European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0120OS00125.17Z.1116.000
Spruch:
In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in der rechtlichen Unterstellung des der Angeklagten zu 1./ angelasteten Diebstahls auch unter § 128 Abs 1 Z 1 (letzter Fall) StGB, demzufolge auch im Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) aufgehoben und die Sache insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Innsbruck verwiesen.
Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde zurückgewiesen.
Mit ihrer Berufung wird die Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.
Der Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Imola D***** des Vergehens des schweren Diebstahls nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 1 (letzter Fall) StGB (1./) sowie des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs 1 StGB (2./) schuldig erkannt.
Danach hat sie am 12. Juni 2017 in S***** mit dem Vorsatz, sich durch die Zueignung nachgenannter beweglicher Sachen unrechtmäßig zu bereichern, der Veronika P*****
1./ unter Ausnützung eines Zustands der Genannten, der diese hilflos machte, nämlich indem sie diese gemeinsam mit ihrer Tochter in deren Wohnung überraschte und durch mehrfache nachdrückliche Aufforderung zur Herausgabe von Wertgegenständen bedrängte sowie die Wohnung und die aufgefundenen Behältnisse, ohne dass dies die 88-jährige Geschädigte verhindern hätte können, durchsuchte, eine Halskette mit Kreuz unerhobenen Werts weggenommen;
2./ mit Gewalt gegen ihre Person, nämlich indem sie ihre Hand ergriff und mehrfach an einem am linken Ringfinger befindlichen Ring zog, die Genannte wiederholt zur Herausgabe des Ringes aufforderte und durch anhaltendes Zerren verhinderte, dass diese ihre Hand wegziehen konnte, woraufhin die Geschädigte schlussendlich das Abstreifen des Ringes zuließ und ihr dabei half, einen goldenen Ring mit einem Neuwert von etwa 250 Euro abgenötigt.
Rechtliche Beurteilung
Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5, Z 9 lit a und Z 10 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten, der teilweise Berechtigung zukommt.
Zum Schuldspruch 1./ vermisst die Subsumtionsrüge (Z 10) zu Recht hinreichende – die Annahme der Qualifikation des § 128 Abs 1 Z 1 letzter Fall StGB fundierende – Feststellungen, wonach das Opfer objektiv physisch oder psychisch außerstande oder schwer behindert und solcherart außerstande war, sich gegen den diebischen Angriff zur Wehr zu setzen, und die Tatbegehung gerade unter Ausnützung dieses die Bestohlene hilflos machenden Zustands erfolgte. Den insofern maßgeblichen Urteilskonstatierungen ist nämlich nur zu entnehmen, dass es sich beim Tatopfer Veronika P***** um eine 88-jährige, schwerhörige und beim Gehen beeinträchtigte Frau handelt (US 3 und 6), die durch das Erscheinen der Angeklagten und deren neunjähriger Tochter in ihrer Wohnung „vollkommen überrascht“ bzw „überrumpelt“ war, und durch das – von Weinen, Flehen, Sich-auf-die-Knie-Werfen, Durchsuchen von Kästen sowie körperlichem Andringen um Wertgegenstände geprägte – Verhalten der Frauen unter „erheblichen Druck“ gesetzt wurde, weshalb ihre Fähigkeit, sich gegen Zugriffe auf ihr Eigentum zur Wehr zu setzen, „zumindest psychisch erheblich“ herabgesetzt und die Genannte daher „in einer hilflosen Lage“ war (US 3, 4 und 7), wobei Veronika P***** betreffend die Wegnahme der (in einer Schmuckschatulle im Schlafzimmer verwahrten) Halskette mit Kreuz „nicht feststellen konnte, wann und wo genau die Angeklagte dies dann tat“ (US 5).
Die Beschwerde vermisst – gerade mit Blick auf die geglückte Abwehr des Zugriffs auf eine vom Opfer am Hals getragene Kette sowie ein am Tisch liegendes Armband (US 4 und 5) – zu Recht eine Fundierung tatsächlicher Art, inwieweit Veronika P***** konkret bei Wegnahme der (letztlich das Diebesgut bildenden) Halskette objektiv physisch oder psychisch außerstande oder schwer behindert war, sich gegen den diebischen Angriff zur Wehr zu setzen, und inwieweit gerade diese Hilflosigkeit (und nicht nur die Unaufmerksamkeit oder Abwesenheit des Opfers vom Bereich des Tatorts) von der Angeklagten ausgenutzt wurde (RIS‑Justiz RS0093377 [T2 und T3], RS0108601 [T1]; Leukauf/Steininger/Messner,StGB4 [2017] § 128 Rz 13 ff).
Da bereits dieses dem Schuldspruch 1./ anhaftende Konstatierungsdefizit zur Aufhebung der rechtlichen Unterstellung der Tat unter die Deliktsqualifikation des § 128 Abs 1 Z 1 letzter Fall StGB führt, erübrigt sich ein Eingehen auf die weitere, darauf bezogene Beschwerdeargumentation (Z 5).
Die zu 2./ erstattete Mängelrüge (Z 5) schlägt hingegen fehl, weil es keinen schuld‑ oder subsumtionsrelevanten Aspekt betrifft, ob Veronika P***** ihre Gegenwehr aus Angst vor einer Verletzung (US 4 f) oder – wie von der Beschwerde, gestützt auf ihre Aussage im Ermittlungsverfahren (ON 2 S 69) und in der Hauptverhandlung (ON 27 S 17), behauptet – bloß aus „Vorsicht vor möglichen Schmerzen“ aufgab; kommt es doch für die Anwendung von Gewalt (iSd StGB) weder auf eine besondere Intensität noch auf den Eintritt von Verletzungsfolgen an (RIS‑Justiz RS0093617 [T2], RS0095666 [T2 und T3], RS0095232).
Die weitere Kritik (Z 5, dSn Z 9 lit a), das Gericht habe Konstatierungen darüber verabsäumt, ob die Angeklagte (die eine Herausgabe des Ringes ablehnenden) Erklärungen des Opfers „auch verstanden hat“, blendet schlicht die zur subjektiven Tatseite getroffenen Feststellungen aus (RIS‑Justiz RS0099810), wonach die Angeklagte mit auf Anwendung von Gewalt, unrechtmäßige Bereicherung und Schädigung des Opfers gerichtetem Vorsatz agierte (US 6).
Weshalb das konstatierte – bis zur Aufgabe der Gegenwehr der Betroffenen andauernde – Erfassen, Festhalten, Ziehen, Zerren und Drehen eines am Finger einer 88-jährigen Frau befindlichen Ringes (US 5 und 6) nicht dem Gewaltbegriff des § 142 Abs 1 StGB entsprechen sollte (RIS‑Justiz RS0093617, RS0095666 [T2 und T3], RS0095232; Jerabek/Ropper in WK² StGB § 74 Rz 35 ff; Eder‑Rieder in WK2 StGB § 142 Rz 19 ff; Kienapfel/Schmoller StudB BT II § 142 Rz 15 ff; Leukauf/Steininger/Flora, StGB4 [2017] § 142 Rz 6 ff), verabsäumt die Rechtsrüge (Z 9 lit a) methodisch vertretbar aus dem Gesetz abzuleiten (RIS‑Justiz RS0116569). Sie erschöpft sich vielmehr im Versuch, aus der isolierten Betrachtung des Umstands, dass Veronika P***** letztlich– „um Verletzungen vorzubeugen“ – beim Abziehen des Ringes half (US 5 und 6), die Urteilsannahmen zur inneren Intention der Angeklagten (US 6) in Frage zu stellen.
Soweit die Subsumtionsrüge (Z 10) die Beurteilung der Raubtat als minderschwer (§ 142 Abs 2 StGB) anstrebt, erklärt sie – auch unter Berufung auf die Entscheidung 13 Os 125/75 (= SSt 46/71 [in welcher die Geringwertigkeit unterhalb einer maximalen Grenze von 500 Schilling angesetzt wurde]) und dem Hinweis auf die zwischenzeitlich (wiederholt) erfolgte Anhebung der (unteren) Wertgrenze im Vermögensstrafrecht (auf derzeit 5.000 Euro) – keineswegs, weshalb der Begriff der „Sache geringen Wertes“ in konstanter (prozentueller) Relation zur normierten unteren Wertgrenze anzusetzen wäre (vgl insofern: ErläutRV 689 BlgNR 25. GP 22 [wonach die Anhebung der Wertgrenzen in keinem Zusammenhang mit dem Begriff des „geringen Wertes“ steht]) und solcherart ein goldener Ring mit einem Wert von 250 Euro (US 2, 4, 6) eine Sache geringen Werts darstellen sollte (vgl aber: RIS‑Justiz RS0120079 [insbes T4], RS0099085 [T11], RS0094488; Eder‑Rieder in WK2 StGB § 142 Rz 59 mwN; Salimi in WK2 StGB § 141 Rz 21 ff; Leukauf/Steininger/Flora, StGB4 [2017] § 142 Rz 31; Fabrizy, StGB12 § 141 Rz 6, § 142 Rz 14; Oberlaber, Die Wertqualifikationen des StGB, ÖJZ 2015/48, 348 ff [der insofern einen Wert zwischen 150 und 200 Euro befürwortet]).
Das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt zu bleiben hatte, war daher in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur bereits bei nichtöffentlicher Beratung (§§ 285e, 288 Abs 2 Z 3 zweiter Satz StPO) in teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten in der rechtlichen Unterstellung des ihr zu 1./ angelasteten Diebstahls auch unter § 128 Abs 1 Z 1 letzter Fall StGB, demzufolge auch im Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) aufzuheben und die Strafsache insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zu verweisen.
Im Übrigen war die Nichtigkeitsbeschwerde – wiederum in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur, jedoch entgegen der hiezu erstatteten Äußerung der Verteidigung – gemäß § 285d Abs 1 StPO sofort zurückzuweisen und die Angeklagte mit ihrer Berufung auf die Kassation des Strafausspruchs zu verweisen.
Der Kostenausspruch gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)