European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:010OBS00158.15F.0119.000
Spruch:
Die außerordentliche Revision der klagenden Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Der am 16. Oktober 1955 geborene Kläger hat in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag, das ist der Zeitraum von 1. Juni 1999 bis 31. Mai 2014, 112 Monate und vier Tage als Berufskraftfahrer gearbeitet. Im Revisionsverfahren ist allein die Frage strittig, ob weitere 9 Monate und 22 Tage, in denen der Kläger nach Ende des Dienstverhältnisses Krankengeld bezogen hat, als Ausübung dieser einen Tätigkeit iSd § 255 Abs 4 ASVG zu qualifizieren sind.
In diesem Zusammenhang traf das Erstgericht folgende Feststellungen:
Das Arbeitsverhältnis zur Arbeitgeberin K***** GmbH endete am 20. Juli 2007. Der Kläger erhielt eine Kündigungsentschädigung für zwei Tage (21. und 22. Juli 2007) und eine Urlaubsersatzleistung für 16 Tage (angerechnet auf den Zeitraum von 23. Juli bis 7. August 2007). Von 8. August 2007 bis 28. Mai 2008 stand der Kläger im Krankengeldbezug.
Das Erstgericht und das Berufungsgericht rechneten den genannten Zeitraum des Krankengeldbezugs wegen seiner Lage nach dem rechtlichen Ende des Arbeitsverhältnisses nicht zur Zeit der Ausübung einer Tätigkeit gemäß § 255 Abs 4 ASVG und wiesen das Begehren auf Gewährung der Invaliditätspension im Hinblick auf mögliche Verweisungsberufe des Klägers (als Sortierer, Verpacker, Fertigungsprüfer und Kassier der allgemeinen Art) ab.
In seiner außerordentlichen Revision bekämpft der Kläger unter Hinweis auf die von Ivansits (DRdA 2014, 583) geäußerte Kritik die Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass ein nach dem rechtlichen Ende eines Arbeitsverhältnisses gelegener Krankengeldbezugszeitraum nicht als Zeitraum der Ausübung einer Tätigkeit zu werten sei.
Rechtliche Beurteilung
Damit wird keine erhebliche Rechtsfrage dargestellt.
1. Der Oberste Gerichtshof hat sich in der Entscheidung 10 ObS 189/13m (DRdA 2014/50, 580 [Ivansits] ) mit § 255 Abs 4 Z 2 ASVG in der Fassung des Budgetbegleitgesetzes 2011, BGBl I 2010/111, auseinandergesetzt und ist zur Auffassung gelangt, dass auch nach der Novellierung nur ein solcher Bezug von Krankengeld angerechnet werden soll, der einer entsprechenden Erwerbstätigkeit zuzuordnen ist (RIS‑Justiz RS0127738). Dagegen sind Krankengeldbezugszeiten, die ausschließlich Zeiträume der Arbeitslosigkeit betreffen, nicht auf die erforderliche Mindestdauer von 120 Kalendermonaten anzurechnen (10 ObS 17/12s, SSV‑NF 26/18; 10 ObS 60/13s, SSV‑NF 27/38).
2. Die Rechtsprechung nimmt eine teleologische Reduktion des Wortlauts des § 255 Abs 4 Z 2 ASVG mit der Begründung vor, dass andernfalls kranke gegenüber gesunden Arbeitnehmern bevorzugt würden, was sachlich nicht zu rechtfertigen wäre. Eine Stütze für einen Zusammenhang zwischen Erwerbstätigkeit und Krankengeldbezug wird in den Gesetzesmaterialien (ErläutRV 981 BlgNR 24. GP 206) gesehen, wonach „zur Erleichterung der Erlangung dieses Tätigkeitsschutzes (...) nunmehr auf die 120 Monate auch Krankengeldbezugszeiten aus der Erwerbstätigkeit im Ausmaß von höchstens 24 Monaten angerechnet werden“ sollen.
3. Diese Rechtsprechung wurde in der Folge aufrecht erhalten (10 ObS 71/14k). Demnach war mit dem Budgetbegleitgesetz 2011 offensichtlich keine Änderung der ständigen Rechtsprechung beabsichtigt, wonach nicht mehr von einer „Ausübung“ einer Tätigkeit iSd § 255 Abs 4 ASVG gesprochen werden kann, wenn das Arbeitsverhältnis schon rechtlich beendet ist. Vielmehr ging es dem Gesetzgeber des Budgetbegleitgesetzes offenbar darum, dass (in der Regel) kurzfristige Unterbrechungen der „Ausübung der Tätigkeit“ durch Krankenstand in einem gewissen Ausmaß berücksichtigt werden sollen. Zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen wurde daher die Rechtsprechung aufrecht erhalten, nach der für Zeiten der Urlaubsersatzleistung, Kündigungsentschädigung und auch des Krankenstands nach Ende des Arbeitsverhältnisses nicht von einer „Ausübung“ der Tätigkeit gesprochen werden kann (RIS‑Justiz RS0127738 [T1] und RS0117787 [T3 und T4]).
4. Kritik an der Rechtsprechung hat Ivansits in der schon erwähnten Entscheidungsanmerkung (Anrechnung von Krankengeldzeiten nach § 255 Abs 4 ASVG, DRdA 2014, 583) geübt. Er argumentiert mit der Eindeutigkeit des Wortlauts, die (auch) eine teleologische Reduktion ausschließe.
5. Bei neuerlicher Prüfung der Rechtsprechung aufgrund dieser Kritik besteht kein Anlass zu einem Abgehen von der bisherigen Rechtsprechungslinie.
5.1. Die teleologische Reduktion ist vom Fehlen einer nach dem Zweck des Gesetzes notwendigen Ausnahme geprägt ( Schauer in ABGB‑ON 1.02 § 7 Rz 18). Der Wortlaut ist im Vergleich zum erkennbaren Zweck des Gesetzes überschießend (RIS‑Justiz RS0008979; Kodek in Rummel/Lukas 4 § 7 ABGB Rz 63).
5.2. Zweifellos ist bei der teleologischen Reduktion besonders umsichtig vorzugehen, um sich nicht dem Vorwurf der Beliebigkeit auszusetzen ( Kodek in Rummel/Lukas 4 § 7 ABGB Rz 63). In diesem Sinn erfordert die teleologische Reduktion einer gesetzlichen Regelung den klaren Nachweis des Gesetzeszwecks, an dem sich die (letztlich den Gesetzeswortlaut korrigierende) Auslegung orientieren soll (RIS‑Justiz RS0106113 [T3]).
5.3. Die bisherige Rechtsprechung zu der hier behandelten Thematik hat sich mit der historischen Entwicklung der Norm auseinandergesetzt und unter Bezugnahme auf die Gesetzesmaterialien auch dargelegt, aufgrund welchen Gesetzeszwecks (nämlich der Vermeidung einer Bevorzugung von kranken arbeitslosen Arbeitnehmern im Vergleich zu gesunden arbeitslosen Arbeitnehmern) die teleologische Reduktion geboten ist.
5.4. Die ‑ in der Methodenlehre durchwegs akzeptierte ‑ teleologische Reduktion muss notwendigerweise vom Gesetzeswortlaut abgehen. Auch wenn dieses Abgehen ein hohes Maß an Legitimation auf der Grundlage des Gesetzeszwecks erfordert, hindert nicht einmal eine eindeutige gesetzliche Regelung die teleologische Reduktion des überschießenden Gesetzeswortlauts.
6. Es ist daher weiterhin an der bisherigen Rechtsprechung festzuhalten, nach der für Zeiten der Kündigungsentschädigung, Urlaubsersatzleistung und auch des Krankengeldbezugs nach Ende des Arbeitsverhältnisses nicht mehr von einer „Ausübung der Tätigkeit“ iSd § 255 Abs 4 ASVG gesprochen werden kann. Daraus folgt, dass im vorliegenden Fall die jeweils nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses des Klägers zu seiner seinerzeitigen Arbeitgeberin gelegenen ‑ noch strittigen ‑ Zeiten des Krankengeldbezugs des Klägers von 8. August 2007 bis 28. Mai 2008 ebenso wenig als Zeiten der „Ausübung der Tätigkeit“ iSd § 255 Abs 4 ASVG angesehen werden können wie die ‑ nicht strittigen ‑ Zeiten des Bezugs einer Kündigungsentschädigung für zwei Tage (21. und 22. Juli 2007) und einer Urlaubsersatzleistung für 16 Tage (angerechnet auf den Zeitraum von 23. Juli bis 7. August 2007). Dass der Kläger ausgehend von dieser Rechtsansicht die Voraussetzungen für einen Tätigkeitsschutz iSd § 255 Abs 4 ASVG nicht erfüllt, ist auch im Revisionsverfahren nicht mehr strittig.
7. Im Hinblick auf die dargestellte bisherige Rechtsprechung ist die außerordentliche Revision des Klägers mangels erheblicher Rechtsfrage zurückzuweisen.
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