OGH 10Ob31/24t

OGH10Ob31/24t13.8.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat Dr. Annerl als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Stefula, Dr. Weber, Mag. Schober und Dr. Vollmaier als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. F*, und 2. A*, beide vertreten durch die Poduschka Partner Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die beklagte Partei V* AG, *, vertreten durch die Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen 12.529,20 EUR sA und Feststellung, über die Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts Korneuburg als Berufungsgericht vom 2. Jänner 2024, GZ 21 R 180/23b‑51, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Mistelbach vom 10. Juli 2023, GZ 18 C 170/21f‑47, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0100OB00031.24T.0813.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagenden Parteien sind schuldig, der beklagten Partei die mit 1.229,50 EUR (darin enthalten 196,31 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Am 13. Mai 2016 schlossen die Kläger einerseits mit einer Fahrzeughändlerin einen Kaufvertrag über einen Pkw VW Tiguan Highline TDI SCR 4-motion und andererseits einen dieses Fahrzeug betreffenden Leasingvertrag mit einer Leasinggesellschaft. Im Fahrzeug der Kläger ist ein von der Beklagten entwickelter und hergestellter Dieselmotor verbaut. Das Fahrzeug unterliegt unstrittig dem Anwendungsbereich der VO 715/2007/EG .

[2] Im Fahrzeug kommt eine temperaturgesteuerte Abgasrückführung („Thermofenster“) und zusätzlich ein Abgasreinigungssystem (SCR-Katalysator) zum Einsatz.

[3] Die Leasinggesellschaft hat den Klägern sämtliche zivilrechtlichen Ansprüche im Zusammenhang mit dem Fahrzeug abgetreten.

[4] Mit ihrer Klage begehren die Kläger – neben der bereits rechtskräftig abgewiesenen Feststellung der künftigen Haftung der Beklagten – gestützt auf § 1295 Abs 2 ABGB, § 874 und § 1311 Satz 2 ABGB Schadenersatz, weil im Fahrzeug unzulässige Abschalteinrichtungen verbaut seien.

[5] Das Erstgericht wies das Klagebegehren mit der Begründung ab, dass das (in der Revision allein relevante) „Thermofenster“ unter die Ausnahme des Art 5 Abs 2 lit a VO 715/2007/EG falle.

[6] Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil. Ob die Voraussetzungen der vom Erstgericht angenommenen Verbotsausnahme vorlägen, müsse nicht untersucht werden, weil den Klägern schon der Beweis einer Abschalteinrichtung iSd Art 3 Z 10 VO 715/2007/EG nicht gelungen sei. Aus den (Negativ-)Feststellungen des Erstgerichts lasse sich nämlich nur ableiten, dass es (bloß) außerhalb des von der Beklagten zugestandenen „Thermofensters“ zu einer Verringerung der Abgasrückführung komme. Solche Temperaturen würden im Unionsgebiet aber nicht bloß den überwiegenden Teil des Jahres nicht, sondern nie erreicht, sodass eine Reduktion der Entstickung in einem relevanten Temperaturbereich nicht feststehe. Der Beweis, dass das „Thermofenster“ die Wirkung des Emissionskontrollsystems unter vernünftigerweise zu erwartenden Bedingungen tatsächlich beeinträchtige, sei daher nicht erbracht.

[7] Die Revision ließ das Berufungsgericht zu, weil angesichts der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs nicht auszuschließen sei, dass die Feststellung eines „Thermofensters“ schon für sich ausreiche, um den Beweis einer Abschalteinrichtung als erbracht anzusehen.

Rechtliche Beurteilung

[8] Die von der Beklagten beantwortete Revision der Kläger ist entgegen dem Ausspruch des Berufungsgerichts mangels einer darin aufgezeigten Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung nicht zulässig.

[9] 1.1. Nach Art 3 Z 10 VO 715/2007/EG ist eine Abschalteinrichtung ein Konstruktionsteil, das die Temperatur, die Fahrzeuggeschwindigkeit, die Motordrehzahl (UpM), den eingelegten Getriebegang, den Unterdruck im Einlasskrümmer oder sonstige Parameter ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird.

[10] 1.2. Gemäß Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG ist die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, unzulässig, es sei denn, dass eine der (drei) dort genannten Ausnahmen greift.

[11] Nach der hier interessierenden Ausnahme des Art 5 Abs 2 lit a VO 715/2007/EG ist eine Abschalteinrichtung zulässig, wenn sie notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten. Selbst wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, fällt eine Abschalteinrichtung nach der ständigen Rechtsprechung dennoch nicht unter diese Verbotsausnahme, wenn sie das Regel‑Ausnahme-Verhältnis des Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG umkehrt, sie unter normalen Betriebsbedingungen also den überwiegenden Teil des Jahres funktionieren müsste, damit der Motor vor Beschädigung oder Unfall geschützt und der sichere Betrieb des Fahrzeugs gewährleistet ist (4 Ob 204/23p Rz 16; 10 Ob 31/23s Rz 31 mwN aus der Rsp des EuGH ua).

[12] 2. Nach der gesicherten Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ist der Kläger für das Vorliegen einer Abschalteinrichtung iSd Art 3 Z 10 VO 715/2007/EG beweispflichtig (10 Ob 7/24p Rz 14; 7 Ob 40/24v Rz 29; 4 Ob 69/24m Rz 31 ua). Ist dieser Nachweis gelungen, ist wegen des grundsätzlichen Verbots von Abschalteinrichtungen (Art 5 Abs 2 Satz 1 VO 715/2007/EG ) zunächst von ihrer Unzulässigkeit auszugehen. Den Beklagten (als Hersteller) trifft dann die Beweislast dafür, dass die Abschalteinrichtung unter eine der Verbotsausnahmen des Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG fällt (10 Ob 13/24w Rz 21; 10 Ob 54/23d Rz 12; 6 Ob 177/23g Rz 26; RS0106638 [T20]; RS0134458 ua).

[13] 3. Die Kläger bezweifeln das in ihrer Revision nicht. Sie wenden sich auch nicht dagegen, dass Temperaturen außerhalb der Grenzen des von der Beklagten zugestandenen und vom Berufungsgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegten „Thermofensters“ keine (Fahr-)Bedingungen mehr sind, wie sie im Unionsgebiet üblich bzw vernünftiger Weise zu erwarten sind (vgl dazu 6 Ob 175/23p Rz 60 ua; EuGH C‑128/20 , GSMB Invest, Rn 40; C‑134/20 , Volkswagen, Rn 47). Sie meinen vielmehr, ihrer Beweislast entsprochen zu haben, weil die Beklagte ein „Thermofenster“ zugestanden habe und ein solches grundsätzlich eine unzulässige Abschalteinrichtung sei. Es obliege daher der Beklagten, nachzuweisen, in welchem Temperaturbereich diese wirksam und ob einer der Tatbestände des Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG erfüllt sei.

[14] 3. Diese Ansicht widerspricht der dargestellten ständigen Rechtsprechung zur Verteilung der Beweislast.

[15] 3.1. Schon das Berufungsgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass eine Abschalteinrichtung gemäß der Legaldefinition des Art 3 Z 10 VO 715/2007/EG nur dann vorliegt, wenn die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird. Um den Beweis des Vorliegens einer Abschalteinrichtung zu erbringen, muss daher auch das und nicht bloß der Einsatz eines Konstruktionsteils nachgewiesen werden, der einen beliebigen Teil des Emissionskontrollsystems aktiviert, verzögert oder deaktiviert. Bei „Thermofenstern“ bedeutet das, dass (auch) zu beweisen ist, dass es unter den üblichen bzw vernünftigerweise zu erwartenden klimatischen Bedingungen im Unionsgebiet aktiv ist, also die Wirkung des Emissionskontrollsystems beeinträchtigt (vgl 10 Ob 7/24p Rz 15; 6 Ob 177/23g Rz 34; 6 Ob 175/23p Rz 60 ua). Diesen Nachweis haben die Kläger nicht erbracht.

[16] 3.2. Wenn sich die Kläger für ihre gegenteilige Ansicht auf die Rechtsprechung berufen, wonach Negativfeststellungen zum konkreten Temperaturbereich eines „Thermofensters“ zu Lasten des beklagten Herstellers gehen (vgl 10 Ob 7/24p Rz 15; 6 Ob 177/23g Rz 38; 10 Ob 31/23s Rz 32 ua), betrifft diese nicht den (dem Kläger obliegenden) Nachweis einer Abschalteinrichtung iSd Art 3 Z 10 VO 715/2007/EG , sondern den vom beklagten Hersteller zu erbringenden Nachweis, ob diese unter die Verbotsausnahme des Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EG fällt und damit (ausnahmsweise) zulässig ist (oben 1.2.).

[17] Anderes ergibt sich auch aus den von den Klägern zur Untermauerung ihres Standpunkts angeführten Entscheidungen nicht:

[18] Zu 6 Ob 155/22w hatte die dortige Beklagte das Vorliegen einer Abschalteinrichtung außer Streit gestellt (Rz 65); die weiteren Aussagen zur Beweislast bezogen sich auf die Ausnahme des Art 5 Abs 2 lit a VO 715/2007/EG (Rz 66 und 68).

[19] Die Ausführungen zur Beweislast in 4 Ob 171/23k (Rz 36) und 9 Ob 53/23v (Rz 15)betrafen ebenfalls die Verbotsausnahme des Art 5 Abs 2 lit a VO 715/2007/EG . Dass offen geblieben wäre, ob das „Thermofenster“ unter den zu erwartenden normalen Fahrbedingungen aktiv ist, lässt sich den beiden Entscheidung nicht entnehmen.

[20] Zu 10 Ob 2/23a vom 21. Februar 2023 (Rz 7) und 10 Ob 16/23k (Rz 10) stand der Temperaturbereich des „Thermofensters“ fest; zu 6 Ob 158/22m (Rz 45) wurde er von der Beklagten zugestanden.

[21] 4. Abschließend ist noch klarzustellen, dass es zwar auf das „Emissionskontrollsystem in seiner Gesamtheit“ ankommt, wenn mehrere Systeme (hier die Abgasrückführung und Abgasreinigung bzw -nachbehandlung) ineinandergreifen (10 Ob 55/23w Rz 12; 10 Ob 52/23d Rz 11; 3 Ob 215/23y Rz 17; vgl BGH VIa ZR 335/21 Rn 51). Ist aber schon der Nachweis nicht gelungen, dass die Abgasrückführung unter den (im Unionsgebiet) üblichen Bedingungen des normalen Fahrbetriebs eingeschränkt wird, kommt es nicht mehr auf den SCR‑Katalysator an, weil die Stickoxid-Reduktion schon durch die Abgasrückführung allein sichergestellt ist. Anderes behaupten die Kläger auch nicht.

[22] 5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 iVm § 50 Abs 1 ZPO. Die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen (RS0112296).

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