OGH 10ObS143/13x

OGH10ObS143/13x25.2.2014

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Manfred Engelmann (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Wolfgang Cadilek (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei R***** V*****, vertreten durch Mag. Andrea Futterknecht, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei Niederösterreichische Gebietskrankenkasse, Kremser Landstraße 3, 3100 St. Pölten, vertreten durch Urbanek Lind Schmied Reisch Rechtsanwälte OG in St. Pölten, wegen Krankengeld, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 23. Mai 2013, GZ 8 Rs 58/13b‑36, womit das Urteil des Landesgerichts Korneuburg als Arbeits- und Sozialgericht vom 24. Dezember 2012, GZ 9 Cgs 281/09f‑32, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:010OBS00143.13X.0225.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Beide Parteien haben ihre Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.

Begründung

1. Mit dem angefochtenen Bescheid sprach die beklagte Partei aus, dass die Arbeitsunfähigkeit des Klägers infolge Krankheit ab 14. 3. 2008 mit 24. 12. 2008 und jene ab 29. 12. 2008 mit 19. 1. 2009 geendet habe und ihm von 17. 3. bis 24. 12. 2008 sowie von 1. 1. bis 19. 1. 2009 Krankengeld gebühre.

1.1. Seine dagegen erhobene, auf Gewährung von Krankengeld auch in den Zeiträumen „von 25. 12. 2008 bis 31. 12. 2008 und von 20. 1. 2009 bis 1. 3. 2009“ gerichtete Klage wies das Erstgericht im zweiten Rechtsgang ab. Den Bescheid wiederholend stellte es fest, die Arbeitsunfähigkeit des Klägers infolge Krankheit ab 14. 3. 2008 habe mit 24. 12. 2008 und jene ab 29. 12. 2008 mit 19. 1. 2009 geendet; es gebühre ihm von 17. 3. bis 24. 12. 2008 sowie von 1. 1. bis 19. 1. 2009 Krankengeld.

1.2. Das Berufungsgericht bestätigte das Urteil des Erstgerichts und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil die Rechtsprechung einerseits bekräftige, dass die Frage, ob Arbeitsunfähigkeit vorliege, eine Rechtsfrage darstelle (RIS‑Justiz RS0084726), andererseits aber auch ausgeführt werde (10 ObS 81/89), ob der Versicherte arbeitsunfähig sei, [habe] der behandelnde Arzt festzustellen, und der Krankenversicherungsträger müsse die Bestätigung ‑ soweit er die Krank- und Gesundmeldungen nicht überprüfe ‑ gegen sich gelten lassen.

Rechtliche Beurteilung

2. Die Revision des Klägers, der sich allein darauf beruft, die Vorinstanzen seien von der Entscheidung 10 ObS 81/89 abgewichen, ist ‑ entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) Ausspruch des Berufungsgerichts ‑ wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage nicht zulässig. Gemäß § 510 Abs 3 letzter Satz ZPO kann sich deren Zurückweisung daher auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken.

3. Gemäß § 120 Abs 1 Z 2 ASVG tritt der Versicherungsfall der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit mit dem Beginn der durch die Krankheit herbeigeführten Arbeitsunfähigkeit ein. Aus dieser gesetzlichen Definition ergibt sich bereits, dass zum Eintritt des Versicherungsfalls der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit zur Krankheit selbst der Eintritt der Arbeitsunfähigkeit erforderlich ist (10 ObS 329/02h, SSV‑NF 18/28).

3.1. Arbeitsunfähigkeit liegt dann vor, wenn der Versicherte infolge Krankheit nicht oder nur mit Gefahr, seinen Zustand zu verschlechtern, in der Lage ist, seine bisher ausgeübte Erwerbstätigkeit zu verrichten (RIS‑Justiz RS0084726; RS0106774). Die Frage, ob Arbeitsunfähigkeit vorliegt, ist eine Rechtsfrage (RIS‑Justiz RS0084726).

3.2. Grundlage für die Beantwortung dieser Frage bilden aber einerseits Feststellungen über den Inhalt der arbeitsvertraglich vereinbarten Tätigkeit des Versicherten und andererseits solche über seinen Gesundheitszustand (RIS‑Justiz RS0084726 [T5]); eine „Arbeitsunfähigkeit“ im Sinn des § 120 Abs 1 Z 2 ASVG ist nicht gleichbedeutend mit dem Bestehen einer Invalidität im Sinn des § 255 Abs 3 ASVG (RIS‑Justiz RS0106774 [T3]).

4. Im Fall 10 ObS 64/11a (SSV‑NF 25/58) hat der Oberste Gerichtshof bereits ausdrücklich festgehalten, dass - nach ständiger Rechtsprechung ‑ die Feststellung der Kenntnisse und Fähigkeiten, über die ein Versicherter verfügt (also auch seines Leistungskalküls ), ebenso wie die Frage, welche Voraussetzungen für die Ausübung eines bestimmten Berufes erforderlich sind und mit welchen Anforderungen dieser Beruf verbunden ist, irrevisible Tatfragen sind (so bereits: 10 ObS 168/10v; 10 ObS 42/07k, SSV‑NF 21/33 mwN).

5. Im vorliegenden Fall ist demnach von der für die strittigen Zeiträume 25. 12. 2008 bis 31. 12. 2008 und 20. 1. 2009 bis 1. 3. 2009 getroffenen ‑ im Revisionsverfahren nicht mehr angreifbaren ‑ Feststellung auszugehen, dass der Kläger in diesen Zeiträumen trotz seiner gesundheitlichen Einschränkungen (noch) in der Lage war, als Bürokraft bzw Sachbearbeiter oder als Außendienstverkäufer tätig zu sein.

5.1. Die Beurteilung der Vorinstanzen, dass ihm mangels Arbeitsunfähigkeit kein Krankengeld zustand, ist daher nicht zu beanstanden und weicht ‑ entgegen dem in der Revision aufrecht erhaltenen Standpunkt des Klägers ‑ auch nicht von der Entscheidung 10 ObS 81/89 (SSV‑NF 3/69) und dem daraus abgeleiteten Rechtssatz (RIS‑Justiz RS0084751) ab, dass „ die Feststellung, ob der Versicherte arbeitsfähig ist oder nicht, verbindlich nur dem behandelnden Vertragsarzt oder ‑ bei Behandlung durch einen Wahlarzt ‑ dem Vertrauensarzt der Kasse obliegt (hier: Punkt 25 der Krankenordnung der Vorarlberger Gebietskrankenkasse) “; geht doch schon aus dem letztgenannten Hinweis hervor, dass die angesprochene Bindungswirkung aus der zitierten ‑ hier nicht anwendbaren ‑ Bestimmung abgeleitet wurde:

5.1.1. Nach dem ‑ dort maßgebenden ‑ Punkt 25 der Krankenordnung der Vorarlberger Gebietskrankenkasse, die auf Verordnungsstufe steht (VfGH V 3/59), werden Beginn und Ende der Arbeitsunfähigkeit für Versicherte, die Anspruch auf Krankengeld oder auf Fortzahlung des Entgeltes haben, durch den Vertragsarzt oder durch die Vertragseinrichtung der Kasse gemeldet. Wird der Versicherte von einem Wahlarzt (Wahleinrichtung) behandelt und bescheinigte dieser die Arbeitsunfähigkeit des Versicherten, so hat dies der Versicherte sofort, spätestens jedoch binnen drei Tagen der Kasse unter Vorlage der ärztlichen Bescheinigung zu melden. Die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit (Beginn und Ende) obliegt dem Vertrauensarzt der Kasse. Gemäß Punkt 28 der Krankenordnung hat sich der Versicherte, dem Krankengeld zusteht, die Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit vom behandelnden Vertragsarzt in der Regel wöchentlich auf dem Auszahlungsschein bestätigen zu lassen und diesen der Kasse zur Auszahlung des Krankengeldes vorzulegen. Dies bedeutet, dass die Feststellung, ob der Versicherte arbeitsfähig ist oder nicht, verbindlich nur dem behandelnden Vertragsarzt oder ‑ bei Behandlung durch einen Wahlarzt ‑ dem Vertrauensarzt der Kasse obliegt. […] Da der (im Sinn einer Erste‑Hilfe‑Leistung bei plötzlicher Erkrankung gemäß Punkt 13 der Krankenordnung berechtigte) Vertreter des behandelnden Arztes nach einem Arbeitsversuch des Klägers für den 27. 11. 1985 dessen Arbeitsunfähigkeit bescheinigt hat, war „diese“ für den dortigen Krankenversicherungsträger bindend und der Krankengeldanspruch für diesen Tag entstanden. Die dort beklagte Gebietskrankenkasse musste diese Bestätigung gegen sich gelten lassen, auch wenn ihr Vertrauensarzt mit dieser Verfügung nicht einverstanden sein sollte (10 ObS 81/89, SSV-NF 3/69).

5.2. Hier sieht aber § 24 der Krankenordnung der Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse (= beklagte Partei) ‑ wie sie in ihrer Revisionsbeantwortung zutreffend aufzeigt ‑ Folgendes vor:

§ 24. (1) Beginn und Ende der Arbeitsunfähigkeit werden für Anspruchsberechtigte, die Anspruch

1. auf Krankengeld oder

2. auf Fortzahlung des Entgelts

haben, durch den Vertragsarzt/die Vertragsärztin, die Vertrags-Gruppenpraxis bzw. durch eine eigene Einrichtung der Kasse gemeldet. Mit dem Einlangen dieser Meldung wird der/die Anspruchsberechtigte von der ansonsten ihm/ihr obliegenden Meldeverpflichtung befreit.

(2) Die Kasse kann die Richtigkeit von Krankmeldungen und Gesundmeldungen überprüfen und aus medizinischen Gründen einen davon abweichenden Zeitpunkt des Beginns und des Endes der Arbeitsunfähigkeit bestimmen .

(3) Wird der/die Anspruchsberechtigte von einem Wahlarzt/einer Wahlärztin oder einer Wahl-Gruppenpraxis behandelt und bescheinigt dieser bzw. diese die Arbeitsunfähigkeit, hat dies der/die Anspruchsberechtigte unverzüglich der Kasse unter Vorlage der ärztlichen Bescheinigung zu melden. Die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit (Beginn und Ende) obliegt dem/der von der Kasse hiezu beauftragten Arzt/Ärztin. Ist dieser Arzt/diese Ärztin ein Vertragsarzt/eine Vertragsärztin der Kasse, bleibt der Anspruch des/der Anspruchsberechtigten auf Rückersatz für die Inanspruchnahme des Wahlarztes/der Wahlärztin unberührt.

5.3. Im vorliegenden Verfahren sind die eben zitierten Regelungen, nicht hingegen die Rechtslage der in der Revision wiedergegebenen Entscheidung (10 ObS 81/89, SSV‑NF 3/69) zugrunde zu legen. Weshalb auch hier „die ungeprüfte Arbeitsunfähigkeitsbestätigung den beklagten Krankenversicherungsträger“ ‑ wie der Kläger meint ‑ „binden“ sollte, ist daher nicht einzusehen; nach den Feststellungen ist nämlich davon auszugehen, dass die beklagte Partei ohnehin ‑ im Sinn des § 24 Abs 2 ihrer Krankenordnung (auf den sich auch die Revision beruft) ‑ die Arbeitsunfähigkeit des Klägers durch ihre Kontrollärztin Dr. W***** mit dem 23. 12. 2008 bzw 19. 1. 2009 jeweils für beendet erklärt und damit ‑ worauf die Revisionsbeantwortung zutreffend hinweist ‑ das Ende der Arbeitsunfähigkeit („abweichend“) bestimmt hat ( Binder in Tomandl , SV‑System, 21. Erg.‑Lfg 264/5).

5.4. Die Revision ist daher mangels erheblicher Rechtsfragen im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

5.5. Die Kostenentscheidung beruht hinsichtlich des Klägers auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. In der Revision hat er sich zwar auf berücksichtigungswürdige Einkommens- und Vermögensverhältnisse (nämlich weitere Erkrankungen, Arbeitslosigkeit und einen Wohnungsbrand) für den begehrten ausnahmsweisen Kostenzuspruch nach Billigkeit berufen, dies jedoch nicht bescheinigt. Davon abgesehen, dass dazu aus der Aktenlage ebenfalls nichts ersichtlich ist, liegen auch die behaupteten „rechtlichen Schwierigkeiten“, die sich aus der angeblich „nicht abschließend geklärten“ Rechtslage ergeben sollen, in Wahrheit nicht vor.

5.5.1. Die beklagte Partei als Versicherungsträger im Sinn des § 77 Abs 1 Z 1 ASGG hat die Kosten ihrer Revisionsbeantwortung ohne Rücksicht auf den Ausgang des Verfahrens selbst zu tragen. Der von ihr nach § 77 Abs 3 ASGG begehrte Kostenzuspruch ist unbegründet, weil der Kläger weder durch Mutwillen noch durch Verschleppung die Kosten der Revisionsbeantwortung verursachte; wurde doch die Revision ‑ zu der vom Berufungsgericht angeführten Rechtsfrage ‑ ausdrücklich zugelassen.

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