European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0120OS00082.23K.0907.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Spruch:
In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in der Anordnung der strafrechtlichen Unterbringung des * V* in einem forensisch‑therapeutischen Zentrum nach § 21 Abs 1 StGB aufgehoben und es wird die Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Graz verwiesen.
Die Nichtigkeitsbeschwerde im Übrigen wird zurückgewiesen.
Mit seiner Berufung wird der Betroffene auf diese Entscheidung verwiesen.
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde die strafrechtliche Unterbringung des * V* in einem forensisch‑therapeutischen Zentrum nach § 21 Abs 1 StGB angeordnet, weil er am 27. Jänner 2020 in G* unter dem maßgeblichen Einfluss einer schwerwiegenden und nachhaltigen psychischen Störung, derentwegen er im Zeitpunkt der Tat zurechnungsunfähig (§ 11 StGB) war, nämlich einer paranoiden Schizophrenie und einer kombinierten Persönlichkeitsstörung, mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz Berechtigte des Unternehmens „Die G*“ „mit Gewalt bzw durch gefährliche Drohung mit einer Gefährdung durch Sprengmittel zu einer Handlung bzw Unterlassung zu nötigen“ versuchte, die diese oder andere am Vermögen schädigen sollte, indem er in einem E‑Mail äußerte, die „G*“ missachte das in seinem „persönlichen Eigentum“ stehende „Hanfmonopol“, alle von der „G*“ betriebenen Shops und der Online-Handel seien ab sofort einzustellen, für die Missachtung des Monopols würde der Strafbetrag von zehn Millionen Euro fällig, jedes Zuwiderhandeln werde nicht nur gerichtlich geahndet, vielmehr – sollte bis 31. Jänner 2020 weder die erste Ratenzahlung noch ein Erwerb einer gültigen Konzession erfolgt sein – werde er den Fall an sein „Präsenzinkasso“ übergeben, dies bedeute „in etwas klareren Worten, es fliegen zwei Blöcke C4-Plastiksprengstoff bei laufendem Geschäftsbetrieb in die Lokale“,
sohin eine Tat beging, die mit mehr als einem Jahr Freiheitsstrafe bedroht ist und ihm außer diesem Zustand als das Verbrechen der schweren Erpressung nach §§ 15, 144, 145 Abs 1 Z 1 StGB zuzurechnen wäre.
Rechtliche Beurteilung
[2] Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5, „9a“ und 11 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Betroffenen, der – wie auch die Generalprokuratur zutreffend ausführt – teilweise Berechtigung zukommt.
[3] Entgegen der Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) steht die Versendung des urteilsgegenständlichen E-Mails auch an die Einlaufstelle der Staatsanwaltschaft G* und die in diesem gemachte Anmerkung, „Sie können auch gerne die StA G*, die bereits hier auf CC steht, in Kenntnis setzen, Sie stehen nicht nur dort bereits unter Investigation“, der festgestellten subjektiven Tatseite (US 4 f) bei der (gebotenen, vgl dazu RIS‑Justiz RS0119370) Gesamtbetrachtung des zehn Millionen Euro – für die behauptete Verletzung des dem Betroffenen zustehenden „Hanfmonopols“ – fordernden Schreibens nicht erörterungsbedürftig entgegen. Gleiches gilt für die in diesem E‑Mail eingeräumten Möglichkeiten der Zahlung der geforderten Summe in Raten sowie des Erwerbs einer „Konzession“.
[4] Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) behauptet das vollständige Fehlen von Feststellungen für die Beurteilung des Vorliegens inländischer Gerichtsbarkeit (vgl zur prozesskonformen Geltendmachung des Mangels inländischer Gerichtsbarkeit als objektive Bedingung der Strafbarkeit RIS‑Justiz RS0132763), orientiert sich dabei aber prozessordnungswidrig (RIS-Justiz RS0099810) nicht am Urteilssachverhalt, wonach der Betroffene das E‑Mail an die Adresse „hallo@dieg*.at“, sohin eine solche mit österreichischer Top‑Level‑Domain („.at“), verschickte (US 3), der unter verdeutlichender Heranziehung des Tenors („in G*“ [US 1], RIS‑Justiz RS0099810 [T28]), einen (intendierten) Ort des Erfolgseintritts in Österreich hinreichend klar zum Ausdruck bringt.
[5] Mit dem Einwand, mangels Feststellung einer Zahlungsadresse oder einer Kontonummer in dem urteilsgegenständlichen E‑Mail habe es sich unter keinen Umständen um eine realisierbare Forderung gehandelt, leitet die Rüge nicht methodengerecht aus dem Gesetz ab (RIS‑Justiz RS0116565), weshalb die dem Tatbestand entsprechende Sachverhaltsverwirklichung bei generalisierender Betrachtung, also losgelöst von den Besonderheiten des Einzelfalls, aus der ex-ante-Sicht eines über den Tatplan informierten verständigen Beobachters geradezu denkunmöglich gewesen sei (RIS-Justiz RS0115363).
[6] In diesem Umfang war die Nichtigkeitsbeschwerde daher gemäß § 285d Abs 1 StPO bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen.
[7] Zutreffend zeigt hingegen die Sanktionsrüge (Z 11 zweiter Fall) auf, dass das Erstgericht nicht zu sämtlichen im Gesetz angeführten Prognosekriterien Sachverhaltsannahmen getroffen hat. § 21 Abs 1 StGB in der seit 1. März 2023 in Geltung stehenden Fassung BGBl I 2022/223 verlangt die Befürchtung der Begehung von Prognosetaten (siehe dazu auch § 21 Abs 3 StGB) in absehbarer Zukunft. Die Verwendung der verba legalia im Referat der entscheidenden Tatsachen kann diesbezügliche Sachverhaltsannahmen zu einem den Begriff „in absehbarer Zukunft“ ausfüllenden Zeitrahmen in den Entscheidungsgründen nicht ersetzen.
[8] Bereits dieser Mangel erforderte die Aufhebung des Urteils in der Anordnung der Unterbringung nach § 21 Abs 1 StGB in nichtöffentlicher Beratung (§ 285e StPO).
[9] Ein Eingehen auf das weitere, aus Z 11 erhobene Beschwerdevorbringen erübrigt sich daher.
Hinzuzufügen bleibt:
[10] 1) Nach § 21 Abs 3 StGB kommt eine mit Strafe bedrohte Handlung gegen fremdes Vermögen (wozu auch Erpressung zählt) als Anlasstat für eine strafrechtliche Unterbringung in einem therapeutisch-forensischen Zentrum nach § 21 Abs 1 StGB nur in Betracht, wenn sie unter Anwendung von Gewalt gegen eine Person oder unter Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (§ 89 StGB) begangen wurde. Diese Voraussetzung ist – soweit das Erstgericht die Anlasstat als mit Strafe bedrohte Handlung gegen fremdes Vermögen nach §§ 15, 144 Abs 1, 145 Abs 1 Z 1 StGB subsumierte – nicht gegeben, weil der Betroffene weder Gewalt ausübte, noch durch die per E‑Mail vom 27. Jänner 2020 übermittelte Ankündigung – in der eine „Frist“ zur Reaktion von vier Tagen bis zum 31. Jänner 2020 gesetzt und erst bei deren fruchtlosem Verstreichen mit dem Einsatz von Sprengmitteln gedroht wurde – einen sofortigen Vollzug des angedrohten Übels in Aussicht stellte (RIS‑Justiz RS0094161, RS0094188, RS0117568; vgl auch Eder-Rieder in WK2 StGB § 142 Rz 35 mwN).
[11] Nach dem Urteilsinhalt (vgl US 4) wollte der Betroffene mit dem Drohschreiben aber auch „bewirken, dass die Berechtigten den Geschäftsbetrieb einstellen“, sie sohin zu einem (weiteren) Verhalten veranlassen, das eine unmittelbare Vermögensschädigung nicht hätte herbeiführen sollen, weil diese nach den Sachverhaltsannahmen allein durch die Zahlung eines Geldbetrags eingetreten wäre und sich der Betroffene ausschließlich in diesem Umfang unrechtmäßig bereichern wollte (US 5; vgl Eder‑Rieder in WK2 StGB § 144 Rz 30). Der Betroffene hat daher durch die konstatierte Tat echt (ideal-)konkurrierend (vgl Kienapfel/Schmoller BT II2 § 144 Rz 73; EvBl 1965/33 [anders EvBl 1978/133]) auch die mit Strafe bedrohte Handlung nach §§ 15, 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB verwirklicht; diese ist als Anlasstat im Sinn des § 21 Abs 1 iVm Abs 3 StGB geeignet (vgl 11 Os 25/18p mwN).
[12] Angesichts dieser Klarstellung ist das Erstgericht im weiteren Verfahren an den fehlerhaften Ausspruch (der einem solchen nach § 260 Abs 1 Z 2 StPO gleichkommt; vgl Ratz in WK2 StGB Vor §§ 21–25 Rz 8; RIS-Justiz RS0117809 [T1]) nicht gebunden (vgl RIS-Justiz RS0129614 [T1]; zur Anführung aller idealkonkurrierenden mit Strafe bedrohten Handlungen im Erkenntnis unbeschadet ihrer Eignung als Anlasstat vgl RIS‑Justiz RS0131928).
[13] 2) Die Anordnung der Unterbringung gemäß § 21 Abs 1 StGB in der seit 1. März 2023 in Geltung stehenden Fassung BGBl I 2022/223 erfordert – dem angefochtenen Urteil nicht zu entnehmende – Feststellungen zur Begehung (nicht nur der Prognosetaten, sondern auch) der Anlasstat unter dem maßgeblichen Einfluss (vgl dazu EBRV 1789 27. GP 8 f) einer schwerwiegenden und nachhaltigen psychischen Störung (vgl in diesem ZusammenhangRatz in WK2 StGB Vor §§ 21–25 Rz 9).
[14] Mit seiner Berufung war der Betroffene auf die Aufhebung zu verweisen.
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