OGH 12Os160/12i

OGH12Os160/12i11.4.2013

Der Oberste Gerichtshof hat am 11. April 2013 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger, Mag. Michel und Dr. Michel-Kwapinski als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Viktorin als Schriftführer in der Strafsache gegen Mohamed S***** wegen des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs 1 und Abs 2 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Linz als Jugendschöffengericht vom 9. Oktober 2012, GZ 33 Hv 94/11m-64, sowie über die Beschwerde gegen den zugleich gefassten Beschluss nach §§ 50, 51, 52 StGB nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung und die Beschwerde werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Mohamed S***** der Verbrechen des Raubes nach §§ 142 Abs 1 und Abs 2, 15 Abs 1 StGB (richtig: des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs 1 und Abs 2 StGB) schuldig erkannt.

Danach hat er am 15. September 2011 in F***** gemeinsam mit vier unbekannten Mittätern durch Gewalt gegen Personen und Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben David K***** eine Zigarettenpackung im Wert von 2,20 Euro, Daniel R***** eine Zigarettenpackung im Wert von 2,20 Euro, Mario H***** eine Zigarettenpackung im Wert von 4,40 Euro sowie Markus P***** Wertgegenstände, insbesondere Zigaretten, wobei bei diesem die Tatvollendung unterblieb, damit fremde bewegliche Sachen mit dem Vorsatz, sich oder einen Dritten durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, weggenommen, indem sie diese umringten, sie aufforderten, ihre Hosentaschen zu entleeren, sinngemäß äußerten, dass sie sie sonst schlagen würden, und ihnen die Sachen gewaltsam aus der Hand rissen, wobei der Raub ohne Anwendung erheblicher Gewalt an Sachen geringen Werts begangen wurde und die Tat nur unbedeutende Folgen nach sich zog.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die auf Z 5, 5a, 9 lit a, 9 lit b und 10a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten der keine Berechtigung zukommt.

Mit dem Vorbringen, der Angeklagte habe deponiert, weder Zigaretten noch Marihuana zu rauchen, spricht die Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) keine erörterungsbedürftigen Umstände an, weil bereits der Vorsatz, einen anderen zu bereichern, tatbestandsmäßig ist.

Mit dem Einwand der „bloßen Scheinbegründung“ der Feststellungen zum Bereicherungsvorsatz sowie der Behauptung, dass „über die subjektive Tatseite bezüglich der Drohung mit Schlägen durch den Beschuldigten“ eine Begründung zur Gänze fehle (Z 5 vierter Fall), übergeht der Beschwerdeführer die dazu erfolgten Erwägungen der Tatrichter (US 8 f). Der Schluss vom gezeigten Verhalten auf das zu Grunde liegende Wollen und Wissen des Angeklagten ist grundsätzlich zulässig und im vorliegenden Fall logisch und empirisch nicht zu beanstanden (RIS-Justiz RS0116882, RS0098671).

Inwiefern die erstgerichtliche Konstatierung, wonach es ihnen darauf ankam, sich durch die Zueignung unrechtmäßig zu bereichern (US 3), undeutlich (inhaltlich Z 5 erster Fall) sein sollte, bleibt offen.

Gleichfalls vermag der Angeklagte aus dem Blickwinkel der Z 5 zweiter Fall mit der Behauptung keinen Begründungsmangel aufzuzeigen, der erkennende Senat hätte die übereinstimmenden Aussagen des Angeklagten und der Zeugen Ömer G*****, Oguz G***** und Ümit E***** zum Aufenthalt des Beschwerdeführes zum Tatzeitpunkt fernab des Tatorts übersehen, weil sich das Schöffengericht mit deren Depositionen auseinandersetzte (US 6 ff).

Dem Einwand unvollständiger Begründung (Z 5 zweiter Fall) der Feststellung, der Angeklagte habe eine schwarze Haube getragen, zuwider, haben die erkennenden Richter die diesen Aspekt betreffenden Angaben der Tatopfer gewürdigt (US 5). Zu einer exzessiven Erörterung einzelner Details waren sie dabei nicht verpflichtet (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 428).

Aktenwidrig (Z 5 fünfter Fall) ist ein Urteil, wenn es den eine entscheidende Tatsache betreffenden Inhalt einer Aussage oder Urkunde in seinen wesentlichen Teilen unrichtig oder unvollständig wiedergibt (RIS-Justiz RS0099547). Das Vorbringen, mangels Ausforschung der Mittäter sei die Feststellung aktenwidrig, der Angeklagte sei als der Dominantere der Gruppe in Erscheinung getreten, was nicht nur er, sondern auch seine Mittäter so wollten, vermag einen solchen Vorwurf nicht zu begründen, zumal nur die Wiedergabe von Verfahrensergebnissen, niemals aber eine Konstatierung aktenwidrig sein kann (RIS-Justiz RS0099547 [T6]). Überdies werden damit keine entscheidenden Tatsachen angesprochen (RIS-Justiz RS0117264; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 399).

Insofern der Nichtigkeitswerber (Z 9 lit a) die Feststellungen zur Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben bekämpft, übergeht er, dass dem Rechtsmittelwerber auch der Einsatz von Gewalt angelastet wird.

Prozessordnungskonforme Darstellung der Tatsachenrüge (Z 5a) verlangt grundsätzlich die Ableitung erheblicher Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Ausspruch über die Schuld zugrundeliegenden entscheidenden Tatsachen (das sind schuld- oder subsumtionserhebliche Tatumstände, nicht aber im Urteil geschilderte Begleitumstände oder im Rahmen der Beweiswürdigung angestellte Erwägungen) aus konkret zu benennenden Verfahrensergebnissen (RIS-Justiz RS0117961; RS0119583; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 481).

Mit einer eigenständigen - zur Beweiswürdigung des erkennenden Gerichts konträren - Bewertung der Aussagen der Zeugen vermag der Nichtigkeitswerber diesen Anfechtungskriterien nicht zu genügen.

Soweit der Nichtigkeitswerber die Anwendung des „Zweifelsgrundsatzes“ (in dubio pro reo) vermisst, ist ihm entgegenzuhalten, dass dieser niemals Gegenstand der formellen Nichtigkeitsgründe der Z 5 und Z 5a des § 281 Abs 1 StPO sein kann (RIS-Justiz RS0102162).

Die in der Rechtsrüge (Z 9 lit a) erhobene Behauptung fehlender Feststellungen zum Bereicherungsvorsatz des Angeklagten übergeht die Urteilsannahmen, wonach es dem Angeklagten und seinen Mittätern darauf ankam, sich unrechtmäßig zu bereichern (US 3).

Das Vorbringen zum Umringen der Opfer, diesen wäre ein Verlassen des Tatorts jederzeit möglich gewesen, ignoriert die gegenteiligen Konstatierungen (US 3).

Der Einwand (nominell Z 5, inhaltlich Z 9 lit a), dass das festgestellte Umringen von Personen keine Gewalt darstelle, übergeht die Urteilsannahmen, wonach der Angeklagte und seine Komplizen die Opfer furchteinflößend umstellten, dadurch ein Weggehen oder Flüchten unmöglich machten (US 3, 4 und 8) und ihnen anschließend die Zigarettenpackungen „gewaltsam aus der Hand rissen“ (US 3, 5, 8 und 9).

Aus Z 10a ist ein Urteil dann nichtig, wenn die darin enthaltenen Feststellungen bei richtiger Rechtsansicht die Nichtanwendung der Diversion nicht zu tragen vermögen oder wenn Ergebnisse der Hauptverhandlung auf einen Umstand hindeuten, der für die positive Beurteilung der diversionellen Voraussetzungen den Ausschlag gäbe, das Gericht dazu aber keine Feststellungen getroffen hat. Gegenstand des Nichtigkeitsgrundes ist demnach ein Vergleich der im Urteil getroffenen Feststellungen mit den Diversionskriterien des § 7 JGG (RIS-Justiz RS0119091).

Die Diversionsrüge, die im Wesentlichen bloß vorbringt, die Tat wäre für den Angeklagten „wirtschaftlich nicht notwendig“ gewesen, er habe „die juristische Wertung der Tat als Raub“ nicht verstehen können und sie wäre „typisch für Jugendliche in diesem Alter“, erklärt nicht, weshalb - mag auch ein Geständnis nicht als generelle Voraussetzung für diversionelle Erledigung angesehen werden dürfen - fallbezogen eine das Unrecht des Verhaltens akzeptierende Einsicht als Voraussetzung entbehrlich wäre, um diversionshindernde spezialpräventive Bedenken iSd § 7 Abs 1 JGG auszuräumen (vgl RIS-Justiz RS0116299; Schroll, WK-StPO § 198 Rz 36).

Diese - von den Tatrichtern, die sich zudem veranlasst sahen, für die Dauer der Probezeit Bewährungshilfe und ein Anti-Gewalt-Training anzuordnen (US 2 und 9), getroffenen - Feststellungen zur spezialpräventiven Notwendigkeit einer Bestrafung übergeht der Nichtigkeitswerber auch in seiner Rechtsrüge (Z 9 lit b), zumal das Gericht gemäß § 6 Abs 1 (Abs 3) JGG nur mit Verfahrenseinstellung vorzugehen hat, wenn (auch) keine spezialpräventiven Hindernisse bestehen.

Bleibt anzumerken, dass die - vom Beschwerdeführer nicht beanstandete - rechtlich verfehlte Annahme mehrfacher Verbrechen des teils versuchten, teils vollendeten Raubes nach §§ 142 Abs 1 und Abs 2, 15 Abs 1 StGB (vgl 12 Os 9/11g; Ratz in WK2 Vor §§ 28-31 Rz 89) für eine amtswegige Maßnahme nach § 290 Abs 1 zweiter Satz StPO keinen Anlass bietet, weil diese unrichtige Subsumtion mangels Berücksichtigung in den Strafzumessungsgründen den Angeklagten nicht benachteiligte (Ratz, WK-StPO § 290 Rz 22 ff). Bei der Entscheidung über die Berufung besteht für das Oberlandesgericht insoweit keine Bindung an den Ausspruch des Erstgerichts über das anzuwendende Strafgesetz nach § 295 Abs 1 erster Satz StPO (RIS-Justiz RS0118870).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).

Die Kostenersatzpflicht beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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