OGH 12Os120/21w

OGH12Os120/21w18.11.2021

Der Oberste Gerichtshof hat am 18. November 2021 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden, die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Oshidari, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin Kontr. Gsellmann in der Strafsache gegen D* R* wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburgals Jugendschöffengericht vom 14. Juni 2021, GZ 63 Hv 12/21i‑40, sowie über dessen Beschwerde gegen den zugleich ergangenen Beschluss auf Erteilung von Weisungen und Anordnung der Bewährungshilfe nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Schneider LL.M., des Angeklagten, seines Verteidigers Dr. Kliemstein und gesetzlichen Vertreters A* R* sowie der Privatbeteiligtenvertreterin Dr. Mag. Maus zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E133283

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

 

In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Strafausspruch und demzufolge auch der Beschluss auf Erteilung von Weisungen und auf Anordnung der Bewährungshilfe aufgehoben und im Umfang der Aufhebung des Strafausspruchs in der Sache selbst erkannt:

D* R* wird für das ihm zur Last gelegte Vergehen der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB und Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB unter Anwendung der §§ 28 und 43a Abs 2 StGB sowie des § 5 Z 4 JGG nach § 201 Abs 1 StGB zu einer

Geldstrafe in der Höhe von 180 Tagessätzen

sowie zu einer gemäß § 43 Abs 1 StGB unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen

Freiheitsstrafe von 12 Monaten

verurteilt. Die Höhe des einzelnen Tagessatzes wird mit 4 (vier) Euro festgesetzt.

Die Nichtigkeitsbeschwerde im Übrigen wird verworfen.

Der Berufung wegen des Ausspruchs über die privatrechtlichen Ansprüche wird nicht Folge gegeben.

Mit seiner Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe wird der Angeklagte auf die Strafneubemessung, mit seiner Beschwerde auf die Aufhebung verwiesen.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteilwurde D* R* – soweit hier von Relevanz – des Vergehens der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB (1./) und des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB (2./) schuldig erkannt und hiefür zu einer gemäß § 43a Abs 2 StGB mit einer unbedingten Geldstrafe in der Höhe von 180 Tagessätzen kombinierten unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von 12 Monaten veruteilt.

[2] Danach hat erin der Nacht vom 11. auf den 12. September 2020 in S*

1./ * H* durch die Äußerung, wenn sich dieser nicht entschuldigen und hinknien werde, dann werde er oder sein Freund ihn schlagen, sohin durch gefährliche Drohung mit einer Verletzung am Körper, zu einer Handlung, nämlich zum Hinknien und Entschuldigen, genötigt;

2./ * L* dadurch, dass er ihren Oberkörper auf ein Holzgeländer drückte, sie festhielt und trotz Zusammenpressens ihrer Beine und der Aufforderung, wonach „es weh tue und er aufhören solle“, mit seinem Penis vaginal penetrierte, sie in weiterer Folge niederdrückte, ihren Kopf zu seinem Penis drückte und den Oralverkehr an ihr vollzog, sohin mit Gewalt zur Duldung des Beischlafs sowie einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung genötigt.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5, 9 „a, b und c“, 10a und 11 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, der teilweise Berechtigung zukommt.

[4] Mit dem Einwand, bei der von Punkt 1./ des Schuldspruchs erfassten Äußerung des Angeklagten habe es sich bloß um eine milieubedingte Unmutsäußerung gehandelt, vernachlässigt die Rechtsrüge (Z 9 lit a, nominell auch lit b und c) prozessordnungswidrig (RIS‑Justiz RS0099810) die gegenteiligen Feststellungen zu deren Bedeutungsinhalt und Ernstlichkeit sowie zum Vorsatz des Beschwerdeführers (US 4).

[5] Die (zu Punkt 1./ des Schuldspruchs) ohne Bezugnahme auf die Entscheidungsgründe (vgl aber RIS‑Justiz RS0119370) erhobene und nicht begründete Behauptung „willkürlicher Beweiswürdigung“ (Z 5) ist einer sachbezogenen Erwiderung nicht zugänglich. Der in diesem Zusammenhang erfolgte (schlichte) Hinweis auf „deutliche“ (gemeint offenkundig entlastende) Aussagen der Zeugen und des Angeklagten stellt eine unzulässige Kritik an der Beweiswürdigung der Tatrichter nach Art einer im schöffengerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung dar (§ 283 Abs 1 StPO).

[6] Indem die Mängelrüge (Z 5) hinsichtlich des zu Punkt 2./ des Schuldspruchs behaupteten „gravierenden Begründungsmangels“ Einzelheiten der – ohnehin ausführlich erörterten (US 9 ff) – Aussage des Opfers zum gewaltsamen Erzwingen des Oralverkehrs sowie zu nicht entscheidenden Tatsachen, nämlich zum Ausziehen dessen Hose, zum Zeitpunkt der Aufforderung zur Beendigung des Beischlafs (vgl RIS‑Justiz RS0095063; Hinterhofer, SbgK § 201 Rz 41; Philipp in WK² StGB § 201 Rz 39), zum Zeitpunkt und Inhalt des Gesprächs mit hinzugekommenen Zeugen und zum Gelingen des Eindringens mit dem Penis (vgl dazu RIS‑Justiz RS0095114), ins Treffen führt, erschöpft sie sich im Ergebnis in einem unzulässigen Angriff auf die tatrichterliche Annahme der Glaubwürdigkeit dieser Zeugin (RIS‑Justiz RS0119422 [T4]; vgl RS0106642 [zum Umfang der Erörterungspflicht vonAussagen]).

[7] Die (zu Punkt 2./ des Schuldspruchs ausgeführte) Rechtsrüge (Z 9 lit a, nominell auch lit b und c) verfehlt mit der unter Hinweis auf die Ausführungen der Mängelrüge erfolgten Behauptung nicht näher bezeichneter „wesentlicher Feststellungsmängel“ die Ausrichtung am Verfahrensrecht (vgl RIS‑Justiz RS0099689 [T6, T8]).

[8] Der Diversionsrüge (Z 10a) zuwider liegt – auf Grundlage der vom Gesetzgeber in der hohen Strafdrohung (von bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe [§ 201 Abs 1 StGB iVm § 5 Z 4 JGG]) zum Ausdruck gebrachten Vorbewertung des deliktstypischen Unrechts- und Schuldgehalts (vgl Schroll in WK² JGG § 7 Rz 15) – bei Zusammentreffen von einem Verbrechen mit einem Vergehen, Nötigung zur Duldung sowohl des Beischlafs als auch einer diesem gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung (vgl RIS‑Justiz RS0114523, RS0116655 [T8, T9]), Ejakulation in den Mund des Opfers (US 5), Ausnützen dessen Trunkenheit (US 4) und Eintritt von Verletzungen (US 5) schwere Schuld im Sinn des § 7 Abs 2 Z 1 JGG vor (vgl RIS‑Justiz RS0128235; siehe im Übrigen zum Erfordernis der Verantwortungsübernahme Schroll in WK² JGG § 7 Rz 16 iVm Schroll/Kert, WK‑StPO § 198 Rz 36/1 ff).

[9] Hingegen zeigt die Sanktionsrüge (Z 11 [zu ergänzen:] zweiter Fall) zutreffend auf, dass das Erstgericht beim Strafausspruch die vergangene diversionelle Erledigung (US 3) offenbar unrichtig als entscheidend zur Verneinung des Milderungsgrundes nach § 34 Abs 1 Z 2 StGB herangezogen hat (US 15; RIS‑Justiz RS0130150).

[10] Demgemäß war – im Einklang mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt zu bleiben hätte, in teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten im Strafausspruch und demzufolge auch der Beschluss auf Erteilung von Weisungen und Anordnung von Bewährungshilfe aufzuheben und wie aus dem Spruch ersichtlich in der Sache selbst zu erkennen (§ 288 Abs 2 Z 3 StPO).

[11] Bei der durch die Aufhebung des Strafausspruchs erforderlichen Strafneubemessung war nach § 201 Abs 1 StGB iVm § 5 Z 4 JGG von einem Strafrahmen von bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe auszugehen.

[12] Als erschwerend waren das Zusammentreffen von einem Vergehen mit einem Verbrechen und die Nötigung zur Duldung sowohl des Beischlafs als auch einer diesem gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung (§ 33 Abs 1 Z 1 StGB), der Eintritt von Verletzungen, das (hier nicht nach § 201 Abs 2 vierter Fall StGB subsumierte) Ejakulieren in den Mund des Opfers (vgl RIS‑Justiz RS0095315 [T6]) und das Ausnützen dessen Alkoholisierung, als mildernd hingegen der bisher ordentliche Lebenswandel (§ 34 Abs 1 Z 2 StGB) zu werten.

[13] Der Milderungsgrund des § 34 Abs 1 Z 4 StGB kommt nicht in Betracht, weil es sich beim Opfer nicht um einen Dritten handelt. Ungeachtet dessen wirkt sich der ins Treffen geführte Umstand zunächst einvernehmlich erfolgter, dem Beischlaf gleichzusetzender geschlechtlicher Handlungen auch sonst nicht mildernd aus. Da sich in der Vergewaltigung der in der Tatnacht bereits zuvor durch die Nötigung des H* gezeigte Charaktermangel manifestierte, liegt der Milderungsgrund des § 34 Abs 1 Z 7 StGB ebenso wenig vor (Ebner in WK² StGB § 34 Rz 18). Zudem ergeben sich aus der Verantwortung des Angeklagten (ON 37 S 16) keine Hinweise für eine die Dispositions- oder Diskretionsfähigkeit beeinträchtigende Berauschung (§ 35 StGB).

[14] Davon ausgehend entspräche unter Berücksichtigung des Handlungs-, Gesinnungs- und Erfolgsunwerts der Tat eine Freiheitsstrafe von 15 Monaten dem Unrechts- und Schuldgehalt derselben sowie der Täterpersönlichkeit. Mit Blick auf den insoweit eindeutigen Gesetzeswortlaut, wonach die allgemeinen Strafgesetze gelten, sofern das JGG nichts anderes bestimmt (§ 5 erster Satz JGG), findet § 43 Abs 3 StGB auch für die Ahndung von Jugendstraftaten Anwendung, weil § 5 Z 9 JGG lediglich die auf die urteilsmäßige Strafe abstellende Beschränkung des § 43 Abs 1 StGB beseitigt (vgl Einführungserlass vom 18. Dezember 2019, BMVRDJ-S318.040/0016‑IV 1/2019, 16 [eJABl 2019/24]; aA Schroll in WK² JGG § 5 Rz 52/1 f). Demnach kam eine gänzlich bedingte Nachsicht der hier auch wegen Vergewaltigung verhängten Strafe nicht in Betracht (§ 43 Abs 3 StGB). Jedoch konnte an Stelle eines dreimonatigen Strafteils auf eine Geldstrafe von 180 Tagessätzen erkannt und im Hinblick darauf der restliche Strafteil von 12 Monaten Freiheitsstrafe unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen werden. Die Höhe des einzelnen Tagessatzes war zufolge der nur zu Gunsten des Angeklagten erhobenen Berufung gegen den Strafausspruch mit Blick auf das Verschlechterungsverbot (§§ 16, 295 Abs 2 erster Satz StPO) erneut im gesetzlichen Mindestausmaß von 4 Euro festzusetzen.

[15] Da das Erstgericht keine Ersatzfreiheitsstrafe ausgesprochen hatte, war von der Bestimmung einer solchen ebenfalls aufgrund des Verschlechterungsverbots Abstand zu nehmen (Ratz, WK‑StPO § 290 Rz 53).

Zur Berufung wegen des Ausspruchs über die privatrechtlichen Ansprüche

[16] Das Erstgericht verpflichtete den Angeklagten, der Privatbeteiligten binnen 14 Tagen einen (Teil-)Schmerzengeldbetrag von 2.000 Euro zu bezahlen. Die dagegen gerichtete Berufung des Angeklagten, die Schmerzen oder „sonstige Schäden“ bestreitet, ist nicht im Recht.

[17] Wer jemanden durch eine strafbare Handlung zu geschlechtlichen Handlungen missbraucht, hat ihm den erlittenen Schaden und den entgangenen Gewinn zu ersetzen sowie eine angemessene Entschädigung für die erlittene Beeinträchtigung zu leisten (§ 1328 ABGB; vgl zum Vorliegen einer Körperverletzung im Sinn des § 1325 ABGB im Fall physischer und schwerer psychischer Schäden RIS‑Justiz RS0108277 sowie zur Konkurrenz der AnspruchsgrundlagenReischauer in Rummel,ABGB3 § 1328 ABGB Rz 31).

[18] Mit Blick auf die konstatierten (durch Urkunden objektivierten [ON 2 S 28, ON 17]) Verletzungen, die mit der Tat verbundene Defloration (US 5; vgl ON 16 S 14) sowie das Auftreten von „Flashbacks“ über einen Zeitraum von zumindest fünf Monaten (ON 16 S 35) ist der vom Erstgericht in freier Überzeugung (§ 369 Abs 2 StPO, § 273 Abs 1 ZPO [vgl RIS‑Justiz RS0031614 [T1]; zum Ersatz des immateriellen Schadens durch Beeinträchtigung der sexuellen SelbstbestimmungHinteregger in Kletečka/Schauer , ABGB‑ON 1.05 § 1328Rz 8) zuerkannte Betrag von 2.000 Euro nicht zu beanstanden.

[19] Mit seiner Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe war der Angeklagte auf die Strafneubemessung, mit seiner Beschwerde auf die Aufhebung zu verweisen. Die Entscheidung über die allfällige neuerliche Erteilung von Weisungen und die Anordnung der Bewährungshilfe obliegt dem Erstgericht (vgl RIS‑Justiz RS0086098).

[20] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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