OGH 10ObS183/97b

OGH10ObS183/97b8.7.1997

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Ehmayr und Dr.Danzl als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Raimund Kabelka (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Karl-Heinz Schubert (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Helmut K*****, vertreten durch Mag.Heinz W*****, Verein für Sachwalterschaft und Patientenanwaltschaft, 8600 Bruck an der Mur, Herzog-Ernst-Gasse 28, dieser vertreten durch Dr.Gerhard Hiebler, Rechtsanwalt in Leoben, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter, 1092 Wien, Roßauer Lände 3, im Revisionsverfahren nicht vertreten, wegen Pflegegeld, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 30.Jänner 1997, GZ 7 Rs 300/96h-12, womit das Urteil des Landesgerichtes Leoben als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 1.August 1996, GZ 23 Cgs 83/96k-7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden im abweisenden Teil, also hinsichtlich des Begehrens eines Pflegegeldes in Höhe der Differenz zwischen der Stufe 5 und der Stufe 6, aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sozialrechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Der am 28.7.1941 geborene Kläger leidet an den Folgeerscheinungen mehrerer Schlaganfälle, und zwar an einer Gangstörung (Fremdhilfe erforderlich), motorischen Sprachlähmung und weitgehendem Verlust des Sehvermögens; außerdem besteht ein höhergradiges hirnorganisches Psychosyndrom. Der Kläger wird innerhalb der Wohnung im Haus seiner Schwester, wo eine Wohneinheit im Untergeschoß samt Terrassenfläche für ihn bereit steht, nur mit dem Rollstuhl bewegt; er kann diesen nicht selbst bedienen.

Es ist dem Kläger nicht mehr möglich, ohne Fremdhilfe die tägliche Körperpflege vorzunehmen, Mahlzeiten zuzubereiten und diese einzunehmen; auch für das Verrichten der Notdurft benötigt er Fremdhilfe, ebenso für das An- und Auskleiden. Eine Inkontinenz besteht jedoch nicht. Die Einnahme von Medikamenten ist ohne fremde Hilfe nicht möglich. Auch für das Herbeischaffen von Nahrungsmitteln und Medikamenten, die Reinigung und Beheizung der Wohnung (mit festen Brennstoffen), die Reinigung der persönlichen Gebrauchsgegenstände, die Pflege der Leib- und Bettwäsche benötigt er Fremdhilfe. Eine Mobilitätshilfe im engeren wie weiteren Sinn ist erforderlich.

Es ist möglich, daß der Kläger in einen Rollstuhl gesetzt und dort mit einem Gurt gesichert werden kann. Dadurch kann verhindert werden, daß er aus dem Rollstuhl stürzt. Eine Selbstgefährdung besteht nicht, wohl aber - ohne entsprechende Sicherung - die Gefahr, daß der Kläger versucht aufzustehen und so zum Sturz kommt. Wenn der Kläger gesichert ist, kann er ohne weiteres auch in einem Sessel für eine Stunde allein gelassen werden.

Mit Beschluß des Bezirksgerichtes Bruck an der Mur vom 14.12.1995, SW 10/95, wurde dem Kläger ua zur Vertretung bei den Gerichten ein Sachwalter bestellt; diese Aufgabe wird vom Verein für Sachwalterschaft wahrgenommen.

Mit Bescheid vom 5.1.1996 erhöhte die beklagte Partei das Pflegegeld des Klägers auf Stufe 4 ab 1.10.1995.

Mit der durch seinen Sachwalter eingebrachten Klage stellte der Kläger das Begehren auf Erhöhung über die Stufe 4 hinaus.

Das Erstgericht verurteilte die beklagte Partei zur Zahlung des Pflegegeldes der Stufe 5 ab 1.10.1995 und wies das Mehrbegehren auf Gewährung der Stufe 6 ab. Es beurteilte den eingangs (zusammengefaßt) wiedergegebenen Sachverhalt rechtlich dahin, daß beim Kläger zufolge Erfordernisses bloß einer dauernden Bereitschaft einer Pflegeperson, nicht aber einer ständigen Beaufsichtigung durch eine solche nur die Voraussetzungen der Pflegegeldstufe 5, nicht jedoch darüber hinaus gegeben seien.

Das Berufungsgericht gab der vom Kläger gegen die Abweisung seines Mehrbegehrens erhobenen Berufung nicht Folge. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes und auch dessen rechtliche Beurteilung. Eine Sicherung des Klägers im Rollstuhl oder im Sessel (während des kurzfristigen Alleinlassens für etwa eine Stunde) sei keine menschenunwürdige Maßnahme, sondern eine zu seinem Wohl dienende Sicherungsmaßnahme.

Gegen dieses Urteil richtet sich die auf den Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützte Revision des Klägers mit dem primären Antrag, ihm das Pflegegeld der Stufe 6 ab 1.10.1995 zu gewähren. Die Revision ist gemäß § 46 Abs 3 ASGG auch ohne Vorliegen der Voraussetzungen des Abs 1 zulässig und im Sinne des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrages auch berechtigt. Eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet.

In seiner Rechtsrüge behauptet der Kläger, daß die vom Berufungsgericht bejahte Möglichkeit einer Sicherung im Rollstuhl oder in einem Sessel mittels eines Gurtes eine menschenunwürdige und damit unzulässige Maßnahme darstelle; würde seine ihn beaufsichtigende Schwester ihn mit einem solchen Gurt sichern, würde dies sogar den strafrechtlichen Tatbestand der Freiheitsentziehung verwirklichen und diese Gefahr laufen, hiefür strafrechtlich verfolgt und verurteilt zu werden. Auch ein entsprechender Antrag zur Genehmigung einer solchen zeitweiligen Einschränkung seiner Bewegungsfreiheit müßte vom Sachwalterschaftsgericht abgewiesen werden, da Beschränkungen der Bewegungsfreiheit außerhalb von psychiatrischen Anstalten oder Abteilungen unzulässig seien. Es könne nicht Absicht des Gesetzgebers gewesen sein, pflegebedürftige Menschen "durch Fesseln oder Anbinden um das Pflegegeld der Stufe 6 zu bringen".

Hiezu hat der Oberste Gerichtshof folgendes erwogen:

Rechtliche Beurteilung

Vorauszuschicken ist, daß es der Senat in der ebenfalls einen Pflegegeldfall der Stufe 5 bzw 6 betreffenden Entscheidung 10 ObS 86/97p für durchaus zulässig (und demnach nicht als eine freiheitsbeschränkende Maßnahme) erachtete, die Gefahr einer Selbstverletzung des dortigen Klägers in jenen zeitlichen Phasen, in denen dieser vorübergehend (etwa zum Einkaufengehen der Pflegeperson außer Haus) allein gelassen wird, durch das Hilfsmittel des Rollstuhls samt Fixierung in diesem auszuschalten (vgl auch Ramharter, Dürfen geistig Behinderte zu Recht in ihrer Freiheit beschränkt werden? ÖJZ 1997, 259ff). Dies wurde weder aus grundrechtlicher noch aus pflegegeldrechtlicher Sicht vom Obersten Gerichtshof beanstandet und war damit auch Anlaß dafür, das Erfordernis einer intensiven, zeitlich unkoordinierbaren Pflegeleistung, welche allein die Gewährung des Pflegegeldes in Höhe der Stufe 6 rechtfertigen könnte, zu verneinen. Anders als bei dem an einer frühkindlichen Schädigung des Zentralnervensystems mit spastischer Tetraparese leidenden neunjährigen Buben des genannten Verfahrens, dessen Beschäftigung sich unteranderem durch die Eltern zeitlich wie inhaltlich strukturieren und standardisieren ließ, handelt es sich beim Kläger im vorliegenden Verfahren um einen erwachsenen Mann, der organisch wie psychisch zu keinerlei Selbständigkeit mehr fähig ist, über das körperliche Gebrechen der Gang- und Bewegungsstörung hinaus auch an erheblichen Sprach- und Sehstörungen leidet und damit einer Strukturierung bzw Standardisierung in der Pflege - wie im zitierten Vorverfahren - nicht zugänglich gemacht werden kann. Auch anders als im Falle der weiteren Entscheidung 10 ObS 101/97v ist der Kläger hier nicht in der Lage, einen elektrischen Rollstuhl zu bedienen, selbst bestimmte Mahlzeiten (oder Medikamente) einzunehmen, telefonisch mit einer Pflegeperson Kontakt aufzunehmen und diese bei Bedarf (im Sinne einer Rufbereitschaft) herbeizurufen.

Nach den Feststellungen kann freilich noch nicht abschließend beurteilt werden, ob beim Kläger im vorliegenden Fall tatsächlich eine für die Pflegegeldstufe 6 erforderliche zeitlich unkoordinierbare Pflegeleistung erforderlich ist. Pflegegeld der Stufe 6 gebührt nämlich nur, wenn - zusätzlich zum (hier unstrittigen) 180 Stunden im Monatsdurchschnitt übersteigenden zeitlichen Aufwand - eine derart dauernde Beaufsichtigung des Pflegebedürftigen oder ein gleichzuachtender Pflegeaufwand erforderlich ist. Unter dauernder Beaufsichtigung ist die Notwendigkeit einer weitgehend permanenten Anwesenheit einer Pflegeperson im Wohnbereich bzw in unmittelbarer Nähe des Pflegebedürftigen zu verstehen (Gruber/Pallinger, BPGG, Rz 57 zu § 4; stRsp des Senates: 10 ObS 2324/96d, 10 ObS 2337/96s, 10 ObS 2468/96f, 10 ObS 101/97v). Es handelt sich hiebei ausschließlich um Fragen der rechtlichen Beurteilung (nämlich Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen im Sinne des § 4 Abs 2 BPGG), wofür allerdings von den Tatsacheninstanzen verläßliche Tatsachenfeststellungen erforderlich sind.

Die Vorinstanzen haben sich jedoch damit begnügt, die vom internistischen Sachverständigen bejahte dauernde Bereitschaft, nicht aber dauernde Anwesenheit einer Pflegeperson im Rahmen ihrer Feststellungen zu übernehmen. Sie haben es aber unterlassen, zu hinterfragen (und demgemäß auch konkret festzustellen), warum eine solche Bereitschaft tatsächlich - im Sinne der vorstehenden Abgrenzungskriterien zwischen den Stufen 5 und 6 - in concreto ausreichend sei. Der (medizinische) Sachverständige hat nicht rechtlich zu beurteilen, ob diese Anspruchskriterien erfüllt sind; er hat vielmehr nur die dem Tatsachenbereich zuzuordnenden Einzelheiten aufzuzeigen, welche sodann vom Tatsachenrichter soweit festzustellen sind, daß daraus die für den Subsumtionsvorgang rechtlichen Schlußfolgerungen eindeutig und zweifelsfrei gezogen werden können. In diesem Zusammenhang wird auch zu beachten sein, daß es gerichtsbekannt (§ 269 ZPO) ist, daß auch selbst in Pflegeheimen gelähmte Personen häufig in "Gitterbetten" untergebracht werden, damit sie nicht herausfallen (können) und sich dabei unter Umständen verletzen. Für derartige Personen reicht damit aber "dauernde Bereitschaft" aus. Auch in solchen Fällen kann "dauernde Beaufsichtigung" (im Sinne einer dauernden Anwesenheit einer Pflegeperson) füglich nicht verlangt werden; sollte letzteres beim Kläger - im Sinne der wiedergegebenen Judikaturgrundsätze - dennoch notwendig sein, wären die entsprechenden Feststellungen zu präzisieren und zu verbreitern.

Soweit der Revisionswerber gegen Maßnahmen der Fixierung im Rollstuhl abermals grund- und strafrechtliche Hinderungsgründe ins Treffen führt, ist ihm zunächst entgegenzuhalten, daß dem österreichischen Pflegegeldrecht auch bestimmte Duldungs- und Mitwirkungspflichten eines Anspruchswerbers zur Minimierung der erforderlichen Betreuungs- und Hilfeleistungen immanent sind. Hiefür kann einerseits § 3 EinstV herangezogen werden, wonach ein Anspruchswerber unter Umständen gehalten ist, zumutbare Hilfsmittel einzusetzen. Zum anderen hat der Senat in der Entscheidung SSV-NF 10/26 erst jüngst ausgesprochen, daß sich eine an sich pflegebedürftige Person erforderlichenfalls sogar einer zumutbaren Operation unterziehen müsse, um ihren grundsätzlich gegebenen Pflegegeldanspruch nicht wieder zu verlieren. Nach dem in dieser Entscheidung ausführlich zitierten allgemeinen Grundsatz, daß ein Versicherter durchaus auch die Interessen der die Kosten des Pflegegeldes tragenden Allgemeinheit der Steuerzahler und der dadurch begründeten Risikogemeinschaft zu wahren und zu berücksichtigen hat, geht es nicht an, daß ein Pflegegeldwerber auf dem (einseitigen) Standpunkt beharrt, den Pflegegeldbedarf möglichst aufwendig zu gestalten. Darauf liefe jedoch - im Ergebnis - der Standpunkt des Revisionswerbers hinaus, sich generell niemals - auch nicht einmal kurzfristig für eine Stunde, und zwar nach den Feststellungen ausschließlich zum Selbstschutz - bei fehlender Anwesenheit einer Pflegeperson an seinem Rollstuhl fixieren und stabilisieren zu lassen. Hierin kann demnach auch kein strafrechtlich relevantes Verhalten einer solchen Pflegeperson erblickt werden - § 99 StGB scheidet schon mangels natürlicher Fähigkeit des Klägers zu einer ansonsten möglichen willkürlichen Ortsveränderung aus (Leukauf/Steininger, StGB3, Rz 2 und 4 zu § 99). Auch das hier schon von vorneherein - mangels Anhaltung des Klägers in einer Krankenanstalt oder Abteilung für Psychiatrie iS des § 2 UbG - nicht zur Anwendung kommende Unterbringungsgesetz fordert als der Entscheidungsprüfung des Gerichtes unterworfene Beschränkung der körperlichen Bewegungsfreiheit, daß es einer Person unmöglich gemacht wird, ihren Aufenthalt freibestimmt zu verändern (Hopf/Aigner, UbG, Anm 7a zu § 2), und solche Beschränkungen überdies nur dann relevant sind, wenn sie "zu ihrem Zweck nicht außer Verhältnis stehen" (§ 33 Abs 1 letzter Halbsatz UbG). Eine derartig kurzfristige Fixierung im Rollstuhl ausschließlich zur Vermeidung einer Sturz- und damit Selbstgefährdung, wie dies hier nach den Feststellungen der Vorinstanzen der Fall ist, ist keineswegs unangemessen und verstößt nach Auffassung des Senates bei Abwägung aller Kriterien nicht gegen einen solcherart verstandenen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Letztlich wäre es aber auch durchaus möglich - Gegenteiliges vermag auch der Revisionswerber nicht darzutun -, daß er derartige (wiederum kurzfristige) Abwesenheitsphasen seiner Pflegeperson durchaus auch im Bett liegend (und eben nicht durchgehend am ohnedies nicht zur Bewegungsveränderung von ihm steuerbaren Rollstuhl verbringend) überbrückt. Daß dem Kläger all dies nicht zumutbar wäre, vermag der Senat jedenfalls bei objektiver und sachbezogener Prüfung der Lebenssituation des Klägers nicht von vorneherein auszuschließen. Allerdings bedarf es auch hiezu noch einer Verbreiterung der Sachverhaltsgrundlage:

Nach den - einleitend der Entscheidungsgründe bereits wiedergegebenen - Feststellungen leidet der Kläger nämlich an einem "höhergradigen hirnorganischen Psychosyndrom"; nach dem angeschlossenen Pflegschaftsakt des Bezirksgerichtes Bruck a.d. Mur beruht dieses auf einer chronischen Durchblutungsstörung des Gehirns nach mehreren Schlaganfällen. Die im vorangegangenen Absatz näher bezeichneten Mitwirkungspflichten setzen freilich als selbstverständlich eine willentliche Zustimmung(smöglichkeit) eines betroffenen Behinderten voraus. Ob eine solche beim medizinischen Zustandsbild des Klägers vorausgesetzt werden kann bzw überhaupt möglich ist, kann schon deshalb nicht näher beurteilt werden, weil vom Erstgericht (bisher) zur Beurteilung des Klägers ausschließlich ein Facharzt für innere Medizin beigezogen worden ist. Wäre der Kläger daher aufgrund seiner Behinderungen außerstande, die mit dem Festbinden am Rollstuhl verbundenen Umstände selbständig zu beurteilen und hierüber frei zu entscheiden, könnten die näher umschriebenen Mitwirkungs- und Duldungspflichten nicht als Argument ins Treffen geführt werden. Auf diese könnte man nämlich nur dann zurückgreifen, wenn eine Person zwar so beeinträchtigt ist, daß beim bloßen Sitzen die Gefahr besteht, daß sie - weil sie aus körperlichen Gründen ihre Position nicht sicher einhalten kann - aus dem (Roll-)Stuhl stürzt, sie aber geistig unbeeinträchtigt und ihr daher auch bewußt ist, daß der drohenden Gefahr durch Festbinden entgegengewirkt werden kann, und sie auch in der Lage ist, unbeeinträchtigt von geistigen Behinderungen die Zustimmung hiezu zu erteilen.

Darauf, daß aus dem UbG, welches nur für die Unterbringung in geschlossenen Bereichen von Anstalten Regelungen trifft, während der Kläger hier im häuslichen Bereich betreut wird, zur Lösung dieser Fragestellungen nichts unmittelbar abgeleitet werden kann, wurde bereits hingewiesen. Eine gesetzliche Regelung, die außerhalb solcher Anstalten im Sinne des § 2 UbG freiheitsbeschränkende Maßnahmen, wie sie im Pflegealltag zum Wohl der Betreuten erforderlich erscheinen, und auch aus den Gründen des Art 2 Abs 1 Z 5 BVG über den Schutz der persönlichen Freiheit (BGBl 1988/684) - nämlich im Falle der Selbst- oder Fremdgefährdung zufolge einer psychischen Erkrankung - für zulässig erklärt werden, besteht (derzeit noch) nicht. Diese Rechtslage mag als unbefriedigend angesehen werden (vgl etwa jüngst Ramharter, Dürfen geistig Behinderte zu Recht in ihrer Freiheit beschränkt werden? ÖJZ 1997, 259 ff; ebenso Wegscheider, Freiheitsentzug zur Therapie: Rechtsgüter in Konfliktstellung, Stb 25.1.1997); es handelt sich hiebei jedoch um Regelungsversäumnisse des Gesetzgebers, die nicht durch die unabhängigen Gerichte substituiert werden können. Durch das Angurten einer Person an einen Sessel oder Rollstuhl würde diese zweifellos in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt (vgl Hopf/Aigner, UbG, Anm 5 zu § 33 unter Hinweis auf die Materialien, wo das Angurten an ein Bett als Beispiel einer solchen Beschränkung der Bewegungsfreiheit genannt wird). Daß ein Betroffener ohne Angurten seinen Bewegungsradius hiebei ohnedies nicht wesentlich erweitern kann, weil er weder selbständig stehen noch gehen kann, sondern unmittelbar nach dem Aufstehen zu Sturz kommt, steht dem wohl nicht entgegen. Es handelt sich hiebei nur um einen quantitativen, nicht aber um einen qualitativen Unterschied. Der Betroffene wird nämlich jedenfalls am Aufstehen gehindert und bereits dies bildet eine Einschränkung der Bewegungsfreiheit. Daß diese in seinem Interesse gelegen sein mag, rechtfertigt die Maßnahme nach der geltenden Verfassungs- und Gesetzeslage nicht.

Der erkennende Senat vermeint jedoch - alle diese Überlegungen abwägend und zusammenfassend würdigend -, daß das Recht auf persönliche Freiheit bzw Bewegungsfreiheit bei einer Person wie dem Kläger (als einem - wie freilich noch näher zu erheben und festzustellen sein wird - zu einer willentlichen Zustimmungserklärung nicht befähigten Behinderten, sodaß dem Vorrang des Zustimmungsprinzips aufgrund der besonderen Gegebenheiten des Falles nicht Genüge getan werden kann) jedenfalls nicht so weit gehen kann, tagsüber ganztägig im Rollstuhl sitzen zu müssen; kann daher durch Unterbringung im Bett (ohne weitere Einschränkungsmaßnahmen) die Gefahr für den Betroffenen (hinsichtlich Selbstgefährdung durch Sturz bzw Umfallen) während der (kurzfristigen) Abwesenheiten seiner Betreuungsperson ausgeschaltet werden, so bestehen keine Bedenken dagegen, ihn darauf zu verweisen, daß auf diese Weise die körperliche Integrität auch ohne ständige Anwesenheit einer Betreuungsperson sichergestellt werden kann, was im Ergebnis wiederum auf eine Abweisung seines Erhöhungsbegehrens über die Pflegegeldstufe 5 hinausliefe. Eine derartige, im Pflegealltag zum Wohl des Betreuten erforderliche kurzfristige Maßnahme wäre damit auch nach geltender Rechtslage nicht als Freiheitsbeschränkung zu qualifizieren.

Da es zur Abklärung aller aufgezeigten Feststellungsmängel einer Verhandlung erster Instanz bedarf, um die Sache im aufgezeigten Umfang spruchreif zu machen (die Zuerkennung eines Pflegegeldes der Stufe 5 ab 1.10.1995 blieb von der beklagten Partei unbekämpft und ist damit bereits in Rechtskraft erwachsen), waren die Urteile der Vorinstanzen insoweit aufzuheben und die Sache an das Erstgericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

Der Kostenvorbehalt ist in § 52 Abs 1 ZPO iVm § 2 ASGG begründet.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte