European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0130OS00046.22X.1019.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Aus deren Anlass werden das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch I 3 sowie in der zu I jeweils gebildeten Subsumtionseinheit und demgemäß in den Strafaussprüchen beider Angeklagter nach dem FinStrG sowie der zugleich ergangene Beschluss auf Absehen vom Widerruf einer bedingten Strafnachsicht und Verlängerung der Probezeit aufgehoben und es wird die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Salzburg verwiesen.
Mit seiner Berufung gegen den Ausspruch über die Strafe nach dem FinStrG und seiner Beschwerde wird der Angeklagte * G* auf die Aufhebung verwiesen.
Zur Entscheidung über dessen Berufung gegen den Ausspruch über die Strafe nach dem StGB werden die Akten vorerst dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.
Dem Angeklagten * G* fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurden * Gi* und*G* jeweils (richtig) des Finanzvergehens des Abgabenbetrugs nach §§ 33 Abs 1, 39 Abs 1 lit a und 13 FinStrG (iVm der Strafdrohung des § 39 Abs 3 lit a FinStrG idF BGBl Ⅰ 2015/118, I), der Zweitgenannte zudem (richtig [US 3, 10, 21 und 22]) mehrerer Vergehen der Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1 StGB (II) schuldig erkannt.
[2] Danach haben in S*
(I) * Gi* als Geschäftsführer, unbeschränkt haftender Gesellschafter und steuerlich Verantwortlicher sowie * G* als faktischer Geschäftsführer jeweils der Gi* KG im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter (§ 11 erster Fall FinStrG) unter Verwendung falscher Beweismittel, nämlich fingierter Rechnungen, vorsätzlich unter Verletzung abgabenrechtlicher Anzeige‑, Offenlegungs- oder Wahrheitspflichten durch ungerechtfertigte Geltendmachung von Vorsteuerguthaben und Abgabe unrichtiger Umsatzsteuererklärungen Verkürzungen an Umsatzsteuer bewirkt (1 und 2) und dies versucht (3), und zwar
1) für das Jahr 2015 um 30.316,67 Euro,
2) für das Jahr 2016 um 98.265 Euro sowie
3) für das Jahr 2017 um 85.941,67 Euro, weiters
(II) * G* am 21. April 2021 * L* durch gefährliche Drohung mit einer Verletzung am Körper zu Unterlassungen zu nötigen versucht, und zwar durch die sinngemäßen Äußerungen,
1) er werde ihm die Finger brechen, sollte er sein Auto erneut anfassen, zur Abstandnahme von der neuerlichen Berührung seines PKW, wobei er zur Untermauerung seiner Drohung mit der Faust gegen die Eingangstür zur Wohnung von * L* schlug, und
2) er werde ihm das Kreuz brechen, sollte er die Polizei verständigen, zur Abstandnahme von der Verständigung der Polizei.
Rechtliche Beurteilung
[3] Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 4, 5 und „9a“ StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten * G*.
[4] Entgegen der Verfahrensrüge (Z 4) zum Schuldspruch I wurden durch die Abweisung (ON 28 S 25 f) der nachangeführten Beweisanträge Verteidigungsrechte des Beschwerdeführers nicht verletzt.
[5] Denn die Anträge
‑ auf Einholung eines Handschriften und Unterschriften vergleichenden grafologischen Sachverständigengutachtens (ON 28 S 24) zum Beweis dafür, dass
-) im Antrag näher bezeichnete Rechnungen und Zahlungsbestätigungen nicht vom Beschwerdeführer erstellt und unterschrieben worden sind, sondern
-) diese Urkunden vom Angeklagten * Gi* gefälscht und „falsch […] hergestellt“ worden sind, sowie
‑ darauf, „dem Privatbeteiligtenvertreter des Finanzamtes HR Dr. I* in schicklicher Frist die Bekanntgabe der zwei Firmenkonten der Gi* KG mitzuteilen und sodann nach Erliegen der Kontonummern bei den Bankinstituten die gesamte Kontogeschichte der zwei Konten einzuholen“ (ON 21 S 31 f), zum Beweis dafür, dass
-) es keine Barbehebungen von den Unternehmenskonten der Gi* KG durch und Barauszahlungen an den Antragsteller gegeben habe, und
-) dass der Antragsteller keine Bankomatkarte besaß und mit keiner Bankomatkarte von den Unternehmenskonten Geld abgehoben habe,
ließen die Relevanz des jeweiligen Beweisthemas für die Lösung der Schuld- oder der Subsumtionsfrage nicht erkennen (Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 321 und 327; vgl auch RIS‑Justiz RS0118319 [T1]).
[6] Soweit der erstgenannte Antrag auch zum Beweis dafür gestellt wurde, dass der Beschwerdeführer „die anklagegegenständlichen Fakten nicht begangen hat und zu Unrecht vom Erstangeklagten als faktisch handelnder und faktischer Geschäftsführer bezeichnet wird“ (ON 21 S 31), war er auf unzulässige Erkundungsbeweisführung gerichtet. Legte er doch nicht dar, warum die beantragte Beweisaufnahme das behauptete Ergebnis erwarten lasse (RIS‑Justiz RS0099453; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 330).
[7] Mit ihrer Kritik an der Begründung der Abweisung durch das Erstgericht (ON 28 S 25 f) entfernt sich die Rüge vom Prüfungsmaßstab der Z 4 des § 281 Abs 1 StPO (RIS‑Justiz RS0116749, RS0121628 [T1]).
[8] Das die Anträge umfangreich ergänzende Beschwerdevorbringen hat mit Blick auf das aus dem Wesen des herangezogenen Nichtigkeitsgrundes resultierende Neuerungsverbot auf sich zu beruhen (RIS‑Justiz RS0099618).
[9] Soweit die Rüge mit dem Vorwurf offenbar unzureichender Begründung (Z 5 vierter Fall) die Richtigkeit beweiswürdigender Erwägungen des Erstgerichts zum Schuldspruch I (US 16 und US 17) und II (US 18) in Zweifel setzt, verkennt sie den in den Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen gelegenen Bezugspunkt der Mängelrüge (Z 5, RIS‑Justiz RS0099429, zum Begriff siehe näher Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 398 ff).
[10] Die Einwände zu Unrecht unterbliebener Erörterung (Z 5 zweiter Fall) mehrerer in der Beschwerde bezeichneter Verfahrensergebnisse zum Schuldspruch I sowie angeblich widersprüchlicher Aussagen des Zeugen * L* betreffend die von ihm wahrgenommene Häufigkeit des Abstellens des PKW des G* im Halte- und Parkverbot zum Schuldspruch II entziehen sich schon deshalb einer meritorischen Erledigung, weil sie die Feststellungen, auf die sich der behauptete Mangel beziehen soll, nicht bezeichnen (RIS‑Justiz RS0130729).
[11] Die Behauptung der Mängelrüge (Z 5) zum Schuldspruch II 2, zwischen den im Aktenvermerk des ersterhebenden Polizeibeamten vom 21. April 2021 festgehaltenen Angaben des * L*, wonach der Beschwerdeführer ihn für den Fall der Verständigung der Polizei mit dem Umbringen bedroht habe (ON 2 S 34 in ON 13), und seiner Aussage als Zeuge vor der Landespolizeidirektion Salzburg vom 21. Mai 2021 (ON 2 S 18 in ON 13), wonach G* angekündigt habe, ihm in diesem Fall „das Kreuz [zu] brechen“, läge ein (vom Erstgericht nicht berücksichtigter) Widerspruch (Z 5 zweiter Fall), trifft nicht zu.
[12] Hinzugefügt sei, dass die Beurteilung der Überzeugungskraft von Aussagen unter dem Gesichtspunkt einer Unvollständigkeit mangelhaft erscheinen kann, wenn sich das Gericht mit gegen die Glaubwürdigkeit sprechenden Beweisergebnissen nicht auseinandergesetzt hat. Der Bezugspunkt besteht dabei allerdings nicht in der Sachverhaltsannahme der Glaubwürdigkeit oder Unglaubwürdigkeit, sondern ausschließlich in den Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen (RIS‑Justiz RS0119422 [T4]). Nach den Urteilsfeststellungen lag der den Bezugspunkt der rechtlichen Beurteilung (und solcherart eine entscheidende Tatsache; vgl zu diesem Begriff erneut Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 398 ff) darstellende Bedeutungsinhalt der Äußerung des Beschwerdeführers in einer Drohung mit einer Verletzung am Körper (US 10 iVm US 18). Da die Wiedergabe des exakten Wortlauts der inkriminierten Äußerung allenfalls der Begründung dieser Konstatierung dient (RIS‑Justiz RS0092437 [T4]), wendet sich die Rüge insoweit nicht gegen Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen (erneut RIS‑Justiz RS0099429).
[13] Die vom genannten Zeugen geschilderte Ankündigung des G*, ihm die Finger zu brechen, falls er dessen PKW noch einmal berührt, findet sich dem Beschwerdevorbringen zum Schuldspruch II 1 zuwider gleichlautend sowohl im angeführten Aktenvermerk als auch im Protokoll über die polizeiliche Aussage des Zeugen L* (ON 2 S 34 in ON 13 und ON 2 S 18 in ON 13).
[14] Indem die Rechtsrüge (richtig: Z 9 lit a) zum Schuldspruch I vorsätzliches Handeln des Beschwerdeführers bestreitet, orientiert sie sich nicht an den gerade dazu getroffenen Feststellungen des Erstgerichts (US 9) und verfehlt solcherart die prozessordnungsgemäße Darstellung materiell‑rechtlicher Nichtigkeit (RIS‑Justiz RS0099810).
[15] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – gemäß § 285d Abs 1 StPO (iVm § 195 Abs 1 FinStrG) bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen.
[16] Aus deren Anlass überzeugte sich der Oberste Gerichtshof, dass dem angefochtenen Urteil – wie auch die Generalprokuratur zutreffend aufzeigt – im Schuldspruch I 3 nicht geltend gemachte materielle Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO anhaftet, die beiden Angeklagten zum Nachteil gereicht (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO iVm § 195 Abs 1 FinStrG):
[17] § 39 FinStrG ist eine Qualifikationsnorm, die in Abs 1 unter anderem an den Grundtatbestand der Abgabenhinterziehung (§ 33 Abs 1 FinStrG) anknüpft. Wer ein solches – durch das Gericht zu ahndendes – Finanzvergehen (zum finanzstrafrechtlichen Tatbegriff RIS‑Justiz RS0124712; Lässig in WK2 Vor FinStrG Rz 9) unter Verwendung falscher oder verfälschter Urkunden, Daten oder anderer Beweismittel begeht, ist nach § 39 Abs 1 lit a FinStrG strafbar (Lässig in WK2 FinStrG § 39 Rz 5).
[18] Im Fall des Zusammentreffens mehrerer (in Abs 1 oder 2 des § 39 FinStrG genannter) jeweils gleichartiger Finanzvergehen ist bei Vorliegen qualifizierender Tatmodalität eine Subsumtionseinheit sui generis zu bilden, wobei die einzelnen Straftaten ihre rechtliche Selbstständigkeit behalten (eingehend dazu Lässig in WK2 FinStrG § 39 Rz 3).
[19] Nach den Feststellungen fanden sämtliche der im Urteil angeführten (Schein-)Rechnungen Eingang in die Buchhaltung der Gi* KG. Durch die „Abgabe solcherart unrichtiger Umsatzsteuererklärungen“ wies das Umsatzsteuerzahllastkonto keine Zahllast, sondern eine erhebliche Gutschrift auf, weshalb die „Geltendmachung der Vorsteuerguthaben […] solcherart ungerechtfertigt“ war (US 6).
[20] Auf diese Weise „machten“ die Angeklagten (unter anderem auch) für das Jahr 2017 aus 15 im Urteil näher bezeichneten Eingangs‑(Schein-)rechnungen zu Unrecht Vorsteuerbeträge von insgesamt 85.941,67 Euro „geltend“ (US 6 und 8).
[21] An anderer Stelle konstatierte das Erstgericht jedoch, dass für das Jahr 2017 bis zum 1. Juli 2018 „keine Umsatzsteuererklärungen“ abgegeben wurden und für dieses Jahr kein Abgabenbescheid erlassen wurde (US 8).
[22] Zudem sind dem angefochtenen Urteil bloß Konstatierungen zur subjektiven Tatseite in Bezug auf die ungerechtfertigte Geltendmachung von Vorsteuerguthaben und die Abgabe von unrichtigen Umsatzsteuererklärungen für die Jahre 2015 bis 2017 zu entnehmen (US 9).
[23] Die Feststellungen sind daher in Ansehung der Tathandlungen zum Schuldspruch I 3 in objektiver und subjektiver Sicht (auch für den Obersten Gerichtshof) so undeutlich, dass sie als nicht getroffen anzusehen sind (RIS‑Justiz RS0133376; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 570 f).
[24] Dieser Rechtsfehler mangels Feststellungen erforderte die Aufhebung des Schuldspruchs I 3 und der zu I gebildeten Subsumtionseinheit sowie demgemäß der Strafaussprüche beider Angeklagter nach dem FinStrG und des zugleich mit dem Urteil ergangenen Beschlusses bereits bei der nichtöffentlichen Beratung (§ 290 Abs 1 zweiter Satz StPO iVm § 285e StPO und § 195 Abs 1 FinStrG).
[25] Auf diese Entscheidung war der Beschwerdeführer mit seiner Berufung gegen den Ausspruch über die Strafe nach dem FinStrG und seiner als erhoben zu betrachtenden Beschwerde (§ 498 Abs 3 dritter Satz StPO) zu verweisen.
[26] Die Entscheidung über dessen Berufung gegen den Ausspruch über die Strafe nach dem StGB kommt dem Oberlandesgericht zu (§ 285i StPO).
Für den zweiten Rechtsgang sei hinzugefügt:
-) Teil einer Subsumtionseinheit sui generis nach § 39 Abs 1 FinStrG können ausschließlich solche (in Abs 1 oder 2 leg cit genannte) Finanzvergehen sein, die unter Einsatz einer qualifizierenden Tatmodalität begangen worden sind (eingehend dazu Lässig in WK2 FinStrG § 39 Rz 3). Inwieweit – bei neuerlicher Annahme der Verwirklichung des Grundtatbestands des § 33 Abs 1 FinStrG – ein (bloß relativ untauglicher; vgl dazu Bauer/Plöchl in WK2 StGB §§ 15, 16 Rz 86) Versuch der Verkürzung von Umsatzsteuer für das Jahr 2017 durch Nichtabgabe einer zufolge Geltendmachung von Scheinrechnungen unrichtigen Jahressteuererklärung vorliegt (zum gleichzeitigen Bereithalten des falschen oder verfälschten Beweismittels bei Erstattung der Abgabenerklärung vgl RIS‑Justiz RS0130536 und Lässig in WK2 FinStrG § 39 Rz 6 mwN), wäre durch entsprechende Feststellungen zu klären.
-) Sollte weder die Verwirklichung des Tatbestands des § 33 Abs 1 FinStrG noch jene des § 33 Abs 2 lit a FinStrG (zur Konsumtion des Finanzvergehens der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 2 lit a FinStrG von jenem des § 33 Abs 1 FinStrG RIS‑Justiz RS0086706 [T1], RS0086719, RS0087036 und RS0087191 [T6]; Lässig in WK2 FinStrG § 33 Rz 18) angenommen werden, so wäre die Erfüllung des Tatbestands des § 223 Abs 1 StGB zu prüfen. Bejahendenfalls wären Feststellungen zu allfälliger Verjährung zu treffen.
-) (Teil-)Bedingte Strafnachsicht ist nach § 26 Abs 2 erster Satz FinStrG zwingend mit der Weisung zu verbinden, eine allfällige Abgabenverkürzung oder einen sonstigen Einnahmeausfall zu berichtigen, was – von der Staatsanwaltschaft unbekämpft – in Ansehung beider Angeklagter unterblieb. Solche – mit gesondert ausgefertigtem und anfechtbarem Beschluss (RIS‑Justiz RS0120887 [T2 und T3]) auszusprechenden – Weisungen wären im Fall der neuerlichen Verhängung (teil-)bedingt nachgesehener Strafen im zweiten Rechtsgang vom Erstgericht zu erteilen (vgl RIS‑Justiz RS0086098 [T1 und T2]). Das ausdrücklich den Vergleich der durch Urteil verhängten Strafen ansprechende Verschlechterungsverbot (§ 290 Abs 2 StPO iVm § 195 Abs 1 FinStrG) gilt insoweit nicht (13 Os 4/17p, SSt 2017/54; vgl Ratz, WK‑StPO § 290 Rz 59).
[27] Der Kostenausspruch, der die amtswegige Maßnahme nicht umfasst (Lendl, WK‑StPO § 390a Rz 12), gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.
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