OGH 11Os5/16v

OGH11Os5/16v10.5.2016

Der Oberste Gerichtshof hat am 10. Mai 2016 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner‑Foregger, Mag. Michel und Dr. Michel‑Kwapinski und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Margreiter, LL.B., als Schriftführerin in der Strafsache gegen Thomas K***** und einen weiteren Angeklagten wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 1, Abs 4 Z 1, Z 3 SMG und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Staatsanwaltschaft hinsichtlich Richard Ko***** und die Berufung der Staatsanwaltschaft hinsichtlich Thomas K***** gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 15. September 2015, GZ 44 Hv 16/15s‑247, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Koenig, der Angeklagten und deren Verteidiger Mag. Kregcjk, Mag. Tomanek und Dr. Kurtev zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0110OS00005.16V.0510.000

 

Spruch:

I/ In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde und aus deren Anlass wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt,

1) betreffend Thomas K*****

in der rechtlichen Unterstellung der von den Schuldsprüchen I/A und II/C umfassten Tathandlungen auch unter das Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 1, Z 3 SMG (Schuldspruch I/A), in der Qualifikation nach § 28a Abs 2 Z 1 SMG sowie in den zu den Schuldsprüchen jeweils gebildeten Subsumtionseinheiten,

2) betreffend Richard Ko*****

in der rechtlichen Unterstellung des zu I/B festgestellten Tatgeschehens auch unter § 28a Abs 2 Z 3 SMG sowie in der zum Schuldspruch gebildeten Subsumtionseinheit,

demzufolge auch in den Strafaussprüchen (einschließlich der Vorhaftanrechnungen, nicht aber im Einziehungs- und Verfallserkenntnis), aufgehoben.

II/ Im Umfang der Aufhebung wird das Verfahren zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Wien verwiesen und diesem weiters aufgetragen, sich auch hinsichtlich der nicht erledigten Anklage gegen Richard Ko***** der Verhandlung und Urteilsfällung zu unterziehen, und zwar

zu den Vorwürfen, durch Bereitstellung seiner Wohnung

a) zu den unter Punkt A/II, A/V und A/VI der Anklageschrift vom 27. Jänner 2015 bezeichneten strafbaren Handlungen des Thomas K***** (ON 206 S 2 f) und

b) zur Überlassung von 210 Kilogramm Cannabisharz mit einem Reinheitsgehalt von zumindest 2 % Delta‑9‑THC und 10 % THCA durch Thomas K***** (laut Ausdehnung der Anklage in der Hauptverhandlung am 10. Juli 2015, ON 236 S 57)

beigetragen zu haben.

IV/ Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde verworfen.

V/ Mit ihrer Berufung wird die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung verwiesen.

VI/ Dem Angeklagten Ko***** fallen die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil, das auch unbekämpft gebliebene Freisprüche des Thomas K***** von zwei gleichartigen Vorwürfen enthält, wurden

der Genannte des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 1, Z 3 SMG (I/A), des Verbrechens der Vorbereitung von Suchtgifthandel nach § 28 Abs 1 erster und zweiter Fall, Abs 2 SMG (I/C), zweier Vergehen nach § 50 Abs 1 Z 5 WaffG (I/D), des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 zweiter und dritter Fall, Abs 4 Z 1, Z 3 SMG, §§ 12 zweiter und dritter Fall, 15 StGB (II/A und B) und des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a (zu ergänzen: Abs 1) fünfter Fall, Abs 2 Z 1, Abs 4 Z 1 und Z 3 SMG (II/C) und

Richard Ko***** des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 12 dritter Fall StGB, § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 3 SMG, „§ 15 StGB“ (I/B), des Verbrechens der Vorbereitung von Suchtgifthandel nach § 28 Abs 1 erster und zweiter Fall, Abs 2 SMG (I/C, zu ergänzen 1/), zweier Vergehen nach § 50 Abs 1 Z 2 und 4 WaffG (richtig: I/E/a) und des Vergehens nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall SMG (richtig: I/E/b) schuldig erkannt.

Danach hat Richard Ko***** ‑ soweit für das Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerde von Bedeutung -

I B/ in W***** durch Bereitstellung seiner Wohnung als Suchtgiftbunker zur strafbaren Handlung des Thomas K*****, der anderen vorschriftswidrig Suchtgift in einer die Grenzmenge (§ 28b SMG) insgesamt um „zumindest das 15fache übersteigenden Menge“, und zwar

am 11. September 2014 Karl Ka***** 2.051,40 Gramm mit einem Reinheitsgehalt von 0,39 % Delta‑9‑THC und 5,17 % THCA (I/A/a) sowie

zwischen 2012 und 11. September 2014 an Ingrid A***** in mehreren Angriffen 400 Gramm Cannabisharz mit einem Reinheitsgehalt von 0,85 % Delta‑9‑THC und 11,17 % THCA und 300 Gramm Cannabiskraut mit einem Reinheitsgehalt von 0,39 % Delta‑9‑THC und 5,02 % THCA (I/A/c) durch Verkauf überließ, beigetragen.

Rechtliche Beurteilung

Gegen die Nichterledigung der Anklage gegen Richard Ko***** richtet sich die aus Z 5, 7 und 10 des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft.

Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde überzeugte sich der Oberste Gerichtshof überwiegend in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur, dass dem Urteil nicht geltend gemachte Nichtigkeit (§ 281 Abs 1 Z 10 StPO) zum Nachteil beider Angeklagter anhaftet, die von Amts wegen (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO) aufzugreifen war:

1. Zum Schuldspruch I/B des Richard Ko*****:

Die vom fünften Fall des § 28a Abs 1 SMG betroffenen Suchtgiftquanten erreichen eine die Grenzmenge um das Fünfzehnfache übersteigende Menge bei weitem nicht, sodass es an einer die Qualifikation des § 28a Abs 2 Z 3 SMG tragenden Sachverhaltsgrundlage fehlt.

2. Gleiches gilt für den Schuldspruch I/A des Angeklagten Thomas K*****, weil sich auch unter Berücksichtigung der weiteren, diesem angelasteten Überlassung von 1.000 Gramm Cannabisharz mit einem Reinheitsgehalt von 2 % Delta‑9‑THC und 10 % THCA an Richard Ko***** (vgl US 10) lediglich das 8,2fache der Grenzmenge (§ 28b SMG) errechnet. Die rechtliche Annahme der Qualifikation nach § 28a Abs 2 Z 3 SMG erfolgte somit auch bei diesem Schuldspruch ‑ noch ohne Berücksichtigung des weiteren Schuldspruchs IIC (dazu unten Punkt 3.b) ‑ schon deshalb rechtsfehlerhaft.

3. Zu den Schuldsprüchen des Thomas K***** I/A und II/C:

a) Zur Subsumtion nach § 28a Abs 2 Z 1 SMG:

Das Erstgericht begnügt sich mit dem bloßen Verweis auf das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien, AZ 6c Vr 1318/98, Hv 869/98, „wegen §§ 28 Abs 2 SMG aF, 12 StGB, 27 Abs 1 SMG“ und leitet aus der Verurteilung das Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen zur Annahme der Gewerbsmäßigkeitsqualifikation ab („inhaltlich sohin“ US 2, 19). Nach § 28 Abs 2 SMG idF BGBl I 1997/112 war strafbar, wer den bestehenden Vorschriften zuwider ein Suchtgift in einer großen Menge (Abs 6 SMG) erzeugt, einführt oder in Verkehr setzt, während § 28a Abs 1 SMG in der geltenden Fassung eine Tatbegehung in Bezug auf eine die Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigende Menge erfordert. Angesichts der Bezugnahme in § 28a Abs 2 Z 1 SMG auf das historische Ereignis („Straftat nach Abs 1“) entspricht das Heranziehen einer Verurteilung wegen eines Verbrechens nach § 28 Abs 2 SMG aF bei der Subsumtion nach § 28a Abs 2 Z 1 SMG dann dem Gesetz, wenn diese in Betreff einer die Grenzmenge übersteigenden Suchtgiftmenge erfolgte (vgl RIS‑Justiz RS0123175 [T5]; RS0123898). Damit fehlt es an einer zur Subsumtion unter die Qualifikationsnorm des § 28a Abs 2 Z 1 SMG tauglichen Sachverhaltsgrundlage.

b) Die Annahme eines Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG (II/C) und eines weiteren nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 3 SMG (I/A) ist deshalb rechtlich verfehlt, weil § 28a Abs 4 Z 3 SMG zu einer Subsumtionseinheit (sui generis) führt, sodass selbst bei gleichartiger Realkonkurrenz stets nur ein einziges Verbrechen begründet wird (RIS‑Justiz RS0117464, RS0123912).

Die Subsumtionsfehler begründen Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 10 StPO, die dem Angeklagten zum Nachteil gereicht (§ 290 Abs 1 StPO), weil ihm das Zusammentreffen von vier (statt richtig: drei) Verbrechen mit zwei Vergehen und die mehrfache Deliktsqualifikation als erschwerend zugerechnet wurde (US 21). Eine zum Vorteil ergriffene Berufung, bei der die unrichtige Gesetzesanwendung Berücksichtigung finden könnte, liegt nicht vor.

Mit ihrer zum Nachteil beider Angeklagten erhobenen Berufung ist die Staatsanwaltschaft auf die Kassation der Strafaussprüche zu verweisen.

Das Einziehungserkenntnis kann (ebenso wie das Verfallserkenntnis) entgegen der Rechtsauffassung der Generalprokuratur aber bestehen bleiben, weil sich die Konkretisierung der von der Maßnahme nach § 26 StGB betroffenen Gegenstände aus den Entscheidungsgründen (RIS‑Justiz RS0098734) zweifelsfrei ergibt (US 11, 12, 23).

Zur Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft:

Die Summe der einem Angeklagten in der Anklage zur Last gelegten Tathandlungen muss der Summe der im Urteil durch Schuld- (§ 260 Abs 1 Z 2 StPO) oder Freispruch (§ 259 StPO) erledigten entsprechen (Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 502; RIS-Justiz

RS0121607). Ob

Anklage und Urteil dieselbe Tat im prozessualen Sinn (§ 267 StPO) betreffen, ergibt sich aus einer wertungsmäßigen Gesamtschau (im Sinn eines „beweglichen Systems“)

der (typologischen) Einzelkriterien Zeit, Ort und Objekt

der Tat, Modalität deren Ausführung und vom Täter ins Auge gefasster strafgesetzwidriger Erfolg (zum Beurteilungsmaßstab Lewisch, WK‑StPO § 262 Rz 32 ff; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 502 ff; 17 Os 9/13x; 13 Os 99/12a), wobei auch die Anklagebegründung in den Vergleich einzubeziehen ist (RIS‑Justiz RS0097672).

Vorliegend zeigt ein solcher Vergleich, dass die gegenüber dem Angeklagten Ko***** in der Anklageschrift vom 27. Jänner 2015, ON 206, zu B/ erhobenen Vorwürfe, durch Bereitstellung seiner Wohnung zur strafbaren Handlung des Thomas K*****, und zwar zur Überlassung von 977,1 Gramm Cannabiskraut am 10. September 2014 an Nina B***** (A/II), zur versuchten Überlassung von 996 Gramm und 1.003 Gramm Cannabiskraut (verschiedenen Reinheitsgehalts) an unbekannt gebliebene Abnehmer am 11. September 2014 (A/V) und zur Überlassung von 14.629,93 Gramm Cannabiskraut an unbekannt gebliebene Abnehmer zwischen 1. Jänner 2013 und 10. September 2014 (A/VI) beigetragen zu haben, im Ersturteil, wie die Staatsanwaltschaft zutreffend aufzeigt, unerledigt blieben.

Gleiches gilt für den in der Hauptverhandlung am 3. Juli 2015 gegenüber dem Angeklagten Ko***** erhobenen Vorwurf, durch Bereitstellung seiner Wohnung zur Überlassung von 210 Kilogramm Cannabisharz mit einem Reinheitsgehalt von zumindest 2 % Delta-9-THC und 10 % THCA durch Thomas K***** beigetragen zu haben (vgl Klarstellung und Anklageausdehnung ON 236 S 57).

In diesem Umfang war dem Erstgericht in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur aufzutragen, sich der Verhandlung und Urteilsfällung zu unterziehen (§ 288 Abs 2 Z 2 StPO).

Spricht das Urteil über einen Teil des von der Anklage umfassten Lebenssachverhalts nicht ab, ist im Übrigen nicht, wie von der Staatsanwaltschaft eventualiter vorgebracht, ein Subsumtionsfehler (Z 10), sondern die (teilweise) Nichterledigung der Anklage nichtigkeitsbegründend (RIS-Justiz RS0121607 [T1]).

Soweit die Beschwerde die

Nichterledigung der Anklage behauptet (Z 7), weil das Erstgericht über den Anklagepunkt B iVm A/I/1 und A/IV der Anklageschrift ON 206 „nicht vollständig“ abgesprochen habe, ist sie dagegen nicht im Recht.

In diesem Umfang war die Nichtigkeitsbeschwerde zu verwerfen, weil die Anklage diesbezüglich durch den Schuldspruch B sehr wohl einer (vollständigen) Erledigung zugeführt wurde (vgl US 2, 10, 15). Die Nichtannahme des Überlassens einer größeren Suchtgiftmenge an Ka***** und A***** im Zuge ein und desselben Tatgeschehens, wovon mit Blick auf die Feststellungen zur kontinuierlichen Tatbegehung und zum vom Vorsatz umfassten Übersteigen der Grenzmenge um das (bei Ko*****) 15fache auszugehen ist (US 12), stellt den Nichtigkeitsgrund der Z 7 des § 281 Abs 1 StPO ‑ wie auch die Generalprokuratur zutreffend ausführt ‑ nicht her (RIS‑Justiz RS0115553 [T10]).

Rechtlich verfehlt erweist sich ‑ wie ergänzend angemerkt sei ‑ aus dem nämlichen Grund auch der Freispruch des Thomas K***** zu II/1.

Ein Schuldspruch des Beitragstäters käme überdies mit Blick auf die von der Staatsanwaltschaft unbekämpft gebliebene Negativfeststellung, wonach Thomas K***** an Ka***** kein weiteres Suchtgift übergeben habe (US 11), also „die Tat“ nicht einmal objektiv versucht wurde, nicht in Betracht (RIS‑Justiz RS0090016).

Die eventualiter erhobene Subsumtionsrüge (Z 10) verfehlt bereits mangels Festhaltens am konstatierten Sachverhalt die prozessordnungskonforme Darstellung (RIS‑Justiz RS0099810).

Die Kostenersatzpflicht des Angeklagten Ko***** beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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