European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:010OBS00023.23I.0116.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Sozialrecht
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.
Entscheidungsgründe:
[1] Die Klägerin stand bis 30. 4. 2022 in einem aufrechten Dienstverhältnis. Da sie für die Zeit des Betriebsurlaubs keinen offenen Urlaubsanspruch mehr hatte, vereinbarte sie mit ihrem Arbeitgeber unbezahlten Urlaub für den Zeitraum von 22. 12. 2021 bis 31. 12. 2021. Am 22. 12. 2021 rutschte sie aus und erlitt dadurch eine Verletzung, aufgrund derer die behandelnde Krankenanstalt die Klägerin bis 23. 1. 2022 für arbeitsunfähig befand.
[2] Mit Bescheid vom 20. 4. 2022 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin auf „Anerkennung der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit“ und Leistung von Krankengeld für den Zeitraum 22. 12. 2021 bis 31. 12. 2021 mit der Begründung ab, dass sich der zugrunde liegende Unfall während eines unbezahlten Urlaubs ereignet habe.
[3] Dagegen erhob die Klägerin Klage auf „Anerkennung der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit“ und Leistung von Krankengeld. Ihr Anspruch ergebe sich daraus, dass sie im relevanten Zeitraum pflichtversichert und arbeitsunfähig gewesen sei.
[4] Die Beklagte hielt dem Klagebegehren entgegen, das Krankengeld habe Lohnersatzfunktion und gebühre daher nicht für Zeiten eines unbezahlten Urlaubs.
[5] Die Vorinstanzen wiesen die Klage ab.
[6] Das Berufungsgericht ließ die Revision zu, weil keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zum Anspruch auf Krankengeld während eines unbezahlten Urlaubs vorliege. Rechtlich begründete es die Klageabweisung damit, dass der Arbeitnehmer in Zeiten, in denen er nicht zur Arbeitsleistung verpflichtet sei, nicht durch Krankheit oder Unfall an der Erbringung der Arbeitsleistung gehindert sein könne; zudem erleide der Arbeitnehmer während solcher Zeiträume keinen Entgeltausfall, der durch das Krankengeld zu ersetzen wäre.
[7] Dagegen richtet sich die Revision der Klägerin, mit der sie die Abänderung und Klagestattgebung anstrebt; hilfsweise stellt sie einen Aufhebungsantrag.
[8] Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise, ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[9] Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht angeführten Grund zulässig, sie ist jedoch nicht berechtigt.
[10] 1. Die Arbeitsunfähigkeit ist lediglich eine Anspruchsvoraussetzung für ein auf Gewährung des Krankengeldes gerichtetes Leistungsbegehren (10 ObS 291/01v SSV‑NF 15/116). Vor diesem Hintergrund ist das im vorliegenden Fall gestellte Klagebegehren im Sinn des von der Klägerin verfolgten Leistungsbegehrens zu verstehen.
[11] 2.1. Nach § 138 Abs 1 ASVG haben Pflichtversicherte (wie die Klägerin) sowie aus der Pflichtversicherung ausgeschiedene nach § 122 ASVG Anspruchsberechtigte, diese jedoch nur bei Eintritt des Versicherungsfalls innerhalb der ersten drei Wochen dieser Anspruchsberechtigung, aus dem Versicherungsfall der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit vom vierten Tag der Arbeitsunfähigkeit an Anspruch auf Krankengeld.
[12] Das Krankengeld hat Lohnersatzfunktion: Es soll den durch die Arbeitsunfähigkeit erlittenen Entgeltverlust (zumindest teilweise) ersetzen und den Unterhalt des Versicherten während der Zeit der Arbeitsunfähigkeit sicherstellen (RS0106773 [T1]).
[13] 2.2. Gemäß § 120 Abs 1 Z 2 ASVG tritt der Versicherungsfall der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit mit dem Beginn der durch die Krankheit herbeigeführten Arbeitsunfähigkeit ein.
[14] Aus dieser gesetzlichen Definition ergibt sich bereits, dass zum Eintritt des Versicherungsfalls der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit zur Krankheit selbst der Eintritt der Arbeitsunfähigkeit erforderlich ist (10 ObS 143/13x SSV-NF 28/7).
[15] Arbeitsunfähigkeit liegt in der Regel dann vor, wenn der Erkrankte nicht oder nur mit Gefahr, seinen Zustand zu verschlimmern, fähig ist, seiner bisher ausgeübten Erwerbstätigkeit nachzugehen (RS0084726 [T1]). Die Frage, ob Arbeitsunfähigkeit vorliegt, ist eine Rechtsfrage. Grundlage für die Beantwortung dieser Frage bilden einerseits Feststellungen über den Inhalt der arbeitsvertraglich vereinbarten Tätigkeit des Versicherten und andererseits solche über seinen Gesundheitszustand (10 ObS 291/01v SSV‑NF 15/116; RS0084726 [T5]).
[16] 2.3. In der Literatur wird zu einer Konstellation wie der vorliegenden die Ansicht vertreten, obwohl für Zeiten eines unbezahlten Urlaubs von maximal einem Monat eine Pflichtversicherung bestehe (§ 11 Abs 3 ASVG), stehe mangels Berufsarbeit, an der die betreffende Person gehindert sein könnte, also mangels Arbeitsunfähigkeit, kein Krankengeld zu (Drs in Mosler/Müller/Pfeil, SV-Komm [248. Lfg 2020] § 138 Rz 10). Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass diesen Versicherten während des unbezahlten Urlaubs kein Entgelt zustehe und es daher ohnehin zu keinem Entgeltverlust kommen könne (Drs aaO unter Hw auf den bei Pöltner/Pacic, ASVG [140. Erg-Lfg] § 138 Anm 1, abgedruckten Erlass des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom 20. 11. 1989, 26.050/2-5/89).
[17] 2.4. Eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs über den Anspruch eines Versicherten auf Krankengeld nach § 138 Abs 1 ASVG aufgrund einer während eines mit dem Dienstgeber vereinbarten unbezahlten Urlaubs eingetretenen Krankheit liegt nicht vor.
[18] Der Oberste Gerichtshof hat allerdings mehrfach in arbeitsrechtlichen Entscheidungen ausgesprochen, dass während der Zeitausgleichsphase bei „geblockter“ Altersteilzeit – somit in Zeiten eines aufrechten Dienstverhältnisses, in denen vereinbarungsgemäß keine Arbeitspflicht des Dienstnehmers besteht – bei Erkrankung des Dienstnehmers keine Arbeitsunfähigkeit im Rechtssinn eintreten kann:
[19] Nach der Rechtsprechung kommt der Erkrankung in einem solchen Fall keine rechtliche Relevanz für die Entgeltzahlungspflicht des Arbeitgebers zu. Das wird daraus abgeleitet, dass der Arbeitnehmer während der Zeitausgleichsphase bei „geblockter“ Altersteilzeit zwar faktisch krank, aber nicht arbeitsunfähig im Rechtssinn sein könne, weil keine – bzw lediglich eine „virtuelle“, dem Verbrauch des Zeitguthabens in der Freizeitphase zugrunde liegende (8 ObA 23/09d) – Arbeitspflicht bestehe (9 ObA 182/05p; vgl 8 ObA 23/09d; RS0121539). Eine Arbeitsverhinderung durch Krankheit oder Unfall kann demnach nur in Zeiten auftreten, in denen der Arbeitnehmer zur Arbeitsleistung überhaupt verpflichtet ist (9 ObA 11/13b; 9 ObA 10/18p; 8 ObA 97/21d [alle zu Erkrankungen während des Verbrauchs von Zeitausgleich]).
[20] 3.1. Der vorliegende Fall unterscheidet sich von den vom Obersten Gerichtshof beurteilten Fällen der Erkrankung während des Verbrauchs von Zeitausgleich dadurch, dass die Erkrankung der Klägerin während eines Zeitraums auftrat, in dem nicht nur die Arbeitspflicht, sondern auch die Entgeltzahlungspflicht des Arbeitgebers nach der Parteienvereinbarung ausgesetzt war, ein Entgeltfortzahlungsanspruch der Klägerin gegen ihren Dienstgeber also nicht in Betracht kam.
[21] Die in der dargestellten arbeitsrechtlichen Rechtsprechung getroffene Aussage, dass das Fehlen einer Arbeitspflicht in die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit einzufließen hat, steht allerdings im Einklang mit dem Grundsatz, dass das Vorliegen von Arbeitsunfähigkeit nicht nur auf Grundlage des Gesundheitszustands, sondern auch ausgehend vom Inhalt der arbeitsvertraglich vereinbarten Tätigkeit des Versicherten zu beurteilen ist (vgl RS0084726 [T5]; zum Sonderfall der Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit während des Arbeitslosengeldbezugs vgl die Regelung des § 8 Abs 1 AlVG sowie RS0115875).
[22] Auch die von Drs vertretene Lösung, wonach während eines unbezahlten Urlaubs mangels Berufsarbeit, an der die betreffende Person gehindert sein könnte, keine Arbeitsunfähigkeit vorliegen könne, beruht auf denselben Erwägungen.
[23] 3.2. Bereits der Grundsatz, dass der Inhalt der arbeitsvertraglich vereinbarten Tätigkeit des Versicherten für den Eintritt des Versicherungsfalls der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit zu beachten ist, spricht daher gegen einen Anspruch auf Krankengeld nach § 138 Abs 1 ASVG, wenn der Versicherte während eines unbezahlten Urlaubs erkrankte.
[24] Dazu kommt, dass es der Zweckrichtung des Krankengeldes, den durch die Arbeitsunfähigkeit erlittenen Entgeltverlust auszugleichen (vgl RS0106773), widerspräche, einen Krankengeldanspruch auch in Fällen zu bejahen, in denen die versicherte Person wegen eines mit dem Arbeitgeber vereinbarten unbezahlten Urlaubs gar keinen Entgeltverlust erleiden konnte.
[25] 3.3. Soweit in der Revision – ohne weitere Ausführungen – der Grundsatz „Krankheit bricht Urlaub“ postuliert wird, ist daraus für den Rechtsstandpunkt der Klägerin nichts zu gewinnen. Das Urlaubsgesetz enthält in § 4 Abs 2 und § 5 Abs 1 ausdrückliche Regelungen zum Verhältnis von Urlaub und Krankheit (vgl 9 ObA 11/13b). Nach § 5 Abs 1 UrlG werden auf Werktage fallende Tage der Erkrankung unter den Voraussetzungen des § 5 UrlG auf das Urlaubsausmaß nicht angerechnet, der vom Arbeitnehmer angetretene Urlaub wird daher unterbrochen (Reissner in Neumayr/Reissner, ZellKomm zum Arbeitsrecht³ § 5 UrlG Rz 1). Der im Urlaubsgesetz geregelte Urlaubsanspruch ist aber von einer im Rahmen der Vertragsfreiheit vereinbarten „Karenzierung“, bei der das Arbeitsentgelt ruht, abzugrenzen (Reissner in Neumayr/Reissner, ZellKomm zum Arbeitsrecht³ § 2 UrlG Rz 4).
[26] Im vorliegenden Fall hat die Klägerin im relevanten Zeitraum keinen Urlaub nach dem Urlaubsgesetz in Anspruch genommen. Sie kann daher die Rechte, die sich aus dem Urlaubsgesetz ergeben, nicht in Anspruch nehmen.
[27] 3.4. Die Revision der Klägerin ist daher insgesamt nicht berechtigt.
[28] 4. Zusammengefasst gilt: Erkrankt ein Versicherter während eines unbezahlten Urlaubs, besteht – ungeachtet einer aufrechten Pflichtversicherung nach § 11 Abs 3 ASVG – kein Anspruch auf Krankengeld nach § 138 Abs 1 ASVG.
[29] 5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Umstände für einen Kostenzuspruch nach Billigkeit wurden nicht geltend gemacht und ergeben sich auch nicht aus dem Akteninhalt.
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