OGH 12Os58/15v

OGH12Os58/15v22.9.2015

Der Oberste Gerichtshof hat am 22. September 2015 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé, Dr. Oshidari, Dr. Michel‑Kwapinski und Dr. Brenner in Gegenwart der Rechtspraktikantin Mag. Weißnar als Schriftführerin in der Strafsache gegen Kevin K***** und andere Angeklagte wegen der Verbrechen des Raubes nach § 142 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten Turpal‑Ali V***** gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Jugendschöffengericht vom 11. März 2015, GZ 163 Hv 8/15i‑48, sowie über die Beschwerde dieses Angeklagten gegen den unter einem gefassten Beschluss gemäß §§ 50, 51 StGB nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung und die Beschwerde werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten Turpal‑Ali V***** fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auch rechtskräftige Schuldsprüche Mitangeklagter enthaltenden Urteil wurde Turpal‑Ali V***** (richtig:) der Verbrechen des Raubes nach § 142 Abs 1 StGB und des Verbrechens des Raubes nach §§ 15 Abs 1, 142 Abs 1 StGB schuldig erkannt.

Danach hat er am 7. Jänner 2015 in W***** im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit Kevin K*****, Sebastian P*****, Goran D***** und Srecko M***** als Mittäter (§ 12 StGB) nachstehende Personen durch Gewalt und durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben (§ 89 StGB) fremde bewegliche Sachen mit dem Vorsatz, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, weggenommen bzw abgenötigt, und zwar

I./ Christopher Ko*****, indem Kevin K***** diesen anrempelte, in eine Garageneinfahrt drängte und ihm eine LED Fahrradlampe „wie ein Messer“ an den Bauch hielt und ihn aufforderte, ihm Geld zu geben, worauf Christopher Ko***** seine Geldbörse öffnete und Kevin K***** 30 Euro entnahm, während die übrigen Mittäter Christopher Ko***** drohend umringten;

II./ Kevin F*****, Alexander S***** und Ibrahim Ma*****, indem sie diese umringten, sie festhielten und zur Herausgabe von Bargeld aufforderten, wobei Kevin K***** Alexander S***** eine LED Fahrradlampe „wie ein Messer“ an die rechte Rippenseite hielt und ihn aufforderte, ihm Geld zu geben, ansonsten er ihn umbringe, weshalb Alexander S***** aus Angst 130 Euro übergab, und Kevin F***** versuchte davonzulaufen, worauf Kevin K***** ihn zu Boden schlug, ihn daraufhin gemeinsam mit einem weiteren Mittäter festhielt und ihn abermals zur Herausgabe von Geld aufforderte, worauf Kevin F***** aus Angst 10 Euro übergab, wobei es im Hinblick auf Ibrahim Ma***** beim Versuch blieb, weil dieser kein Bargeld bei sich hatte.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die auf Z 5 und 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Turpal‑Ali V*****, der keine Berechtigung zukommt.

Der Erledigung der pauschal auch Undeutlichkeit (Z 5 erster Fall) sowie offenbar unzureichende Begründung (Z 5 vierter Fall) einwendenden, der Sache nach jedoch Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) behauptenden Mängelrüge ist Folgendes voranzustellen:

Unvollständig ist ein Urteil, wenn das Gericht bei der für die Feststellung entscheidender Tatsachen angestellten Beweiswürdigung erhebliche, in der Hauptverhandlung vorgekommene (§ 13 Abs 3 zweiter Satz, § 258 Abs 1 StPO) Verfahrensergebnisse unberücksichtigt ließ (RIS‑Justiz RS0118316).

Eine mängelfreie Begründung erfordert unter dem Aspekt dieses Nichtigkeitsgrundes die beweiswürdigende Auseinandersetzung mit allen erheblichen, in der Hauptverhandlung vorgekommenen Verfahrensergebnissen im Sinn einer vollständigen Auswahl des herangezogenen Beweismaterials als Bezugspunkt der tatrichterlichen Beweiswürdigung, wobei es ‑ dem Gebot zu

gedrängter Darstellung der Urteilsgründe (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) folgend ‑ nicht auf eine umfassende und detaillierte, sondern auf eine nach einer Gesamtschau auf das Wesentliche beschränkte

Darstellung der herangezogenen Beweismittel ankommt (RIS‑Justiz RS0116504, RS0106642; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 428).

Indem die Rüge aus der Verantwortung des Erstangeklagten Kevin K***** isoliert einzelne, den Beschwerdeführer ihrer Ansicht nach entlastende Aussagedetails aus dem Gesamtzusammenhang gelöst hervorhebt, lässt sie unberücksichtigt, dass sich das Erstgericht ‑ unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit unbedenklich ‑ auf dessen in seiner Gesamtheit gewürdigten Aussagegehalt stützte, wonach alle fünf Angeklagten den Tatplan beschlossen, an der Tatausführung teilgenommen und durch den gemeinsamen Auftritt die Opfer auch entsprechend eingeschüchtert haben (US 12 iVm ON 46 S 5 bis 9). Wie weit unter anderem der Nichtigkeitswerber zum Zeitpunkt des Zusammentreffens mit dem Zeugen Christopher Ko***** hinter ihm war und wann er exakt unmittelbar bei ihm eintraf, ist ebenso wenig von Relevanz wie die Frage, ob der genaue Tathergang zu I./ abgesprochen war oder sich spontan ergeben hat.

Der weitere Einwand, sämtliche übrigen Angeklagten hätten bei ihren Aussagen bestätigt, dass vorab zwischen ihnen nichts abgesprochen gewesen sei, lässt bereits die Angaben des Zweitangeklagten Sebastian P***** außer Acht, dass alle fünf Angeklagten den Tatplan gemeinsam besprochen hätten (US 12 iVm ON 46 S 9), und vernachlässigt, dass das Schöffengericht den eingangs der Hauptverhandlung getätigten Angaben des Drittangeklagten Goran D***** (ON 46 S 12 ff) keinen Glauben schenkte (US 12).

Soweit die Rüge, ohne auf die Aussagen der Tatopfer im Einzelnen Bezug zu nehmen, behauptet, es lägen in Wahrheit keineswegs solch eindeutige Angaben dieser Zeugen vor, dass sich alle fünf Angeklagten aktiv an den Raubüberfällen beteiligt hätten, zieht sie aus deren Angaben andere Schlussfolgerungen als das Erstgericht und wendet sich damit nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren unzulässigen Schuldberufung gegen die tatrichterliche Beweiswürdigung.

Die gesetzmäßige Ausführung eines materiell-rechtlichen Nichtigkeitsgrundes hat das Festhalten am gesamten im Urteil festgestellten Sachverhalt, dessen Vergleich mit dem darauf anzuwendenden Gesetz und die Behauptung, dass das Erstgericht bei Beurteilung dieses Sachverhalts einem Rechtsirrtum unterlegen ist, zur Voraussetzung (RIS‑Justiz

RS0099810).

Diesen Erfordernissen wird die mangelnde Feststellung zur Erfüllung der objektiven und subjektiven Tatseite durch den Angeklagten Turpal‑Ali V***** behauptende Rechtsrüge (Z 9 lit a) schon deshalb nicht gerecht, weil sie eben diese auf US 10 f getroffenen Konstatierungen schlicht übergeht.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung und die Beschwerde folgt (§§ 285i, 498 Abs 3 StPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Dass das Erstgericht das Tatgeschehen zu A./II./ ersichtlich mehrfach dem Tatbestand des schweren Raubes nach § 142 Abs 1 StGB unterstellte, ist nicht zu beanstanden:

Betroffen von dieser Raubtat waren drei Opfer, denen im Zuge eines einheitlichen Tatgeschehens Bargeld abgenötigt wurde, wobei es bei einem Opfer beim Versuch blieb. Es kann dahingestellt bleiben, ob Tateinheit (angesichts des Deliktsfalls der Abnötigung; vgl Kienapfel/Schmoller , StudB BT II § 142 Rz 6; Eder‑Rieder in WK 2 StGB § 142 Rz 3) oder eine tatbestandliche Handlungseinheit (infolge des zeitlichen Auseinanderklaffens der Nötigungshandlungen) anzunehmen ist.

Von einer solchen spricht man im Anschluss an Jescheck/Weigend (AT5 711 ff) bei einfacher Tatbestandsverwirklichung, also der Erfüllung der Mindestvoraussetzungen des gesetzlichen Tatbestands, insbesondere bei mehraktigen Delikten und Dauerdelikten (tatbestandliche Handlungseinheit im engeren Sinn) und dort, wo es nur um die Intensität der einheitlichen Tatausführung geht (SSt 56/88), demnach bei wiederholter Verwirklichung des gleichen Tatbestands in kurzer zeitlicher Abfolge, also bei nur quantitativer Steigerung (einheitliches Unrecht) und einheitlicher Motivationslage (einheitliche Schuld), auch wenn höchstpersönliche Rechtsgüter verschiedener Träger verletzt werden, sowie bei fortlaufender Tatbestandsverwirklichung, also der Annäherung an den tatbestandsmäßigen Erfolg durch mehrere Einzelakte im Fall einheitlicher Tatsituation und gleicher Motivationslage, etwa beim Übergang vom Versuch zur Vollendung oder bei einem Einbruchsdiebstahl in zwei Etappen (tatbestandliche Handlungseinheit im weiteren Sinn). Die Kriterien einer Zusammenfassung können durchaus deliktsspezifisch verschieden sein, ohne dass daraus das ganze Strafrechtssystem erfassende Widersprüche auftreten. Denn der Unterschied zwischen der Rechtsfigur des fortgesetzten Delikts und der tatbestandlichen Handlungseinheit besteht darin, dass die Rechtsfigur des fortgesetzten Delikts aus dem allgemeinen Teil des materiellen Strafrechts abgeleitet wird, die der tatbestandlichen Handlungseinheit aber gleichartige Handlungen nach Maßgabe einzelner Tatbestände zusammenfasst (RIS‑Justiz RS0122006, insbesondere 13 Os 1/07g [verstärkter Senat]; Ratz in WK 2 StGB Vorbemerkungen zu §§ 28‑31 Rz 88 f).

Dass das grundsätzliche Vorliegen der Voraussetzungen für die Annahme einer tatbestandlichen Handlungseinheit im weiteren Sinn die nach Maßgabe der Tatbestandsformulierung erfolgende Tatbegehung in gleichartiger Idealkonkurrenz jedenfalls ausschließt, ist der vorliegenden Entscheidung des verstärkten Senats somit nicht zu entnehmen (vgl Ratz in WK 2 StGB Vorbemerkungen zu §§ 28‑31 Rz 89 iVm Rz 17). Dies erhellt auch daraus, dass 13 Os 1/07g seiner Definition tatbestandlicher Handlungseinheit auch den Rechtssatz RIS‑Justiz RS0118718 zu Grunde legt, wonach im Fall des § 229 Abs 1 StGB für ein Begriffsverständnis als Gesamtmenge der durch die eine tatbestandliche Handlungseinheit erfassten Gegenstände keine Grundlage besteht, sodass bei Unterdrückung mehrerer Urkunden durch ein und dieselbe Tat ebenso viele Vergehen nach § 229 Abs 1 StGB in gleichartiger Idealkonkurrenz vorliegen. Die Voraussetzungen für eine Beschlussfassung nach § 8 Abs 1 Z 1 OGHG liegen daher nicht vor.

Mag die Frage, ob tatbestandliche Handlungseinheit auch dann anzunehmen ist, wenn höchstpersönliche Rechtsgüter verschiedener Rechtsgutsträger betroffen sind, in der deutschen Literatur und Judikatur uneinheitlich beantwortet werden (vgl etwa Jescheck/Weigend AT5 712; Roxin Strafrecht Allgemeiner Teil Band II §§ 33 Rz 38 ff mwN; Rissing van Saan in LK12 Vor § 52 Rz 38; Jäger SK‑StGB Vor § 52 Rz 53; Sternberg‑Lieben/Bosch in Schönke/Schröder StGB29 Vor§ 52 Rz 17g), so besteht doch weitgehend Einigkeit darüber, dass in solchen Fällen der Tatbestand in gleichartiger Idealkonkurrenz mehrmals verwirklicht wird, wenn bei Vorliegen von Handlungseinheit (iSd § 52 dStGB; vgl demgegenüber § 53 dStGB) mehrere Rechtsgüter verletzt werden (Jescheck/Weigend AT5 718 ff; Rissing van Saan in LK12 § 52 Rz 37; Sternberg-Lieben/Bosch in Schönke/Schröder StGB29 § 52 Rz 25 f; von Heintschel-Heinegg in MK2 § 52 Rz 109 ff; aA Geerds, Konkurrenz im Strafrecht [1961] 273). So etwa, wenn mehrere Menschen mit einer Bombe getötet oder vom Täter in einen Raum eingesperrt werden.

Demgegenüber scheidet nach dieser Ansicht die gleichartige echte Idealkonkurrenz bei Straftaten gegen materielle Rechtsgüter aus. Der Tatbestand werde auch bei mehrfacher Rechtsgutsbeeinträchtigung verschiedener Personen nur einmal verwirklicht. So sei es beispielsweise bei einem Diebstahl irrelevant, ob die Beute aus einem oder mehreren Stück(en) besteht oder einem oder mehreren Eigentümern gehört. Es liege daher nur ein Diebstahl vor, wenn der Täter in einem Geschäft mehrere Sachen stiehlt, die teilweise unter Eigentumsvorbehalt stehen, oder wenn er aus einem Tresor Wertpapiere verschiedener Eigentümer wegnimmt. Auch bei einer Sachbeschädigung werde der Tatbestand nur einmalverwirklicht, wenn der Täter durch eine Handlung mehrere Sachen beschädigt (Rissing van Saan in LK12 § 52 Rz 37; Sternberg-Lieben/Bosch in Schönke/Schröder StGB29 § 52 Rz 29). Gleichartige echte Idealkonkurrenz sei jedoch bei Delikten anzunehmen, die sich wie Raub und Erpressung auchgegen höchstpersönliche Rechtsgüter richten (Sternberg-Lieben/Bosch in Schönke/Schröder StGB29 § 52 Rz 29).

Diese Ansätze finden sich auch in der österreichischen Judikatur, wonach etwa bei fahrlässiger Tötung oder Verletzung mehrerer Personen bei einem Verkehrsunfall infolge mehrfachen Erfolgseintritts (12 Os 148/75 = SSt 46/65; 12 Os 116/10s ua mwN; Burgstaller in WK2 StGB § 80 Rz 110) sowie bei übler Nachrede zum Nachteil verschiedener Personen (§ 111 StGB) durch eine Äußerung (13 Os 75, 13 Os 76/78 = SSt 50/9 [verstärkter Senat]), also bei jeweils höchstpersönlichen Rechtsgütern mehrerer Tatopfer ‑ und damit nicht nur quantitativer (wie etwa bei Vermögensdelikten), sondern qualitativer Steigerung des verwirklichten Unrechts ‑ gleichartige Idealkonkurrenz angenommen wird (in diesem Zusammenhang vgl auch Leukauf/Steininger, StGB3 § 28 Rz 3; Kienapfel/Höpfel/Kert AT14 Rz 69; Eder‑Rieder in SbgK § 28 Rz 97 ff).

Der hier zu beurteilende Tatbestand des Raubes (§§ 142 Abs 1, 143 zweiter Fall StGB) schützt nicht nur fremdes Vermögen, sondern auch das höchstpersönliche Rechtsgut der Willensfreiheit (Eder‑Rieder in WK2 StGB Vorbemerkungen zu §§ 142‑145 Rz 1; Kienapfel/Schmoller, StudB BT II § 142 Rz 7). Im vorliegenden Fall ist daher von gleichartiger Idealkonkurrenzauszugehen, weil die Täter das höchstpersönliche Rechtsgut der Willensfreiheitvon mehreren Rechtsgutsträgernverletzten und die strafbare Handlung des schweren Raubes daher mehrmals verwirklichten (anders der Sache nach noch 12 Os 160/12i und 12 Os 9/11g [zur Erpressung], die jedoch zu teils vollendeter, teils versuchter Tatbegehung ergangen sind).

Die gegenteilige Rechtsansicht hätte überdies zur Konsequenz, dass tateinheitlich zugefügte Erfolgsqualifikationen zum Nachteil mehrerer Tatopfer (Tod, schwere Verletzung), also die mehrfache Verwirklichung erhöhten Erfolgsunrechts, nur einmal zugerechnet würde.

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