OGH 11Os29/20d

OGH11Os29/20d26.6.2020

Der Oberste Gerichtshof hat am 26. Juni 2020 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner‑Foregger und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in der Strafsache gegen Ercan D***** und andere Angeklagte wegen des Verbrechens der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 5 Z 2 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten Ercan D***** und Ali C*****, sowie die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Sercan De***** und die Berufungen des Angeklagten Ferhat T***** sowie der Staatsanwaltschaft betreffend die genannten Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Linz als Schöffengericht vom 18. Oktober 2019, GZ 37 Hv 53/19y‑43, nach Anhörung der Generalprokuratur gemäß § 62 Abs 1 zweiter Satz OGH‑Geo 2019 den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0110OS00029.20D.0626.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

Den Angeklagten Ercan D*****, Ali C***** und Sercan De***** fallen die Kosten des (bisherigen) Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil, das auch einen unbekämpft in Rechtskraft erwachsenen Freispruch des Angeklagten Ali C***** sowie einen rechtskräftigen Schuldspruch des Angeklagten Ferhat T***** (A/3) enthält, wurden die Angeklagten Ercan D*****, Serkan De***** und Ali C***** jeweils des Verbrechens der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 5 Z 2 StGB (A), der Angeklagte Ali C***** zudem des Vergehens nach § 50 Abs 1 Z 3 WaffG (B) schuldig erkannt.

Danach haben – soweit im Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerden relevant –

A) Ercan D*****, Serkan De*****, Ali C***** und Ferhat T***** am 7. Jänner 2018 in L***** in verabredeter Verbindung mit einem unbekannten Mittäter Claus Ce***** vorsätzlich am Körper verletzt (Gehirnerschütterung, Schwellung im Bereich des linken Auges sowie Prellungen im Bereich der Schultern, des Brustkorbs und des Brustbeins), indem

1) D***** versuchte, den Ce***** aus einem PKW zu zerren, auf ihn wuchtig mit den Fäusten einschlug, Kniestöße gegen dessen Körper versetzte und mit den Füßen gegen Kopf und Körper des am Boden liegenden Ce***** eintrat;

2) C***** wuchtig mit den Fäusten auf Ce***** einschlug und mit den Füßen gegen die Beine des am Boden liegenden Ce***** eintrat;

4) De***** die weiteren Täter mit dem PKW zum Tatort begleitete und diese anschließend vom Tatort wegbrachte;

B) Ali C***** in L***** bis zum 28. Juli 2018 eine Waffe, nämlich einen Pfefferspray, wenn auch nur fahrlässig, besessen, obwohl ihm dies gemäß § 12 WaffG verboten war.

 

Rechtliche Beurteilung

Gegen die sie jeweils betreffenden Schuldsprüche richten sich die von Ercan D***** aus Z 5 und 9 lit a, von Serkan De***** aus Z 5a sowie von Ali C***** aus Z 5, 9 lit a und 10 des § 281 Abs 1 StPO ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerden.

 

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Ercan D*****:

Entgegen der Kritik von Undeutlichkeit (Z 5 erster Fall) der Konstatierung, wonach sich die Angeklagten „vor dem Beginn der Tatausführung, allenfalls auch sukzessive“ darauf geeinigt hatten, gemeinsam Ce***** „für sein zuvor gesetztes Verhalten zu bestrafen und ihm einen Denkzettel zu erteilen“ (US 8), handelt es sich dabei um eine zulässige Wahlfeststellung, weil jede der wahlweise getroffenen Annahmen – nämlich simultane oder sukzessive Einigung ( Burgstaller/Fabrizy in WK 2 StGB § 84 Rz 86) – zu den gleichen rechtlichen Schlüssen führt (RIS‑Justiz RS0098710).

Dem Einwand der Scheinbegründung (Z 5 vierter Fall, nominell teils Z 5 erster Fall) zuwider hat der Schöffensenat die vor Beginn der Tatausführung zustande gekommene Willenseinigung (US 8, 15) logisch einwandfrei – unter Einbeziehung der Verantwortung der Angeklagten, deren Bekanntschaft sowie des der Tat vorangegangenen gemeinsamen Aufenthalts in einem Lokal*****– auf das vom Zeugen B***** geschilderte und auf einer Videoaufzeichnung ersichtliche äußere Tatgeschehen (US 10 ff), insbesondere das beinahe zeitgleiche Eintreffen der Angeklagten am und das anschließende „beinahe synchron[e]“ Entfernen vom Tatort (US 12), gegründet (RIS‑Justiz RS0098671, RS0116882).

Die Feststellungen zum Tatgeschehen an der tatörtlichen Tankstelle (US 7 f) sowie – daraus abgeleitet (erneut RIS‑Justiz RS0098671, RS0116882) – zum Vorsatz des Beschwerdeführers (US 8) haben die Tatrichter entgegen dem weiteren Vorbringen (Z 5 zweiter Fall) auf den Inhalt einer Videoaufzeichnung sowie die Angaben des Zeugen B***** gestützt (US 8 f), wobei sie vom Zeugen B***** geschilderte entlastende und relativierende Umstände dem Gebot zu bestimmter, aber gedrängter Darstellung der Entscheidungsgründe folgend (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO, RIS‑Justiz RS0098778) ohnedies berücksichtigten (US 9).

Soweit die Rüge das Übergehen von Angaben des Claus Ce***** „vor der Polizei“ reklamiert und behauptet, dessen damalige Täterbeschreibung treffe nicht auf den Beschwerdeführer zu, zeigt sie keine Verfahrensergebnisse auf, zu denen die genannte Aussage in erörterungsbedürftigem Widerspruch stünde (Z 5 zweiter Fall). Zudem spricht sie mit dem Fokus auf bloß einzelne Tathandlungen („auf ihn eingeschlagen hat“ – RIS‑Justiz RS0127374) des zudem in verabredeter Verbindung agierenden Angeklagten (US 8), der nach den – insoweit unbekämpften – Feststellungen das Opfer (auch) aus dem Wagen zu zerren versuchte (US 7), keine entscheidenden Tatsachen an (RIS‑Justiz RS0098495, RS0098646).

Der Vorwurf von Aktenwidrigkeit (Z 5 fünfter Fall), „weil der Inhalt der Videoaufzeichnung sowie der Protokolle, die die Zeugenaussagen des B***** beinhalten, unrichtig wiedergegeben“ worden seien, zeigt tatsächlich keine unrichtige Wiedergabe eines Beweismittelinhalts durch formalen Vergleich von Zitat und Aktenlage (RIS‑Justiz RS0099547) auf, sondern bestreitet nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Berufung wegen Schuld die (unter anderem) aus den Videoaufnahmen und der Aussage des genannten Zeugen gezogenen Schlussfolgerungen der Tatrichter.

Soweit die Rechtsrüge (Z 9 lit a) die Konstatierungen zur subjektiven Tatseite (US 8) als bloße Wiedergabe der verba legalia kritisiert, legt sie nicht dar, weshalb es den in Rede stehenden Feststellungen – die entgegen dem weiteren Einwand sowohl die Wissens- als auch die Willenskomponente des (hier:) Verletzungsvorsatzes zum Ausdruck bringen – am gebotenen Sachverhaltsbezug mangeln sollte ( Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 8; RIS‑Justiz RS0119090).

Mit der Behauptung, es hätte über die zur Willenseinigung getroffenen Konstatierungen (US 8, 15) hinaus „konkreter Feststellungen“ bedurft, „wann wer sich wie und wo sowie auf welche Weise zu welcher Tathandlung verabredet“ und ob der Beschwerdeführer „überhaupt und gegebenenfalls welchen Kontakt mit welchem verbalen oder nichtverbalen Austausch“ „mit welchen Mitangeklagten gehabt“ habe (der Sache nach Z 10), legt die Rüge nicht methodengerecht dar, weshalb solche Konstatierungen ungeachtet dessen, dass eine Vereinbarung (von zumindest drei Personen) über die gemeinsame Tatbegehung auch schlüssig zustande kommen kann (RIS‑Justiz RS0092795, RS0089584, RS0092859), zur rechtsrichtigen Subsumtion erforderlich gewesen wären.

Die Kritik, wonach sich die Feststellungen und Ausführungen des Erstgerichts auf der Basis von reinen Vermutungen zum Nachteil der Angeklagten bewegen, erschöpft sich in nicht am Verfahrensrecht ausgerichteten beweiswürdigenden Erwägungen (RIS‑Justiz RS0118342).

 

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Serkan De*****:

Der formelle Nichtigkeitsgrund der Z 5a greift seinem Wesen nach erst, wenn Beweismittel, die in der Hauptverhandlung vorkamen oder vorkommen hätten können ( Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 480 f), nach allgemein menschlicher Erfahrung gravierende Bedenken gegen die Richtigkeit der bekämpften Urteilsannahmen aufkommen lassen, mit anderen Worten intersubjektiv gemessen an Erfahrungs- und Vernunftsätzen eine unrichtige Lösung der Schuldfrage qualifiziert nahelegen. Eine über diese Prüfung hinausgehende Auseinandersetzung mit der Überzeugungskraft von Beweisergebnissen – wie sie die Berufung wegen Schuld im Einzelrichterverfahren einräumt – wird dadurch nicht ermöglicht (RIS‑Justiz RS0118780; Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 487 und 491).

Die Tatsachenrüge (Z 5a) wendet sich pauschal gegen die Feststellungen zum Tatbeitrag und zur korrespondierenden subjektiven Tatseite des Beschwerdeführers (US 8). Sie verweist dazu auf dessen Angaben, jene der Zeugen Ö***** und B***** sowie die Videoaufzeichnung am Tatort Tankstelle und versucht mit einer eigenen Interpretation der genannten Verfahrensergebnisse die tatrichterlichen Erwägungen (US 9 ff) in Zweifel zu ziehen. Solcherart vermag sie keine erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit der diesem Ausspruch über die Schuld zugrunde liegenden entscheidenden Tatsachen zu wecken.

 

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Ali C*****:

Dem zum Schuldspruch A erhobenen Einwand offenbar unzureichender Begründung zuwider hat das Erstgericht die Feststellung, wonach eine ernstliche Willenseinigung über die gemeinsame Tatausführung (vor deren Beginn) vorlag (US 8, 15), aus dem nachfolgenden – vom Zeugen B***** geschilderten, teils von den Angeklagten selbst zugestandenen und auf der Videoaufzeichnung ersichtlichen – Geschehensablauf (erkennbares Zusammengehören der Angeklagten, gemeinsames Losfahren und Verfolgen, zielgerichtetes Losgehen auf das Opfer sowie gemeinsames Auftreten am Tatort und beinahe „synchron[en]“ Verlassen desselben [US 10 f]) geschlossen, was aus dem Blickwinkel der Z 5 vierter Fall StPO nicht zu beanstanden ist.

Die Subsumtionsrüge (Z 10, nominell auch Z 9 lit a) vermisst Feststellungen, „in welcher Form oder ganz allgemein wie sich die Angeklagten verabredet haben“ und „wie diese Verabredung zu Stande kam“, erklärt aber nicht, weshalb die vom Erstgericht getroffenen Konstatierungen (US 8, 15) die Annahme einer solchen Verabredung im Sinn des § 84 Abs 5 Z 2 StGB nicht tragen sollten (RIS‑Justiz RS0092795, RS0089584, RS0092859; Burgstaller/Fabrizy in WK 2 StGB § 84 Rz 86 mwN; Leukauf/Steininger/Nimmervoll , StGB 4 § 84 Rz 47).

Das Vorbringen, wonach gemeinsames Eingreifen auch ohne vorangegangene Willenseinigung denkbar sei, nimmt nicht am Urteilssachverhalt Maß (US 8 – RIS‑Justiz RS0099810). Soweit die Rüge Zweifel an der Gelegenheit zu einer Verabredung äußert, erschöpft sie sich nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Berufung wegen Schuld in der eigenständigen Bewertung der vom Erstgericht vollständig gewürdigten Verfahrensergebnisse (RIS‑Justiz RS0118342).

Zum Schuldspruch B reklamiert die Rechtsrüge (Z 9 lit a) einen Rechtsfehler mangels Feststellungen, weil nicht konstatiert worden sei, dass der Angeklagte C***** Kenntnis von dem im PKW aufbewahrten Pfefferspray gehabt habe. Damit postuliert die Beschwerde, dass zur Verwirklichung des als Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikt ausgestalteten ( Bruckmüller in WK 2 WaffG § 50 Rz 6) Tatbestands des § 50 Abs 1 Z 3 WaffG in Bezug auf den Besitz (§ 6 Abs 1 WaffG) Wissentlichkeit erforderlich wäre (vgl hingegen Bruckmüller in WK 2 WaffG § 50 Rz 37), ohne diese Behauptung methodengerecht aus dem Gesetz abzuleiten (RIS‑Justiz RS0116565, RS0116569).

Mit den weiteren Ausführungen, der Angeklagte hätte die von ihm zu verlangende Sorgfalt erst dann außer Acht gelassen, wenn er den Pfefferspray in der Fahrertür des von ihm gelenkten Fahrzeugs bemerkt und diesen Umstand auf sich hätte beruhen lassen, orientiert sich die Beschwerde prozessordnungswidrig (RIS‑Justiz RS0099810; Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 581 und 584) nicht an den dazu getroffenen Konstatierungen. Danach hat der Beschwerdeführer die nach den Umständen des Einzelfalls gebotene und ihm zumutbare Sorgfalt, zu der er nach seinen geistigen und körperlichen Fähigkeiten auch befähigt gewesen wäre und die von ihm und anderen Menschen seines Verkehrskreises verlangt werden könne, außer Acht gelassen (US 9) und (disloziert) das Fahrzeug, in dessen Fahrertür die Waffe aufgefunden wurde, bereits mehrere Tage verwendet, weshalb von der Wahrnehmung oder Wahrnehmbarkeit des Pfeffersprays auszugehen sei (US 14). Die Rüge legt zudem nicht dar, weshalb Fahrlässigkeit (§ 6 Abs 1 StGB; Bruckmüller in WK 2 WaffG § 50 Rz 6) in Bezug auf die – dem Besitz gleichzuhaltende ( Bruckmüller in WK 2 WaffG § 50 Rz 13) – Innehabung der Waffe für die Erfüllung des Tatbestands nicht ausreichen sollte ( Burgstaller/Schütz in WK 2 StGB § 6 Rz 2 ff, 12; RIS‑Justiz RS0081979).

 

Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – nach nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen folgt (§ 285i StPO).

Dieses wird zu berücksichtigen haben, dass dem den Angeklagten D***** betreffenden Strafausspruch (nicht geltend gemachte) Nichtigkeit aus § 281 Abs 1 Z 11 erster Fall StPO anhaftet (RIS‑Justiz RS0109969, RS0116501), weil die (Zusatz‑)Ersatzfreiheitsstrafe nicht in vollen Tagen bemessen wurde (RIS‑Justiz RS0089938, RS0090409; Lässig in WK 2 StGB § 19 Rz 32, 38; Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 671).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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