OGH 12Os116/10s

OGH12Os116/10s16.9.2010

Der Oberste Gerichtshof hat am 16. September 2010 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Holzweber als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll, Dr. Schwab, Dr. T. Solé und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Prammer als Schriftführerin in der Strafsache gegen Patrick H***** und andere Angeklagte wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 20 Hv 208/09p des Landesgerichts Feldkirch, über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom 1. Februar 2010, GZ 20 Hv 208/09b-10, und einen weiteren Vorgang erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Seidl, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Im Verfahren AZ 20 Hv 208/09b des Landesgerichts Feldkirch verletzen das Gesetz

1./ das Urteil vom 1. Februar 2010

a./ durch den Patrick H***** betreffenden Strafausspruch in § 88 Abs 1 StGB;

b./ durch den Patrick H***** betreffenden Schuldspruch I./ durch Annahme bloß eines einzigen Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung in §§ 28 Abs 1, 88 Abs 1 StGB;

c./ durch den Steffen S***** und Michael W***** betreffenden Schuldspruch II./1./ durch Annahme bloß eines einzigen Vergehens der Unterdrückung eines Beweismittels in §§ 28 Abs 1, 295 StGB;

2./ die gesonderte Ausfertigung des Urteils vom 1. Februar 2010 hinsichtlich Patrick H***** in gekürzter Form in §§ 270 Abs 4, 488 Abs 1 StPO.

Dieses Urteil, welches im Übrigen unberührt bleibt, wird in Ansehung des Angeklagten Patrick H***** im Strafausspruch aufgehoben und in der Sache selbst erkannt: Patrick H***** wird nach § 88 Abs 1 StGB zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen á 4 (vier) Euro, für den Fall der Uneinbringlichkeit zu 60 Tagen Ersatzfreiheitsstrafe verurteilt.

Text

Gründe:

Im Strafverfahren AZ 20 Hv 208/09p des Landesgerichts Feldkirch legte die Staatsanwaltschaft Feldkirch mit Strafantrag vom 4. Dezember 2009 Patrick H***** das Vergehen der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 StGB und das Vergehen des Imstichlassens eines Verletzten nach § 94 Abs 1 StGB sowie Steffen S***** und Michael W***** jeweils das Vergehen der Unterdrückung eines Beweismittels nach §§ 295, 15 Abs 1 StGB und das Vergehen der Begünstigung nach §§ 15 Abs 1, 299 Abs 1 StGB zu Last (ON 4).

In der Hauptverhandlung vom 1. Februar 2010, bei welcher sämtliche Angeklagten jeweils durch einen Verteidiger vertreten waren, wurden Steffen S***** und Michael W***** im Sinne des Strafantrags, Patrick H***** hingegen nur wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 StGB schuldig erkannt. Vom Vorwurf, auch das Vergehen des Imstichlassens eines Verletzten nach § 94 Abs 1 StGB begangen zu haben, wurde dieser Angeklagte gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.

Nach dem Inhalt des Schuldspruchs haben am 5. September 2009 in A*****

I./ Patrick H***** als Lenker eines Kraftfahrzeugs dadurch, dass er beim Linksabbiegen mit seinem Fahrzeug infolge Außerachtlassung des Rechtsfahrgebots und der gebotenen Sorgfalt auf die linke Fahrbahn geriet und mit dem von Pavel B***** gelenkten Fahrzeug zusammenstieß, wodurch Piotr B***** eine Zerrung der paravertebralen Muskulatur sowie Karin D***** ein Thoraxtrauma erlitten, andere fahrlässig am Körper verletzt;

II./ Steffen S***** und Michael W*****

1./ durch Entfernen der Begutachtungsplakette am Pkw des Patrick H***** sowie durch versuchtes Entfernen der Kennzeichen des genannten Pkws Beweismittel, die zur Verwendung in einem Ermittlungsverfahren nach der Strafprozessordnung bestimmt waren und über die sie nicht oder nicht alleine verfügen durften, mit dem Vorsatz unterdrückt bzw zu unterdrücken versucht, zu verhindern, dass sie im Verfahren gebraucht werden;

2./ Patrick H*****, der durch die unter I./ geschilderte Tat eine fahrlässige Körperverletzung, somit eine mit Strafe bedrohte Handlung begangen hatte, dadurch, dass sie an der Unfallstelle leugneten, den verantwortlichen Lenker zu kennen, der Verfolgung absichtlich zu entziehen versucht.

Patrick H***** wurde hiefür nach § 88 Abs 1 StGB zu einer Geldstrafe von 240 Tagesssätzen zu je 4 Euro, im Fall der Uneinbringlichkeit der Geldstrafe zu 120 Tagen Ersatzfreiheitsstrafe verurteilt (ON 10 und ON 11).

Während Patrick H***** nach Rücksprache mit seinem Verteidiger sogleich auf Rechtsmittel verzichtete (S 15 in ON 9) und Steffen S***** die (vorbehaltene) dreitägige Frist nach §§ 466 Abs 1, 489 Abs 1 StPO verstreichen ließ, meldete Michael W***** rechtzeitig Berufung an (ON 12).

Der Einzelrichter des Landesgerichts fertigte hierauf das Urteil hinsichtlich Patrick H***** gesondert in gekürzter Form (§§ 270 Abs 4, 488 Abs 1 StPO) aus (ON 10). In Ansehung der Angeklagten Steffen S***** und Michael W***** stellte er eine begründete Urteilsausfertigung her (ON 11).

Rechtliche Beurteilung

Das Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom 1. Februar 2010 steht - wie die Generalprokuratur in ihrer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend aufzeigt - in mehrfacher Hinsicht mit dem Gesetz nicht im Einklang:

Verzichten die Beteiligten des Verfahrens auf ein Rechtsmittel oder melden sie innerhalb der dafür offen stehenden Frist kein Rechtsmittel an, so kann das Urteil in gekürzter Form ausgefertigt werden, es sei denn, dass eine zwei Jahre übersteigende Freiheitsstrafe verhängt oder eine mit Freiheitsentziehung verbundene vorbeugende Maßnahme oder ein Tätigkeitsverbot (§ 220b StGB) angeordnet worden ist (§ 270 Abs 4 StPO [idF des BudgetbegleitG 2009, BGBl I 2009/52], der zufolge § 488 Abs 1 StPO auch für das Hauptverfahren vor dem Landesgericht als Einzelrichter gilt). Bei mehreren Angeklagten kommt eine gekürzte Urteilsausfertigung jedoch nur dann in Betracht, wenn die erforderlichen Voraussetzungen hinsichtlich aller Angeklagten gegeben sind. Ist das nicht der Fall, so muss das Urteil vollständig, also auch in Bezug auf jene Angeklagten, hinsichtlich derer ein bloßer Vermerk zulässig wäre, unter Beachtung aller Voraussetzungen des § 270 Abs 2 StPO ausgefertigt werden (vgl Danek, WK-StPO § 270 Rz 59 mwN; RIS-Justiz RS0106580; siehe auch Fabrizy StPO10 § 458 Rz 1 zur vergleichbaren Rechtslage vor Inkrafttreten des BudgetbegleitG 2009).

Aufgrund der rechtzeitigen Berufungsanmeldung des Mitangeklagten Michael W***** war demnach eine gesonderte Ausfertigung des Urteils in gekürzter Form hinsichtlich Patrick H***** nicht zulässig.

Ein daraus resultierender Nachteil für den Verurteilten kann fallbezogen ausgeschlossen werden.

Die Strafdrohung des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 StGB sieht lediglich Freiheitsstrafe bis zu drei Monaten oder Geldstrafe bis zu 180 Tagessätzen vor. Durch Verhängung einer Geldstrafe von 240 Tagessätzen überschritt der Einzelrichter des Landesgerichts Feldkirch seine Strafbefugnis zum Nachteil des Patrick H***** und verletzte solcherart das Gesetz in § 88 Abs 1 StGB.

Im Hinblick darauf war der Strafausspruch (nicht aber der Beschluss nach § 494a Abs 1 Z 2 StPO) aufzuheben und in der Sache selbst zu erkennen. Bei der Strafneubemessung nach § 88 Abs 1 StGB waren als erschwerend drei einschlägige Vorstrafen, die Verletzung von zwei Personen und der besonders gravierende Sorgfaltsverstoß, als mildernd hingegen das Geständnis zu werten.

Unter Berücksichtigung des Unrechts der Tat und der Schuld des Angeklagten war daher eine (mit Blick auf die Vorstrafen) nicht bedingt nachsehbare Geldstrafe von 120 Tagessätzen auszumessen. Die Höhe des Tagessatzes war aus dem Ersturteil zu entnehmen.

Werden - wie hier - durch ein und dieselbe Tat zwei Personen jeweils leicht verletzt, so wird das Vergehen der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 StGB zweifach verwirklicht (gleichartige Idealkonkurrenz). Die Annahme bloß eines Vergehens nach § 88 Abs 1 StGB erweist sich demnach als verfehlt (vgl Burgstaller, JBl 1983, 661; ders in WK² § 88 Rz 93 ff; Kienapfel/Schroll StudB BT I2 § 88 Rz 28; Ratz in WK2 Vorbem zu §§ 28-31 Rz 17).

Tatobjekt des Vergehens der Unterdrückung eines Beweismittels nach § 295 StGB ist jedes einzelne Beweismittel. Werden - wie hier - im Zuge eines Tatgeschehens mehrere Beweismittel unterdrückt bzw zu unterdrücken versucht, so liegen ebenso viele Vergehen nach § 295 StGB in gleichartiger Idealkonkurrenz vor. Das Urteil, welches den Angeklagten Steffen S***** und Michael W***** jeweils lediglich ein einziges Vergehen der Unterdrückung eines Beweismittels anlastete, widerspricht daher §§ 28 Abs 1, 295 StGB (zur identen Ausgangslage bei § 229 StGB vgl RIS-Justiz RS0118718).

Da sich diese unrichtige rechtliche Beurteilung zum Vorteil der Angeklagten Steffen S***** und Michael W***** auswirkt, war auch insoweit nur die Gesetzesverletzung festzustellen.

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