European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0120OS00093.19X.0912.000
Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Der Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Fatoumata S***** der Verbrechen der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1, Abs 3 Z 1 erster Fall, Abs 4 vierter Fall StGB (A./I./ und II./), der Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB (B./I./) und der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB (B./II./), des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach §§ 15, 87 Abs 1 StGB (B./III./) und des Vergehens der Sachbeschädigung nach § 125 StGB (B./IV./) schuldig erkannt.
Danach hat sie – soweit für das Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerde relevant –
A./ in K***** gegen ihre Kinder K***** S*****, geboren am ***** November 2009, und D***** S*****, geboren am ***** Jänner 2014, eine längere Zeit hindurch fortgesetzt Gewalt ausgeübt, indem sie diese am Körper misshandelte und vorsätzliche mit Strafe bedrohte Handlungen gegen Leib und Leben sowie gegen die Freiheit beging, wobei sie die Taten gegen unmündige Personen begangen und die Gewalt länger als ein Jahr ausgeübt hat, und zwar
I./ gegen K***** S***** im Zeitraum von 4. März 2013 bis Anfang Mai 2018 in einer jeweils nicht näher feststellbaren Anzahl von Angriffen, indem sie ihn (US 6: regelmäßig, zum Teil mehrmals wöchentlich),
- mit einem Ledergürtel, mit der Hand und mit einem abgebrochenen Kleiderbügel schlug, wodurch er Schmerzen und zumindest ein Mal ein Hämatom am Rücken und eine Verletzung am Bein erlitt;
- aufforderte, seine Hose und Unterhose auszuziehen und ihn sodann mehrfach mit einem Ledergürtel und einem Stecker eines Ladekabels auf das nackte Gesäß schlug, wodurch er Schmerzen erlitt, und
- in zumindest drei Angriffen pro Woche aufforderte, sich vor ihr kalt zu duschen und ihn, wenn er vor Kälte zitterte, mehrfach schlug, wodurch er Schmerzen erlitt;
- zu einem nicht feststellbaren Zeitpunkt, durch gefährliche Drohung mit dem Tod, um ihn in Furcht und Unruhe zu versetzen, schlug, ihm ein Messer mit der Klinge eng an den Hals legte und sinngemäß sagte, wenn sie das machen würde, dann sei er tot, und sie D***** S***** fragte, ob sie ihren Bruder nun töten solle;
- zwang, sich mit seinen Händen überkreuzt an den Ohren zu halten, sich mit dem Oberkörper und den Knien nach unten und anschließend wieder nach oben zu beugen und diesen Vorgang zumindest zwanzig Mal zu wiederholen, wodurch er Schmerzen an den Ohren und Beinen erlitt und erschöpft war;
- jeweils durch einen Schlag auf den Kopf, den Rücken oder die Schulter aufweckte, wodurch er aus dem Schlaf gerissen wurde und Schmerzen erlitt;
- zwang, Chili zu essen und ihm untersagte, Wasser zu trinken, wodurch er Bauchschmerzen und Schmerzen im Mundbereich erlitt;
- zwang, sich bekleidet auf den Boden zu legen und ihn zumindest zehn Mal mit dem Stecker eines Ladekabels schlug, wodurch er Schmerzen erlitt;
- durch gefährliche Drohung mit einer Verletzung am Körper zu einer Unterlassung nötigte, nämlich davon Abstand zu nehmen, seinem Vater von den Misshandlungen zu erzählen, indem sie äußerte: „Wehe du sagst es, sonst schlag ich dich, wenn du zurückkommst!“;
- (US 8:) als er auf der Toilette saß, wegstieß und ihm befahl, wegzugehen;
II./ gegen D***** S***** ab einem nicht näher bekannten Zeitpunkt nach deren Geburt am ***** Jänner 2014 bis Anfang Mai 2018, indem sie
- sie in einer nicht feststellbaren Anzahl von (US 6: regelmäßigen, zum Teil mehrmals wöchentlichen) Angriffen, jeweils mehrfach mit der Hand schlug, wodurch D***** S***** Schmerzen erlitt;
- sie zu einem nicht feststellbaren Zeitpunkt mit dem Tod ihres Bruders K***** S***** gefährlich bedrohte, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen, indem sie K***** S***** in Anwesenheit der D***** S***** schlug, ihm ein Messer mit der Klinge eng an den Hals legte, sagte, wenn sie das machen würde, sei er tot und sie D***** S***** fragte, ob sie ihren Bruder nun töten solle;
- ihr zu nicht mehr feststellbaren Zeitpunkten in zumindest zwei Angriffen mit einem Messer in das Gesäß stach, wodurch D***** S***** blutete und Schmerzen erlitt;
B./ am 4. August 2018 in S***** Oumou B*****
III./ eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB) absichtlich zuzufügen versucht, indem sie ihren Oberkörper umfasste, sie zu Boden warf, sodass sie mit dem Hinterkopf am Boden aufschlug, sich auf sie setzte, ihr mit beiden Händen wiederholt ins Gesicht schlug, wobei es Oumou B***** zwei Mal gelang, kurz aufzustehen, worauf sie diese jeweils erneut zu Boden warf, sich auf Oumou B***** setzte und ihr mehrfach ins Gesicht schlug, wobei Fatoumata S***** beim dritten Angriff einen (US 11:) mit Wasser gefüllten Metallkochtopf nahm und diesen mehrmals auf den Kopf der Oumou B***** schlug, wobei der Angriff durch das Einschreiten des Issufe S*****, der Fatoumata S***** wegstieß, beendet wurde und wodurch Oumou B***** Kopfschmerzen, Schmerzen im Hüftbereich und im rechten Handgelenk, eine Rissquetschwunde an der rechten Wange, eine Abschürfung an der linken Brustkorbhälfte sowie eine Abschürfung am rechten Oberarm erlitt.
Rechtliche Beurteilung
Dagegen richtet sich die aus § 281 Abs 1 Z 4, 5a, 9 lit a und 10 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten, der keine Berechtigung zukommt.
Entgegen der Verfahrensrüge (Z 4) zu A./ wurden durch die Abweisung des Antrags auf „Einholung eines Gutachtens eines Sachverständigen aus dem Fachbereich Kinderpsychologie bzw -psychiatrie“ Verteidigungsrechte der Beschwerdeführerin nicht verletzt. Als Beweisthema hatte sie angeführt, dass „die Angeklagte keine Gewalt gegenüber ihren Kindern ausgeübt hat, sondern die Aussagen des K***** beeinflusst erfolgten“, wobei vom Sachverständigen „die Frage zu klären [ist], ob diese Aussagen des K***** beeinflusst erfolgten und ob man davon auszugehen hat, dass es von dritter Seite zu einer Einflussnahme gekommen ist, da sich aus den Umständen, nämlich insbesondere dem anhängigen Scheidungsverfahren, den Streitereien über die Kinder und überdies aufgrund der Aussage des Zeugen Issufe S***** der Verdacht ergibt, dass es zu einer Beeinflussung offensichtlich durch den Kindesvater gekommen ist, um sich Vorteile im Gerichtsverfahren zu sichern“ (ON 37 S 55 f).
Die kritisierte Abweisung erfolgte schon deshalb zu Recht, weil im Beweisantrag nicht dargetan wurde, dass der unmündige Zeuge sowie dessen gesetzlicher Vertreter (Issufe S***** [US 9]) die erforderliche Zustimmung zu einer derartigen psychologischen oder psychiatrischen Exploration erteilt hätten oder erteilen würden (RIS-Justiz RS0118956). Darüber hinaus zeigte der Antrag keine Anhaltspunkte dafür auf, dass die Hilfestellung eines Sachverständigen bei der– als Akt freier Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO) allein den Tatrichtern zukommenden (RIS-Justiz RS0098297) – Beurteilung der Glaubwürdigkeit von Zeugen ausnahmsweise geboten wäre (vgl RIS-Justiz RS0097733, RS0097576, RS0120634 [insb T1, T5]). Vielmehr war er schon seinem Wortlaut nach auf eine unzulässige Erkundungsbeweisführung gerichtet (vgl RIS-Justiz RS0097641 [insb T16], RS0107040).
Das im Rechtsmittel zur Antragsfundierung nachgetragene Vorbringen ist aufgrund des (insoweit geltenden) Neuerungsverbots unbeachtlich (vgl RIS-Justiz RS0099618). Ebenso geht die Kritik an der Richtigkeit der Begründung des Schöffengerichts für seine abweisende Entscheidung ins Leere, da diese nicht unter Nichtigkeitssanktion steht (RIS‑Justiz RS0121628; Ratz,WK‑StPO § 281 Rz 318).
Die Tatsachenrüge (Z 5a) vermag mit dem Vorbringen, die Aussage der Zeugin Oumou B***** stehe „im Widerspruch zu den in der Verletzungsanzeige vom 4. August 2018 genannten und diagnostizierten (leichten) Verletzungen“ (ON 37 ./I), da nach deren Angaben über Schläge mit einem Kochtopf gegen den Kopf „wesentlich schwerere Verletzungen“ hätten vorliegen müssen, keine erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit des Ausspruchs über entscheidende Tatsachen betreffend den Schuldspruch B./III./ zu wecken. Vielmehr erschöpft sie sich mit ihren eigenen Erwägungen und Schlussfolgerungen zum Tathergang und zu den Verletzungsfolgen in einer Bekämpfung der tatrichterlichen Beweiswürdigung und verlässt damit den Anfechtungsrahmen des geltend gemachten, formalen Nichtigkeitsgrundes. Denn die Tatsachenrüge will nur geradezu unerträgliche Feststellungen zu entscheidenden (also schuld- oder subsumtionserheblichen) Tatsachen und völlig lebensfremde Ergebnisse der Beweiswürdigung – im Übrigen durch konkreten Verweis auf aktenkundige Beweismittel bei gleichzeitiger Bedachtnahme auf die Gesamtheit der tatrichterlichen Beweiserwägungen – verhindern (RIS-Justiz RS0119583, RS0118780).
Soweit die zum Schuldspruch A./I./ eine rechtliche Beurteilung nach § 83 Abs 1 StGB anstrebende Subsumtionsrüge (Z 10) Feststellungen vermisst, legt sie nicht dar, weshalb die vom Erstgericht getroffenen Konstatierungen nicht ausreichen sollten, die – als Rechtsfrage zu beurteilende (vgl dazu RS0092538, RS0092160) – Eignung der Gewalthandlungen, die Lebensführungsfreiheit des Opfers gravierend zu beeinträchtigen (vgl Schwaighofer in WK2 StGB § 107b Rz 8 f; RIS-Justiz RS0127377 [T3]), zu bejahen.
Denn nach den Urteilsannahmen (US 6 ff) hat die Angeklagte gegen K***** S***** über einen Zeitraum von rund fünf Jahren Gewalt ausgeübt, dies bei einer Dichte von durchschnittlich mehreren Angriffen pro Woche und (neben weiteren Tathandlungen) einer durch Schlagführung mittels Ledergürtel, einem abgebrochenen Kleiderbügel und einem Stecker eines Ladekabels sowie mit der Hand gegen den Kopf und Oberkörper des Opfers bedingten erhöhten Gewaltintensität gegen ein (zu Beginn des Tatzeitraums) dreieinhalbjähriges Kind. Weshalb die Tatrichter davon ausgehend fortgesetzte Gewaltausübung (§ 107b Abs 1 StGB) anhand der gebotenen einzelfallbezogenen Gesamtbetrachtung der Faktoren Dauer, Dichte und Intensität (RIS-Justiz RS0127377; vgl auch Schwaighofer in WK2 StGB § 107b Rz 23 ff) zu Unrecht bejaht haben sollen, legt die Beschwerde nicht dar.
Insofern die Beschwerdeführer in über die getroffenen Konstatierungen hinaus Feststellungen zum Vorliegen eines „permanenten Zustands der Angst“ bei K***** S***** vermisst, wird nicht klar, weshalb diese für die Subsumierung nach § 107b Abs 1 StGB erforderlich sein sollten (vgl erneut Schwaighofer in WK2 StGB § 107b Rz 8 f; Kienapfel/Schroll,StudB BT I3 § 107b Rz 3 f).
Soweit der Rechtsmittelantrag auf gänzliche Urteilsaufhebung abzielt, das Urteil inhaltlich jedoch nur in den Schuldsprüchen A./ und B./III./ bekämpft, blieb die Nichtigkeitsbeschwerde im darüber hinausgehenden Umfang mangels deutlicher und bestimmter Bezeichnung von angeblich Nichtigkeit bewirkenden Umständen unausgeführt (§ 285 Abs 1, § 285a Z 2 StPO).
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts für die Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
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