European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0120OS00022.17B.0406.000
Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufungen und die Beschwerden werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Thomas S***** der Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 und Abs 3 erster und vierter Fall StGB (I./) und der schweren Nötigung nach §§ 15 Abs 1, 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 erster Fall StGB (II./) schuldig erkannt, zu einer Freiheitsstrafe verurteilt und nach § 21 Abs 2 StGB seine Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher angeordnet.
Danach hat er in der Nacht auf den 22. März 2016 in Z*****
I./ mit einer unmündigen Person, und zwar dem am 14. September 2007 geborenen Christian K*****, eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung unternommen, indem er sich entkleidete, den Genannten aufforderte, seinen erigierten Penis in den Mund zu nehmen, und anschließend dazu veranlasste, Oralverkehr an ihm bis zum Samenerguss vorzunehmen, wodurch Christian K***** in besonderer Weise erniedrigt wurde, zumal er in dessen Mund bzw zumindest in sein Gesicht ejakulierte, wobei die Tat eine posttraumatische Belastungsstörung bei Christian K*****, sohin eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB) zur Folge hatte;
II./ Im Anschluss an die unter Pkt I./ geschilderte Handlung Christian K***** durch die sinngemäße Äußerung, er werde ihn und seinen Vater umbringen, sollte er etwas sagen, somit durch gefährliche Drohung mit dem Tod, zu einer Unterlassung, und zwar einer Aussage über den unter Pkt I./ geschilderten Vorfall gegenüber seinem Vater, zu nötigen versucht.
Rechtliche Beurteilung
Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 4 und Z 5 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.
Entgegen der – ohne die gebotene Bezugnahme auf die konkreten Aktenstellen ausgeführten (vgl aber RIS‑Justiz RS0124172) – Verfahrensrüge (Z 4) wurden durch die Abweisung der nachangeführten Beweisanträge Verteidigungsrechte des Angeklagten nicht verletzt:
Die Sanktionsrüge (Z 11 iVm Z 4) wendet sich gegen die Abweisung eines Antrags auf Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens aus dem Fachgebiet der Psychiatrie (ON 95 S 30 iVm ON 93). Ein weiterer Sachverständiger ist im Strafverfahren jedoch nur dann beizuziehen, wenn das bereits vorliegende Gutachten mangelhaft im Sinn des § 127 Abs 3 erster Satz StPO ist und diese Bedenken durch nochmalige Befragung des bestellten Sachverständigen nicht behoben werden können. Ein aus § 281 Abs 1 Z 4 StPO garantiertes Überprüfungsrecht hinsichtlich eines bereits durchgeführten Sachverständigen-beweises hat der Beschwerdeführer demnach nur dann, wenn er in der Hauptverhandlung einen in § 127 Abs 3 erster Satz StPO angeführten Mangel von Befund oder Gutachten aufzeigt und das dort beschriebene Verbesserungsverfahren erfolglos bleibt (vgl RIS‑Justiz RS0117263). An diesen Grundsätzen ändert auch die dem Gericht gemäß §§ 429 Abs 2 Z 2, 439 Abs 2 StPO eröffnete Möglichkeit der Beiziehung eines weiteren Sachverständigen nichts. Denn eine solche Vorgangsweise steht im – bloß gegen Willkür abgesicherten – Ermessen des Gerichts (12 Os 127/16t mwN).
Vorliegend werden aber weder Mängel im Sinn des § 127 Abs 3 erster Satz StPO noch willkürliches Unterbleiben der Beiziehung eines weiteren Sachverständigen behauptet.
Zum kritisierten Widerspruch zwischen dem im gegenständlichen Verfahren eingeholten Gutachten des Sachverständigen Prim. DI Dr. Werner B***** und dem in der Hauptverhandlung vorgelegten und verlesenen Gutachten (ON 88 S 40) des Sachverständigen Dr. Helmut Sc***** im Verfahren AZ 37 Cg 92/12a des Handelsgerichts Wien zur Geschäftsfähigkeit des Angeklagten ist zu erwidern, dass der Befund im Sinn des § 127 Abs 3 erster Satz StPO nur aus sich selbst heraus, nicht aber durch den Vergleich mit einem eigenständig erhobenen Befund in Frage gestellt werden kann (RIS‑Justiz RS0127941).
Im Übrigen hat der erstgenannte Sachverständige im Rahmen der mündlichen Gutachtenserstattung das Gutachten des Dr. Helmut Sc***** ebenso berücksichtigt, wie die Verantwortung des Angeklagten, er habe sich bei der ersten Befundaufnahme auf Anraten seiner damaligen Verteidigerin „blödsinniger“ dargestellt (ON 88 S 143 ff).
Der „auch unter dem Hinweis, dass bei einer entsprechenden Fragestellung keine fortdauernde psychische Schädigung des Kindes zu erwarten ist“ gestellte (als „Aufrechterhaltung“ bezeichnete) Beweisantrag auf Vernehmung des Zeugen Christian K***** zum Beweis dafür, „dass der Angeklagte das ihm vorgeworfene Delikt nicht verwirklicht hat“ (ON 95 S 30), lässt nicht erkennen, weshalb die beantragte Beweisaufnahme das vom Antragsteller behauptete Ergebnis erwarten lasse. Der betreffende Antrag zielte solcherart auf eine im Erkenntnisverfahren unzulässige Erkundungsbeweisführung ab (RIS‑Justiz RS0099453).
Die in der Beschwerde nachgetragenen Argumente als Versuch einer Antragsfundierung sind aufgrund des (insoweit geltenden) Neuerungsverbots unbeachtlich (RIS‑Justiz RS0099618, RS0099117).
Im Übrigen hat die Sachverständige Mag. Tanja G***** gegenteilig zur bloßen Behauptung im Beweisantrag des Beschwerdeführers ausgeführt, dass selbst eine schonende, behutsame Befragung des Genannten die Gefahr einer zusätzlichen psychischen Schädigung hervorrufen würde (ON 88 S 95 ff, insbes S 103). Das Erstgericht hat daher die Vernehmung des Unmündigen zu Recht abgelehnt (RIS‑Justiz RS0109470).
Dem Beschwerdeeinwand offenbar unzureichender Begründung (Z 5 vierter Fall) zuwider haben die Tatrichter die Feststellungen zur subjektiven Tatseite auch in Ansehung der Qualifikationen der schweren Körperverletzung sowie der in besonderer Weise erfolgten Erniedrigung durch die Tat (§ 206 Abs 3 erster und vierter Fall StGB) rechtsstaatlich vertretbar aus dem äußeren Tatgeschehen abgeleitet (US 27 f; RIS‑Justiz RS0116882). Dass Christian K***** die sexuelle Handlung als besonders erniedrigend empfand, ist der Rüge zuwider nicht entscheidend (vgl Philipp in WK2 StGB § 201 Rz 33 iVm § 206 Rz 15).
Der in diesem Zusammenhang erhobene Einwand der Aktenwidrigkeit (Z 5 fünfter Fall) verabsäumt es im Übrigen zu erklären, welches Beweisergebnis unrichtig oder sinnentstellt wiedergegeben worden wäre, obwohl in den Fällen, in denen das Gesetz auf einen Vergleich der angefochtenen Entscheidung mit Verfahrensergebnissen abstellt (Z 5 zweiter Fall und Z 5 fünfter Fall) stets der entsprechende Aktenbezug herzustellen ist (vgl RIS‑Justiz RS0124172).
Dem Vorwurf der Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) zuwider haben die Tatrichter die Aussage des Beschwerdeführers „zu diesem Punkt“ (gemeint: zur subjektiven Tatseite in Ansehung der besonderen Erniedrigung des Opfers durch die Tat [§ 206 Abs 3 vierter Fall StGB]) nicht übergangen, sondern verwarfen seine Verantwortung mit eingehender Begründung als unglaubwürdig (US 12 ff). Ausgehend davon war der Schöffensenat schon mit Blick auf das Gebot zur gedrängten Darstellung der Entscheidungsgründe (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) nicht verhalten, sich mit sämtlichen Details der Aussage auseinanderzusetzen (RIS‑Justiz RS0098377).
Der Sache nach beschränkt sich die Mängelrüge (Z 5) darauf, die den Tatrichtern vorbehaltene Beweiswürdigung nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht zulässigen Schuldberufung mit eigenen Erwägungen zu bekämpfen.
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – schon in nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen und die Beschwerden folgt (§§ 285i StPO, 498 Abs 3 letzter Satz StPO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO).
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