OGH 11Os149/16w

OGH11Os149/16w21.3.2017

Der Oberste Gerichtshof hat am 21. März 2017 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner‑Foregger, Mag. Michel und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Melounek als Schriftführerin in der Strafsache gegen Herwig L***** und einen weiteren Angeklagten wegen des Verbrechens des gewerbsmäßig schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1, Abs 3, 148 zweiter Fall StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen des Angeklagten Herwig L***** und der Haftungsbeteiligten Martha L***** sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 11. Juli 2016, GZ 11 Hv 98/15w‑144, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0110OS00149.16W.0321.000

 

Spruch:

 

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde der Haftungsbeteiligten wird das angefochtene Urteil im Verfallsausspruch aufgehoben, in diesem Umfang eine neue Hauptverhandlung angeordnet und die Sache dazu an das Landesgericht für Strafsachen Graz verwiesen.

Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Herwig L***** wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft werden die Akten vorerst dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Mit ihrer Berufung wird die Haftungsbeteiligte auf die Aufhebung des Verfallsausspruchs verwiesen.

Dem Angeklagten L***** fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil, das auch in Rechtskraft erwachsene Freisprüche dieses Angeklagten sowie eines Mitangeklagten enthält, wurde Herwig L***** des Verbrechens des gewerbsmäßig schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1, Abs 3, 148 zweiter Fall StGB (A) und des Vergehens der Datenfälschung nach § 225a StGB (B) schuldig erkannt.

Danach hat er – soweit für das Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerde von Bedeutung –

A)1) in E***** und andernorts mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz und in der Absicht, sich durch wiederkehrende Begehung von schweren Betrugshandlungen längere Zeit hindurch ein nicht bloß geringfügiges fortlaufendes Einkommen (US 8) zu verschaffen, Nachgenannte durch Täuschung über Tatsachen, nämlich über seine Zahlungsfähigkeit und Zahlungswilligkeit oder über die Erbringung von im Urteil bezeichneter Leistungen zu Handlungen verleitet, die Nachgenannte oder die von ihnen Vertretenen in einem 300.000 Euro übersteigenden Gesamtbetrag am Vermögen schädigten, und zwar

b) im Oktober und November 2014 in mehreren Angriffen den Architekten (US 9) der A***** KG Rainhard S***** zur Erstellung von Bauplänen für die Bauvorhaben F*****, M***** und H***** im Gesamtwert von 21.360 Euro;

c) von 18. November 2014 bis zum 24. April 2015 Salvatore F***** und Renate F***** zur Leistung von Anzahlungen im Gesamtbetrag von 95.000 Euro, wobei er am 10. April 2015 ein falsches Beweismittel, nämlich eine andere Baustelle betreffende Lichtbilder zum Baufortschritt per E‑Mail übermittelte;

d) von 22. Dezember 2014 bis zum 29. April 2015 in drei Angriffen Cornelia und Thomas Ha***** zur Zahlung von 20.370 Euro;

e) am 15. und 22. Juni 2015 Dr. Petra D***** zur Leistung von zwei Anzahlungen im Gesamtbetrag von 165.000 Euro.

Gemäß „§ 20 StGB“ wurde der am Konto der Martha L***** sichergestellte Betrag von 29.513,13 Euro für verfallen erklärt.

Gegen den Schuldspruch A und den Strafausspruch wendet sich die auf Z 5, 10 und 11 des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Herwig L*****, gegen den Verfallsausspruch die auf Z 3 und 11 des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde der vom Verfall betroffenen Martha L*****.

 

Rechtliche Beurteilung

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Herwig L***** :

Dem Einwand der Unvollständigkeit der Begründung der Feststellungen (Z 5 zweiter Fall) zuwider bedurften die Angaben des Zeugen Dipl.‑Ing. Adrian T***** bei der Berechnung des zu A/1/c angelasteten Betrugsschadens (Z 5 zweiter Fall) schon deshalb keiner gesonderten Erörterung, weil die durch Erstellung und Einreichung eines Plans tatsächlich erbrachten Leistungen im Wert von 2.100 Euro (worauf der Beschwerdeführer an anderer Stelle seines Rechtsmittels zutreffend hinweist) bereits von der Staatsanwaltschaft im Rahmen einer „Teileinstellung“ in Abzug gebracht wurden. Weshalb der Betrag dennoch in der festgestellten Schadenssumme von 95.000 Euro enthalten sein sollte, obwohl das Erstgericht den behaupteten Schadensbetrag auf den vom Angeklagten als „zweckwidrig verwendet“ zugestandenen (US 11, 19, 21; ON 129 S 2 f) reduzierte, erklärt die Rüge auch mit ihrer Kritik am Übergehen einer Auflösungsvereinbarung vom 1. Juni 2015 nicht. Hinzugefügt sei, dass auch eine Vermögensverminderung für einen wirtschaftlich nicht ganz bedeutungslosen Zeitraum für vollendeten Betrug genügt (RIS‑Justiz RS0094383). Spätere Schadensabdeckung stellt – selbst wenn dafür nicht (wie hier – US 11, 13) auf andere Weise betrügerisch erlangte Mittel verwendet worden wären – nur eine

Schadensgutmachung dar.

Nach den zu A/1/c getroffenen Feststellungen bestand die Täuschungshandlung des Angeklagten in der Vorgabe, die von der Familie F***** geleisteten Anzahlungen für die Errichtung eines schlüsselfertigen Einfamilienhauses zu verwenden (vgl US 10 erster Absatz letzte Zeile, US 11 zweiter Absatz). Ob der Angeklagte offizieller Vertreter der K***** GmbH war, betrifft keine entscheidende Tatsache. Mit darauf bezogenen Einwänden der Unvollständigkeit der Entscheidungsgründe zufolge Übergehens von im Rechtsmittel genannten Details diverser Zeugenaussagen verfehlt die Mängelrüge daher den gesetzlichen Bezugspunkt der Anfechtung (RIS‑Justiz RS0106268).

Der von der Beschwerde unter Hinweis auf Angaben des Zeugen Rainer St***** angestrebte Nachweis, dass der Angeklagte „noch nicht lange bei der Firma K***** war“, steht den Feststellungen zur subjektiven Tatseite nicht erörterungsbedürftig (Z 5 zweiter Fall) entgegen. Im Übrigen hat sich das Erstgericht mit der ausschließlich für den Schuldspruch A/1/b relevanten Frage, ob der Angeklagte in der von ihm behaupteten rechtlichen Beziehung zum Unternehmen K***** GmbH stand, sehr detailliert auseinandergesetzt, dies aber unter Einbeziehung einer Vielzahl von Verfahrensergebnissen verneint (US 17).

Die gesetzmäßige Ausführung eines materiell-rechtlichen Nichtigkeitsgrundes hat das Festhalten am gesamten im Urteil festgestellten Sachverhalt, dessen Vergleich mit dem darauf anzuwendenden Gesetz und die Behauptung, dass das Erstgericht bei Beurteilung dieses Sachverhalts einem Rechtsirrtum unterlegen ist, zur Voraussetzung (RIS‑Justiz

RS0099810). Zur prozessförmigen Ausführung einer Rechtsrüge oder Subsumtionsrüge genügt es nicht, die angestrebte rechtliche Konsequenz (Schuldspruch statt Freispruch oder umgekehrt beziehungsweise Änderung der rechtlichen Unterstellung) zu behaupten. Diese ist vielmehr

methodisch vertretbar aus dem Gesetz

abzuleiten (RIS‑Justiz RS0116569).

Dem wird die Subsumtionsrüge (Z 10) nicht gerecht. Indem sie ausschließlich beim Schuldspruchfaktum A/1/b den Wegfall der Gewerbsmäßigkeit anstrebt, lässt sie keine Bedeutung für die mehr als sechs weitere Betrugsfakten umfassende Subsumtionseinheit (§ 29 StGB) erkennen. Da sie dabei die Feststellungen zur Umsetzung des bereits von Beginn an bestehenden Tatplans übergeht (US 8), bringt sie den Nichtigkeitsgrund von vornherein nicht prozessförmig zur Darstellung.

Gleiches gilt, wenn die Rüge die zu A/1/b und A/1/c festgestellte Schadenshöhe (US 9 f) bestreitet und lediglich behauptet, es hätte eine Versteuerung gemäß § 19 Abs 1a UStG 1994 erfolgen müssen (vgl zur Veranschlagung der Umsatzsteuer bei der Schadensermittlung RIS‑Justiz RS0065699). Weshalb Planleistungen als „Bauleistungen“ gemäß § 19 Abs 1a UStG 1994 zu versteuern seien, erklärt der Beschwerdeführer nicht

(vgl dazu Hinterleitner/Pernegger in Berger/Bürgler/Kanduth-Kristen/Wakounig, UStG-ON 2.07 § 19 UStG [Stand 1. 1. 2016, rdb.at] Rz 2602c).

Unter dem Aspekt der Z 5 zweiter Fall betrachtet trifft der Vorwurf, das Gericht habe sich bei der zu A/1/b festgestellten Schadenshöhe mit bezughabenden Rechnungen nicht auseinandergesetzt, nicht zu (vgl US 18).

Die Sanktionsrüge (Z 11) bestreitet das Vorliegen der Voraussetzungen der Strafschärfung bei Rückfall nach § 39 StGB, übersieht aber, dass das Erstgericht bei der Strafbemessung von einem Strafrahmen von einem bis zu zehn Jahren ausging und damit die kritisierte Bestimmung gar nicht zur Anwendung brachte (vgl US 2 und 28). Eine verfehlte aber abstrakt gebliebene Beurteilung in den Entscheidungsgründen ist unbeachtlich, wenn nur im Ergebnis der zutreffende rechtliche Schluss gezogen wurde (vgl RIS‑Justiz RS0100877 [T8]).

Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten L***** war daher gemäß § 285d Abs 1 StPO schon bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen, woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Erledigung der Berufungen folgt (§ 285e StPO), dem die Akten zur Vermeidung von Verzögerungen in der Haftsache vorerst übermittelt werden.

 

Zur Nichtigkeitsbeschwerde der Haftungsbeteiligten:

Mit Verfahrensrüge (Z 3) macht die vom Verfall eines Geldbetrags in der Höhe von 29.513,13 Euro betroffene Martha L***** (US 3) einen Verstoß gegen § 221 Abs 1 StPO, das Recht auf rechtliches Gehör und die „analog anzuwendende“ Vorschrift des § 427 Abs 1 StPO geltend, weil sie zur Hauptverhandlung nicht gehörig, und zwar nicht in ihrer Rolle als Haftungsbeteiligte geladen worden sei.

Mit der Bezugnahme auf das Recht auf rechtliches Gehör (§ 6 Abs 2 StPO, § 6 MRK) und § 221 Abs 1 StPO, also Bestimmungen, deren Einhaltung die Strafprozessordnung nicht bei sonstiger Nichtigkeit anordnet, zeigt die Verfahrensrüge (Z 3) den geltend gemachten Nichtigkeitsgrund nicht auf (RIS‑Justiz RS0099118, RS0099088).

Dem weiteren Vorbringen zuwider kann vom Vorliegen einer das Abwesenheitsverfahren betreffenden Gesetzeslücke, die durch Anwendung des § 427 StPO auf Haftungsbeteiligte zu schließen wäre, keine Rede sein (aM Fuchs/Tipold, WK‑StPO § 443 Rz 90), weil die Strafprozessordnung für Personen, die vom Verfall oder von anderen vermögensrechtlichen Maßnahmen betroffen sind, in § 444 Abs 1 StPO eine (von § 427 StPO abweichende) Regelung trifft.

Zu Recht zeigt die Beschwerdeführerin hingegen auf, dass sie zur Hauptverhandlung nicht ordnungsgemäß geladen (ON 1 S 31 ff, 37 f, 41 f, 47 f) und durch die in ihrer Abwesenheit durchgeführte Verhandlung und Urteilsfällung (ON 143) in ihren Verfahrensrechten verletzt wurde. Ergeht eine vermögensrechtliche Anordnung, obwohl der davon betroffene Haftungsbeteiligte zur Hauptverhandlung nicht ordnungsgemäß geladen wurde, geht damit auch eine Verletzung der Vorbereitungsfrist des § 221 Abs 2 StPO einher (vgl dazu Fuchs/Tipold, WK‑StPO § 444 Rz 27). Zufolge des Verweises des als verletzt erachteten § 444 Abs 1 StPO auf § 221 Abs 2 StPO wird mit dem gerügten Verstoß auch die Missachtung einer Bestimmung aufgezeigt, deren Einhaltung das Gesetz bei sonstiger Nichtigkeit anordnet (§ 281 Abs 1 Z 3 StPO).

Da ein für die Haftungsbeteiligte nachteiliger Einfluss des Formverstoßes auf die Entscheidung (§ 281 Abs 3 StPO) nicht ausgeschlossen werden kann, war der Verfallsausspruch – im Ergebnis in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – daher in Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde aufzuheben, eine neue

Hauptverhandlung anzuordnen und die Sache in diesem Umfang an das Landesgericht für Strafsachen Graz zu verweisen (§§ 285e288 Abs 2 Z 1 StPO).

Ein Eingehen auf das weitere, aus Z 11 erstattete Vorbringen der Nichtigkeitsbeschwerde erübrigt sich.

Mit ihrer Berufung ist die Haftungsbeteiligte auf die Aufhebung des Verfallserkenntnisses zu verweisen.

Die den Angeklagten L***** betreffende Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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