an, ohne von ihrem Recht zu einer Ausführung der Gründe Gebrauch zu machen (§ 14 Abs 3 dritter Satz MedienG, §§ 466 Abs 1 erster Satz, 467 Abs 1, 489 Abs 1 zweiter SatzStPO). Nach Überreichen einer Gegenausführung, worin die Antragsgegnerin die darauf entfallenden Kosten mit 307,80 Euro zuzüglich 60 % Einheitssatz und 20 % Umsatzsteuer verzeichnet hatte, wurden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck vorgelegt. Der Vorsitzende des Berufungsgerichtes ordnete daraufhin einen Gerichtstag zur öffentlichen Verhandlung über das Rechtsmittel an (§ 14 Abs 3 dritter Satz MedienG, §§ 471 Abs 1, 489 Abs 1 zweiter SatzStPO), beraumte diesen nach Zurückziehung des Rechtsmittels aber wieder ab. Auf Antrag der E***** Gesellschaft mbH bestimmte das angerufene Landesgericht Feldkirch mit Beschluss vom 21. Juni 2004, GZ 24 Hv 18/04v-19, die nunmehr mit insgesamt 1.231,20 Euro geltend gemachten Kosten von Gegenausführung und Kostenbestimmungsantrag mit 1.078,94 Euro. Nach Einlangen einer der E***** Gesellschaft mbH nicht mitgeteilten Beschwerde der D***** OEG setzte das Oberlandesgericht Innsbruck die zu ersetzenden Vertretungskosten der E***** Gesellschaft mbH auf 604,99 Euro (einschließlich Umsatzsteuer) herab. Auf den Kostenbestimmungsantrag entfielen hiebei 14,02 Euro (einschließlich Umsatzsteuer).
In seiner zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde führt der Generalprokurator Folgendes aus:
„Die Unterlassung der Mitteilung der Beschwerde an die Antragsgegnerin zur allfälligen Äußerung und die Entscheidung über diese Beschwerde, ohne der Gegenseite Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, stehen mit dem Gesetz nicht im Einklang.
Nach dem Wortlaut der Bestimmungen der Strafprozessordnung ist die Beschwerde - von hier nicht in Betracht kommenden Ausnahmen abgesehen - ein (lediglich) einseitiges Rechtsmittel, zu dem der Gegner keine Gelegenheit zu einer Gegenausführung erhält (Bertel/Venier, Strafprozessrecht7 Rz 1029; 15 Os 173/95). Die zu dieser Frage ergangenen Judikate des Obersten Gerichtshofes stammen aus der Zeit vor dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte vom 6. Februar 2001, Beer gegen Österreich (ÖJZ 2001, 516). In diesem Erkenntnis wird ausgesprochen, der aus Art 6 Abs 1 EMRK herleitbare Grundsatz der Waffengleichheit in einem Verfahren über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen erfordere eine angemessene Gelegenheit für jede Partei, ihren Fall unter Bedingungen zu präsentieren, die keinen wesentlichen Nachteil gegenüber dem Verfahrensgegner realisierten. Jede Partei müsse daher die gegnerischen Stellungnahmen zur Kenntnis nehmen und kommentieren können. Das gelte sogar in untergeordneten Angelegenheiten wie bei Bestimmung der Verfahrenskosten, weil das Recht zur Stellungnahme als elementarer Grundsatz jedes kontradiktorischen Verfahrens zu wahren sei. Die Partei habe die Notwendigkeit der Stellungnahme zu einem Schriftstück selbst zu beurteilen. Das Vertrauen in die Funktionsfähigkeit der Justiz sei unter anderem auf das Wissen der Parteien gegründet, eine Gelegenheit gehabt zu haben, ihre Ansichten zu jedem Schriftstück im Akt darzulegen. Die unterbliebene Zustellung eines Kostenrekurses und die mangelnde Möglichkeit, ihn zu beantworten, seien daher eine Verletzung des durch Art 6 Abs 1 MRK garantierten Grundsatzes der Waffengleichheit.
Für den Bereich des zivilprozessualen Verfahrens hat der Gesetzgeber als Konsequenz des zitierten Urteils des EGMR durch Art 94 Z 19 und 20 des 1. Euro-Umstellungsgesetzes-Bund (BGBl I 2001/98, in Kraft getreten gemäß Art 96 Z 26 am 8. 8. 2001) die §§ 521 Abs 1 und 521a Abs 1 ZPO novelliert und dabei den im § 521a Abs 1 Z 1 bis 3 genannten Entscheidungen, die in einem zweiseitigen Rechtsmittelverfahren bekämpft werden können, mit der Z 4 auch die Entscheidung über die Prozesskosten hinzugefügt (von G. Kodek, Zur Zweiseitigkeit des Rekursverfahrens, ÖJZ 2004, 534 ff [537] als „minimalistische" Lösung bezeichnet, weil andere Entscheidungen mit zivilrechtlichem Charakter insoweit nicht erfasst werden). Der Oberste Gerichtshof hat daran anschließend in mehreren Entscheidungen die Auffassung vertreten, dass Rechtsmittelverfahren über einen Rechtsschutzanspruch nach der Zivilprozessordnung in Analogie zu § 521a ZPO auch dann zweiseitig sind, wenn das Gesetz deren Zweiseitigkeit nicht anordne (EvBl 2003/103; EvBl 2002/199; G. Kodek, aaO § 537 f).
Diese den Zivilrechtsbereich betreffenden Ausführungen sind vorliegend insofern von Bedeutung, als sich die problematisierte Beschwerde gegen eine Kostenentscheidung im Zusammenhang mit einem Medienverfahren gerichtet hat, welches nicht genuin strafrechtlicher, sondern - im weiteren Sinn der EMRK - zivilrechtlicher Natur ist (EGMR 21. März 2002, A.T. gegen Österreich, MuR 2003, 16; grundlegend schon 14 Os 75/97 ["Ansprüche sui generis"]); bei verfassungskonformer Auslegung (Walter/Mayer, Bundesverfassungsrecht9 Rz 135) ist die Verfahrensbestimmung des § 395 Abs 4 StPO demzufolge im Einklang mit Art 6 Abs 1 EMRK in seinem durch den EGMR vorgegebenen Verständnis auszulegen, dh es ist im konkreten Fall von einer Zweiseitigkeit des Rechtsmittelverfahrens über den Kostenanspruch auszugehen (Lendl in WK-StPO § 295 Rz 29; zur Frage der Zweiseitigkeit der Beschwerde siehe auch 13 Os 35/03, wo der Oberste Gerichtshof in einem Fall einer unterlassenen Zustellung einer Beschwerde der Staatsanwaltschaft in einer kein „civil right" betreffenden Angelegenheit ganz allgemein in Frage gestellt hat, ob dies einer „grundrechtskonformen Auslegung mit Blick auf das Fairnessgebot des Art 6 Abs 1 EMRK" standhalte.). Dadurch, dass das Landesgericht Feldkirch vor der Aktenvorlage an das Rechtsmittelgericht es unterließ, die Kostenbeschwerde der Antragsgegnerin zur allfälligen Äußerung zuzustellen, verletzte es auch die Vorschrift des § 179 Abs 1 Geo, wonach die Aktenvorlage an das Rechtsmittelgericht (erst) nach Einlangen sämtlicher „Rechtsmittelschriften und Gegenausführungen ohne Verzug, sonst nach Ablauf der allen Beteiligten zur Anbringung oder Ausführung von Rechtsmitteln oder Gegenschriften offenstehenden Fristen" zu erfolgen hat.
Der aufgezeigte Verfahrensmangel gereicht der Antragsgegnerin zum Nachteil, da ihr solcherart keine Möglichkeit einer Äußerung zur Beschwerde der Antragstellerin eingeräumt wurde und bedarf einer Behebung nach §§ 33 Abs 2, 292 letzter SatzStPO.
Die Generalprokuratur erhebt daher gemäß § 33 Abs 2 StPO die Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes und beantragt, nach einem gemäß § 292 StPO durchzuführenden Gerichtstag zur öffentlichen Verhandlung zu erkennen:
„In der Mediensache AZ 24 Hv 18/04v des Landesgerichtes Feldkirch verletzt das Unterbleiben der Mitteilung der Beschwerde der Antragstellerin D***** OEG gegen den Kostenbeschluss vom 2. Juli 2004 (ON 21) an die Antragsgegnerin E***** Gesellschaft mbH zur allfälligen Äußerung das Gesetz in den Bestimmungen des § 179 Abs 1 Geo und des § 395 Abs 4 StPO iVm Art 6 Abs 1 EMRK.
Gemäß dem letzten Satz des § 292 StPO wird der Beschluss des Oberlandesgerichtes Innsbruck vom 21. Juli 2004 (ON 24) aufgehoben und dem Beschwerdegericht aufgetragen, die Beschwerde der Antragstellerin (ON 21) der Antragsgegnerin mitzuteilen, ihr eine angemessene Frist zur Äußerung einzuräumen und sodann erneut über die Beschwerde zu entscheiden."
Rechtliche Beurteilung
Der Oberste Gerichtshof hat erwogen:
Der Gesetzgeber hat durch die mit der Strafprozessnovelle 2005, BGBl I 2004/164, geschehene Novellierung des § 114 Abs 2 StPO für das Strafverfahren die Zweiseitigkeit des Beschwerdeverfahrens angeordnet. Diese gilt generell. Denn § 114 StPO ist nach der Rsp des Obersten Gerichtshofes (13 Os 41/03 = EvBl 2004/35) analog auch vom Gerichtshof erster Instanz als Beschwerdegericht anzuwenden (zust Fabrizy StPO9 ErgHeft 2005 § 114 Rz 3). Dort aber, wo die Ausnahmeregelung des § 114 Abs 2 vierter Satz StPO eingreift, darf das Beschwerdegericht nur kassatorisch entscheiden (vgl Tipold, WK-StPO Vorbem §§ 113-115 Rz 35) und ist nachfolgend an die in einer solchen Entscheidung zum Ausdruck gebrachte Rechtsansicht nicht gebunden (vgl 14 Os 30/03 = JBl 2004, 191 m abl Anm von Bertel, der - anders als die EBRVStPNov 2005, 11, welche sich ausdrücklich auf die Entscheidung berufen - deren Ausrichtung am Grundrechtsgebot des beiderseitigen Gehörs nach Art 6 Abs 1 MRK nicht beachtet). Der Oberste Gerichtshof hatte bereits vor Änderung des § 114 StPO die in einer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nebenbei zum Ausdruck gebrachte Rechtsmeinung einer bloß einseitigen Beschwerde im Strafverfahren grundsätzlich in Frage gestellt (13 Os 35, 36/03 = SSt 2003/25 = EvBl 2003/149). Er hatte damals das Gebot der Zweiseitigkeit des Beschwerdeverfahrens nicht mit der zivilrechtlichen Natur des Prozessgegenstandes begründet, vielmehr darin (auch) einen spezifisch strafprozessualen Grundsatz gesehen, den der Gesetzgeber nachfolgend in § 114 Abs 2 zweiter und dritter Satz StPO auf einfachgesetzlicher Stufe konkret ausgeformt hat. Die in der Nichtigkeitsbeschwerde angestellten Erwägungen zur Rechtsnatur der verschiedenen medienrechtlichen Sanktionen bedürfen daher keiner Erörterung.
Galt aber das Prinzip bereits vor der Novellierung des § 114 Abs 2 StPO durch die StPO-Nov 2005, so wären die einfachgesetzlichen Bestimmungen, welche eine Mitteilung der Beschwerde an den Gegner keineswegs untersagt hatten, grundrechtskonform in diesem Sinne auszulegen gewesen.
Der Beschluss des Oberlandesgerichtes Innsbruck vom 21. Juli 2004, AZ 6 Bs 296/04, war daher in Ausübung des dem Obersten Gerichtshof nach § 292 letzter Satz StPO zustehenden Ermessens in dem Umfang zu beseitigen, als die Antragsgegnerin des Gegendarstellungsverfahrens nicht bereits rechtskräftig 14,02 Euro (einschließlich 20 % Umsatzsteuer) für ihren Kostenbestimmungsantrag zuerkannt erhalten hat. Hinsichtlich dieses Teilbetrages steht einer Aufhebung des Beschlusses das aus § 292 letzter Satz StPO erhellende Verbot jeglicher Benachteiligung der E***** Gesellschaft mbH, welcher die Rechtsstellung eines Angeklagten zukommt, entgegen (15 Os 140/95; Ratz, WK-StPO § 292 Rz 29).
Nach § 14 Abs 3 dritter Satz MedienG sind die für das Verfahren aufgrund einer Privatanklage geltenden Bestimmungen der StPO nur insoweit im gerichtlichen Verfahren über einen Antrag auf Anordnung der Veröffentlichung einer Gegendarstellung dem Sinne nach anzuwenden, als „im folgenden nichts anderes bestimmt ist" (vgl grundlegend 15 Os 121/87 = SSt 58/67 = EvBl 1988/44 = RZ 1988/27). § 19 Abs 7 MedienG ordnet jedoch für das Berufungsverfahren in Betreff eines Urteils über einen Antrag auf gerichtliche Anordnung einer Gegendarstellung die sinngemäße Anwendung der Abs 5 und 6 des § 19 MedienG an. Demnach hat über die Kosten des Berufungsverfahrens nach Vorlage der Kostenverzeichnisse (§ 54 ZPO) das Berufungsgericht zu entscheiden.
Wurde die Berufung zurückgezogen oder bereits bei der nichtöffentlichen Beratung als unzulässig zurückgewiesen (§ 14 Abs 3 dritter Satz MedienG, § 470 Z 1 StPO), so hat die Entscheidung in Beschlussform zu ergehen. Das Oberlandesgericht Innsbruck wird - nach vorangehender Mitteilung der Beschwerde der Antragstellerin unter Setzung einer angemessenen Äußerungsfrist - die Kostenentscheidung nachzuholen und dabei das Verschlechterungsverbot des § 292 letzter Satz StPO zu beachten haben (vgl dazu 13 Os 94, 95/96 = EvBl 1997/25).
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