OGH 12Os118/22b

OGH12Os118/22b7.12.2022

Der Oberste Gerichtshof hat am 7. Dezember 2022 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Oshidari, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski und Dr. Brenner und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in Gegenwart des Schriftführers Mag. Kastner in der Strafsache gegen * B* wegen des Verbrechens des Mordes nach §§ 15, 75 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Geschworenengericht vom 18. Juli 2022, GZ 13 Hv 39/22f‑66, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0120OS00118.22B.1207.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde * B* des Verbrechens des Mordes nach §§ 15, 75 StGB schuldig erkannt.

[2] Danach hat er am 7. März 2022 in W* seinen Vater * W* zu töten versucht, indem er ihm mit einem Holzstück mehrfach mit voller Wucht gegen den Kopf schlug, mit den Fäusten auf ihn einschlug, mit einer Fahrzeugantenne in die Bauchgegend einstach und schließlich von hinten ein Stoffband um seinen Hals legte und ihn damit würgte, während er äußerte, er ziehe das durch und werde ihn umbringen, wobei es beim Versuch blieb, weil W* heftige Gegenwehr leistete, wodurch es ihm gelang, sich aus der Umklammerung zu lösen und zu flüchten, und die Antenne die Jacke des Genannten nicht durchdringen konnte.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richtet sich die auf „§ 345 Abs 1 Z 4, Z 5 bzw Z 5a, Z 6, Z 8, Z 10 bzw Z 10a sowie Z 13 StPO“ gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten. Sie schlägt fehl.

[4] Die Verfahrensrüge (nominell Z 4, inhaltlich Z 5) moniert, das Erstgericht habe seine Manuduktionspflicht dadurch verletzt, dass es den – durch einen Verteidiger vertretenen – Angeklagten nicht zur Stellung von Beweisanträgen auf „DNA‑Überprüfung betreffend die Antenne“, Einholung eines Gutachtens eines Sachverständigen „aus dem Holzbereich“, Vernehmung der Mutter des Angeklagten sowie Durchführung einer Tatrekonstruktion angeleitet habe.

[5] Eine Manuduktionspflicht besteht – worauf auch die Nichtigkeitsbeschwerde hinweist – nur gegenüber einem unvertretenen Angeklagten (RIS‑Justiz RS0096346 [T3, T5, T6]). Mit dem Vorbringen, dass der in der Hauptverhandlung anwesende Verteidiger offenkundig versagt hätte, wodurch eine gerichtliche Anleitungspflicht ausgelöst worden wäre, wird verkannt, dass eine solche (ausnahmsweise) bei einem vom Gericht beigegebenen Verteidiger bestehen kann, nicht aber wenn – wie hier – ein Wahlverteidiger einschreitet (RIS‑Justiz RS0096569). Im Übrigen wird ein offenkundiges Versagen des in der Hauptverhandlung anwesenden Wahlverteidigers von der Rüge bloß unsubstantiiert behauptet.

[6] Die Fragenrüge (Z 6) bezieht sich auf die Hauptfrage nach dem Verbrechen des Mordes nach §§ 15, 75 StGB und führt aus, dass durch diese Fragestellung „die Geschworenen ohnehin schon in eine Richtung gelenkt“ wurden und ihnen „wohl auch indirekt suggeriert“ wurde, „dass primär die Verwirklichung dieses Tatbestandes in Frage kommt und im Vordergrund steht“.

[7] Damit orientiert sich die Rüge nicht am Verfahrensrecht, weil sie nicht darlegt, weshalb es – entgegen § 312 Abs 1 erster Satz StPO – geboten sein sollte, dass die Hauptfrage nicht mit der Anklage (auch hinsichtlich des konkreten Sachverhalts) übereinstimmt (vgl Fabrizy/Kirchbacher, StPO14 § 312 Rz 2).

[8] Der Rechtsmittelwerber bringt aus § 345 Abs 1 Z 6 StPO weiters vor, es wäre „einfach viel realitätsnäher, wenn man davon ausgeht, dass ein Streit dem Vorfall vorangegangen ist, hätte * B* seinen Vater von Haus aus umbringen wollen, so hätte er dies in der Nacht im Schlaf oder zu ganz anderen Zeitpunkten problemloser durchführen können“, und aus den Tagebucheinträgen könne kein „Zusammenhang mit einer Mordabsicht“ hergestellt werden. Damit übt er unzulässige Beweiswürdigungskritik nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung, ohne Nichtigkeit im Sinn des angesprochenen Nichtigkeitsgrundes aufzuzeigen.

[9] Eine allfällige Zurechnungsunfähigkeit des Täters ist im geschworenengerichtlichen Verfahren nur dann zum Gegenstand einer Zusatzfrage zu machen, wenn Verfahrensergebnisse Anlass zu Zweifeln an der biologischen Schuldfähigkeit des Angeklagten, seiner strafrechtlichen Verantwortlichkeit im konkreten Fall, geben, wenn also im Beweisverfahren für das Vorliegen eines in § 11 StGB beschriebenen, die Dispositionsfähigkeit oder Diskretionsfähigkeit des Angeklagten ausschließenden Ausnahmezustands konkrete Anhaltspunkte hervorgekommen sind (RIS‑Justiz RS0100527).

[10] Mit dem Vorbringen, „die Frage der psychischen Beeinträchtigung zum Vorfallszeitpunkt“ wäre „zu wenig releviert“ worden, der psychiatrische Sachverständige habe „zwar sehr gut herausgearbeitet, dass de facto von keiner Unzurechnungsfähigkeit auszugehen“ sei, spricht die Rüge kein die begehrte Fragestellung nach gesicherter allgemeiner Lebenserfahrung ernsthaft indizierendes Verfahrensergebnis an. Indem der Nichtigkeitswerber eingeschränkte Dispositions‑ und Diskretionsfähigkeit behauptet, erstattet er bloß ein Berufungsvorbringen (vgl § 34 Abs 1 Z 1, § 35 StGB).

[11] Weiters kritisiert die Fragenrüge (Z 6) das Unterbleiben der Stellung einer Eventualfrage nach dem Verbrechen des Totschlags nach §§ 15, 76 StGB. Der Beschwerdeführer verweist darauf, dass nach den „vorliegenden Beweisergebnissen“ den Tätlichkeiten „eine Diskussion und ein Streit“ vorausgegangen seien, dass die Angaben des Angeklagten auf eine Kurzschlussreaktion hindeuteten und die allgemeine Begreiflichkeit der heftigen Gemütsbewegung „vor dem Hintergrund der gesamten psychischen Situation des Angeklagten und der Gesamtsituation, was die Beziehung zu seinem Vater anlangt“, bejaht werden müsse.

[12] Totschlag setzt (rechtlich) unter anderem allgemeine Begreiflichkeit der heftigen Gemütsbewegung voraus, die also in ihrer tatkausalen Heftigkeit in Relation zu dem sie herbeiführenden Anlass für einen Durchschnittsmenschen – also nach einem objektiven Maßstab – sittlich verständlich sein muss (RIS‑Justiz RS0092115, RS0092138; Fabrizy/Michel‑Kwapinski/Oshidari, StGB14 § 76 Rz 3). Der Rechtsmittelwerber nennt jedoch keine Verfahrensergebnisse, die als ernst zu nehmendes Indiz für einen – den Gegenstand der begehrten Eventualfrage bildenden – Sachverhalt dienen könnten (RIS‑Justiz RS0100860 [T1]; Ratz, WK‑StPO § 345 Rz 23).

[13] Die weitere Fragenrüge (Z 6) bezeichnet die erste, die zweite und die dritte Eventualfrage nach dem Verbrechen der absichtlichen schweren Körperverletzung nach §§ 15, 87 Abs 1 StGB, nach dem Verbrechen der schweren Körperverletzung nach §§ 15, 84 Abs 4 StGB und nach dem Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB als undeutlich, weil jeweils „eine falsche, nicht vom Beweisverfahren gedeckte Frage“ an die Geschworenen gerichtet worden wäre, insbesondere weil der gerichtsmedizinische Sachverständige dargelegt habe, dass davon auszugehen wäre, dass nur ein Schlag gegen das Opfer geführt wurde. Damit legt sie nicht dar, weshalb die Eventualfragen nicht den gesetzlichen Kriterien des § 314 StPO entsprechen sollten (vgl RS0100686). Der Rechtsmittelwerber macht nicht klar, inwiefern die Wucht oder die Anzahl der Schläge subsumtionsrelevant sein sollten.

[14] Eine prozessordnungsgemäße Ausführung der Instruktionsrüge (Z 8) verlangt den Vergleich der tatsächlich erteilten Rechtsbelehrung mit deren nach § 321 Abs 2 StPO erforderlichem Inhalt und die darauf gegründete deutliche und bestimmte Darlegung der Unrichtigkeit der den Geschworenen zu Teil gewordenen juristischen Information (RIS‑Justiz RS0119549).

[15] Dem entspricht die Rüge nicht, indem sie ausführt, in der Rechtsbelehrung wäre darauf hinzuweisen gewesen, „dass es einen Unterschied macht, ob man in Kauf nimmt, dass jemand verletzt wird oder getötet wird“ (vgl dazu S 7 bis 12 der Rechtsbelehrung) oder der Tatbestand des Mordes wäre – anders als bei Eventualfrage 1 – „gesperrt hervorgehoben“ worden und es wären keine Beispiele zur Erklärung des bedingten Vorsatzes angeführt worden. Dass der Begriff des bedingten Vorsatzes unrichtig dargestellt worden wäre, wird ohne nachvollziehbare Begründung lediglich behauptet (vgl hingegen S 2 ff der Rechtsbelehrung). Weshalb die Rechtsbelehrung zu den Eventualfragen 1 und 2 aufgrund der angeführten Beispiele für eine schwere Körperverletzung „absolut irreführend“ sein sollte, wird nicht klar.

[16] Das Vorbringen zum „Nichtigkeitsgrund gemäß § 345 Abs 1 Z 5 bzw Z 5a StPO“ (gemeint wohl: Z 10a), es werde auf die Ausführungen zum Nichtigkeitsgrund gemäß „§ 345 Abs 1 Z 4 StPO“ verwiesen, entspricht nicht der Strafprozessordnung. Das gilt auch, soweit der Angeklagte „Nichtigkeit gemäß § 345 Abs 1 Z 10 bzw 10a“ StPO behauptet und, „um Wiederholungen zu vermeiden, auf die Ausführungen betreffend die anderen bereits geltend gemachten Nichtigkeitsgründe“ verweist. Die Nichtigkeitsgründe des § 345 Abs 1 StPO sind nämlich voneinander wesensmäßig verschieden und daher gesondert auszuführen, wobei unter Beibehaltung dieser klaren Trennung deutlich und bestimmt jene Punkte zu bezeichnen sind, durch die sich der Nichtigkeitswerber für beschwert erachtet (vgl RIS‑Justiz RS0115902).

[17] Das Vorbringen, es liege „ein Verstoß gegen sowohl § 5, als auch gegen § 5a StPO“ vor, bleibt unverständlich.

[18] Urteilsnichtigkeit nach § 345 Abs 1 Z 10a StPO ist gegeben, wenn die Laienrichter das ihnen nach § 258 Abs 2 zweiter Satz StPO gesetzlich zustehende Beweiswürdigungsermessen in geradezu unerträglicher Weise gebraucht haben und damit eine Fehlentscheidung bei der Beweiswürdigung qualifiziert nahe liegt (RIS‑Justiz RS0119583 [T13]).

[19] Mit dem Vorbringen, das Verletzungsbild des Opfers spreche gegen die Durchführung mehrerer Schläge mit voller Wucht gegen den Schädel, der Angeklagte habe von Anfang an dargelegt, nicht in Mordabsicht gehandelt zu haben, beim Opfer wären keine Würgemale festgestellt worden, der Angeklagte hätte sich wegen der seit langem familiär belastenden Situation in einem psychischen Ausnahmezustand befunden, werden erhebliche Bedenken gegen die im Wahrspruch der Geschworenen festgestellten Tatsachen nicht geweckt. Mit der Behauptung herabgesetzter Zurechnungsfähigkeit wird überdies keine entscheidende Tatsache angesprochen (vgl jedoch RIS‑Justiz RS0118780). Indem gerügt wird, dass betreffend die Antenne „nicht einmal der Versuch unternommen [wurde], eine DNA‑Analyse durchzuführen“, verkennt der Nichtigkeitswerber, dass Mängel der Sachverhaltsermittlung nur mit der Behauptung gerügt werden können, dass der Beschwerdeführer an einer darauf abzielenden Antragstellung (§ 345 Abs 1 Z 5 StPO) gehindert war (RIS‑Justiz RS0115823 [T2]).

[20] Soweit die Sanktionsrüge (Z 13) das Übersehen von Milderungsgründen behauptet oder vorbringt, einzelne Strafzumessungsgründe wären falsch gewichtet worden, wird bloß ein Berufungsvorbringen erstattet (RIS‑Justiz RS0099869 [T1, T4]).

[21] Das Vorbringen, nach den Beweisergebnissen könne dem Angeklagten keinesfalls ein Mordversuch zur Last gelegt werden, entspricht keiner Anfechtungskategorie der nominell angesprochenen Z 13 des § 345 Abs 1 StPO.

[22] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 285d Abs 1, 344 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§§ 285i, 344 StPO).

[23] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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