European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0130OS00034.24K.0911.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Fachgebiet: Finanzstrafsachen
Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.
Aus deren Anlass wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch A II des * A* wegen mehrerer Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 1 FinStrG, demgemäß auch im Strafausspruch des Genannten aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Wiener Neustadt verwiesen.
Mit seiner Berufung wird der Angeklagte * A* auf die Aufhebung verwiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung des Angeklagten * S* werden die Akten zunächst dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Den Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurden * A* und * S* jeweils mehrerer Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach §§ 33 Abs 1 und 13 FinStrG (A I 1, A I 2, * A* auch A II) sowie nach § 33 Abs 2 lit a FinStrG (B I, * A* auch B II) schuldig erkannt.
[2] Danach haben im Zuständigkeitsbereich des (ehemaligen) Finanzamts Baden‑Mödling als Geschäftsführer, A* darüber hinaus auch als rechtsgeschäftlich Bevollmächtigter und tatsächlicher wirtschaftlicher Machthaber der I* GmbH vorsätzlich
(A) unter Verletzung abgabenrechtlicher Anzeige-, Offenlegungs- oder Wahrheitspflichten eine Abgabenverkürzung bewirkt (I 1 sowie II) und zu bewirken versucht (I 2), nämlich
I) * A* und * S* im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter (§ 11 erster Fall FinStrG)
1) durch Abgabe unrichtiger Steuererklärungen
a) an Körperschaftsteuer für das Jahr 2017 um 131.338 Euro und
b) an Umsatzsteuer für das Jahr 2017 um 19.903,60 Euro sowie
2) durch Unterlassung der Abgabe von Steuererklärungen
a) an Körperschaftsteuer für das Jahr 2018 um 510.147 Euro und
b) an Umsatzsteuer für das Jahr 2018 um 353.856,07 Euro, weiters
II) * A* an Kapitalertragsteuer, indem er die sich aus ihm zuzurechnendenverdeckten Gewinnausschüttungen ergebende selbst zu berechnende Kapitalertragsteuer nicht anmeldete und abführte,
1) „für den Zeitraum Oktober 2017 bis Dezember 2017“ um 145.904,76 Euro,
2) „für das Jahr 2018“ um 443.550,69 Euro und
3) „für den Zeitraum Jänner 2019 bis August 2019“ um 476.808,60 Euro sowie
(B) unter Verletzung der Verpflichtung zur Abgabe von § 21 UStG entsprechenden Voranmeldungen eine Verkürzung an Umsatzsteuer bewirkt und dies nicht nur für möglich, sondern für gewiss gehalten, und zwar
I) * A* und * S* im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter (§ 11 erster Fall FinStrG) für jeden einzelnen der Kalendermonate Jänner 2019 bis August 2019 um (im angefochtenen Urteil nach Entrichtungszeiträumen aufgegliedert) insgesamt 273.559,90 Euro, weiters
II) * A*
für die Kalendermonate Oktober 2019 und November 2019 um (im angefochtenen Urteil nach Entrichtungszeiträumen aufgegliedert) insgesamt 152.642,72 Euro.
Rechtliche Beurteilung
[3] Dagegen richten sich die vom Angeklagten * A* auf Z 5 sowie 5a sowie vom Angeklagten * S* auf (richtig) Z 9 lit a jeweils des § 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerden.
Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten * A*:
[4] Die Mängelrüge (Z 5) wendet sich gegen die Konstatierung der während des gesamten Tatzeitraums gegebenen (zumindest faktischen) Geschäftsführereigenschaft des Angeklagten * A* (US 6).
[5] Mit ihrer Kritik, die Tatrichter hätten die diesbezügliche Beweiswürdigung „weder vollständig noch ausgewogen“ vorgenommen, erschöpft sie sich in bloßer Beweiswürdigungskritik nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren gesetzlich nicht vorgesehenen (§ 283 Abs 1 StPO) Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld. Die Überzeugung der Tatrichter von der Glaubwürdigkeit (oder Unglaubwürdigkeit) einer Person kann nämlich mit Nichtigkeitsbeschwerde nicht releviert werden (RIS‑Justiz RS0106588).
[6] Sofern die Behauptung, das Erstgericht habe unberücksichtigt gelassen, dass der Zeuge * K* den Angeklagten A* „bei verschiedenen Gerichten und Behörden mit Anzeigen und Vorwürfen aller Art“ verfolge, als – die Glaubwürdigkeit dieses Zeugen betreffender (vgl RIS‑Justiz RS0119422) – Einwand von Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) zu verstehen ist, lässt die Rüge schon die gebotene Bezeichnung einer Fundstelle in den Akten vermissen (RIS‑Justiz RS0124172 [insbesondere T4, T8 und T9]).
[7] Durch die Berufung auf den Zweifelsgrundsatz wird ein aus Z 5 (oder Z 5a) des § 281 Abs 1 StPO beachtlicher Mangel nicht behauptet (RIS‑Justiz RS0102162).
[8] Soweit die Mängelrüge „in eventu“ als Tatsachenrüge (Z 5a) erhoben wird, entspricht sie ebenfalls nicht der Strafprozessordnung (RIS‑Justiz RS0115902).
Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten * S*:
[9] Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) leitet ihre Behauptung, wonach für die rechtsrichtige Subsumtion nach § 33 Abs 1 und 2 lit a FinStrG „nähere Feststellungen“ zur tatsächlichen Ausübung der vom Erstgericht konstatierten Geschäftsführertätigkeit des Beschwerdeführers (US 6 iVm US 2) erforderlich gewesen wären (siehe aber RIS‑Justiz RS0086880 [T4] und Lässig in WK2 FinStrG § 11 Rz 2), nicht methodengerecht aus dem Gesetz ab (RIS‑Justiz RS0116565).
[10] Entgegen dem weiteren in diesem Zusammenhang erhobenen Einwand (nominell Z 9 lit a, der Sache nach Z 5 zweiter Fall) wurde die schriftliche Erklärung des sofortigen Rücktritts als Geschäftsführer vom 20. Februar 2019 (ON 82.11 Blg 6) nicht unberücksichtigt gelassen, sondern der dahingehend geänderten Verantwortung des Beschwerdeführers mit nachvollziehbarer Begründung nicht gefolgt (US 12 f).
[11] Die Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten * A* und * S* waren daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – gemäß § 285d Abs 1 StPO bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen.
Zur amtswegigen Maßnahme:
[12] Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerden überzeugte sich der Oberste Gerichtshof, dass dem angefochtenen Urteil – wie auch die Generalprokuratur zutreffend aufzeigt – im Schuldspruch A II nicht geltend gemachte materielle Nichtigkeit (nach § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO) anhaftet, die dem Angeklagten * A* zum Nachteil gereicht und daher von Amts wegen wahrzunehmen war (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO):
[13] Hinsichtlich der Verkürzung von Kapitalertragsteuer sieht das Erstgericht verdeckte Gewinnausschüttung als Grundlage der Abgabepflicht an (vgl US 7 f). Verdeckte Ausschüttungen sind alle außerhalb der gesellschaftsrechtlichen Gewinnverteilung gelegenen Zuwendungen einer Körperschaft an Anteilsinhaber, die das Einkommen der Körperschaft vermindern und ihre Wurzel in der Anteilsinhaberschaft haben (vgl Kirchmayr in Doralt/Kirchmayr/Mayr/Zorn, EStG16 § 27 Rz 39 f). Anmeldungs- und abgabepflichtig in Bezug auf die Kapitalertragsteuer ist hier der Schuldner der Kapitalerträge (§ 96 Abs 1 Z 1 lit a, Abs 3 erster Satz EStG iVm § 95 Abs 2 Z 1 lit a EStG), also die GmbH. Unmittelbarer Täter im Sinn des § 33 Abs 1 FinStrG ist insoweit daher die zu deren Vertretung berufene Person (Lässig in WK2 FinStrG § 33 Rz 32).
[14] Selbständige Tat im Bereich der Kapitalertragsteuer ist jeweils das Unterlassen der Abfuhr der auf einen bestimmten Ertragszufluss bezogenen Kapitalertragsteuer unter Verletzung der korrespondierenden Anmeldungspflicht (RIS‑Justiz RS0124712 [T1]).
[15] Den Urteilsfeststellungen ist jedoch betreffend der vom Erstgericht als verdeckte Gewinnausschüttungen beurteilten „nicht anzuerkennenden Aufwendungen“ (US 8) weder eine in der Anteilsinhaberschaft wurzelnde Zuwendung an einen Anteilsinhaber zu entnehmen, noch erfolgte eine am finanzstrafrechtlichen Tatbegriff orientierte Abgrenzung der Taten voneinander (vgl US 10 iVm US 2 f).
[16] Diese Rechtsfehler mangels Feststellungen (jeweils Z 9 lit a) führten zur Aufhebung des Urteils wie aus dem Tenor ersichtlich schon bei der nichtöffentlichen Beratung (§ 290 Abs 1 zweiter Satz StPO iVm § 285e StPO).
[17] Mit seiner Berufung war der Angeklagte * A* auf diese Entscheidung zu verweisen.
[18] Die Entscheidung über die Berufung des Angeklagten * S* kommt dem Oberlandesgericht zu (§ 285i StPO).
Für den zweiten Rechtsgang und das Berufungsverfahren sei hinzugefügt:
[19] 1) Nach § 33 Abs 3 lit a FinStrG ist eine Abgabenverkürzung bewirkt, wenn bescheidmäßig festzusetzende Abgaben (wie Körperschaftsteuer und Umsatzsteuer) zu niedrig festgesetzt wurden. Folgt die Behörde einer unrichtigen Abgabenerklärung nicht, sondern setzt sie die Abgaben aufgrund amtswegiger Prüfung sogleich in der richtigen Höhe fest, ist die Tat im Sinn des § 13 Abs 2 FinStrG versucht. Die Abgabenverkürzung gilt gemäß § 33 Abs 3 lit a zweiter Fall FinStrG jedoch auch dann als bewirkt, wenn bescheidmäßig festzusetzende Abgaben infolge Unkenntnis der Abgabebehörde von der Entstehung des Abgabenanspruchs mit Ablauf der Erklärungsfrist nicht festgesetzt werden konnten (Lässig in WK² StGB § 33 Rz 31 und 33 ff).
[20] Nach dem Urteilssachverhalt zu den Schuldsprüchen A I 2 a und b wurden für das Jahr 2018 keine Erklärungen zur Körperschaftsteuer und zur Umsatzsteuer eingereicht, sodass es in Ansehung dieser Taten beim Versuch geblieben sei (US 10). Ob allerdings die Abgabenbehörde (dennoch) bis zum Ablauf der gesetzlichen Erklärungsfrist am 30. Juni 2019 (vgl § 134 Abs 1 BAO) – unter Festsetzung der Abgaben sogleich in der richtigen Höhe – diesbezügliche Abgabenbescheide erlassen hat und demnach zu Recht Versuch angenommen wurde (vgl auch US 16), wurde nicht durch Feststellungen geklärt (vgl aber zu den am 21. Jänner 2021 ergangenen Erstbescheiden ON 68.6).
[21] Entsprechende Konstatierungen, die insoweit eine rechtsrichtige Beurteilung ermöglichen, werden zum Angeklagten * A* vom Erstgericht und zum Angeklagten * S* vom Oberlandesgericht im Rahmen der ihnen jeweils zukommenden Entscheidung der Straffrage (vgl RIS-Justiz RS0122138; zur diesbezüglich originären Entscheidung des Oberlandesgerichts, die jene des Erstgerichts ersetzt, vgl Ratz, WK‑StPO Vor §§ 280–296a Rz 13 ff und § 295 Rz 2 f) zu treffen sein.
[22] 2) (Teil‑)Bedingte Strafnachsicht ist nach § 26 Abs 2 erster Satz FinStrG zwingend mit der Weisung zu verbinden, eine allfällige Abgabenverkürzung oder einen sonstigen Einnahmeausfall zu berichtigen, was – von der Staatsanwaltschaft unbekämpft – in Ansehung beider Angeklagter unterblieb. Solche – mit gesondert ausgefertigtem und anfechtbarem Beschluss (RIS‑Justiz RS0120887 [T2 und T3]) auszusprechenden – Weisungen wären im Fall der (neuerlichen) Verhängung (teil‑)bedingt nachgesehener Strafen vom Erstgericht zu erteilen (vgl RIS‑Justiz RS0086098 [T1 und T2]). Das ausdrücklich den Vergleich der durch Urteil verhängten Strafen ansprechende Verschlechterungsverbot (§ 290 Abs 2 StPO iVm § 195 Abs 1 FinStrG) gilt insoweit nicht (RIS‑Justiz RS0134150; vgl Ratz, WK‑StPO § 290 Rz 59).
[23] Der Kostenausspruch, der die amtswegige Maßnahme nicht umfasst (RIS‑Justiz RS0101558), gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.
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