OGH 10Ob55/14g

OGH10Ob55/14g21.10.2014

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Fellinger, Dr. Hoch, Dr. Schramm und die Hofrätin Dr. Fichtenau als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Z*****, *****, vertreten durch Dr. Klaus Fürlinger und Dr. Christoph Arbeithuber, Rechtsanwälte in Linz, gegen die beklagte Partei O*****, vertreten durch Dr. Eckhard Pitzl und Dr. Gerhard Huber, Rechtsanwälte in Linz, wegen 15.555,55 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 24. Juni 2014, GZ 6 R 101/14m‑26, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Linz vom 19. März 2014, GZ 4 Cg 62/13z‑21, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0100OB00055.14G.1021.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 978,84 EUR (darin enthalten 163,14 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Begründung

Die Klägerin ist Haftpflichtversicherer des Dr. G*****, Facharzt für Gynäkologie (im Folgenden: Versicherungsnehmer). Die Beklagte ist Rechtsträgerin eines Landeskrankenhauses.

Im Verfahren 2 Cg 19/11d des Landesgerichts Steyr wurde der Versicherungsnehmer rechtskräftig zur Zahlung von 23.333,33 EUR sA an die Verlassenschaft nach seiner am 28. 2. 2011 verstorbenen Patientin N***** verpflichtet. Die nunmehrige Beklagte war in diesem Vorverfahren als Nebenintervenientin auf Seiten des dort beklagten Versicherungsnehmers der Klägerin beteiligt. Nach den wesentlichen Feststellungen im Vorverfahren wurde N***** zwischen 13. 9. 1999 und 8. 3. 2010 durch den Versicherungsnehmer gynäkologisch behandelt. Im Laufe der Jahre erfolgten Krebsvorsorgeuntersuchungen am Gebärmutterhals mit koloskopischen Untersuchungen und Abnahme von PAP‑Tests, welche von Ärzten der nunmehr Beklagten befundet wurden. Aufgrund abnormaler Ergebnisse dieser PAP‑Tests lud der Versicherungsnehmer N***** zu Kontrollterminen ein, welche sie jedoch erst meist mit Verspätungen von ca einem Jahr wahrnahm. Bereits ab dem Jahr 2002 lagen Testergebnisse von PAP III vor. Im Mai 2004, jedoch spätestens im März 2006 hätte eine weitere Abklärung dieser Befunde, insbesondere eine histologische Abklärung, durch den Versicherungsnehmer erfolgen müssen. Dadurch hätte mit hoher Sicherheit die sich entwickelnde Krebserkrankung entdeckt und der Krankheitsverlauf sowie die Behandlung entscheidend modifiziert werden können. Es erfolgte jedoch keine entsprechende Aufklärung der Patientin durch den Versicherungsnehmer. Im März 2010 wurde vom Versicherungsnehmer bei N***** ein Tumor des Gebärmutterhalses festgestellt und sie zur weiteren Behandlung in ein Krankenhaus überwiesen. Schließlich verstarb N***** am 28. 2. 2011 am Grundleiden. Dieser Sachverhalt wurde im Vorprozess in rechtlicher Hinsicht im Wesentlichen dahin beurteilt, dass das (zu) späte Erkennen der Krebserkrankung von N***** neben deren eigener Sorglosigkeit (unzureichende Einhaltung der gynäkologischen Kontrolluntersuchungen) auf einen Aufklärungsfehler des Versicherungsnehmers (unterbliebene histologische Abklärung) zurückzuführen gewesen sei. Es wurde daher eine Haftungsteilung im Ausmaß von 2:1 zu Lasten des Versicherungsnehmers vorgenommen.

Im gegenständlichen Regressprozess brachte die Klägerin vor, sie habe als Haftpflichtversicherer für ihren Versicherungsnehmer aufgrund des Ergebnisses des Vorprozesses den Betrag von 23.333,33 EUR an die Verlassenschaft nach der verstorbenen Patientin bezahlt. Die Beklagte bzw ihre Ärzte hätten die vom Versicherungsnehmer im Zuge der Ordinationsbesuche der Patientin genommenen PAP‑Abstriche falsch bewertet. Bereits die Befunde 2002 bis 2003 hätten auf PAP IV lauten müssen; ein Befund aus 2007 hätte auf PAP V und nicht auf PAP III lauten müssen. Wären die Befunde der Ärzte der Beklagten richtig gewesen, hätte der Versicherungsnehmer früher von der Krebserkrankung der Patientin gewusst, die Patientin anders aufgeklärt und behandelt, wodurch ihr Ableben hätte verhindert werden können. Das Fehlverhalten der Ärzte der Beklagten sei daher Mitursache für den Schadenseintritt gewesen. Die Beklagte hafte als Rechtsträgerin des Landeskrankenhauses gegenüber der Patientin (der Verlassenschaft) solidarisch mit dem Versicherungsnehmer für die von ihr aufgrund falscher Befunde rechtswidrig mitverursachten Schäden. Im Hinblick auf die solidarische Mithaftung der Beklagten mache die Klägerin die ihr zustehenden Regressansprüche gegenüber der Beklagten geltend, wobei von einer Haftung für den eingetretenen Schaden im Verhältnis 1:2 zu Lasten der Beklagten auszugehen sei.

Die Beklagte bestritt das Klagebegehren und wendete insbesondere ein, dass die von ihren Ärzten durchgeführten PAP‑Befundungen richtig gewesen seien. Auch ein anderer Befund hätte nichts am Handeln des Versicherungsnehmers der Klägerin geändert, da dieser jahrelang bei suspekten PAP III‑Befunden keine Veranlassung gesehen habe, konkret richtige medizinische Behandlungen zu setzen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es konnte weder festellen, ob die PAP‑Abstriche der Patientin N***** vom Landeskrankenhaus falsch befundet wurden und demnach höhere Bewertungen hätten aufweisen müssen, noch ob höhere Bewertungen ein anderes Behandlungsregime des Versicherungsnehmers gegenüber seiner Patientin verursacht hätten.

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, aufgrund des zwischenzeitigen Verlusts der Abstriche sei eine Gutachtenserstellung nicht möglich gewesen, weshalb eine Fehlbeurteilung der PAP‑Befunde nicht habe festgestellt werden können. Selbst wenn das Landeskrankenhaus für den Verlust der PAP‑Präparate verantwortlich sei, könne dies beweisrechtlich nicht zu Lasten der Beklagten gehen. Dass im Vorprozess aufgrund damals noch vorhandener PAP‑Abstriche die Festellung getroffen worden sei, wonach der Abstrich aus Februar 2007 mit einer ursprünglichen Bewertung als PAP III D zweifelsfrei unterbewertet sei und die richtige Bewertung PAP V, zumindest jedoch als PAP IV hätte erfolgen müssen, stelle keine entscheidende Feststellung für das Urteil im Vorverfahren dar, weil dem Versicherungsnehmer ein Aufklärungsfehler wegen der fehlenden histologischen Abklärung der unklaren PAP‑Befundungen vorgeworfen worden sei. Die Notwendigkeit einer allfälligen höheren PAP‑Bewertung stünde daher in keinem Zusammenhang mit dem rechtswidrigen Verhalten des Versicherungsnehmers gegenüber seiner Patientin.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin keine Folge. Es teilte im Wesentlichen die Rechtsansicht des Erstgerichts. Eine Beweislastumkehr zu Gunsten der Klägerin trete nicht ein, weil die abhanden gekommenen Präparate nicht Teil der Krankengeschichte seien und ein der Beklagten zur Last fallendes, für den Verlust der Präparate ursächliches Verhalten nicht erwiesen sei. Nur wenn sowohl fehlerhafte Befunde des Landeskrankenhauses als auch der Aufklärungsfehler des Arztes neben der eigenen Sorglosigkeit der Patientin ursächlich für das zu späte Erkennen der Krebserkrankung der Patientin gewesen wären, hätten beide Parteien gemäß § 1302 ABGB solidarisch für ihr schuldhaftes und rechtswidriges Verhalten einzustehen und wäre ein Regress mangels Bestimmbarkeit der Schadensanteile (nur) in Höhe der Hälfte des im Vorprozess zugesprochenen Betrags begründet. Dieser Nachweis sei aber nicht erbracht worden, weshalb das Erstgericht die Klage zu Recht abgewiesen habe.

Das Berufungsgericht sprach zunächst aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei, änderte aber über Antrag der Klägerin seinen Ausspruch nachträglich dahin ab, dass die ordentliche Revision doch zulässig sei, weil sich die Beweislastverteilung sowie die Frage einer Beweislastumkehr im Regressprozess als Folge eines Arzthaftungsprozesses nicht unmittelbar aus der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs beurteilen lasse.

Die Klägerin macht in ihrer Revision Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens, Aktenwidrigkeit sowie unrichtige rechtliche Beurteilung geltend und beantragt die Abänderung der angefochtenen Entscheidung im Sinn einer Stattgebung des Klagebegehrens. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision als unzulässig zurückzuweisen bzw ihr keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist ‑ entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) ‑ Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig. Dies ist gemäß § 510 Abs 3 ZPO ‑ kurz ‑ zu begründen:

1. Die Klägerin macht als Haftpflichtversicherung, die die Ansprüche der geschädigten Patientin gegen ihren Versicherungsnehmer erfüllt hat, einen Regressanspruch gegen die Beklagte als solidarisch zum Schadenersatz Verpflichtete nach § 1302 iVm § 896 ABGB geltend. Ein Rückersatzanspruch im Sinne dieser Gesetzesstellen setzt zunächst das Bestehen einer Solidarhaftung voraus (vgl RIS‑Justiz RS0026803). Ersetzt ein Solidarschuldner den gesamten Schaden, so steht ihm gegen den anderen Schuldner ein Ausgleichsanspruch zu, dessen Höhe sich nach § 896 ABGB richtet (4 Ob 94/04h, SZ 2004/81). Die gesamt‑schuldnerische Haftung für den eingetretenen Schaden besteht aber nur dann, wenn jeder Beteiligte einen Beitrag zum Eintritt des Schadens geleistet hat, wenn seine Beteiligung für den Schaden daher ursächlich war (2 Ob 671/85). Dafür ist der Regressgläubiger behauptungs‑ und beweispflichtig.

2. Der Regressanspruch nach § 1302 iVm § 896 ABGB ist nach herrschender Rechtsansicht ein Anspruch sui generis. Er ist ein selbständiger Anspruch, dessen Art und Umfang sich nach den zwischen den Streitteilen bestehenden „besonderen Verhältnissen“ richtet (2 Ob 191/12w mwN; RIS‑Justiz RS0122266). Entgegen der Rechtsansicht der Klägerin macht sie somit keinen auf sie übergegangenen Anspruch der Patientin gegenüber ihrem Vertragspartner (Krankenhausträger), sondern einen eigenen Anspruch nach § 896 ABGB geltend. Damit sind aber nach zutreffender Rechtsansicht der Beklagten alle Überlegungen der Klägerin über „medizinrechtliche Beweis‑Besonderheiten“ im Verhältnis zwischen Patient und Krankenanstalt bzw Arzt nicht zielführend. Die Klägerin bzw ihr Versicherungsnehmer stand zum beklagten Krankenhausträger in keinem Vertragsverhältnis. Ein Behandlungsvertrag bestand nur zwischen der Patientin und dem Träger der Krankenanstalt bzw dem Versicherungsnehmer der Klägerin. Auch ein Vertrag (zwischen der Patientin und dem Krankenhausträger) mit Schutzwirkung zu Gunsten Dritter (des Nachbehandlers, des Versicherungsnehmers der Klägerin) wurde weder behauptet noch unter Beweis gestellt. Die Klägerin hat daher die Anspruchsvoraussetzungen für ihren Regressanspruch nach § 896 ABGB unter Beweis zu stellen, insbesondere die Kausalität eines schuldhaften und rechtswidrigen Verhaltens der Ärzte der Beklagten für den eingetretenen Schaden. Denn nur wenn sowohl fehlerhafte Befunde der Ärzte der Beklagten als auch das ärztliche Fehlverhalten des Versicherungsnehmers der Klägerin neben der eigenen Sorglosigkeit der Patientin ursächlich für das zu späte Erkennen der Krebserkrankung der Patientin gewesen wären, hätten nach zutreffender Rechtsansicht des Berufungsgerichts beide Parteien gemäß § 1302 ABGB solidarisch für ihr schuldhaftes und rechtswidriges Verhalten einzustehen und wäre ein Regressanspruch der Klägerin nach § 896 ABGB begründet.

3. Einen solchen Nachweis hat die Klägerin aber schon im Hinblick darauf, dass von den Vorinstanzen nicht festgestellt werden konnte, ob höhere PAP‑Bewertungen ein anderes Behandlungsregime des Versicherungsnehmers der Klägerin gegenüber seiner Patientin verursacht hätten, nicht erbracht. Darüber hinaus konnte das Erstgericht auch nicht feststellen, ob die PAP‑Abstriche der Patientin im Landeskrankenhaus falsch befundet wurden. Das Berufungsgericht hat dazu zutreffend auf die ständige Rechtsprechung verwiesen, wonach eine Bindungswirkung an Feststellungen im Vorprozess nur insoweit besteht, als die jeweilige Feststellung bei richtiger rechtlicher Beurteilung für das Ergebnis der dort gefällten Entscheidung notwendig war oder ob auch bei Wegfall dieser Tatsachenannahmen das gleiche Prozessergebnis erzielt worden wäre (4 Ob 72/01v; RIS‑Justiz RS0115239). Im Vorverfahren nahm die Patientin den Versicherungsnehmer der nunmehrigen Klägerin haftungsrechtlich in Anspruch. Die wesentlichen Feststellungen im Vorprozess betrafen somit ausschließlich das Fehlverhalten des Versicherungsnehmers der nunmehrigen Klägerin, nicht jedoch eine allfällige unrichtige PAP‑Befundung durch die Ärzte der nunmehrigen Beklagten. Die behauptete falsche Befundung durch Ärzte der Beklagten war somit nicht wesentlich für die Haftung des Versicherungsnehmers der Klägerin gegenüber seiner Patientin. Die Klägerin ist daher für die von ihr behauptete falsche Befundung der PAP‑Abstriche durch die Ärzte der Beklagten beweispflichtig. Dieser Beweis ist ihr nach den zutreffenden Ausführungen der Vorinstanzen nicht gelungen. Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass die von der Klägerin im Zusammenhang mit dem (nur) zwischen der Patientin und der Beklagten bestehenden ärztlichen Behandlungsvertrag angestellten Erwägungen über Beweislast, Anscheinsbeweis und Beweislastumkehr für den hier zu beurteilenden Regressanspruch der Klägerin gegenüber der Beklagten nicht maßgebend sind, weil zwischen dem Versicherungsnehmer der Klägerin und der Beklagten als Trägerin der Krankenanstalt kein Behandlungsvertrag bestanden hat. Es sind daher in diesem Zusammenhang auch keine für die Entscheidung im vorliegenden Fall relevanten Rechtsfragen im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO zu beurteilen.

4. Ausgehend von der dargelegten Rechtsansicht liegt auch die von der Klägerin weiters geltende Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens (§ 503 Z 2 ZPO) sowie Aktenwidrigkeit (§ 503 Z 3 ZPO), wie der erkennende Senat geprüft hat, nicht vor (§ 510 Abs 3 dritter Satz ZPO).

Da die Revision damit insgesamt keine Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO aufzeigt, die einer Klärung durch den Obersten Gerichtshof im vorliegenden Fall bedürfte, ist sie zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

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