European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0100OB00054.23Y.0312.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der erstbeklagten Partei die mit 1.883,40 EUR (darin 313,90 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
[1] Der Kläger kaufte am 25. Oktober 2010 bei der Erstbeklagten einen von der Zweitbeklagten hergestellten VW Sharan Comfortline BMT TDI um 40.683,54 EUR. Das Fahrzeug ist mit einem 2.0 Liter Dieselmotor EA189 ausgestattet und vom „Dieselskandal“ betroffen, wovon der Kläger mit Schreiben vom 8. Oktober 2015 in Kenntnis gesetzt wurde. Am 18. Jänner 2017 wurde am Fahrzeug in Entsprechung des Produktrückrufs ein Software‑Update durchgeführt. Das Fahrzeug ist fahrtauglich und verkehrssicher.
[2] Die Organe der Zweitbeklagten wussten von der Unzulässigkeit der „Umschaltlogik“ und wollten, dass durch deren Einbau der Anschein eines gesetzeskonformen Motors hergestellt wird.
[3] Die Erstbeklagte handelt mit den von der Zweitbeklagten hergestellten Fahrzeugen und schließt Rechtsgeschäfte im eigenen Namen und auf eigene Rechnung ab. Die Beklagten sind konzernmäßig miteinander verbunden. Unbeschränkt haftende Gesellschafterinnen der Erstbeklagten sind weitere Konzernunternehmen, vertreten wird die Erstbeklagte von der Gesellschafterin P* GmbH, deren Alleingesellschafterin die P* H* GmbH ist. Deren Alleingesellschafterin ist die V* GmbH, die im Alleineigentum der Zweitbeklagten steht. Diese vertreibt die von ihr hergestellten Fahrzeuge – von spezifischen Kundengruppen abgesehen – über Vertriebspartner, an die sich Privatkunden wenden müssen, wenn sie ein Fahrzeug der Zweitbeklagten erwerben wollen.
[4] Der Kläger begehrte in der am 5. September 2018 eingebrachten Klage die Aufhebung des mit der Erstbeklagten geschlossenen Kaufvertrags vom 25. Oktober 2010 und von den Beklagten zur ungeteilten Hand die Zahlung von 24.324,63 EUR sA gegen Rückstellung des Fahrzeugs, in eventu die Zahlung von 9.000 EUR sA zur ungeteilten Hand, in eventu die Feststellung der Haftung der Beklagten für jeden Schaden, der ihm aus dem Einbau der unzulässigen Abschalteinrichtung entstehe. Er stützte sich hinsichtlich der Erstbeklagten unter anderem auf Irrtum, Gewährleistung und arglistige Täuschung. Das Verhalten der Zweitbeklagten sei auch der Erstbeklagten zuzurechnen.
[5] Die Beklagten beantragten die Abweisung der Klagebegehren. Das Fahrzeug könne unbeschränkt im Straßenverkehr benützt werden, die Typengenehmigung sei nie widerrufen worden. Die auf Irrtum und Gewährleistung gestützten Ansprüche gegen die Erstbeklagte seien verjährt. Die Erstbeklagte sei nicht Herstellerin des Fahrzeugs und habe keinen Irrtum veranlasst. Das Handeln der Zweitbeklagten sei der Erstbeklagten nicht zuzurechnen, weshalb auch Ansprüche wegen listiger Irreführung nicht gegen sie gerichtet werden könnten. Die Beklagten hielten der Klageforderung aufrechnungsweise ein Benützungsentgelt von 19.700 EUR entgegen.
[6] Das Erstgericht hob den Kaufvertrag mit der Erstbeklagten auf und sprach aus, dass die Klageforderung mit 24.324,63 EUR und die Gegenforderung mit 10.393,67 EUR zu Recht bestehe. Es verpflichtete die Beklagten zur Zahlung von 13.030,96 EUR sA zur ungeteilten Hand, Zug um Zug gegen Übergabe des Fahrzeugs. Das Mehrbegehren wies es ab. Es ging davon aus, dass die auf Irrtum und Gewährleistung gestützten Ansprüche des Klägers verjährt seien. Nicht verjährt sei der Anspruch wegen Arglist nach § 870 ABGB. Das Wissen der Zweitbeklagten um das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung sei der Erstbeklagten zuzurechnen, weil sie die „ausgelagerte Vertriebsschiene“ der Zweitbeklagten sei. Darüber hinaus sei auch der konzernmäßige Verbund zu berücksichtigen.
[7] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten Folge und änderte das Ersturteil, soweit es sich auf die Erstbeklagte bezog, in ein die Klagebegehren zur Gänze abweisendes Teilurteil ab. Soweit es sich auf die Zweitbeklagte bezog, hob es das Ersturteil auf und verwies die Rechtssache insofern an das Erstgericht zurück. Soweit für das Revisionsverfahren relevant ging es davon aus, dass auf Gewährleistung und auf Vertragsaufhebung wegen Irrtums gestützte Ansprüche verjährt seien und die Erstbeklagte nicht für ein arglistiges Verhalten von Organwaltern der Zweitbeklagten hafte.
[8] Das Berufungsgericht ließ die Revision gegen das Teilurteil zur Frage zu, unter welchen Voraussetzungen einem Händler, der einem Konzern angehört, das Wissen der das Produkt herstellenden Konzernmutter schadenersatzrechtlich zuzurechnen sei.
[9] Gegen das Teilurteil richtet sich die Revision des Klägersmit dem Antrag auf Abänderung der Entscheidung im Sinne einer Stattgabe der Klagebegehren gegenüber der Erstbeklagten, hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
[10] Die Erstbeklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung die Zurückweisung der Revision, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[11] Die Revision ist – entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts – mangels Aufzeigens einer Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.
[12] 1.1. Das Berufungsgericht beurteilte die Gewährleistungsfrist für den geltend gemachten Sachmangel zutreffend als abgelaufen. Sogar dann, wenn sie hier erst mit Erkennbarkeit des Mangels zu laufen begonnen hätte, wäre für den Kläger nichts gewonnen. Es steht nämlich fest, dass er (schon) im Herbst 2015 (und damit mehr als zwei Jahre vor Klagseinbringung) von der vorhandenen unzulässigen Abschalteinrichtung wusste.
[13] 1.2. Dem hält der Kläger in der Revision entgegen, sowohl Sach- als auch Rechtsmängel würden frühestens ab dem Zeitpunkt des Software‑Updates verjähren. Dabei missversteht er allerdings die von ihm für seinen Rechtsstandpunkt ins Treffen geführte Rechtsprechung.
[14] 1.2.1. Macht ein Verkäufer oder Werkunternehmer eine Verbesserungszusage oder nimmt er die Verbesserung (sei es erfolgreich oder erfolglos) tatsächlich vor, so anerkennt er dadurch nach der Rechtsprechung in der Regel konkludent im Sinn des § 863 ABGB jenen Mangel, der mit der Verbesserung – nach dem Eindruck eines redlichen Käufers oder Werkbestellers – beseitigt werden soll, und damit seine diesbezügliche Gewährleistungspflicht (RS0018921 [T7, T8]). Dies führt vor Ablauf der Verjährungsfrist zur Unterbrechung der Verjährungsfrist (§ 1497 ABGB); ein derartiges Anerkenntnis nach Ablauf der Verjährungsfrist beinhaltet in der Regel den Verzicht auf die Erhebung der Verjährungseinrede (RS0032386). Im Einklang mit dieser Rechtsprechung wurde in einem Fall, in dem der Verkäufer eines vom Abgasskandal betroffenen Fahrzeugs die Durchführung des Software‑Updates anbot und es auch durchführte, ein Verzicht auf die Einrede der bereits eingetretenen Verjährung angenommen (8 Ob 40/23z Rz 12).
[15] 1.2.2. Die zitierte Rechtsprechung knüpft somit an ein Verhalten des Verkäufers der mangelhaften übergebenen Sache an. Bietet hingegen ein Dritter die Mängelbehebung an, ohne dabei aber auf den konkreten Vertragspartner zu verweisen, ist dies nicht als Angebot des Vertragspartners an den Käufer zu werten (RS0134544). Dass die Verjährungsfrist generell frühestens ab dem Zeitpunkt des Software‑Updates zu laufen beginne, wie dies der Kläger in der Revision vertritt, ist dieser Rechtsprechung nicht zu entnehmen.
[16] 1.2.3. Der Kläger legt in der Revision nicht dar, welches Verhalten der Erstbeklagten als Verbesserungszusage oder als Verbesserungsversuch aufgefasst werden könnte. Die Erstbeklagte weist in der Revisionsbeantwortung zutreffend auf die vom Kläger vorgelegten Urkunden hin, aus denen sich ergibt, dass die Erstbeklagte an der Durchführung des Software‑Updates nicht beteiligt war (vgl 6 Ob 116/23m Rz 9). Ein Abweichen von höchstgerichtlicher Rechtsprechung zeigt die Revision damit nicht auf.
[17] 2.1. Der Kläger macht weiters geltend, dass das Verhalten der Zweitbeklagten (die listige Herbeiführung des Irrtums des Klägers oder das Wissen der Zweitbeklagten um das Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung) der Erstbeklagten aufgrund ihrer engen vertraglichen und gesellschaftsrechtlichen Verflechtung im Rahmen der §§ 870 und 874 ABGB zuzurechnen sei.
[18] 2.2. Das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage ist nach dem Zeitpunkt der Entscheidung über das Rechtsmittel durch den Obersten Gerichtshof zu beurteilen. Eine im Zeitpunkt der Einbringung des Rechtsmittels tatsächlich aufgeworfene erhebliche Rechtsfrage fällt somit weg, wenn sie vor der Erledigung des Rechtsmittels bereits durch eine andere Entscheidung des Obersten Gerichtshofs geklärt wurde (RS0112921 [T5]). Dies ist hier der Fall.
[19] 2.2.1. Der Oberste Gerichtshof ging in der Entscheidung 9 Ob 21/22m in einem gleichgelagerten Fall davon aus, dass der Vertragshändlerin das (allfällige) arglistige Verhalten der Fahrzeugherstellerin nicht zurechenbar ist. Auch wenn die Vertragshändlerin ausschließlich die Fahrzeugmarken der Herstellerin vertreibt und ihr wirtschaftlicher Erfolg daher unter anderem von der Öffentlichkeitsarbeit der Herstellerin abhängt, „bedient“ sie sich beim Verkauf eines Fahrzeugs nicht der Herstellerin, weshalb diese nicht Erfüllungsgehilfin der beklagten Händlerin ist. Die Einbeziehung der (Werbe-)Äußerungen der Herstellerin in die Auslegung des Kaufvertrags zwischen der Klägerin und der beklagten Händlerin führt nicht dazu, dass diese sich das – im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses bereits abgeschlossene – (allenfalls) schuldhafte (listige) Verhalten der Herstellerin insofern zurechnen lassen muss, dass sie an der Handlung des Herstellers im Sinn des § 875 ABGB „teilgenommen“ hätte. Dass der Verkäufer in diesem Zusammenhang für List (§ 870 ABGB) des Herstellers einstehen müsste, bedarf der Zurechnung nach § 875 ABGB (Teilnahme oder Wissen müssen), ohne dass § 922 Abs 2 ABGB einschlägig wäre oder analog zur Anwendung gelangt. Im Rahmen eines allfälligen listigen Verhaltens eines Dritten ist für die „Teilnahme“ wie beim Schadenersatz ein entsprechendes subjektives Element beim Verkäufer zu fordern (9 Ob 21/22m Rz 31 ff).
[20] 2.2.2. Damit ist geklärt, dass eine wirtschaftliche oder konzernmäßige Verflechtung nicht zur irrtumsrechtlichen Zurechnung des Verhaltens der Fahrzeugherstellerin an die beklagte Verkäuferin führt. Dass zur Vertretung der Erstbeklagten befugte Personen (Geschäftsführer, Verkaufsberater) im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses Kenntnis von einer (unzulässigen) Abschalteinrichtung hatten oder davon offenbar wissen mussten, hat der Kläger im Verfahren erster Instanz – wie bereits das Berufungsgericht zutreffend bemerkte – nicht behauptet. Eine Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO zeigt dsie Revision somit auch in diesem Punkt nicht auf.
[21] 3. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Die Erstbeklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen. Ein Streitgenossenzuschlag steht nicht zu, weil der Beklagtenvertreter im Revisionsverfahren nur die Erstbeklagte vertritt.
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