European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:010OBS00064.23V.0116.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Sozialrecht
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach allfälliger Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Begründung:
[1] Gegenstand des Verfahrens ist der Anspruch der Klägerin auf pauschales Kinderbetreuungsgeld als Konto für den Zeitraum von 1. April 2017 bis 22. September 2018 für ihr am 23. Jänner 2017 geborenes zweites Kind M*.
[2] Im Revisionsverfahren ist nur mehr strittig, ob der Zeitraum zwischen 1. Februar 2016 und 7. August 2016, in der die Klägerin die Ausnahme von der Pflichtversicherung nach § 4 Abs 1 Z 7 GSVG widerrufen hatte, als Erwerbstätigkeit oder gleichgestellte Situation (§ 24 Abs 2 KBGG) zu qualifizieren ist.
[3] Die Klägerin lebt in der Slowakei und war im Rahmen einer entsprechenden Gewerbeberechtigung seit 2008 als Personenbetreuerin selbständig tätig. Aus Anlass der Geburt ihres ersten Kindes am 11. September 2014 bezog sie von 1. April 2014 bis 6. November 2014 Wochengeld und im Anschluss von 7. November 2014 bis 10. Mai 2016 – nach dem insofern nicht bestrittenen Vorbringen der beklagten Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen – pauschales Kinderbetreuungsgeld als Konto. Zu einem nicht mehr näher feststellbaren Zeitpunkt beantragte sie für die Dauer des Bezugs des Kinderbetreuungsgeldes bzw der Kindererziehung die Ausnahme von der Pflichtversicherung in der Kranken- und Pensionsversicherung nach § 4 Abs 1 Z 7 GSVG. Mit Schreiben vom 31. Jänner 2016 widerrief sie diese Ausnahme. Ob die Klägerin dabei tatsächlich beabsichtigte, ihre selbständige Erwerbstätigkeit wieder aufzunehmen, konnte nicht festgestellt werden.
[4] Von 7. April 2016 bis 11. April 2016 befand sich die Klägerin wegen einer Fehlgeburt, vermutlich im zweiten Schwangerschaftsmonat, stationär im Krankenhaus.
[5] Zwischen 8. August 2016 und 20. März 2017 bezog die Klägerin aufgrund ihrer Schwangerschaft mit M* zunächst Wochengeld und daran anschließend von 21. März 2017 bis 22. September 2018 pauschales Kinderbetreuungsgeld als Konto samt Beihilfe.
[6] In der Zeit von 1. Februar 2016 bis 6. April 2016 sowie von 12. April 2016 bis 7. August 2016 wäre es der Klägerin möglich gewesen, ihrer selbständigen Tätigkeit als Personenbetreuerin in Österreich nachzugehen.
[7] Mit Bescheid vom 5. Mai 2020 widerrief die Beklagte die Zuerkennung des Kinderbetreuungsgeldes für den Zeitraum von 1. April 2017 bis 22. September 2018 sowie der Beihilfe zum pauschalen Kinderbetreuungsgeld für den Zeitraum von 1. April 2017 bis 20. März 2018 und verpflichtete die Klägerin zum Rückersatz der unberechtigt empfangenen Leistung von 5.911,32 EUR.
[8] Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin die Feststellung, dass ihr Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld sowie die Beihilfe für die im Bescheid jeweils genannten Zeiträume zu Recht bestehe. Sie brachte vor, dass sie mit 1. Februar 2016 die Löschung der Ausnahme des § 4 Abs 1 Z 7 GSVG beantragt und auch beabsichtigt habe, ihre Tätigkeit wieder aufzunehmen. Auch wenn es ihr (bis zum zweiten Wochengeldbezug ab 8. August 2016) nicht gelungen sei, einen geeigneten Klienten zu finden, bedeute das nicht, dass sie ihre selbständige Erwerbstätigkeit nicht tatsächlich ausgeübt hätte, weil dazu auch die Suche nach Kunden zähle. Ab dem Widerruf der Ausnahme von der Pflichtversicherung habe sie auch Sozialversicherungsbeiträge geleistet.
[9] Die Beklagte hielt dem entgegen, dass die Klägerin ihre Erwerbstätigkeit zwischen 1. Februar 2016 und 7. August 2016 nicht tatsächlich ausgeübt habe. Sie habe auch nie beabsichtigt das zu tun, sondern die Ausnahme von der Pflichtversicherung bloß zum Schein widerrufen, um Leistungen beziehen zu können und eine Gleichstellungskette herbeizuführen. Seit dem Widerruf der Ausnahme des § 4 Abs 1 Z 7 GSVG habe keine karenzähnliche Situation mehr bestanden, sodass Österreich mangels einer ununterbrochenen Kette von Zeiten iSd § 24 Abs 2 KBGG nach der VO (EG) 883/2004 nicht zur Erbringung von Leistungen zuständig sei.
[10] Das Erstgericht wies die Klage der Sache nach ab, indem es aussprach, dass die Zuerkennung des pauschalen Kinderbetreuungsgeldes samt der Beihilfe dazu für die im Bescheid jeweils genannten Zeiträume widerrufen werde, sowie feststellte, dass die Beklagte zum Rückersatz von 5.911,32 EUR berechtigt und die Klägerin zur Rückzahlung dieses Betrags verpflichtet sei. Rechtlich schloss es sich der Ansicht der Beklagten an und führte aus, dass die Klägerin im Zeitraum von 1. Februar 2016 bis 7. August 2016 trotz aufrechter Gewerbeberechtigung eine Erwerbstätigkeit nicht tatsächlich ausgeübt habe. Die Zuständigkeit Österreichs nach der VO (EG) 883/2004 sei daher nicht gegeben.
[11] Das Berufungsgericht gab der Klage (in Form einer negativen Feststellung) statt. Die Klägerin sei vor dem Bezug von Wochengeld anlässlich der Geburt ihres ersten Kindes unstrittig mehr als sechs Monate erwerbstätig gewesen; der anschließende Bezug von Wochengeld und Kinderbetreuungsgeld sei eine damit gleichgestellte Situation iSd § 24 Abs 2 KBGG idF BGBl I 2013/117. Mit dem Widerruf der Ausnahme nach § 4 Abs 1 Z 7 GSVG sei die gleichgestellte Situation zwar vorzeitig beendet worden. Entgegen der Ansicht des Erstgerichts sei das aber kein Indiz für eine bloße Scheinkarenz. Wäre es der Klägerin nämlich tatsächlich bloß darum gegangen, die karenzähnliche Situation möglichst lange aufrecht zu erhalten, hätte es ausgereicht, die Ausnahme von der Pflichtversicherung nicht zu widerrufen. Aus ihrem Wunsch nach weiteren Kindern könne auch nicht ohne weiteres darauf geschlossen werden, dass die Klägerin ihre Erwerbstätigkeit von vornherein nicht wieder aufnehmen habe wollen, also die Unterbrechung der Erwerbstätigkeit nur zum Schein erklärt habe. Da die Klägerin ab dem Widerruf der Ausnahme von der Pflichtversicherung auch wieder Sozialversicherungsbeiträge geleistet habe, sei von der Ausübung einer Erwerbstätigkeit auszugehen; die Negativfeststellung zur Absicht der Klägerin, ihre Erwerbstätigkeit ab 1. Februar 2016 tatsächlich wieder aufzunehmen, gehe zu Lasten der dafür beweispflichtigen Beklagten. Angesichts dessen sei bis zur Geburt von M* von einer durchgehenden Erwerbstätigkeit einschließlich einer echten, nicht nur zum Schein erklärten vorübergehenden Unterbrechung auszugehen, womit die Zuständigkeit Österreichs nach der VO (EG) 883/2004 gegeben sei.
[12] Die Revision ließ das Berufungsgericht nicht zu.
[13] Gegen dieses Urteil richtet sich die außerordentliche Revision der Beklagten, mit dem Begehren, die Klage abzuweisen und festzustellen, dass die Klägerin zum Rückersatz der zu Unrecht bezogenen 5.911,32 EUR verpflichtet sei. Hilfsweise stellt sie auch einen Aufhebungsantrag.
[14] In der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung beantragt die Klägerin, die außerordentliche Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[15] Die Revision ist zulässig und im Sinn der Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen auch berechtigt.
[16] 1. Im Revisionsverfahren ist nicht strittig, dass die Klägerin Grenzgängerin iSd Art 1 lit f VO (EG) 883/2004 und daher der persönliche Anwendungsbereich der Verordnung eröffnet ist. Unstrittig ist ferner, dass Kinderbetreuungsgeld eine zu koordinierende Familienleistung iSd Art 1 lit z und Art 3 Abs 1 lit j VO (EG) 883/2004 sowie der DVO (EG) 987/2009 ist (RS0122905 [insb T3]; 10 ObS 117/22m ua).
[17] 1.1. Angesichts dessen ist für die Erbringung und damit auch für den Export von Familienleistungen jener Mitgliedstaat zuständig, dessen Rechtsvorschriften gemäß Art 11 ff VO (EG) 883/2004 anwendbar sind (10 ObS 12/23x; 10 ObS 148/14h SSV‑NF 29/59 ua). Nach Art 11 Abs 1 VO (EG) 883/2004 unterliegen Personen, für die die Verordnung gilt, den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats. Für Personen, die in einem Mitgliedstaat eine „Beschäftigung“ oder eine „selbstständige Erwerbstätigkeit“ ausüben, sind das die Rechtsvorschriften dieses Staats (Art 11 Abs 3 lit a VO [EG] 883/2004) und zwar unabhängig davon, wo die Person ihren Wohnsitz hat (10 ObS 133/22i; 10 ObS 81/20i SSV‑NF 34/54 ua). Geht die Person keiner Beschäftigung oder selbständigen Erwerbstätigkeit nach und sind auch die Spezialbestimmungen der lit b bis d nicht erfüllt, sind gemäß Art 11 Abs 3 lit e VO (EG) 883/2004 die Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats anwendbar.
[18] 1.2. Was unter einer „Beschäftigung“ sowie einer „selbständigen Erwerbstätigkeit“ iSd VO (EG) 883/2004 zu verstehen ist, wird in den lit a und b ihres Art 1 definiert, die dazu jeweils auf das Recht der Mitgliedstaaten verweisen. Maßgeblich für die kollisionsrechtliche Anknüpfung ist demnach – sowohl für den Bereich des pauschalen als auch des einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeldes – die nationale Definition des Begriffs der „Beschäftigung“ sowie des Begriffs der „einer Beschäftigung gleichgestellten Situation“ (vgl Art 1 lit a VO [EG] 883/2004) in § 24 Abs 2 KBGG, der hier in der Fassung des BGBl I 2013/117 anzuwenden ist (§ 50 Abs 14 KBGG; RS0130043; 10 ObS 96/17s [zu § 24 Abs 2 KBGG aF]).
[19] 1.3. Darauf aufbauend ziehen die Parteien nicht in Zweifel, dass es einer lückenlosen Aneinanderreihung von Zeiten (der Beschäftigung oder dieser gleichgestellter Zeiten) iSd § 24 Abs 2 KBGG bedarf, um die Leistungszuständigkeit Österreichs nach Art 11 (Abs 3 lit a) VO (EG) 883/2004 zu begründen („Gleichstellungskette“; vgl 10 ObS 61/22d [Rz 15]; 10 ObS 81/20i [Pkt 6.2.] SSV‑NF 34/54 ua).
[20] 2. Nach § 24 Abs 2 KBGG aF setzt die von der Klägerin in Anspruch genommene Gleichstellung die Unterbrechung ihrer zuvor mindestens sechs Monate dauernden sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit während eines Beschäftigungsverbots oder einer Karenz (nach dem MSchG oder dem VKG oder gleichartigen anderen österreichischen Rechtsvorschriften) voraus.
[21] 3. Im Anlassfall ist unstrittig, dass die Klägerin vor Beginn des ersten Wochengeldbezugs (am 1. April 2014) mindestens sechs Monate eine selbständige Erwerbstätigkeit in Österreich ausgeübt hat (vgl RS0129362). Unstrittig ist auch, dass die Zeiten des Wochengeldbezugs der Klägerin aus Anlass der Geburt ihres ersten Kindes (von 1. April 2014 bis zum 6. November 2014) und die daran anschließende Zeit der Unterbrechung ihrer selbständigen Erwerbstätigkeit bei gleichzeitigem Bezug von pauschalem Kinderbetreuungsgeld sowie unter Inanspruchnahme der Ausnahme von der Pflichtversicherung gemäß § 4 Abs 1 Z 7 GSVG der Ausübung einer Erwerbstätigkeit gleichgestellte Zeiten iSd § 24 Abs 2 KBGG (aF) sind. Die Beklagte bestreitet ebenso wenig, dass dies auch auf die Zeit des Wochengeldbezugs der Klägerin aus Anlass ihrer Schwangerschaft mit M* (ab 8. August 2016) zutrifft.
[22] Strittig ist daher die Qualifikation des Zeitraums von 1. Februar 2016 bis zum 7. August 2016, in dem die Klägerin zwar teilweise (bis 10. Mai 2016) pauschales Kinderbetreuungsgeld bezogen, jedoch die Inanspruchnahme von der Ausnahme von der Pflichtversicherung (Kranken- und Pensionsversicherung) nach § 4 Abs 1 Z 7 GSVG widerrufen hat.
[23] 3.1. Dazu ist das Berufungsgericht zu Recht davon ausgegangen, dass die gleichgestellte Situation mit Löschung der Ausnahme von der Pflichtversicherung nach § 4 Abs 1 Z 7 GSVG beendet wurde (ausführlich 10 ObS 36/21y [insb Rz 42 und 49]; Sonntag in Sonntag/Schober/Konezny, KBGG4 § 2 Rz 62c), was von der Klägerin auch gar nicht bestritten wird. Konsequenterweise beruft sie sich demgemäß darauf, im strittigen Zeitraum wieder erwerbstätig gewesen zu sein. Die Ausführungen des Berufungsgerichts zu einer vermeintlichen Scheinkarenz beruhen daher auf einem Missverständnis der Entscheidung des Erstgerichts. Denn eine Scheinkarenz liegt vor, wenn (schon) die vorübergehende Unterbrechung der Tätigkeit zum Zweck der Kindererziehung nur vorgetäuscht wird, obwohl in Wahrheit von einer Beendigung der Tätigkeit auszugehen ist (10 ObS 179/21b; 10 ObS 60/21b). Davon ist das Erstgericht – was die Beklagte zutreffend aufzeigt – nicht ausgegangen. Tatsächlich hat es der Klägerin eine Scheinerwerbstätigkeit vorgeworfen, indem sie zwar die Ausnahme von der Pflichtversicherung nach § 4 Abs 1 Z 7 GSVG widerrief, aber nicht vorgehabt habe, ihre selbständige Erwerbstätigkeit tatsächlich auszuüben – und dies auch nicht getan habe. Damit würde den (unstrittig) gleichgestellten Zeiten bis 31. Jänner 2016 weder eine tatsächliche Erwerbstätigkeit noch eine gleichgestellte Situation folgen, womit keine lückenlose Aneinanderreihung von Zeiten iSd § 24 Abs 2 KBGG aF vorläge. Entscheidend ist daher nicht, ob die Klägerin die Unterbrechung der Erwerbstätigkeit vortäuschte, sondern ob sie eine Erwerbstätigkeit (tatsächlich) ausübte.
[24] 3.2. Bei der Beurteilung der Frage, ob eine „tatsächliche Ausübung einer Erwerbstätigkeit“ iSd § 24 Abs 2 KBGG (aF) vorliegt, kommt es zunächst darauf an, ob eine Erwerbstätigkeit ausgeübt wurde, die der Pflichtversicherung (auch) in der Kranken- und Pensionsversicherung unterliegt, ob also aufgrund dieser Tätigkeit Sozialversicherungsbeiträge zu leisten waren (RS0128183; 10 ObS 129/20y SSV‑NF 34/77). Der Begriff „tatsächlich“ ist dabei nicht im Sinn einer konkreten Ausübung einer Arbeitsleistung zu bestimmten Zeiten oder an bestimmten Orten zu verstehen. Damit wird vielmehr (nur) zum Ausdruck gebracht, dass Missbrauch durch Ausübung einer bloßen Scheinerwerbstätigkeit in Österreich verhindert werden soll (10 ObS 5/21i SSV‑NF 35/17; 10 ObS 99/20m SSV‑NF 34/65 ua).
[25] 3.3. Ob die Klägerin ihre Erwerbstätigkeit in diesem Sinn ab 1. Februar 2016 tatsächlich ausgeübt hat, lässt sich auf Basis der derzeitigen Sachverhaltsgrundlage noch nicht definitiv beantworten. Entgegen der Ansicht der Klägerin reichteine aufrechte Pflichtversicherung für sich allein nicht aus, weil es dafür nicht darauf ankommt, ob der Selbständige sein Gewerbe auch ausübt (Scheiber in Sonntag GSVG12 § 2 Rz 15). Demgemäß liegt keine Erwerbstätigkeit iSd § 24 Abs 2 KBGG vor, wenn trotz aufrechter Pflichtversicherung eine tatsächliche Ausübung der (selbständigen) Tätigkeit nicht einmal beabsichtigt ist (10 ObS 36/21y [Rz 51]).
[26] Dazu hat das Erstgericht die oben wiedergegebene Negativfeststellung getroffen. Im Gegensatz zu seinen vorherigen Sachverhaltsannahmen hat das Erstgericht jedoch in der rechtlichen Beurteilung ausgeführt, es sei „belegt, dass die Klägerin das Gewerbe nur zum Schein aufrecht meldete“ – woraus konsequenterweise folgen müsste, dass sie eine Ausübung ihrer Tätigkeit auch nie beabsichtigte. Die zitierte Ausführung ist dem Tatsachenbereich zuzuordnen, sodass die Feststellungen des Erstgerichts insofern daher widersprüchlich sind. Da die Beklagte für das Vorliegen eines Rückforderungstatbestands behauptungs- und beweispflichtig ist (RS0086067 [T4]; 10 ObS 96/22y ua), ist die Widersprüchlichkeit auch entscheidungsrelevant.
[27] Auch wenn der Klägerin zuzustimmen ist, dass die tatsächliche Ausübung einer selbständigen Tätigkeit nicht (allein) von der aktuellen Auftragslage abhängen kann (vgl Sonntag in Sonntag/Schober/Konezny,KBGG4 § 24 Rz 11a), sind aber jedenfalls Handlungen in einer entsprechenden Intensität erforderlich, die den Willen zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit erkennbar zum Ausdruck bringen (vgl VwGH 2012/16/0066). Ob und wann das der Fall ist, kann zwar immer nur anhand der konkreten Umstände beantwortet werden. Im Fall der Klägerin sind aber jedenfalls Handlungen erforderlich, die ein nachhaltiges Bemühen erkennen lassen, (neue) Kunden zu akquirieren. Diese Beurteilung lässt der aktuell festgestellte Sachverhalt nicht zu.
[28] 4. Zusammenfassend lässt sich anhand der derzeitigen Sachverhaltsgrundlage noch nicht abschließend beurteilen, ob die Klägerin im Zeitraum zwischen 1. Februar 2016 und 7. August 2016 eine (selbständige) Erwerbstätigkeit tatsächlich ausgeübt hat und daher eine lückenlose Abfolge von Zeiten nach § 24 Abs 2 KBGG aF vorliegt. Das bedingt die Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen.
[29] 5. Im fortgesetzten Verfahren wird daher – allenfalls nach Erörterung mit den Parteien und Verbreiterung der Sachverhaltsgrundlage – festzustellen sein, ob die Klägerin im strittigen Zeitraum Handlungen gesetzt hat, die (schon) als Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit anzusehen sind.
[30] Dabei wird das Erstgericht zum einen zu beachten haben, dass eine (richtige) rechtliche Beurteilung nicht erfolgen kann, wenn widersprüchliche tatsächliche Annahmen vorliegen (RS0042744). Es wird daher aufzuklären sein, warum es belegt sein soll, dass die Klägerin ihr Gewerbe nur zum Schein aufrecht gemeldet habe, ein fehlender Wille zur (Wieder-)Aufnahme der Erwerbstätigkeit aber nicht feststellbar ist (vgl oben 3.3.).
[31] Zum anderen wird zu berücksichtigen sein, dass im Verfahren über den Rückersatz von Leistungen ein negatives Feststellungsbegehren zu erheben ist (Neumayr in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 § 69 ASGG Rz 2). Das Erstgericht kann dabei dem Klagebegehren die dem Gesetz entsprechende Fassung geben (RS0038852; RS0039357). Sofern das Klagebegehren abgewiesen wird, ist der Klägerin nach § 89 Abs 4 erster Satz ASGG unter einem der Rückersatz an die Beklagte aufzuerlegen (Neumayr, ZellKomm3 § 89 ASGG Rz 21 ff; vgl etwa 10 ObS 192/21i).
[32] 6. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG.
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