OGH 12Os158/17b

OGH12Os158/17b18.1.2018

Der Oberste Gerichtshof hat am 18. Jänner 2018 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie durch die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski und Dr. Brenner in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Ettel als Schriftführerin in der Strafsache gegen Enes S***** und andere Beschuldigte wegen des Verbrechens der terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs 2 StGB und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 20 HR 14/15p des Landesgerichts für Strafsachen Graz, über die Grundrechtsbeschwerde des Mohammed M***** gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz vom 21. November 2017, AZ 9 Bs 385/17m, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0120OS00158.17B.0118.000

 

Spruch:

Die Grundrechtsbeschwerde wird zurückgewiesen.

 

Gründe:

In dem von der Staatsanwaltschaft Graz zu AZ 16 St 14/15y gegen Enes S***** und weitere Beschuldigte wegen des Verbrechens der terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs 2 StGB und weiterer strafbarer Handlungen geführten Ermittlungsverfahren wurde über Mohammed M***** am 28. Jänner 2017 die Untersuchungshaft verhängt. Diese wurde mehrfach, zuletzt mit Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 24. Oktober 2017 aus den Haftgründen der Flucht‑ und Tatbegehungsgefahr gemäß § 173 Abs 2 Z 1 und Z 3 lit a und b StPO fortgesetzt.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen den letztgenannten Beschluss erhobenen Beschwerde gab das Oberlandesgericht Graz mit dem nunmehr angefochtenen Beschluss vom 21. November 2017, AZ 9 Bs 385/17m, nicht Folge und setzt die Untersuchungshaft aus den gleichen Haftgründen fort.

Nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts ist der Beschuldigte dringend verdächtig,

„1./ sich als Mitglied an der terroristischen Vereinigung 'Islamischer Staat' bzw davor der nahestehenden Organisation 'Jabhat Al‑Nusra', somit jeweils an einem auf längere Zeit angelegten Zusammenschluss von mehr als zwei Personen, der darauf ausgerichtet ist, dass von einem oder mehreren Mitgliedern dieser Vereinigung mehrere terroristische Straftaten (§ 278c StGB), und zwar Morde (§ 75 StGB), Körperverletzungen nach §§ 84 bis 87 StGB, schwere Nötigungen (§ 106 StGB) und schwere Sachbeschädigungen (§ 126 StGB) begangen werden, welche Taten geeignet sind, eine schwere oder längere Zeit anhaltende Störung des öffentlichen Lebens oder eine schwere Schädigung des Wirtschaftslebens herbeizuführen und die mit dem Vorsatz begangen werden, die Bevölkerung auf schwerwiegende Weise einzuschüchtern, öffentliche Stellen oder internationale Organisationen zu Handlungen, Duldungen oder zu Unterlassungen zu nötigen und die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Grundstrukturen eines Staates ernsthaft zu erschüttern oder zu zerstören, im Rahmen der kriminellen Ausrichtung dieser terroristischen Vereinigung in dem Wissen beteiligt, dass er dadurch die Vereinigung oder deren strafbare Handlungen fördert (§ 278b Abs 2 iVm § 278 Abs 3 dritter Fall StGB), indem er

a./ im Zeitraum von zumindest 25. September 2013 bis 20. Oktober 2013 in A*****/Syrien und an anderen Orten sich führend am Aufbau einer Nachrichten‑Internetseite der Al‑Nusra‑Front in Syrien, welche von dieser finanziert wurde, zum Zweck der Verbreitung von Nachrichten über den Krieg beteiligte, sich mit verschiedensten Reportern im Hauptquartier traf, Verfügungsgewalt über die Anstellung von Berichterstattern hatte und für die Beschaffung von Videokameras und Fotoapparaten sowie deren Bezahlung verantwortlich war;

b./ zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt zwischen Juli 2016 und 26. Jänner 2017 in G***** gegenüber dem im Verein 'T***** – Islamischer Glaubensverein' für die Rekrutierung von Kämpfern für den Islamischen Staat verantwortlichen Fuat I***** die Bereitschaft zusagte, sich als Kämpfer für den Dschihad zur Verfügung zu stellen;

2./ sich als Mitglied an der kriminellen Organisation 'Islamischer Staat' bzw davor der nahestehenden Organisation 'Jabhat Al‑Nusra', welche (jeweils) als eine auf längere Zeit angelegte unternehmensähnliche Verbindung einer größeren Zahl von Personen das Ziel verfolgt, in Syrien und im Irak einen radikal‑islamistischen Gottesstaat (Kalifat) zu errichten und zur Erreichung dieses Ziels terroristische Straftaten gemäß dem § 278c Abs 1 StGB zu begehen, somit wenn auch nicht ausschließlich auf die wiederkehrende geplante Begehung schwerwiegender strafbarer Handlungen, die das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die Freiheit oder das Vermögen bedrohen, oder schwerwiegender strafbarer Handlungen im Bereich der sexuellen Ausbeutung von Menschen, der Schlepperei oder des unerlaubten Verkehrs mit Kampfmitteln, Kernmaterial und radioaktiven Stoffen, gefährlichen Abfällen, Falschgeld oder Suchtmittel ausgerichtet ist, die dadurch eine Bereicherung in großem Umfang anstrebt und die andere zu korrumpieren oder einzuschüchtern oder sich auf besondere Weise gegen Strafverfolgungsmaßnahmen abzuschirmen versucht, durch die unter 1./ angeführten Taten im Rahmen der kriminellen Ausrichtung dieser terroristischen Organisation in dem Wissen beteiligt, dass er dadurch die Vereinigung oder deren strafbare Handlungen fördert“.

Diese Verdachtslage subsumierte das Oberlandesgericht den Verbrechen der terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs 2 StGB (1./) und der kriminellen Organisation nach § 278a StGB (2./).

Gegen diesen Beschluss richtet sich die Grundrechtsbeschwerde des Mohammed M*****.

Diese verfehlt den gesetzlichen Bezugspunkt (vgl § 1 Abs 1 GRBG). Gegenstand des Erkenntnisses über eine Grundrechtsbeschwerde ist – anders als bei einer Haftbeschwerde an das Oberlandesgericht – nicht die Haft, sondern die Entscheidung über diese (RIS‑Justiz RS0061004 [T5], RS0112012 [T5]).

Da die Grundrechtsbeschwerde sich ausschließlich auf die von der Staatsanwaltschaft angenommene Verdachtslage bezieht, ohne auf die bekämpfte Beschwerdeentscheidung einzugehen, entzieht sie sich insoweit einer inhaltlichen Erwiderung (RIS‑Justiz RS0106464, RS0110146 [T12, T18, T22]).

Im Grundrechtsbeschwerdeverfahren überprüft der Oberste Gerichtshof die rechtliche Annahme der in § 173 Abs 2 StPO genannten Gefahren (Prognoseentscheidung) darauf, ob sich diese angesichts der zugrunde gelegten bestimmten Tatsachen als willkürlich, mit anderen Worten nicht oder offenbar unzureichend begründet darstellt (RIS‑Justiz RS0117806).

Betreffend die Fluchtgefahr führte das Beschwerdegericht aus, dass die soziale Integration des Beschwerdeführers in Österreich vor seiner Verhaftung unzureichend war, und verwies auf Zeugenaussagen, wonach er seine Absicht geäußert haben soll, Österreich zu verlassen und nach Syrien zurückzukehren und plante, seine Wohnung in G***** aufzugeben (BS 5).

Indem die Grundrechtsbeschwerde lediglich argumentiert, der Beschuldigte wäre als Kriegsflüchtling anzusehen, fühle sich in Österreich wohl, habe Deutschkurse besucht und sich bemüht, Arbeit zu finden und sei unbescholten, nimmt sie neuerlich nicht Maß an den Erwägungen des Oberlandesgerichts.

Da bei gegebenem dringenden Tatverdacht bereits ein Haftgrund die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft rechtfertigt, erübrigt es sich, im Rahmen der Behandlung der Grundrechtsbeschwerde zu prüfen, ob noch weitere Haftgründe gegeben sind (RIS‑Justiz RS0061196).

Zur Frage der Substituierbarkeit der Untersuchungshaft durch gelindere Mittel (§ 173 Abs 5 StPO) muss eine Grundrechtsbeschwerde konkret darlegen, worin dem Beschwerdegericht, das diese verneinte, insoweit ein Beurteilungsfehler unterlaufen sein soll (RIS‑Justiz RS0116422 [T1]). Dem entspricht die vorliegende Beschwerdeschrift nicht, indem sie lediglich behauptet, der Beschuldigte hätte unter Anwendung gelinderer Mittel enthaftet werden müssen.

Soweit die Grundrechtsbeschwerde ohne nähere Begründung die Fortsetzung der Untersuchungshaft als unverhältnismäßig bezeichnet, bedarf sie mangels einer gemäß § 3 Abs 1 GRBG erforderlichen Beschwerdebegründung ebenso keiner inhaltlichen Erwiderung (RIS‑Justiz RS0106464 [T6]).

Die Beschwerde war demnach ohne Kostenzuspruch (§ 8 GRBG) zurückzuweisen.

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