Spruch:
Die außerordentliche Revision der beklagten Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Text
Begründung
Das Erstgericht hat die Ehe der Streitteile aus ihrem gleichteiligen Verschulden geschieden. Nach den Feststellungen ist die unheilbare Zerrüttung der Ehe im Lauf des Jahres 2000 eingetreten. Im April 2002 ist die Klägerin und Widerbeklagte (im Folgenden: Klägerin) aus der ehelichen Wohnung ausgezogen. Die Scheidungsklage wurde von der Klägerin am 21. Juni 2006 eingebracht, die Widerklage vom Beklagten und Widerkläger (im Folgenden: Beklagter) am 13. November 2006.
Über Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht das Ersturteil dahin abgeändert, dass das überwiegende Verschulden an der Zerrüttung der Ehe den Beklagten trifft. Die Revision wurde mangels erheblicher Rechtsfrage nicht zugelassen.
Eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO wird vom Kläger in seiner außerordentlichen Revision nicht aufgezeigt.
Rechtliche Beurteilung
1. Nach ständiger Rechtsprechung ist die Beurteilung, in welchem Umfang Verfehlungen der Ehegatten zur Zerrüttung der Ehe beigetragen haben (RIS-Justiz RS0057858), regelmäßig einzelfallbezogen vorzunehmen und stellt damit - von Fällen einer Beurteilung außerhalb der Bandbreite der oberstgerichtlichen Rechtsprechung abgesehen - keine erhebliche Rechtsfrage dar (RIS-Justiz RS0057303 [T9], RS0118125). Eine zu korrigierende krasse Fehlbeurteilung der zweiten Instanz (dass das Zerrüttungsverschulden des Beklagten im Vergleich zu dem der Klägerin zu schwer gewichtet worden wäre) liegt nicht vor.
2. Mit seinen Ausführungen, angesichts der unheilbaren Zerrüttung der Ehe im Jahr 2000, dem Auszug der Klägerin im April 2002 und der erst im Juni 2006 eingebrachten Scheidungsklage sei das Recht der Klägerin auf Scheidung gemäß § 57 Abs 1 und 2 EheG längst verfristet, lässt der Beklagte außer Betracht, dass das erstgerichtliche Scheidungsurteil von ihm selbst gar nicht und von der Klägerin nur im Ausspruch über die Verschuldensteilung bekämpft wurde (die Klägerin strebte die Feststellung des Alleinverschuldens oder zumindest eines überwiegenden Verschuldens des Beklagten an). Aufgrund der Wirkungen der materiellen Rechtskraft des Scheidungsausspruchs ist unverrückbar davon auszugehen, dass der Beklagte zumindest einen Scheidungsgrund verwirklichte, der eine Scheidung aus seinem Verschulden rechtfertigte und nicht nach § 57 Abs 1 EheG präkludiert war. Gemäß § 59 Abs 2 EheG können dann aber Eheverfehlungen, auf die eine Scheidung aus Verschulden nicht mehr gestützt werden kann, auch nach Ablauf der Fristen des § 57 EheG zur Unterstützung einer auf andere Eheverfehlungen gegründeten Scheidungsklage herangezogen werden. Selbst wenn daher die Ansicht des Beklagten zur möglichen Verfristung bestimmter Eheverfehlungen als Scheidungsgrund gemäß § 57 Abs 1 EheG zuträfe, durften solche Eheverfehlungen bei der Verschuldensabwägung nicht unbeachtet bleiben (1 Ob 243/01v). Im Übrigen gelten Eheverfehlungen im Zweifel nicht als durch Zeitablauf verwirkt (RIS-Justiz RS0057279).
3. Bei ihrem Vorbringen, ein Begehren auf Ehescheidung aus dem alleinigen Verschulden des Ehegatten schließe eine Scheidung aus überwiegendem Verschulden des Ehegatten aus, übersieht der Beklagte, dass das Gericht im Hinblick auf § 405 ZPO zwar nicht mehr zusprechen kann als begehrt (vgl 6 Ob 568/89 = JBl 1989, 593), wohl aber weniger.
4. Richtig ist, dass ein wesentlicher Verfahrensmangel iSd § 503 Z 2 ZPO vorliegt, wenn das Berufungsgericht zu Unrecht keine Mitteilung nach § 473a ZPO erlässt (RIS-Justiz RS0111842). Allerdings können Verfahrensmängel nur bei Vorliegen der Relevanz der Verfahrensverstöße Beachtung finden (RIS-Justiz RS0111842 [T2]). An der Relevanz fehlt es, wenn die begehrte Feststellung ohnehin getroffen wurde (RIS-Justiz RS0111842 [T1]) oder der Revisionswerber nicht ausführt, welche ihn belastenden Feststellungen des Erstgerichts er in einem gemäß § 473a ZPO eingeräumten Schriftsatz konkret rügen hätte wollen (RIS-Justiz RS0111842 [T3]).
Dazu ist festzuhalten, dass das Berufungsgericht als schwere Eheverfehlungen des Beklagten die Beeinträchtigung der körperlichen Integrität der Klägerin „in körperlicher und physischer Hinsicht" (in Form wiederholter körperlicher Aggressivität des Beklagten gegenüber der Klägerin) sowie den jahrelangen Alkoholmissbrauch des Beklagten samt der damit verbundenen Streitsucht des Beklagten gesehen hat. Das Erstgericht sah als wesentliche Eheverfehlung des Beklagten dessen Alkoholproblem samt damit einhergehender Unverträglichkeit und Streitbereitschaft an. In den erstgerichtlichen Feststellungen ist angeführt, dass die Klägerin noch vor Beginn des Hausbaus (Mai 1995) im Zuge einer ehelichen Auseinandersetzung einmal ein blaues Auge davongetragen hat. Weitere „versteckte" Feststellungen zur Aggressivität des Beklagten sind weder dem Teil „Beweiswürdigung" noch dem Teil „rechtliche Beurteilung" des Ersturteils zu entnehmen. Es ist nicht richtig, dass die erstgerichtliche Feststellung, der Alkoholkonsum des Beklagten sei Auslöser für viele eheliche Streitereien gewesen, nur in der Beweiswürdigung des Erstgerichts getroffen worden sei; vielmehr findet sich auf Seite 9 des Ersturteils im Teil „Sachverhalt" ausdrücklich die Feststellung, dass es unter Alkoholeinfluss des Beklagten vermehrt zu Streitereien unter den Ehegatten kam und dass die häufigen Streitereien auf verschiedene Ursachen zurückzuführen waren, nämlich „zB Alkoholproblem, pedantisches Verhalten des Beklagten, aber auch wegen der Fernsehsucht und dem Kaufverhalten der Klägerin". Auf dieser Grundlage bestand für das Berufungsgericht kein Anlass für ein Vorgehen nach § 473a ZPO.
Gleiches gilt für die sachverhaltsmäßigen Grundlagen für die Eheverfehlungen der Klägerin. Wenn der Beklagte behauptet, es fehle an einer erstgerichtlichen Feststellung, dass die Klägerin Geschlechtsverkehr mit ihm aufgrund seines Alkoholkonsums verweigert habe, legt er es offensichtlich darauf an, das Ersturteil bewusst misszuverstehen, in dem es heißt: „Aufgrund des mehr oder weniger regelmäßigen Alkoholkonsums des Beklagten war die Klägerin nicht mehr bereit, im gemeinsamen Schlafzimmer zu bleiben. ... Der Beklagte wurde wieder rückfällig. Die Folge davon waren wieder getrennte Schlafzimmer."
Zur (familienfeindlichen) Berufstätigkeit der Klägerin findet sich im Ersturteil auf Seite 6 „Sachverhalt" die Feststellung, dass Einvernehmen zwischen den Ehegatten bestand, dass die Klägerin auch nach der Eheschließung weiterhin einer eigenen Berufstätigkeit nachgeht. Darauf, warum diese Feststellung „versteckt" sein soll, bleibt die außerordentliche Revision eine Antwort schuldig.
Insgesamt missversteht der Beklagte den § 473a ZPO, wenn er meint, dass ihm im Berufungsverfahren mittels Einräumung eines zweiten Schriftsatzes Gelegenheit geboten werden hätte müssen, das Fehlen seines Erachtens notwendiger Feststellungen im Ersturteil zu rügen. Der Zweck der zitierten Bestimmung liegt darin, dem Berufungsgegner die Möglichkeit einer Mängel- oder Beweisrüge in bezug auf Feststellungen zu eröffnen, auf die die Entscheidung gegründet werden soll (10 Ob 268/99f; 9 Ob 226/99x; 8 Ob 261/98k). Hingegen verfolgt sie nicht den Zweck, dem Berufungsgegner die Möglichkeit zu verschaffen, das Fehlen von Feststellungen zu rügen (9 Ob 344/00d; Pimmer in Fasching/Konecny2 IV/1 § 473a ZPO Rz 5). Insoweit besteht ein Unterschied zwischen „verborgenen" und „fehlenden" Feststellungen.
Mangels eines tauglichen Zulassungsgrunds iSd § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision des Beklagten zurückzuweisen.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)