OGH 11Os134/10f

OGH11Os134/10f16.11.2010

Der Oberste Gerichtshof hat am 16. November 2010 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher, Dr. Schwab, Mag. Lendl und Dr. Bachner-Foregger, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Fries als Schriftführer, in der Strafsache gegen Dietmar P***** wegen Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 1 SMG und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Linz als Schöffengericht vom 15. Juni 2010, GZ 22 Hv 15/10m-153, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil - das auch unbekämpft in Rechtskraft erwachsene Teilfreisprüche enthält (zur überflüssigen Anführung der rechtlichen Kategories Lendl, WK-StPO § 259 Rz 1) - wurde Dietmar P***** der Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 1 SMG, § 15 StGB (A I), der Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 vierter Fall SMG (A II) und der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall SMG (A III) sowie des Verbrechens der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs 1 StGB (B) und der Vergehen der sexuellen Belästigung nach § 218 Abs 1 Z 1 StGB (C) schuldig erkannt.

Danach hat er - soweit im Nichtigkeitsverfahren von Belang - in Feldkirchen und anderen Orten

A) von zumindest Frühjahr 2006, überwiegend ab Anfang 2008 bis 13. August 2009 vorschriftswidrig Suchtgift

I.) in einer die Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge, nämlich rund 630 Gramm bis 1.200 Gramm Kokain (brutto; netto 95,55 bis 186,30 Gramm - US 20) und eine unbekannte Menge Speed (Amphetamin), anderen (im Urteil namentlich genannten) Personen überlassen bzw zu überlassen versucht, indem er es überwiegend gewinnbringend verkaufte, wobei er die Straftat gewerbsmäßig beging und schon einmal wegen einer Straftat nach § 28a Abs 1 SMG, nämlich ua wegen § 28 Abs 2 vierter Fall, Abs 3 erster Fall SMG idF BGBl I 1997/112 (Urteil des LG Wels zu AZ 15 Hv 128/04y vom 17. Dezember 2004) verurteilt worden ist;

II.) in einer die Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge (netto über 45 Gramm Kokain - US 20) anderen Personen angeboten;

III.) erworben und besessen und zwar:

1.) monatlich zumindest 1 bis 2 Gramm Kokain und eine unbekannte Menge Speed (Amphetamin) bis zum Eigenkonsum;

2.) am 13. August 2009 in Feldkirchen ca 18 Gramm Kokain.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten aus § 281 Abs 1 Z 2, 3, 5, 9 (lit) b und 10 StPO.

Zur Abklärung von Telefonkontakten zwischen dem Angeklagten und seinem „Suchtgiftlieferanten“ (US 10) Thomas P***** am 10. August 2009 - zu denen der Erstgenannte keine Angaben machte (Hauptverhandlung 14. Juni 2010 ON 152 S 28) - erging ein Ermittlungsauftrag an die Polizei. Gegen die Verlesung des entsprechenden Berichts (ON 151) sprach sich der Verteidiger unter Berufung auf „datenschutzrechtliche Gründe“ aus (ON 152a S 4 f). Der Schöffensenat beschloss die Verlesung des Berichts gemäß § 252 Abs 2 StPO (ON 152a S 5 f). Aus der Begründung erhellt, dass der bemängelte Bericht (lediglich) bereits im Verfahren gegen Thomas P***** ermittelte Daten von Nachrichtenübermittlungen (§ 134 Z 2 StPO) enthält, welche bereits durch die (unwidersprochene) Verlesung der Akten des P***** betreffenden Strafverfahrens (ON 152a S 4) Eingang in die Hauptverhandlung gefunden hatten.

Sowohl aus Z 2 als auch Z 3 des § 281 Abs 1 StPO bekämpft der Angeklagte diese Verlesung, ohne jedoch einen nichtigkeitsbegründenden Umstand bei der Beweisaufnahme (vgl §§ 137 Abs 3, 140 Abs 1 Z 4, Abs 2, Abs 3 StPO) oder bei der Verlesung (vgl § 252 Abs 2, Abs 4 StPO) aufzeigen zu können. Unklar bleibt der Einwand, dass hinsichtlich der in Rede stehenden Daten „im gegenständlichen Verfahren eine diesbezügliche Genehmigung nicht vor[lag]“. Der Hinweis auf § 157 Abs 1 Z 1 StPO - von welchem Recht der Angeklagte als Zeuge im Verfahren P***** Gebrauch gemacht hatte - versagt schon mit Blick auf § 157 Abs 2 StPO, mehr noch aber wegen des Berichtsinhalts (der keine Aussage enthält) und der verschiedenen prozessualen Stellungen des Beschwerdeführers in den beiden Verfahren, zumal er im gegenständlichen, ihn betreffenden Prozess keineswegs eine Sacheinlassung verweigert hatte.

Dem weiteren Vorbringen der Verfahrensrüge (Z 3), zwei Polizisten seien vor ihrer Vernehmung als Zeugen zu den Anklagevorwürfen nicht von der Amtsverschwiegenheit entbunden worden, ist § 155 Abs 2 StPO entgegenzuhalten. Die Ausführungen zu Meinungen und Äußerungen von Zeugen über das Verhalten eines anderen Polizeibeamten bei Vernehmungen im gegenständlichen Verfahren, die in der Behauptung eines „gravierenden Mangels im Ermittlungsverfahren“ gipfeln, lassen überhaupt keinen nichtigkeitsbegründenden Umstand erkennen (§ 285a Z 2 StPO).

Der einleitende Satz der Mängelrüge (Z 5) „Um Wiederholungen zu vermeiden, wird daher all das Angeführte aushilfsweise auch unter dem Gesichtspunkt vom Begründungsmangel und Unvollständigkeit iSd § 281 Abs 1 Z 5 StPO geltend gemacht“, vermag deren prozessordnungsgemäße Darstellung nicht zu ersetzen: Die Nichtigkeitsgründe des § 281 Abs 1 StPO sind voneinander nämlich wesensmäßig verschieden und daher gesondert auszuführen, wobei unter Beibehaltung dieser klaren Trennung deutlich und bestimmt jene Punkte zu bezeichnen sind, durch die sich der Nichtigkeitswerber für beschwert erachtet (RIS-Justiz RS0115902). Soweit sich das Vorbringen daher nicht schon aus diesem Grund meritorischer Erwiderung entzieht, spricht der Rechtsmittelwerber mit Bezug auf einen vom Erstgericht angenommenen besonderen Erschwerungsumstand (US 58 f), die Bezeichnung des von ihm betriebenen Lokals mit einem Spitznamen (US 10), die Aufbewahrung von Kokain „teilweise in gelben Kinderüberraschungseiern“ (US 10) und Angaben über zu geringen Gewinn des erwähnten Lokals (US 35) weder entscheidende noch erhebliche Tatsachen an (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 399, 409). Der zur Überzeugung der Tatrichter von der Glaubwürdigkeit eines Zeugen aufgrund des von diesem in der Hauptverhandlung gewonnenen persönlichen Eindrucks führende kritisch-psychologische Vorgang als solcher ist der Anfechtung mit Mängelrüge entzogen (RIS-Justiz RS0106588; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 431).

Die gesetzmäßige Ausführung eines materiell-rechtlichen Nichtigkeitsgrundes hat das Festhalten am gesamten im Urteil festgestellten Sachverhalt, dessen methodengerechten Vergleich mit dem darauf anzuwendenden Gesetz und die Behauptung, dass das Erstgericht bei Beurteilung dieses Sachverhalts einem Rechtsirrtum unterlegen sei, zur Voraussetzung (RIS-Justiz RS0099810, RS0116565, RS0117247, RS0099724; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 581, 584).

Diesen Anforderungen wird das Vorbringen aus § 281 Abs 1 Z 9 lit b und 10 StPO nicht gerecht, indem es die Konstatierungen zur subjektiven Tatseite (US 20 f, 52) teils ignoriert, teils (etwa zum Überwiegen entgeltlicher Suchtgiftüberlassungen - US 20) ins Gegenteil verkehrt und deren Begründung als unzureichend kritisiert. Der Sache nach könnte mit Letzterem eine Mängelrüge nach § 281 Abs 1 Z 5 StPO intendiert sein, wobei der Beschwerdeführer jedoch nicht - wozu er verpflichtet wäre (RIS-Justiz RS0119370, RS0116504; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 394) - von der Gesamtheit der tatrichterlichen Erwägungen (US 34 ff) ausgeht und insgesamt keine Verstöße derselben gegen Logik und Empirie aufzuzeigen imstande ist (RIS-Justiz RS0118317; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 444).

Die partiell eigenständig beweiswürdigende, sonst aber abstrakt rechtspolitische weitere Argumentation zur Gewerbsmäßigkeit verlässt sinnfällig den gesetzlich gesteckten Rahmen einer Nichtigkeitsbeschwerde. Worin der Beschwerdeführer einen „wichtigenSchuldausschließungs- oder Rechtfertigungsgrund“ erblickt, lässt er im Dunkeln.

Die Kritik der Subsumtionsrüge (Z 10) an der Annahme des qualifizierten Tatbestands nach § 28a Abs 2 Z 1 SMG - weil die als qualifizierend herangezogene Vorverurteilung vor dem Inkrafttreten der genannten Norm erfolgt sei - verfehlt eine Ableitung aus dem Gesetz, das nicht den Begriff „strafbare Handlung“, sondern „Straftat“ verwendet (sohin auf das faktische Vorliegen der Tatbestandsmerkmale des § 28a Abs 1 SMG in der Verurteilung abstellt - vgl Litzka/Matzka/Zeder, SMG2 § 28a Rz 18; 12 Os 45/08x). Auch die Behauptung eines Verstoßes gegen das Rückwirkungsverbot des § 1 Abs 1 StGB in diesem Zusammenhang hält einerseits nicht am Tatsachensubstrat des Ersturteils fest (woraus sich die objektive und subjektive Verwirklichung jeweils mehrerer Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 vierter und fünfter Fall [Schuldsprüche A I, A II] auch nach Inkrafttreten der genannten Bestimmung Anfang 2008 [BGBl I 2007/110] ergibt - US 11 ff, 20, 34, 37 ff, 52) und verfehlt andererseits einmal mehr eine methodengerechte Argumentation, indem der Beschwerdeführer - noch dazu mit zwei Fehlzitaten hinsichtlich einzelner Ziffern der Aktenzahlen - drei zu § 28a Abs 2 Z 3 SMG ergangene Judikate ins Treffen führt. Die bloße Bestreitung des Vorliegens gewerbsmäßiger Absicht (vgl US 20, 52) kann den Nichtigkeitswerber aus den bereits genannten prozessualen Gründen ebenso nicht zum angestrebten Erfolg führen.

Die Nichtigkeitsbeschwerde - die zwar einen Eventualantrag auf gänzliche Aufhebung des Ersturteils enthält, zu den Schuldsprüchen B und C aber keinerlei Sachvorbringen erstattet (§§ 285 Abs 1, 285a Z 2 StPO) - war daher bereits bei nicht nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

Zur Erledigung der Berufungen ist somit das Oberlandesgericht zuständig (§ 285i StPO).

Anzumerken bleibt, dass der Angeklagte nach den zum Schuldspruch A III 1 getroffenen Feststellungen Suchtgift zum Eigenkonsum erworben und besessen hat (US 5, 9 f, 20). Es hätte daher diesbezüglich die privilegierende Bestimmung des § 27 Abs 2 SMG zur Anwendung kommen müssen, weil die genannten Tathandlungen ausschließlich zum persönlichen Gebrauch gesetzt wurden.

In Ansehung der richtig nach § 28a Abs 2 SMG vorgenommenen Strafzumessung blieb dies aber ohne nachteilige Auswirkung für den Angeklagten, sodass es keines Vorgehens nach § 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO bedarf (Ratz, WK-StPO § 290 Rz 22 f), zumal zufolge des Hinweises des Obersten Gerichtshofs keine - dem Berufungswerber zum Nachteil gereichende - Bindung des Oberlandesgerichts nach § 295 Abs 1 erster Satz StPO an den in Rede stehenden Ausspruch des Erstgerichts über das anzuwendende Strafgesetz besteht (RIS-Justiz RS0118870; 12 Os 139/09x).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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