BVwG W159 2105321-1

BVwGW159 2105321-116.6.2016

AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art.133 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art.133 Abs4

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2016:W159.2105321.1.00

 

Spruch:

W159 2105321-1/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Clemens KUZMINSKI als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX, geb. XXXX, Staatsangehöriger von Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.03.2015, Zl. XXXX, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 28.04.2016 zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 idgF als

unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer, ein Staatsbürger von Afghanistan und Angehöriger der Volksgruppe der Hazara, stellte nach illegaler Einreise am 01.05.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz und wurde auch durch die Erstaufnahmestelle Ost des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl einer Erberfragung unterzogen. Zu seinen Fluchtgründen gab er an, dass er in Pakistan nicht arbeiten habe dürfen und mehrmals von Pakistanis geschlagen worden sei. Er habe Bücher über das Christentum verkauft und sei von pakistanischen Muslimen mehrmals attackiert und geschlagen worden.

Am 14.05.2014 wurde der Antragsteller ein weiteres Mal durch die Erstaufnahmestelle Ost einvernommen. Er gab an, dass sich seine Eltern in Pakistan befinden würden. Über nähere Nachfrage, führte er aus, dass sein Vater getötet worden sei, seiner Mutter es aber gut gehe. Er sei am XXXX geboren. Dies hätten ihm seine Eltern gesagt. In der Folge hatte die Einvernahme die Feststellung des für die Führung des inhaltlichen Asylverfahrens zuständigen Staates zum Gegenstand. Zu Rückkehrbefürchtungen nach Afghanistan gefragt, gab er an, dass sein Vater von dort geflüchtet sei, aber er selbst nicht wisse, was ihn dort erwarte. Sie seien vor acht Jahren nach Pakistan übersiedelt und sei von dort ausgereist.

In der Folge wurden seitens des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl Gutachten zur wissenschaftlichen Altersfeststellung eingeholt. Diese wurden dem Antragsteller am 30.07.2014 im Rahmen einer Einvernahme zum Parteiengehör vorgehalten, wobei insbesondere darauf hingewiesen wurde, dass in dem Gutachten ein Mindestalter von 19 Jahren sowie ein spätestmögliches fiktives Geburtsdatum 11.06.1995 festgestellt worden sei. Der Beschwerdeführer gab dazu an, dass er keine Dokumente habe und er das Geburtsdatum angegeben habe, das seine Eltern ihm gesagt hätten. In der Folge akzeptierte er jedoch die Volljährigkeitserklärung und die Entlassung des gesetzlichen Vertreters. Daraufhin wurde das Asylverfahren zugelassen.

Am 02.07.2014 erfolgte eine inhaltliche Einvernahme des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Niederösterreich. Nachdem er zunächst behauptete, pakistanischer Staatsangehöriger zu sein, gab aber dann zu afghanischer Staatsbürger zu sein und behauptete nach wie vor, erst am XXXX im Dorf XXXX in der Region XXXX in der Provinz Ghazni geboren zu sein. Er habe keine Dokumente, auch keine Tazkira. Er habe in XXXX in Pakistan mit seiner Mutter, mit seinen zwei Brüdern und seinen vier Schwestern gelebt. Sein Vater sei am 10.01.2013 verstorben. Im Alter von sieben Jahren sei er mit seiner Familie nach Pakistan übersiedelt. Wann genau wisse er nicht. Sein Vater habe damals Probleme mit den Taliban gehabt. Er sei in Pakistan aufgewachsen und habe persönlich keine Probleme in Afghanistan gehabt. Er sei Hazara und Moslem Schiit. Er sei sehr gläubig und er leide an keiner lebensbedrohenden Erkrankung, nehme keine Medikamente und stehe auch nicht in ärztlicher Behandlung. Öffentliche Schule habe er nicht besucht, sondern lediglich häuslichen Unterricht erhalten. In Pakistan habe er auf dem Bazar Bücher verkauft und als Straßenverkäufer gearbeitet. Als sein Vater noch gelebt habe, hätten sie ein durchschnittliches Leben gehabt. Nach dessen Tod sei es ihnen wirtschaftlich schlecht gegangen. Er sei weder in Afghanistan noch in Pakistan politisch tätig gewesen und habe auch niemals einer bewaffneten Gruppierung angehört. Auch habe er weder mit den Behörden von Pakistan noch von Afghanistan je Probleme gehabt. Er sei ledig. Sein Vater sei bei einem Anschlag ums Leben gekommen. Seine Geschwister seien alle jünger als er. Nun sorge seine Mutter für den Lebensunterhalt. Besitztümer in Pakistan oder Afghanistan würden sie nicht haben. Er würde ungefähr einmal im Monat mit seiner Mutter skypen, habe aber mit niemandem in Afghanistan mehr Kontakt. Seiner Familie in Pakistan gehe es soweit gut. Nach seiner Übersiedlung nach Pakistan im Alter von sieben Jahren sei er niemals mehr in Afghanistan gewesen.

Er habe Probleme in Pakistan gehabt, da er Hazara und Schiit sei. Sein Vater sei getötet worden, er habe ebenfalls Angst gehabt getötet zu werden. Auch sei er von den Behörden belästigt worden und habe keine offizielle Arbeit annehmen können. Es sei auch vermehrt zu Terroranschlägen in Pakistan gekommen. Seine Befürchtungen würden sich auf Pakistan beziehen, von Afghanistan wisse er nichts mehr. In Pakistan hätte ihn die Polizei belästigt und auch die Einheimischen hätten ihn nicht seine Sachen verkaufen lassen. Es habe auch dauernd Bombenanschläge gegeben. Er habe unterschiedliche Bücher verkauft, er habe den Koran verkauft, aber auch christliche, buddhistische sowie historische Bücher. Einheimische Pakistani, er nehme an Wahabiten, hätten ihm gesagt, er solle nicht-islamische Bücher nicht gemeinsam mit dem Koran verkaufen. Einheimische Pakistani seien überhaupt gegen die Schiiten und würden diese sogar töten.

In Österreich lebe er in einer Pension in XXXX von der Grundversorgung. Er besuche einen Deutschkurs, sonst habe er keine Kontakte zu Österreichern und sei auch in keinem Verein Mitglied.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Niederösterreich vom 17.03.2015, ZI XXXX wurde unter Spruchteil I. der Antrag auf internationalen Schutz vom 01.05.2014 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigen gem. § 3 Abs. 1 AsylG abgewiesen, unter Spruchpunkt II. jedoch gemäß § 8 Abs. 1 leg.cit. der Status des subsidiär Schutzberechtigen zuerkannt und unter Spruchtpunkt III. eine befristete Aufenthaltsberechtigung gem. § 8 Abs. 4 AsylG bis zum 17.03.2016 erteilt.

In der Begründung des Bescheides wurden die oben bereits im wesentlichen Inhalt wiedergegebenen Einvernahmen dargestellt und Länderfeststellungen zu Afghanistan getroffen. Beweiswürdigend wurde insbesondere darauf hingewiesen, dass der Antragsteller hinsichtlich seiner Fluchtgründe lediglich Probleme in Pakistan vorgebracht habe. Seit der Zeit wo sein Vater aufgrund von Probleme mit den Taliban ausgereist sei, seien viele Jahre vergangen und sei die Talibanherrschaft Geschichte und der Tod seines Vaters sei ebenfalls (aufgrund eines Anschlages) in Pakistan erfolgt. Der Antragsteller habe ausdrücklich betont, keine Probleme mit den Behörden seines Heimatlandes gehabt zu haben und habe daher keine Verfolgung zu befürchten. Es seien dem Vorbringen keinerlei Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, dass es für den Antragsteller (in Afghanistan) irgendeine asylrelevante Verfolgung oder aktuelle Verfolgungsgefahr gegeben hätte.

Zu Spruchteil I. wurde darauf hingewiesen, dass sich die Verfolgung beziehungsweise die Verfolgungsgefahr auf jenes Land beziehen müsse, dessen Staatsangehörigkeit der Asylwerber besitze. Dies sei im vorliegenden Fall eindeutig Afghanistan. Eine asylrelevante Verfolgung oder Verfolgungsgefahr in Bezug auf Afghanistan habe der Antragssteller jedoch nicht glaubhaft machen können. Der Wunsch nach Emigration und Verbesserung des Lebensstandards sei zwar grundsätzlich verständlich, aber kein Grund für die Gewährung internationalen Schutzes.

Zu Spruchteil II. wurde hingegen dargelegt, dass die Versorgungslage und die allgemeinen Lebensbedingungen der Bevölkerung in Afghanistan dergestalt sei, dass die Verwirklichung von grundlegenden sozialen und wirtschaftlichen Bedürfnissen nur sehr eingeschränkt möglich sei und eine soziale Absicherung meist nur durch den Familienverband gewährleistet werde. Eine innerstaatliche Schutzalternative in der Hauptstadt Kabul oder anderen sicheren Provinzen stehe dem Antragsteller nicht zu Verfügung, da er jahrelang in Pakistan gelebt habe und keine verwandtschaftlichen Kontakte nach Afghanistan besitze. Unter Berücksichtigung der individuellen Umstände des gegenständlichen Falles könne daher nicht mit erforderlicher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass der Antragsteller im Falle einer Rückkehr Gefahr laufen würde einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. EMRK (in Afghanistan) unterworfen zu werden. Deswegen sei subsidiärer Schutz und auch eine befristete Aufenthaltsberechtigung zu gewähren gewesen.

In diesem Bescheid erhob der Antragsteller gegen den abweisenden Spruchpunkt I. fristgerechte Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Darin wurde kritisiert, dass die Behörde den Umstand, dass der Antragsteller nahezu sein ganzes Leben in Pakistan aufhältig gewesen sei und dadurch in Afghanistan Verfolgung ausgesetzt wäre, nicht berücksichtigt habe. Alleine der Umstand, dass er der Volksgruppe der Hazara angehöre und schiitischen Glaubens sei, ziehe Bedrohung und Verfolgung nach sich. Nach einer Studie aus dem Jahre 2009 seien Personen, die nach einem jahrelangen Auslandsaufenthalt nach Afghanistan zurückkehren, Verfolgungen durch die Taliban ausgesetzt und seien die Behörden in Afghanistan nach wie vor zu schwach. Zur mangelnden Schutzfähigkeit der afghanischen Behörden wurden Länderberichte zitiert. Auf ein Erkenntnis des Asylgerichtshofes aus 2009 hinsichtlich einer westlichen Orientierung wurde hingewiesen und sei weiter zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer in Afghanistan über keinerlei soziales Netz verfüge und auch deswegen besonders gefährdet sei. Junge Afghanen würden von reichen, mächtigen Personen als Tänzer und Sexsklaven (Bacha Bazi) missbraucht und stehe dem Beschwerdeführer auch eine innerstaatliche Fluchtalternative nicht offen.

Das Bundesverwaltungsgericht beraumte eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung für 28.04.2016 an, zu der der Beschwerdeführer in Begleitung eines Rechtsberaters der XXXX erschien. Der Beschwerdeführer legte diverse Teilnahmebestätigungen an Deutschkursen einschließlich eines Deutschzertifikats in Niveau A2, Lohnabrechnungen der Firma XXXX vor und brachte zuvor, dass er seine Arbeit wegen eines B1-Kurses beendet habe.

Der Beschwerdeführer blieb bei seinem bisherigen Vorbringen und wollte dieses weder korrigieren noch ergänzen. Er sei afghanischer Staatsbürger, Hazara und Moslem-Schiit. Er sei am XXXX im Dorf XXXX in der Provinz Ghazni geboren und habe Afghanistan schon im Alter von sieben Jahren verlassen. Er sei dann mit seiner Familie in XXXX in Pakistan aufgewachsen. Sein Vater habe seinerzeit Probleme mit den Taliban gehabt und habe deswegen mit seiner Familie Afghanistan verlassen. Sie hätten dort keinen Flüchtlings- oder legalen Aufenthaltsstatus gehabt. Er habe gemeinsam mit seinem Vater am Bazar verschiedene Sachen, wie zum Beispiel Bücher, verkauft. Nachdem dieser verstorben sei, habe er für die Familie gesorgt. Sein Vater sei im Jänner 2013 durch einen Terroranschlag getötet worden. Die Sicherheitslage in Pakistan sei sehr schlecht gewesen und habe er in keine öffentliche Schule gehen können, sondern sei mit anderen Kindern zu Hause unterrichtet worden. Sie hätten lesen und schreiben sowie die englische Sprache gelernt. Dieser Unterricht habe aber nicht regelmäßig stattgefunden. Durch seine Arbeit als Straßenverkäufer habe er auch Urdu gelernt. Schon als Kind habe er mit seinem Vater am Bazar gemeinsam verkauft. Sie hätten immer wieder Probleme mit der Polizei gehabt, aber sie hätten keine andere Möglichkeit gehabt als am Bazar zu verkaufen, um den Lebensunterhalt zu sichern. Über Vorhalt, dass er einerseits angegeben habe, dass er auch Bücher über das Christentum verkauft habe (AS 11), was auf ein gewisses Interesse am Christentum hindeute, anderseits jedoch angegeben habe, dass er ein strenggläubiger schiitischer Moslem sei (AS 181), gab er an, dass er als Moslem geboren sei und sein Vater und er sehr viele verschiedene Bücher, und zwar über das Christentum, das Judentum, den Buddhismus aber auch über den Islam verkauft hätten. Sie hätten auch den Koran verkauft. Er habe sich für den Inhalt nicht interessiert, sondern durch den Verkauf der Bücher lediglich so viel verdient, dass sie leben hätten können. Er selbst habe in Afghanistan weder Probleme mit staatlichen Organen noch mit Privatpersonen gehabt. Er sei in Pakistan aufgewachsen, er wisse aber, dass die Lage in Afghanistan schlechter sei als in Pakistan. In Pakistan sei die Sicherheitslage auch immer schlechter geworden. Er habe dort auch nicht mehr arbeiten können und sein Vater sei bei einem Anschlag getötet worden. Er sei alleine ausgereist. Er sei nach wie vor für seine Familie verantwortlich und versuche sie vom Ausland zu unterstützen. Wenn er nach Afghanistan zurückgekehrt wäre, hätte ihm dort ebenfalls etwas zustoßen können. Er sei nach Europa gereist, um dort in Sicherheit leben zu können und zwar sei er im Jahre 2014 mit Schlepperhilfe nach Österreich gereist. In Afghanistan habe er niemanden mehr. Seine Mutter und seine Geschwister würden schon noch in Pakistan leben und halte er mit diesen über das Internet Kontakt. Seiner Familie gehe es gut, aber sie hoffe darauf, dass er schnell eine gute Arbeit findet und sie auch finanziell unterstützen könne. Seine Mutter habe nach dem Tod seines Vaters und seiner Ausreise auf Kinder anderer Familien aufgepasst und Hausarbeiten für andere Familien erledigt. Er habe insgesamt zwei Brüder und vier Schwestern, welche alle jünger als er seien.

Gesundheitliche oder psychische Probleme habe er nicht. Er besuche derzeit in Österreich einen Sprachkurs im Niveau B1 und mache in der Freizeit Sport, er gehe schwimmen, spiele Fußball und trainiere in einem Fitnesscenter. Auch zu Hause lerne er Deutsch. Er habe schon eine Freundin, die aus Serbien stamme, er würde aber noch nicht mit ihr zusammenleben. Er habe auch schon eine Arbeitszusage erhalten, möchte aber zunächst besser Deutsch lernen. In Österreich habe er schon bei einer Leihfirma gearbeitet, zum Beispiel habe er Kosmetikprodukte verpackt, dort hätte es aber dann Probleme mit dem AMS wegen der Wochenendarbeit gegeben. Daraufhin habe er sich entschlossen die Arbeit zu beenden und zunächst einen weiteren Deutschkurs zu besuchen. In einem Verein oder Institutionen sei er nicht.

Er möchte sehr gerne weiter in Österreich bleiben, weil er sich an das Leben hier gewöhnt habe. Er möchte die Sprache lernen und einer guten Arbeit nachgehen. Er könne nicht nach Afghanistan zurückkehren, weil die Sicherheitslage dort schlecht sei und er niemanden habe, bei dem er leben könne. In Österreich habe er sehr viele Freiheiten, in Afghanistan könne er aber diesen Lebensstil nicht ausleben. Er könne in Österreich auch mit seiner Freundin ausgehen und brauche keine Angst haben deswegen verfolgt oder bestraft zu werden.

Der Rechtsberater verwies auf die beim Beschwerdeführer vorliegende westliche Orientierung, die seiner Ansicht nach die Flüchtlingseigenschaft begründen könne.

Den Verfahrensparteien wurden das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan zu Kenntnis gebracht und eine Frist zur Abgabe einer Stellungnahme von zwei Wochen eingeräumt. Festgehalten wurde, dass der Beschwerdeführer teilweise auf Deutsch geantwortet hat. Schließlich wurde der aktuelle Strafregisterauszug des Beschwerdeführers verlesen, in dem keine Verurteilung aufscheint.

Von der Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme machte lediglich der Beschwerdeführer durch seinen Rechtsberater Gebrauch. Darin wurde ausgeführt, dass er als Angehöriger der Volksgruppe der Hazara in Afghanistan einer Gruppenverfolgung unterliege. Weiters wurde dargelegt, dass der Beschwerdeführer in Österreich ein eigenständiges Leben führe, das durchschnittlichen europäischen jungen Menschen entspreche. So verbringe er gerne seine Freizeit mit seiner serbischen, nicht-muslimischen Freundin. In Afghanistan hätte er bei so einem Lebenswandel fürchten müssen, nicht nur ausgegrenzt, sondern auch verfolgt zu werden, da seine Lebensweise den dortigen gesellschaftlichen Normen und Werten widersprechen würde.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen

Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist Staatsbürger von Afghanistan und Angehöriger der Volksgruppe der Hazaras und Moslem - Schiit. Er wurde XXXX in der Provinz Ghazni im Dorf XXXX geboren. Seine Familie hat mit ihm, als er sieben Jahre alt war, Afghanistan verlassen, weil sein Vater damals Probleme mit den Taliban hatte. Der Beschwerdeführer war seit seiner Ausreise aus Afghanistan vor ca. 14 Jahren nie mehr in seinem Herkunftsland und hatte auch dort niemals Probleme mit staatlichen Behörden und Privatpersonen.

Die Familie hatte in Pakistan noch keinen Flüchtlingsstatus, sondern war illegal aufhältig. Deswegen konnte der Beschwerdeführer keine staatliche Schule besuchen, sondern erhielt lediglich häuslichen Unterricht. Schon seit frühester Jugend hatte er mit seinem Vater gemeinsam am Bazar Bücher verkauft und zwar muslimische Bücher, wie den Koran, aber als auch Bücher über das Christentum, das Judentum, den Buddhismus, und auch andere Bücher. Deswegen gab es Probleme mit strenggläubigen pakistanischen Moslems. Sein Vater starb im Jänner 2013 bei einem Terroranschlag, der auf die allgemeine schlechte Sicherheitslage zurückzuführen war. Der Beschwerdeführer reiste im Jahre 2014 mit Schlepperhilfe aus Pakistan aus und gelangte unter Umgehung der Grenzkontrolle nach Österreich, wo er am 01.05.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Seine Mutter und seine jüngeren Geschwister leben nach wie vor in Pakistan. Der Beschwerdeführer hat mit ihnen Kontakt und diese haben keine Probleme dort. Er hat jedoch keine Kontakte zu Personen in Afghanistan.

Der Beschwerdeführer ist gesund und leide unter keinen gesundheitlichen oder psychischen Problemen. Er hat in Österreich schon mehrere Sprachkurse absolviert und ein Deutschdiplom im Niveau A2 erworben. Er hat auch kurzfristig bei einer Leiharbeitsfirma gearbeitet, diese Arbeit jedoch wieder abgebrochen um einen B1- Kurs der deutschen Sprache zu besuchen. Der Beschwerdeführer hat eine serbische Freundin, mit der er allerdings nicht zusammenlebt.

Zu Afghanistan wird folgendes festgestellt:

1. Politische Lage

Verfassung

Nach dem Sturz des Taliban-Regimes im Jahr 2001 wurde eine neue Verfassung erarbeitet, die schließlich im Januar 2004 ratifiziert wurde (IDEA o.D.) und auf der Verfassung aus dem Jahr 1964 basiert. Bei Ratifizierung sah diese Verfassung vor, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und dass alle Bürger Afghanistans, Mann und Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA Staatendokumentation 3.2014; vgl. Max Planck Institute 27.1.2004).

Afghanistans Präsident und CEO

Am 29. September 2014 wurde Ashraf Ghani als Präsident Afghanistans vereidigt (CRS 12.1.2015). Nach monatelangem Streit hatten sich Ghani und Abdullah auf eine gemeinsame Einheitsregierung geeinigt. Das Abkommen sieht vor, dass für den Zweitplatzierten bei der Wahl der Posten eines bislang nicht vorgesehenen Ministerpräsidenten geschaffen wird (FAZ 15.6.2014). Abdullah, der Verlierer der Präsidentschaftswahl, bekam den Posten des Geschäftsführers der Regierung bzw. "Chief Executive Officer" (CEO) der Regierung (CRS 12.1.2015). Diese per Präsidialdekret eingeführte Position weist Ähnlichkeiten mit der Position eines Premierministers auf (AA 8.2015). Der CEO fungiert quasi als Premierminister, auch wenn eine Verfassungsänderung zur formalen Schaffung des Postens des Premierministers noch ausständig ist (CRS 12.1.2015).

Regierungsbildung

Obwohl Ghani ursprünglich versprochen hatte, 45 Tagen nach seiner Vereidigung eine Regierung zu präsentieren, zeichnete sich bald ab, dass dieses Versprechen nicht einghalten werden kann, da für die Regierungsbildung in Afghanistan für die Kabinettsposten die Koalitionspartner aus Ghanis und Abdullahs Lager gleichermaßen berücksichtigt werden müssen. Eine Regierung muss die starken regionalen und ethnischen sowie Stammesbindungen und -befindlichkeiten berücksichtigen, soll sie im ganzen Land akzeptiert sein. Ferner beabsichtigte Ghani, die Ministerien nur Personen mit Fachkenntnissen anzuvertrauen und keine bisherigen Minister oder Parlamentarier ins Kabinett aufzunehmen, um so die Voraussetzungen für einen kompetenten Neuanfang zu schaffen. Doch wird die Übung unter solchen Prämissen zusätzlich erschwert. Ghanis Kabinettsliste war in Afghanistan mit Erleichterung aufgenommen worden, weil das Land endlich eine handlungsfähige Regierung braucht. Zwar fragten sich Beobachter wie das Afghanistan Analysts Network einerseits, inwieweit eine junge und recht unerfahrene Regierung den Herausforderungen gewachsen sei. Anderseits wurde Ghanis Festhalten am Versprechen, keine politischen Schwergewichte der Vergangenheit in die Regierung aufzunehmen, durchaus anerkennend kommentiert (NZZ 22.1.2015).

Parlament und Parlamentswahlen

Die afghanische Nationalversammlung, Shuraye Melli, basiert auf einem Zweikammersystem, das sich in ein Unterhaus, Wolesi Jirga, und ein Oberhaus, Meshrano Jirga, auch Ältestenrat oder Senat genannt, gliedert. Das Unterhaus setzt sich aus 249 Sitzen zusammen, die sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen verteilen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze und für die Minderheit der Kuchi 10 Sitze im Unterhaus reserviert (USDOS 25.6.2015; vgl. CRS 15.10.2015 und CRS 12.1.2015).

Das Oberhaus setzt sich aus 102 Sitzen zusammen. Zwei Drittel von diesen werden von den gewählten Provinzräten vergeben. Ein Drittel der Sitze, wovon wiederum 50% mit Frauen besetzt werden müssen, vergibt der Präsident selbst, (CRS 12.1.2015; vgl. CRS 15.10.2015). Zwei der vom Präsidenten zu vergebenden Sitze sind verfassungsgemäß für die Kutschi-Minderheit und zwei weitere für Behinderte bestimmt. Die verfassungsmäßig vorgegebenen Quoten gewährleisten einen Frauenanteil von 25% im Parlament und über 30% in den Provinzräten. Ein Sitz im Oberhaus ist für die Ernennung eines Sikh- oder Hindu-Repräsentanten reserviert (USDOS 25.6.2015

Eine der wesentlichen Neuerungen, welche die Parlamentswahlen 2005 und 2010 betrafen, war die "single non-transferable vote (SNTV)"-Regelung. Jedem Wahlkreis ist, proportional zur Bevölkerungszahl, mehr als ein Sitz im Parlament zugeteilt. Die Wähler des Wahlkreises können jeweils eine Stimme abgeben. Die Sitze des Wahlkreises gehen an die Kandidaten des Kreises in der Reihenfolge der Anzahl der von ihnen gewonnenen Stimmen. Dieses System ist weltweit sehr selten (UNAMA o.D.; vgl. NDI 2011; vgl. CRS 15.10.2015). Durch das System treten die Kandidaten individuell gegeneinander an und erlangen die Sitze nicht über Parteilisten (CRS 15.10.2015).

Die Rolle des Zweikammern-Parlaments (Unterhaus "Wolesi Jirga", Oberhaus "Meshrano Jirga") bleibt trotz wachsenden Selbstbewusstseins der Parlamentarier begrenzt. Zwar beweisen die Abgeordneten mit der kritischen Anhörung und auch Abänderung von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist. Generell leidet die Legislative aber nicht nur unter ihrer schwachen Rolle im Präsidialsystem, sondern auch unter dem unterentwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wählern (AA 6.11.2015).

Parteien

Die afghanische Parteienlandschaft ist wenig entwickelt und mit über 50 registrierten Parteien stark zersplittert. Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen jedoch mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien. Ethnischer Proporz, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen genießen in der Regel mehr Einfluss als politische Organisationen. Die Schwäche des Parteiensystems ist auch auf das Fehlen eines Parteienfinanzierungsgesetzes zurückzuführen sowie auf das Wahlsystem (Direktwahl mit einfacher, nicht übertragbarer Stimme). Reformversuche sind im Gange, werden aber durch die unterschiedlichen Interessenlagen der verschiedenen politischen Lager immer wieder gestört. (AA 6.11.2015).

Oppositionsbewegungen und Parteien - ganz gleich ob Kommunisten oder rechtsreligiös - wurden gezwungen entweder unterzutauchen oder ins Exil zu gehen. Unter einer neuen und formellen Verfassung haben sich seit 2001 früher islamistisch-militärische Fraktionen, kommunistische Organisationen, ethno-nationalistische Gruppen und zivilgesellschaftliche Gruppen zu politischen Parteien gewandelt. Sie repräsentieren einen vielgestaltigen Querschnitt der politischen Landschaft und haben sich in den letzten Jahren zu Institutionen entwickelt. Keine von ihnen ist eine Organisation politischen Glaubens oder Mobilmacher von Wähler/innen, wie es Parteien in reiferen Demokratie sind. Der Terminus Partei umfasst gegenwärtig eine Reihe von Organisationen mit sehr unterschiedlichen organisatorischen und politischen Hintergründen. Trotzdem existieren Ähnlichkeiten in ihrer Arbeitsweise. Einer Anzahl von ihnen war es möglich die Exekutive und Legislative der Regierung zu beeinflussen, aber nicht immer durch Wahlerfolge (USIP 3.2015).

Die Machtstrukturen in Afghanistan sind vielschichtig und verwoben. Eignung, Befähigung und Leistung spielen oftmals eine untergeordnete Rolle bei der Verteilung politischer bzw. administrativer Ämter. Die Entscheidungen über viele Personalien, auch in entlegenen Provinzen, werden von der Zentralregierung in Kabul, häufig sogar vom Präsidenten getroffen. Im Vielvölkerstaat Afghanistan spielen informelle Beziehungsnetzwerke und der Proporz der Ethnien eine wesentliche Rolle. Die Machtverteilung wird national und auch lokal so austariert, dass die Loyalität einzelner Persönlichkeiten und Gruppierungen gesichert erscheint. Handeln lokale Machthaber entgegen der Regierungspolitik, bleiben Sanktionen allerdings häufig aus. Politische Allianzen werden in der Regel nach pragmatischen Gesichtspunkten geschmiedet. Dadurch kommt es, für Außenstehende immer wieder überraschend, zu Koalitionswechseln und dem Herauslösen von Einzelpersonen aus bestehenden politischen Verbindungen, unabhängig von Parteistrukturen (AA 6.11.2015).

Im Jahr 2009 wurde ein neues Parteiengesetz eingeführt, welches eine Neuregistrierung aller Parteien verlangte und ferner zum Ziel hatte ihre Zahl zu reduzieren. Anstatt wie bisher die Unterschrift von 700 Mitgliedern vorzuweisen, mussten sie nun 10.000 Unterschriften aus allen Provinzen einbringen. Diese Bedingung reduzierte tatsächlich die Zahl der offiziell registrierten Partein von mehr als 100 auf 63, trug aber scheinbar nur wenig zur Konsolidierung von Parteiunterstützungsbasen oder institutionalisieren Parteipraktiken bei (USIP 3.2015).

Friedens- und Versöhnungsprozess:

Der afghanische Friedens- und Versöhnungsprozess ist nach einem ersten direkten und öffentlichen Treffen zwischen Regierung und Taliban in diesem Jahr wieder ins Stocken geraten. Die von der RNE sofort nach Amtsantritt konsequent auf den Weg gebrachte Annäherung an Pakistan stagniert, seit die afghanische Regierung Pakistan der Mitwirkung an mehreren schweren Sicherheitsvorfällen in Afghanistan beschuldigte, Im Juli 2015 kam es erstmals zu direkten Vorgesprächen zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban über einen Friedensprozess, die aber nach der Enthüllung des jahrelang verschleierten Todes des Taliban-Führers Mullah Omar bereits nach der ersten Runde wieder eingestellt wurden. Beide Seiten haben sich aber grundsätzlich weiter zu Verhandlungen bereit erklärt. Die Reintegration versöhnungswilliger Insurgenten bleibt weiter hinter den Erwartungen zurück, auch wenn bis heute angeblich ca. 10.000 ehemalige Taliban über das "Afghanistan Peace and Reintegration Program" in die Gesellschaft reintegriert wurden (AA 6.11.2015).

Quellen:

2. Sicherheitslage

Im Zeitraum 1.8.-31.10.2015 verzeichnete die UNO landesweit 6.601 sicherheitsrelevante Vorfälle. Diese Vorfälle beziehen sich auf Arbeit, Mobilität und Sicherheit von zivilen Akteuren in Afghanistan. Dies bedeutet eine Steigerung von 19% zum Vergleichszeitraum des Jahres 2014. 62% dieser Vorfälle fanden in den südlichen, südöstlichen und östlichen Regionen statt. Im Berichtszeitraum gelang es den Taliban neben Kunduz City weitere 16 Distriktzentren einzunehmen. Deren Großteil befindet sich im Norden (Badakhshan, Baghlan, Faryab, Kunduz, Sar-e Pul und Takhar), im Westen (Faryab) und im Süden (Helmand und Kandahar) des Landes. Den afghanischen Sicherheitskräften war es jedoch möglich bis Ende Oktober 13 Distriktzentren wieder zurückzuerobern (UN GASC 10.12.2015).

Im Zeitraum 1.6.-31.7.2015 registrierte die UNO landesweit 6.096 sicherheitsrelevante Vorfälle, ein Rückgang von 4,6% zum Vergleichszeitraum des Vorjahres. Die geographische Reichweite des Konfliktes fokussierte sich hauptsächlich auf die nord-östlichen Regionen rund um Kunduz, Badakhshan und Badghis, im Nordwesten auf die Provinz Faryab und im Südosten auf Nangarhar und im Süden auf Helmand. Der Großteil der Vorfälle wurde in den südlichen und östlichen Teilen des Landes registriert. In Kandahar, Nangarhar, Ghazni, Helmand und Kunar wurden 44.5% aller sicherheitsrelevanten Vorfälle des Berichtszeitraumes registriert (UN GASC 1.9.2015).

Einige Experten haben auf Leistungsverbesserungen der afghanischen Sicherheitskräfte hingewiesen (SCR 9.2015). Ein erhöhtes Operationstempo hat zu einer signifikant höheren Opferzahl unter den afghanischen Sicherheitskräften geführt (+27% im Zeitraum von 1.1. -15.11.2015 im Vergleich zu 2014) (USDOD 12.2015). Ähnliche Zahlen nennt WP, mit 7.000 getöteten und und 12.000 verletzten Mitgliedern der afghanischen Sicherheitskräfte (+26% zum Jahr 2014). Im gesamten Jahr 2014 wurde hingegen von 5.000 getöteten afghanischen Polizisten und Soldaten berichtet (SCR 9.2015). Zudem haben die Taliban ihre Angriffe auf Sicherheitskräfte seit Beginn ihrer jährlichen Frühjahrsoffensive im April 2015 erhöht (BBC 29.6.2015).

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Transitrouten, Provinzhauptstädte und fast allen Distriktzentren. Die afghanischen Sicherheitskräfte sind im Allgemeinen fähig die größeren Bevölkerungszentren effektiv zu beschützen, bzw. verwehren es den Taliban, für einen längeren Zeitraum Einfluss in einem Gebiet zu halten. Gleichzeitig haben die Taliban bewiesen, dass sie ländliche Gegenden einnehmen, Schlüsselgebiete bedrohen (z.B. in Helmand) und gleichzeitig high-profile Angriffe in Kabul durchführen können (USDOD 12.2015). Laut Angaben der afghanischen Regierung, kontrollieren die Taliban nur vier der mehr als 400 Bezirke landesweit, aber es ist bekannt, dass diese Zahl stark untertrieben ist. Die afghanische Regierung hat außerdem oftmals nur Kontrolle über die Distriktzentren, aber nicht über die ländlichen Gebiete (The Long War Journal 22.9.2015)

Es gab Vorschläge zur Gründung regierungsfreundlicher Milizen - sogenannter lokaler Verteidigungskräfte - um die afghanischen Sicherheitskräfte zu unterstützen. Diese existieren angeblich bereits in einer Anzahl von Provinzen (UNGASC 10.12.2015).

Es gibt drei Gründe für das Wiederaufleben der Taliban: Erstens das Ende der US-amerikanischen und NATO-Mission Ende 2014, sowie der Abzug der ausländischen Kräfte aus Afghanistan, hat den militärischen Druck auf die Taliban verringert. Krisen in anderen Teilen der Welt (Syrien, Irak und Ukraine) nährten bei den Taliban die Hoffnungen auf ein Desinteresse der internationalen Gemeinschaft. Wenn Taliban militärische Stützpunkte, Distriktzentren und Check-Points Afghanistans überrennen, erbeuten sie jedes Mal Waffen für den Kampf gegen die afghanische Regierung. Zweitens vertrieb die pakistanische Militäroperation Zarb-e Azb in den Stammesgebieten Nordwaziristans im Juni 2014 tausende Aufständische - hauptsächlich Usbeken, Araber und Pakistanis - die nach Afghanistan strömten und in den Rängen der Taliban aufstiegen. Die Taliban lenkten ohnehin eine große Anzahl ihrer eigenen Kämpfer von Pakistan aus. Drittens mangelt es den afghanischen Sicherheitskräften an Ausbildung und Ausstattung, vor allem in den Bereichen Luftstreitkräfte und Aufklärung. Außerdem nützen die Taliban interne Machtkämpfe der Kabuler Zentralregierung und deren scheinbare Schwäche in verschiedenen Bereichen in Kabul aus (BBC 5.1.2016).

Rebellengruppen

Durch die Talibanoffensiven in den Provinzen Helmand und Kunduz entsteht der Eindruck, dass die afghanischen Sicherheitskräfte die Hauptbevölkerungszentren nicht kontrollieren können. Dies untergräbt das öffentliche Vertrauen, selbst dann, wenn es afghanischen Sicherheitskräften möglich ist, die Zentren zurückerobern, und überschattet die zahlreichen Erfolge der afghanischen Sicherheitskräfte (USDOD 12.2015).

Militärische Operationen im pakistanischen Nordwaziristan haben hunderte gut ausgebildete ausländische Kämpfer nach Afghanistan abgedrängt, wo sie nun die Taliban und den islamischen Staat unterstützen (WP 27.12.2015; vgl. Pakistan Today 22.12.2015; UN GASC 10.12.2015; Tolonews 21.12.2015).

Doch die Taliban haben auch mit Rückschlägen zu kämpfen. Nach der Nachricht vom Tod Mullah Omars hat sich die Bewegung zersplittert und Auseinandersetzungen zwischen Talibanführern begünstigen Fortschritte des IS, vor allem im östlichen Afghanistan (DS 6.1.2016).

Taliban und Frühlingsoffensive

Während der warmen Jahreszeit (ca. Mai - Oktober) spricht man von der "Fighting Season", in der die meist koordinierten, Angriffe von Aufständischen, in Gruppenstärke oder stärker, auf Einrichtungen der ANSF (Afghan Security Forces) oder GIROA (Government of Islamic Republic of Afghanistan) stattfinden. Manchmal sind auch Einrichtungen der IC (International Coalition) betroffen. Diese werden aber meist gemieden, da es sich hierbei um sogenannte "harte Ziele" handelt. Gegen die IC werden nach wie vor nicht-konventionelle Mittel eingesetzt (Sprengfallen, Magnetbomben). Außerhalb der "Fighting Season" verlegen kampfwillige Aufständische ihre Aktivtäten in die Städte, da hier die ungünstige Witterung kein Faktor ist (Liaison Officer to Ministry of Interior of GIROA 14.11.2014).

Die Taliban haben signifikante Verluste zu verzeichnen - abgesehen von der temporären Einnahme der Stadt Kunduz, war es ihnen nicht möglich ihre Hauptstrategie und ihre Operationsziele für die Fighting Season 2015 zu erreichen. Auch in Kunduz war es ihnen nicht möglich, das Territorium für einen längeren Zeitraum zu halten. Während der gesamten Fighting Season bewiesen die Taliban Erfahrung in der Durchführung von Angriffen und Bedrohungen von ländlichen Distrikten und zwangen so die afghanischen Sicherheitskräfte in eine reaktive Position (USDOD 12.2015).

Al-Qaida

Die amerikanischen Behörden gehen von einer Zahl von weniger als 100 Kämpfern der al-Qaida in Afghanistan aus. Die meisten von ihnen sind in den nordöstlichen Provinzen Afghanistans, wie Kunar, aktiv. Manche dieser Kämpfer gehören zu Gruppen, die an al-Qaida angegliedert und in Kunduz aktiv sind (CRS 22.12.2015).

Haqqani-Netzwerk

Die Gruppe wurde in den späten 1970er Jahren durch Jalaluddin Haqqani gegründet. Sie ist mit al-Qaida und afghanischen Taliban verbündet, sowie mit anderen terroristischen Organisationen in der Region (Khaama Press 16.10.2014). Die Stärke des Haqqani-Netzwerks wird auf 3.000 Kämpfer geschätzt (NYT 17.10.2014).

Obwohl angenommen wird, dass das Netzwerk der al-Qaida näher steht als den Taliban (CRS 9.10.2014), wurde nach der Meldung vom Tod Mullah Omars, Siraj Haqqani zum stellvertretenden Talibanführer befördert. Dies signalisiert, dass das Haqqani-Netzwerk auch weiterhin eine wichtige Komponente des Taliban-geführten Aufstandes ist (USDOD 12.2015).

Der Aufstand des Haqqani-Netzwerks ist vermehrt in den östlichen Provinzen Khost, Paktia, Paktika und Kunar vorzufinden (DW 17.10.2014).

Hezb-e Islami Gulbuddin (HIG)

Die radikal-islamistische Rebellengruppe Hezb-e Islami Gulbuddin (HIG) [Anmerkung: auch Hizb-i-Islami Gulbuddin] wird von Mujahed Gulbuddin Hikmatyar geführt (CRS 22.12.2015). Er war ein ehemaliger Verbündeter der USA im Kampf gegen die Besatzungstruppen der Sowjetunion in den 1980er Jahren. Die HIG wird als kleiner Akteur in den Kampfzonen Afghanistans gesehen (CRS 9.10.2014). Sie ist über die Jahre für ihre Grausamkeit bekannt geworden, sodass sogar die Taliban sich von ihr abwendeten (BBC 2.9.2014). Die Gruppe selbst ist ideologisch wie auch politisch mit al-Qaida und den Taliban verbündet. In der Vergangenheit kam es mit den Taliban jedoch zu Kämpfen um bestimmte Gebiete. (CRS 9.10.2014).

IS/ISIS/ISIL/Daesh - Islamischer Staat

Der Islamische Staat hat seinen Einfluss in Afghanistan seit Mitte des Jahres 2014 erhöht. Es wird berichtet, dass der Führer des Islamischen Staates Abu Bakr al-Baghdadi, Berichten zufolge, unter dem Talibanregime in Kabul gelebt und mit al-Qaida kooperiert hat. Die Präsenz der Gruppe in Afghanistan hat sich Anfang des Jahres 2013 aus mehreren kleinen afghanischen Taliban- und anderen Aufständischenfraktionen herausentwickelt (CRS 22.12.2015). Die Präsenz des islamischen Staates hat sich ausgeweitet, als immer mehr Talibanfraktionen dem IS Treue schworen. So kam es zur Einnahme kleiner Gebiete, hauptsächlich im östlichen Afghanistan, durch den IS (CRS 22.12.2015; vgl. Tolonews 12.7.2015). Ende 2015 gab es Berichte, über finanzielle Hilfe des IS für seinen afghanischen Zweig (CRS 22.12.2015). Ehemalige Kämpfer von al-Qaida, Taliban und Haqqani-Netzwerk steigen in den Rängen des IS auf (Pajhwok 26.5.2015).

Der afghanische Geheimdienst NDS hat eine Spezialeinheit damit beauftragt Razzien gegen den IS durchzuführen (Pajhwok 1.7.2015). Das afghanische Innenministerium konzentriert sich auf bessere Ausbildung und Ausrüstung der nationalen und lokalen Polizei, damit nicht die Notwendigkeit zur Selbstjustiz für Anrainer/innen entsteht (Pajhwok 26.5.2015).

Drogenanbau

Es ist im Jahr 2015 zu einer Reduzierung der Opiumproduktion um

3.300 Tonnen (48%) gekommen (UN News Centre 14.10.2015).

Zivile Opfer

Zwischen 1.1. und 30.6.2015 registrierte UNAMA 4.921 zivile Opfer (1.592 Tote und 3.329 Verletzte) - dies deutet einen Rückgang von 6% bei getöteten bzw. von 4% bei verletzten Zivilisten (UNAMA 8.2015).

Konfliktbedingte Gewalt hatte in der ersten Hälfte 2015 Auswirkungen auf Frauen und Kinder. UNAMA verzeichnete 1.270 minderjährige Opfer (320 Kinder starben und 950 wurden verletzt). Das ist ein Anstieg von 23% im Vergleich zu den ersten sechs Monaten 2014. Es gab 559 weibliche Zivilopfer, davon wurden 164 Frauen getötet und 395 verletzt. Das bedeutet einen Anstieg von 13% gegenüber 2014 (UNAMA 8.2015).

Laut UNAMA waren 70% aller zivilen Opfer regierungsfeindlichen Elementen zuzuschreiben, 16% regierungsfreundlichen Kräften (15% den ANSF und regierungsfreundlichen bewaffneten Gruppen, sowie 1% den internationalen militärischen Kräften). UNAMA rechnete 4% der zivilen Opfer Unfällen mit Blindgängern zu (8.2015).

3.436 zivile Opfer (1.213 Tote und 2.223 Verletzte) gehen auf Operationen regierungsfeindlicher Elemente zurück. Das bedeutet einen Rückgang von 3% gegenüber 2014. UNAMA verzeichnete einen Anstieg von 78% bei zivilen Opfer aufgrund von komplexen Angriffen und Selbstmordattentaten, sowie einen Anstieg von individuellen Tötungen. UNAMA registrierte ebenso 46% Rückgang an zivilen Opfern in Bodenkämpfen und 21% Rückgang ziviler Opfer aufgrund von IEDs (improvised explosive devices) (UNAMA 8.2015). Regierungsfreundliche Kräfte - speziell ANSF - waren auch weiterhin Grund für einen Anstieg bei zivilen Opfern im Jahr 2015. UNAMA registrierte hierzu 796 zivile Opfer (234 wurden getötet und 562 verletzt). Dies deutet einen Anstieg von 60% im Vergleich zum Jahr 2014. Der Großteil dieser zivilen Opfer geht auf Bodenkämpfe regierungsfreundlicher Gruppen, bei denen hauptsächlich Explosivwaffen, wie Mörser, Raketen oder Granaten verwendet wurden. In den ersten sechs Monaten des Jahres 2015 waren regierungsfreundliche Gruppen für mehr zivile Opfer verantwortlich, als regierungsfeindliche Elemente. Im Jahr 2015 haben die ANSF ihre Anzahl von Operationen, die am Boden durchgeführt wurden, signifikant erhöht, um den Regierungsbildungsprozess zu unterstützen und Angriffen regierungsfeindlicher Elemente entgegenzuwirken (UNAMA 8.2015).

Die UNAMA verzeichnete 37% Anstieg bei Entführungen von Zivilisten durch regierungsfeindliche Elemente, und mehr Morde und Körperverletzungen an den Entführungsopfern. Von 76 Entführten Zivilisten wurden im Berichtszeitraum (1.1. - 30.6.2015) 62 getötet und 14 verletzt. UNAMA dokumentierte die Entführung von Zivilist/innen durch regierungsfeindliche Elemente für finanzielle Zwecke, zur Einschüchterung der Bevölkerung und um Zugeständnisse von anderen Parteien im Konflikt zu erhalten, z.B. Geiselaustausch (UNAMA 8.2015).

Mitarbeiter/innen internationaler Organisationen und der US-Streitkräfte

In einem Bericht der norwegischen COI-Einheit Landinfo wurde im September 2015 berichtet, dass zuverlässige Dokumentation von konfliktbezogener Gewalt gegen Afghanen im aktiven Dienst für internationale Organisationen, existiert. Andererseits, konnte nur eingeschränkte Dokumentation zu konfliktbezogener Gewalt gegen ehemalige Übersetzer, Informanten oder andere Gruppen lokale Angestellte ziviler oder militärischer Organisationen festgestellt werden (Landinfo 9.9.2015). Ferner werden reine Übersetzerdienste, die auch geheime Dokumente umfassen, meist von US-Staatsbürgern mit lokalen Wurzeln durchgeführt, da diese eine Sicherheitszertifizierung benötigen (Liaison Officer to Ministry of Interior of GIROA 14.11.2014).

Grundsätzlich sind Anfeindungen afghanischer Angestellter der US-Streitkräfte üblich, da diese im Vergleich zu ihren Mitbürgern verhältnismäßig viel verdienen. Im Allgemeinen hält sich das aber in Grenzen, da der wirtschaftliche Nutzen für die gesamte Region zu wichtig ist. Tätliche Übergriffe kommen vor, sind aber nicht nur auf ein Arbeitsverhältnis zu ISAF zurückzuführen (Liaison Officer to Ministry of Interior of GIROA 10.11.2014). Des Weitern bekommen afghanische Angestellte bei den internationalen Streitkräften Uniformen oder Dienstbekleidung, Verpflegung und Zugang zu medizinischer Versorgung nach westlichem Standard. Es handelt sich somit meist um Missgunst. Das Argument der Gefahr im Job für lokale Dolmetscher wurde von den US-Streitkräften im Bereich der SOF (Special Operation Forces), die sehr sensible Aufgaben durchführen, dadurch behoben, dass diesen Mitarbeitern nach einer gewissen Zeit die Mitnahme in die USA angeboten wurde. Dieses Vorgehen wurde von einer militärischen Quelle aus Deutschland bestätigt (Liaison Officer to Ministry of Interior of GIROA 14.11.2014).

Quellen:

3. Religionsfreiheit

80% der Bevölkerung sind Anhänger des sunnitischen und 19% Anhänger des schiitischen Islams; 1% entfällt auf andere Religionen (The CIA World Factbook 20.10.2015). Es lebt offiziell noch ein Jude in Afghanistan, der sich um die verwaiste Synagoge kümmert (AA 16.11.2015).

Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Religionsfreiheit ist in der afghanischen Verfassung verankert, dies gilt allerdings ausdrücklich nur für Anhänger anderer Religionen als dem Islam. Die von Afghanistan ratifizierten internationalen Verträge und Konventionen wie auch die nationalen Gesetze sind allesamt im Lichte des generellen Islamvorbehalts (Art. 3 der Verfassung) zu verstehen (AA 16.11.2015; vgl. Max Planck Institut 27.1.2004). Die Glaubensfreiheit, die auch die freie Religionsauswahl beinhaltet, gilt in Afghanistan daher für Muslime nicht. Darüber hinaus ist die Abkehr vom Islam (Apostasie) nach Scharia-Recht auch strafbewehrt (AA 16.11..2015).

Die Religionsfreiheit hat sich seit 2001 verbessert, wird aber noch immer durch Gewalt und Drangsale gegen religiöse Minderheiten und reformierte Muslime behindert. Blasphemie und Abtrünnigkeit werden als Kapitalverbrechen angesehen. Nichtmuslimische Religionen sind erlaubt, doch es wird stark versucht, deren Missionierungsbestrebungen zu behindern. Hindus, Sikhs und Schiiten, speziell jene, die den ethnischen Hazara angehören, sind Diskriminierung durch die sunnitische Mehrheit ausgesetzt (FH 28.4.2015).

Angaben eines Vertreters einer internationalen Organisation mit Sitz in Kabul berichtete, dass entgegen ihrer eigenen Wahrnehmung, Hazara keiner gezoelten Diskriminierung aufgrund ihrer Religungszugehörigkeit ausgesetzt sind (Vertrauliche Quelle 29.9.2015).

Die Bedingungen für Religionsfreiheit sind für andersdenkende sunnitische Muslime, aber auch schiitische Muslime, Sikhs, Christen und Bahais weiterhin schlecht. Die afghanische Verfassung verabsäumt es explizit die individuellen Rechte in Bezug auf Religionsfreiheit zu schützen und einfachgesetzliche Bestimmungen werden in einer Weise angewendet, die internationale Menschenrechtsstandards verletzt. Staatliche und nicht-staatliche Akteure führen Aktionen gegen Personen aus, die ihrer Ansicht nach "unislamische" Aktivitäten setzen (USCIRF 30.4.2015).

Die sunnitische hanafitische Rechtsprechung gilt für alle afghanischen Bürgerinnen und Bürger, unabhängig von ihrer Religion (AA 6.11.2015; vgl. AA 2.3.2015). Für die religiöse Minderheit der Schiiten gilt in Personenstandsfragen das schiitische Recht (AA 31.3.2014; vgl. USDOS 14.10.2015; vgl. USDOS 26.5.2015).

Nichtmuslimische Minderheiten, wie Sikh, Hindu und Christen, waren sozialer Diskriminierung und Belästigung ausgesetzt, und in manchen Fällen, sogar Gewalt. Dieses Vorgehen war nicht systematisch (USDOS 14.10.2015). Im Mai 2014 zum Beispiel trat Sham Lal Bathija als erster Hindu den Posten des afghanischen Botschafters in Kanada an (RFERL 15.5.2014). Im März übergab er formell diese Position an seinen Nachfolger Dawood Qayomi (Afghan Embassy 18.3.2015). Sham Lal Bathija war bereits in der Vergangenheit als hochrangiger Wirtschaftsberater von Karzai tätig (The New Indian Express16.5.2012).

Quellen:

3.1 Schiiten

Etwa 19% der Bevölkerung sind schiitische Muslime und damit die größte religiöse Minderheit des Landes. Der Großteil der afghanischen Schiiten gehört der ethnischen Gruppe der Hazara an (USCIRF 30.4.2015). Auseinandersetzungen zwischen Sunniten und Schiiten sind im Alltagsleben in Afghanistan selten. Sowohl im Rat der Religionsgelehrten (Ulema) als auch im Hohen Friedensrat sind auch Schiiten vertreten; beide Gremien betonen, dass die Glaubensausrichtung keinen Einfluss auf ihre Zusammenarbeit habe (AA 16.11.2015; vgl. AA 2.3.2015).

Die Situation der afghanischen schiitisch-muslimischen Gemeinde hat sich seit dem Ende des Taliban-Regimes wesentlich gebessert. Während des Untersuchungszeitraumes war es schiitischen Muslim/innen allgemein möglich ihre traditionelle Ashura Feierlichkeiten und Rituale, ohne Hindernisse, öffentlich durchzuführen (USCIRF 30.4.2015; vgl. FH 28.4.2015). Trotzdem ist die schiitische Minderheit mit gesellschaftlichen Diskriminierungen konfrontiert (USDOS 28.7.2014). Informationen eines Vertreters einer internationalen Organisation mit Sitz in Kabul zufolge, sind Hazara, entgegen ihrer eigenen Wahrnehmung, keiner gezielten Diskriminierung aufgrund ihrer Religungszugehörigkeit ausgesetzt (Vertrauliche Quelle 29.9.2015).

Der letzte große Zwischenfall, bei dem mindestens 55 Menschen getötet und mehr als 100 verletzt wurden, fand 2011 während der Ashura-Feiern in Form eines Selbstmordattentats in einer heiligen Stätte in Kabul statt (BBC 5.9.2013; vgl. AA 2.3.2015; vgl. AA 16.11.2015). Die politischen Kräfte des Landes zeigten sich über die Vorfälle erschüttert, verurteilten die Attentate und riefen zur Einigkeit auf. Im Jahr 2015 verlief das Aschura-Fest in Afghanistan friedlich (AA 16.11.2015).

Die Verfassung garantiert, dass das schiitische Gesetz in Personenstandsangelegenheiten angewendet wird, in denen alle Parteien Schiiten sind (USDOS 14.10.2015). Im Jahr 2009 wurde ein Gesetz durchgesetzt, das viele konstitutionelle Rechte der schiitischen Frauen schmälert. Erbschafts-, Heiratsfragen und Angelegenheiten persönlicher Freiheit werden von den konservativen schiitischen Autoritäten festgesetzt (USDOS 25.6.2015; vgl. BFA Staatendokumentation 3.2014).

Die Ismailiten, die sich selbst zum schiitischen Islam rechnen, machen etwa 5% der Bevölkerung aus (USDOS 28.7.2014; vgl. -CRS 12.1.2015). Es gibt wenige Berichte in Bezug auf gezielte Diskriminierung gegen Ismailiten (USDOS 25.6.2015). Auch unter den Parlamentsabgeordneten befinden sich vier Ismailiten. Manche Mitglieder der ismailitischen Gemeinde beschwerten sich über Ausgrenzung von Position von politischen Autoritäten (USDOS 14.10.2015).

Quellen:

4. Ethnische Minderheiten

Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung (Art. 16) sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt, wo die Mehrheit der Bevölkerung (auch) eine dieser Sprachen spricht. Diese weiteren in der Verfassung genannten Sprachen sind Usbekisch, Turkmenisch, Belutschisch, Pashai, Nuristani und Pamiri (AA 16.11.2015; vgl. Max Planck Institut 27.1.2004).

In Afghanistan leben laut Schätzungen vom Juli 2015 mehr als 32.5 Millionen Menschen (CIA 20.10.2015). Davon sind 42%-45% Pashtunen, 25% Tadschiken, rund 10% Hazara, 10% Usbeken. Es existieren noch mehrere andere religiöse und ethnische Minderheiten (CRS 12.1.2015). wie z.B. Aimaken 4%, Turkmenen 3%, Balutschen 2% und andere kleinere ethnische Gruppen (CIA 24.6.2014).

Der Gleichheitsgrundsatz ist in der afghanischen Verfassung verankert. Fälle von Sippenhaft oder sozialer Diskriminierung sind jedoch nicht auszuschließen und kommen vor allem in Dorfgemeinschaften auf dem Land häufig vor (AA 16.11.2015). Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen resultierten weiterhin in Konflikten und Tötungen (USDOS 25.6.2015).

Ethnische Pashtunen sind die größte Ethnie in Afghanistan. Sie sprechen Paschtu/Pashto, aber die meisten ihrer Regierungsvertreter sprechen auch Dari (CSR 12.1.2015). Die Pashtunen haben mehr Sitze in beiden Häusern des Parlaments, aber nicht mehr als 50% der Gesamtsitze. Es gibt keinen Beweis, dass bestimmte soziale Gruppen ausgeschlossen werden. Es gibt keine Gesetze, welche die Teilnahme von Minderheiten am politischen Leben verhindern. Nichtsdestotrotz beschweren sich unterschiedliche ethnische Gruppen, dass sie keinen Zugang zu staatlicher Anstellung in Provinzen haben, in denen sie eine Minderheit darstellen (USDOS 25.6.2015). Unter den vielen Volksgruppen bilden die Paschtunen zwar die Mehrheit im Staat, dominieren aber nur im Süden, im Norden hingegen eher die persisch-sprachigen Tadschiken (DW 26.4.2014; vgl. GIZ 10.2015). Die Pashtunen sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 44% in der Afghan National Army (ANA) und der Afghan National Police (ANP) repräsentiert (Brookings 31.7.2015).

Quellen:

4.1 Hazara

Die schiitische Minderheit der Hazara macht etwa 10% der Bevölkerung aus. Sie hat sich ökonomisch und politisch durch Bildung verbessert. In der Vergangenheit wurden die Hazara von den Pashtunen verachtet, da diese dazu tendierten, die Hazara als Hausangestellte oder für andere niedere Arbeiten einzustellen. Berichten zufolge schließen viele Hazara, inklusive Frauen, Studien ab oder schlagen den Weg in eine Ausbildung in Informationstechnologie, Medizin oder anderen Bereichen ein, die in den unterschiedlichen Sektoren der afghanischen Wirtschaft besonders gut bezahlt werden (CRS 12.1.2015).

Für die während der Taliban-Herrschaft besonders verfolgten Hazara hat sich die Lage verbessert. Sie sind in der öffentlichen Verwaltung aber nach wie vor unterrepräsentiert. Unklar ist, ob dies Folge der früheren Marginalisierung oder eine gezielte Benachteiligung neueren Datums ist. Gesellschaftliche Spannungen bestehen fort und leben in lokal unterschiedlicher Intensität gelegentlich wieder auf (AA 16.11.2015; AA 2.3.2015). Gesellschaftliche Diskriminierung gegen die schiitischen Hazara mit Bezug auf Klasse, Ethnie und Religion hält weiter an - in Form von Erpressung, durch illegale Besteuerung, Zwangsrekrutierung und Zwangsarbeit, physische Misshandlung und Verhaftung (USDOS 25.6.2015). Informationen eines Vertreters einer internationalen Organisation mit Sitz in Kabul zufolge, sind Hazara, entgegen ihrer eigenen Wahrnehmung, keiner gezielten Diskriminierung aufgrund ihrer Religungszugehörigkeit ausgesetzt sind (Vertrauliche Quelle 29.9.2015).

Mitglieder der Hazarastämme, meist schiitische Muslime, sind in den Provinzen Bamiyan, Daikundi und Ghazni in Zentralafghanistan vertreten (CRS 15.10.2015).

Eine prominente Vertreterin der Minderheit der Hazara ist die Vorsitzende der unabhängigen afghanischen Menschenrechtskommission Sima Simar (CRS 12.1.2015).

Die Hazara sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 10% in der Afghan National Army und der Afghan National Police repräsentiert (Brookings 31.7.2015).

Quellen:

5. Grundversorgung/Wirtschaft

Für das Jahr 2013 belegte Afghanistan im 'Human Development Index' (HDI) den 169 Platz von mehr als 187 (Anm.: darunter befanden sich auch einige ex aequo Platzierungen) (UNDP 2014).

Die wirtschaftliche Entwicklung Afghanistans wird trotz Wachstumsraten in der letzten Dekade weiterhin nicht durch ein selbsttragendes Wirtschaftswachstum, sondern durch die Zuflüsse aus der internationalen Gebergemeinschaft stimuliert (AA 8.2015). Die Übergangsphase in Politik und Sicherheit haben die afghanische Wirtschaft stärker beeinträchtigt als erwartet. Das Wirtschaftswachstum ist im Jahr 2014 auf 1,3% gesunken, wobei es im Jahr davor noch 3,7% betrug (WB 10.2015; vgl. IMF 9.6.2015).

Das Wirtschaftswachstum war zum Größtenteil getrieben von Expansion in Industrie (2,4%) und Dienstleistung (2,2%). Private Investitionsaktivitäten zeigten im Jahr 2014 Anzeichen eines Rückgangs, gekennzeichnet durch einen 50%igen Rückgang an neuen Firmenregistrierungen seit dem Jahr 2012. Die Anzahl der neuen Firmenregistrierungen im ersten Halbjahr 2015, welche ein Indikator für Investorenvertrauen ist, blieb auf demselben Niveau, wie im ersten Halbjahr des Jahres 2014. Eine sanfte Erholung wird für das Jahr 2016 erwartet. (WB 2015).

Den größten Anteil am BIP (2014: 21,7 Mrd. USD) hat der Dienstleistungssektor mit 53,5%, gefolgt von der Landwirtschaft mit 27,7% des BIP. Industrieproduktion ist kaum vorhanden. Trotz einer großen Bedeutung des Außenhandels - Afghanistan ist in hohem Maße von Importen abhängig - sind afghanische Produkte bisher auf internationalen sowie regionalen Märkten kaum wettbewerbsfähig (AA 8.2015).

Es wird geschätzt, dass das reale Wachstum des Bruttoinlandprodukts um 3,1% im Jahr 2016 und 3,9% im Jahr 2017 wachsen wird, bedingt durch Verbesserungen im Bereich der Sicherheitslage und einer starken Reformdynamik (WB 10.2015). Wichtige Erfolge wurden im Bereich des Ausbaus der Infrastruktur erzielt. Durch den Bau von Straßen und Flughäfen konnte die infrastrukturelle Anbindung des Landes verbessert werden (AA 8.2015).

Trotz des seit drei Jahren hohen landwirtschaftlichen Produktionsniveaus, , konnten die starken Landwirtschaftserträge des Jahres 2013 nicht mehr erreicht werden und so war die Landwirtschaft nicht Teil des Wirtschaftswachtums (WB 10.2015). Die neue Regierung hat die landwirtschaftliche Entwicklung zur Priorität erhoben. Dadurch sollen auch gering qualifizierte Afghaninnen und Afghanen bessere Chancen auf einen Arbeitsplatz bekommen. Insbesondere sollen die landwirtschaftlichen Erzeugnisse Afghanistans wieder eine stärkere Rolle auf den Weltmärkten spielen. Gerade im ländlichen Raum bleiben die Herausforderungen für eine selbsttragende wirtschaftliche Entwicklung angesichts mangelnder Infrastruktur, fehlender Erwerbsmöglichkeiten außerhalb der Landwirtschaft und geringem Ausbildungsstand der Bevölkerung (Analphabetenquote auf dem Land von rund 90 %) aber groß. Sicher ist, dass die jährlich rund 400.000 neu auf den Arbeitsmarkt drängenden jungen Menschen nicht vollständig vom landwirtschaftlichen Sektor absorbiert werden können (AA 8.2015).

Große wirtschaftliche Erwartungen werden an die zunehmende Erschließung der afghanischen Rohstoffressourcen geknüpft. In Afghanistan lagern die weltweit größten Kupfervorkommen sowie Erdöl, Erdgas, Kohle, Lithium, Gold, Edelsteine und Seltene Erden. Das seit langem erwartete Rohstoffgesetz wurde im August 2014 verabschiedet. Damit wurden die rechtlichen und institutionellen Rahmenbedingungen für privatwirtschaftliche Investitionen in diesem Bereich verbessert. Entscheidend für Wachstum, Arbeitsplätze und Einnahmen aus dem Rohstoffabbau ist die Umsetzung des Gesetzes. Darüber hinaus müssen Mechanismen zum Einnahmenmanagement etabliert werden. Der Abbau der Rohstoffe erfordert große und langfristige Investitionen in die Exploration und Infrastruktur durch internationale Unternehmen. Bisher sind diese noch kaum im Abbau von Rohstoffen im Land aktiv (AA 8.2015).

Afghanistan bleibt weiterhin der weltweit größte Produzent für Opium, Heroin und Cannabis (AA 8.2015; vgl. UN GASC 6.9.2015). Rund 2,2 Mio. Afghanen leben mittelbar oder unmittelbar vom Drogenanbau, -handel und -verkauf (AA 8.2015). Trotz einer breit angelegten Strategie verhindern die angespannte Sicherheitslage in den Hauptanbaugebieten im Süden des Landes sowie die weit verbreitete Korruption eine effiziente Bekämpfung des Drogenanbaus (AA 8.2015; vgl. UN GASC 6.9.2015). Die hohen Gewinnmargen erschweren zudem die Einführung von alternativen landwirtschaftlichen Produkten (AA 8.2015).

Die Internationale Gemeinschaft und Hauptgeber haben ihr Engagement und ihre Partnerschaft für Afghanistan im Rahmen der London Konferenz im Dezeber 2014 bestätigt. Sie begrüßren das Engagement der neuen afghanischen Regierung für macroökonomische Stabilität und Reformen, welche Nachhaltigkeit und integratives Wachstum beinhaltet (IMF 5.2015).

Quellen:

6. Medizinische Versorgung

Die Datenlage zur medizinischen Versorgung in Afghanistan bleibt äußerst lückenhaft. In vielen Bereichen liegen Daten nur unzuverlässig oder nur ältere statistische Erhebungen der afghanischen Regierung oder der Weltgesundheitsorganisation vor. Besonders betroffen von unzureichender Datenlage sind hierbei die südlichen und südwestlichen Provinzen (AA 16.11.2015). Ferner, können sich die im Zuge der Recherche gefundenen Informationen, auch widersprechen.

Grundsätzlich hat sich die medizinische Versorgung, insbesondere im Bereich der Grundversorgung, in den letzten zehn Jahren erheblich verbessert, fällt jedoch im regionalen Vergleich weiterhin drastisch zurück (AA 16.11.201). Auch hat sich seit dem Jahr 2001 der Zugang zur Grundleistung für die afghanische Bevölkerung in fast allen Bereichen erheblich verbessert: der Deckungsgrad medizinischer Gesundheitsversorgung hat sich von 9% im Jahr 2001 auf 80% im Jahr 2011 erweitert (WB 4.2015). Jedoch fällt diese Grundversorung im regionalen Vergleich weiterhin drastisch zurück (AA 2.3.2015).

Die Sterberate von Kindern unter 5 Jahren ist von 257 auf 165 pro 1.000 Lebendgeburten gesunken, die Säuglingssterblichkeitsrate von 97 auf 77 bei 1.000 Lebendgeburten und die Müttersterblichkeitsrate ist auf 327 bei 100.000 Lebengebburten gesunken. Im Vergleich dazu betrug die Müttersterblichkeitsrate im Jahr 2002 noch 1.600. Ferner, erhöhte sich die Zahl funktionierender Gesundheitsanstalten von 496 im Jahr 2002 auf 2.000 im Jahr 2012. Proportional dazu erhöhte sich die Zahl der Anstaten mit weiblichem Personal (WB 4.2015).

In der letzten Dekade hat das afghanische Gesundheitssystem ansehnliche Fortschritte gemacht. Dies aufgrund starker Regierungsführung, einer soliden öffentlichen Gesundheitspolitik, innovativer Servicebereitstellung, sorgfältiger Überwachung und Evaluierung, sowie Entwicklungshilfe. Trotz signifikanter Verbesserungen im Bereich des Deckungsgrades und der Qualität der Gesundheitsservices, wie auch einer Reduzierung der Sterberate von Müttern, Säuglingen und unter 5-jährigen, sind die afghanischen Gesundheitsindikatoren weiterhin schlechter als die der Niedrigeinkommensländer, was ferner andeutet, dass die Notwendigkeit besteht, Zugangshindernisse zu Leistungen für Frauen zu beseitigen. Des Weiteren hat Afghanistan eine der höchsten Unterernährungsraten der Welt. Etwa 41% der Kinder unter 5 Jahren leiden unter chronischer Unterernährung. Sowohl Frauen als auch Kinder leiden an Vitamin- und Mineralspiegeldefiziten (WB 4.2015).

Die medizinische Versorgung leidet trotz der erkennbaren und erheblichen Verbesserungen landesweit weiterhin an unzureichender Verfügbarkeit von Medikamenten und Ausstattung der Kliniken, insbesondere aber an fehlenden Ärztinnen und Ärzten, sowie gut qualifiziertem Assistenzpersonal (v.a. Hebammen). Im Jahr 2013 stand 10.000 Einwohnern Afghanistans ca. eine medizinisch qualifiziert ausgebildete Person gegenüber. Auch hier gibt es bedeutende regionale Unterschiede innerhalb des Landes, wobei die Situation in den Nord- und Zentralprovinzen um ein Vielfaches besser ist als in den Süd- und Ostprovinzen (AA 16.11.2015; vgl. AA 2.3.2015).

Obwohl freie Gesundheitsdienstleistungen in öffentlichen Einrichtungen zur Verfügung gestellt wurden, können sich viele Haushalte gewisse Kosten für Medikamente oder den Transport zu Gesundheitsvorsorgeeinrichtungen nicht leisten bzw. war es vielen Frauen nicht erlaubt alleine zu einer Gesundheitseinrichtung zu fahren (USDOS 25.6.2015)

Gemäß der afghanischen Verfassung ist die primäre Gesundheitsversorgung in öffentlichen Einrichtungen, inklusive Medikamente, kostenfrei [Anm.: siehe dazu afghanische Verfassung

Artikel 52, (Max Planck Institute 27.1.2004)]. Jedoch sind die Bestände oft erschöpft und die Patient/innen sind gezwungen die Medikamente in privaten Apotheken oder am Bazar zu kaufen (IRIN 2.7.2014). Obwohl Qualitätskontrollmaßnahmen für Medikamente im öffentlichen Gesundheitsvorsorgesystem existieren, ist die Umsetzung laut einem US-amerikanischen Bericht schwach. Der Großteil der verschriebenen Medikamente wird verschrieben und privat verkauft. Auch, so der Bericht weiter, gibt es keine Daten zu Pahrmazisten, die im privaten Sektor arbeiten. Bis zu 300 in Pakistan ansässige Unternehmen produzieren Medikamente, die speziell für den Export nach Afghanistan vorgesehen sind, aber den von für Pakistan vorgeschriebenen Standards nicht entsprechen (IJACMEC 10.2014; vgl. The Guardian 7.1.2015).

Die Behandlung von psychischen Erkrankungen - insbesondere Kriegstraumata - findet, abgesehen von einzelnen Pilotprojekten, nach wie vor nicht in ausreichendem Maße statt. Gleichzeitig leiden viele Afghaninnen und Afghanen unter psychischen Symptomen der Depression, Angststörungen oder posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS). In Kabul gibt es zwei psychiatrische Einrichtungen: das Mental Health Hospital mit 100 Betten und die Universitätsklinik Aliabad mit 48 Betten. In Jalalabad und Herat gibt es jeweils 15 Betten für psychiatrische Fälle. In Mazar-e Scharif gibt es eine private Einrichtung, die psychiatrische Fälle stationär aufnimmt. Folgebehandlungen sind oft schwierig zu leisten, insbesondere wenn der Patient oder die Patientin kein unterstützendes Familienumfeld hat. Traditionell mangelt es in Afghanistan an einem Konzept für psychisch Kranke. Sie werden nicht selten in spirituellen Schreinen unter teilweise unmenschlichen Bedingungen "behandelt", oder es wird ihnen in einer "Therapie" mit Brot, Wasser und Pfeffer der "böse Geist ausgetrieben". Es gibt jedoch aktuelle Bemühungen, die Akzeptanz und Kapazitäten für psychiatrische Behandlungsmöglichkeiten zu stärken und auch Aufklärung sowohl über das Internet als auch in Form von Comics (für Analphabeten) zu betreiben. Die Bundesregierung finanziert Projekte zur Verbesserung der Möglichkeiten psychiatrischer Behandlung und psychologischer Begleitung in Afghanistan (AA 16.11.2015).

Quellen:

7. Behandlung nach Rückkehr

In den letzten zehn Jahren sind im Rahmen der freiwiliigen Rückkehr durch UNHCR 3.5 Millionen afghanische Flüchtlinge zurückgekehrt. Insegesamt sind 5.8 Millionen Afghaninnen und Afghanen aus verschiedenen Teilen der Welt nach Afghanistan zurückgekehrt (DW 19.10.2015). USDOS berichtet, dass in den Jahren von 2002 bis 2014, Finanzierungen verwendet wurden um Transportkosten und anfängliche Notwendigkeit bei Rückkehr, für mehr als 4.7 Millionen zur Verfügung zu stellen (SIGAR 8.2015; vgl. AA 2.3.2015). Somit hat eine große Zahl der afghanischen Bevölkerung einen Flüchtlingshintergrund (AA 2.3.2015). Im Jahr 2015 sind 50.000 afghanische Flüchtlinge aus Pakistan im Rahmen des Programms der freiwilligen Rückkehr nach Afghanistan zurückgekehrt (DW 19.10.2015).

Im Vergleich zum Vorjahr ist die Zahl der Rückkehrer aus Iran und Pakistan stark gestiegen. 2014 lag die Zahl der Rückkehrer bei knapp 17.000, davon über 12.000 aus PAK. Bis Ende Oktober 2015 sind im laufenden Jahr fast 56.000 zurückgekehrt, davon über 53.000 aus Pakistan. Zwei Drittel der Rückkehrer siedeln sich in fünf Provinzen an: Kabul, Nangarhar, Kunduz, Logar und Baghlan (AA 16.11.2015). Laut UNHCR-Afghanistan kehrten im Jahr 2014 insgesamt 17.000 Menschen freiwillig nach Afghanistan zurück (UNHCR 29.10.2015). Die Kapazität der Regierung Rückkehrer/innen aufzunehmen war auch weiterhin niedrig. Die Zahl der Rückkehrer/innen während des Jahres 2014 verringerte sich aufgrund von Unsicherheiten in Bezug auf die Sicherheitslage im Rahmen der Post-Transitionszeitraumes und aufgrund des Auslaufens der proof of Residence Card (PoR Card) für afghanische Flüchtlinge in Pakistan (USDOS 25.6.2015). In Pakistan werden etwa 1.5 Millionen afghanische Flüchtlinge, die im Besitz einer PoR Card sind von UNHCR unterstüzt (BFA Staatendokumentation 9.2015).

Die afghanische Regierung kooperierte auch weiterhin mit UNHCR, der Internationalen Organisation für Migration (IOM), sowie anderen humanitären Organisationen, um intern vertrieben Personen, Flüchtlingen, Rückkehrer/innen und andern Menschen Schutz und Unterstützung zur Verfügung zu stellen. Regierungsunterstützung für vulnerable Personen, inklusive Rückkehrer/innen aus Pakistan und Iran, war gering, mit einer anhaltenden Abhängigkeit von der internationalen Gemeinschaft. Die Reintegration von Rückkehrer/innen war schwierig.Rückkehrerinnen und Rückkehr hatten angeblich gleichwertigen Zugang zu Gesundheits-, Bildungs- und anderen Leistungen, obwohl manche Gemeinden, die für Rückkehrer/innen vorgesehen waren, angaben, dass eingeschränkter Zugang zu Transport und Straßen zu größeren, besser etablierten Dörfern und städtischen Zentren fehlte. Dies erschwerte den Zugang zu Dienstleistungen und wirtschaftlichen Möglichkeiten (USDOS 25.6.2015).

In Iran und Pakistan halten sich derzeit noch ca. 3 Millionen afghanische Flüchtlinge auf. Dazu kommen nicht registrierte Afghanen, die von der iranischen Regierung jedoch nicht als Flüchtlinge anerkannt sind. Insbesondere von iranischer Seite, in Teilen auch von Pakistan, werden sie gelegentlich als politisches Druckmittel gegenüber Afghanistan ins Feld geführt. Gleichzeitig gelten die Flüchtlinge auch als günstige Arbeitskräfte. In Afghanistan wird zwischen Rückkehrern aus den Nachbarstaaten Iran und Pakistan (die größte Gruppe afghanischer Flüchtlinge) und freiwilliger Rückkehr oder Abschiebung aus v.a. westlichen Staaten unterschieden. Für Rückkehrer aus den genannten Nachbarländern leistet UNHCR in der ersten Zeit Unterstützung. Bei der Anschlussunterstützung bestehen Probleme in der Koordinierung zwischen humanitären Akteuren und Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit, so dass Hilfe nicht immer dort ankommt, wo Rückkehrer sich niedergelassen haben (AA 2.3.2015; vgl. AA 16.11.2015).

Die Schweiz, Australien, Iran, Norwegen, Pakistan, Dänemark, Frankreich, die Niederlande und Schweden haben mit Afghanistan und dem UNHCR sog. Drei-Parteien-Abkommen zur Regelung der freiwilligen Rückkehr von afghanischen Flüchtlingen in ihr Heimatland geschlossen. Die Abkommen sehen u.a. die Übernahme von Reisekosten, Wiedereingliederungshilfe und Unterstützungsmaßnahmen für besonders schutzbedürftige Flüchtlinge vor. Von Großbritannien, Frankreich, Italien, Dänemark, Norwegen, Schweden und Australien ist bekannt, dass diese Länder abgelehnte Asylbewerber afghanischer Herkunft nach Afghanistan abschieben. Von Norwegen ist bekannt, dass auch Familien mit minderjährigen Kindern abgeschoben werden. Einige Länder arbeiten eng mit IOM in Afghanistan zusammen, insbesondere auch, um die Reintegration zu erleichtern. IOM bietet psychologische Betreuung, Unterstützung bei Reiseformalitäten, Ankunft in Kabul und Begleitung der Reintegration einschließlich Unterstützung bei der Arbeitsplatzsuche an (AA 2.3.2015; vgl. AA 16.11.2015).

Eine Diskriminierung oder Strafverfolgung aufgrund exilpolitischer Aktivitäten nach Rückkehr aus dem Ausland ist nicht anzunehmen. Auch einige Führungsfiguren der RNE sind aus dem Exil zurückgekehrt, um Ämter bin hin zum Ministerrang zu übernehmen. Präsident Ashraf Ghani selbst verbrachte die Zeit der Bürgerkriege und der Taliban-Herrschaft in den 1990er Jahren weitgehend im pakistanischen und US-amerikanischen Exil (AA 16.11.2015).

Quellen:

Beweis wurde erhoben durch Einvernahme des Beschwerdeführers durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Erstaufnahmestelle Ost am 01.05.2014, am 14.05.2014 und am 30.07.2014 sowie durch Befragung durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Niederösterreich am 02.102014 und im Rahmen der öffentlichen mündlichen Beschwerdeverhandlung des Bundesverwaltungsgerichts vom 28.04.2016; durch wissenschaftliche Altersfeststellung im Auftrag des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, durch Vorlage von Deutschkursbestätigungen einschließlich eines Deutschdiploms im Niveau A2 sowie Lohn- und Gehaltsabrechnungen durch den Beschwerdeführer, durch Vorhalt des erwähnten Länderinformationsblattes durch das Bundesverwaltungsgericht und schließlich die Einsichtnahme in den aktuellen Strafregisterauszug.

2. Beweiswürdigung:

Die länderspezifischen Feststellungen entstammen einer aktuellen Zusammenstellung der Staatendokumentation (die nicht nur für die Länderinformationen des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, sondern auch für das Bundesverwaltungsgericht zuständig ist) jüngsten Datums, welche auf einer ausgewogenen Sammlung zahlreicher seriöser, aktueller, internationaler, staatlicher und nicht staatlicher Quellen beruht, die in den obigen Länderfeststellungen zitiert wurden. Während von Seiten der belangten Behörde keine Stellungnahme erging, erstattete der Beschwerdeführer eine Stellungnahme, in der er wohl den Ausführungen des Länderinformationsblatt nicht ausdrücklich widersprach, aber behauptete, dass er wegen Gruppenverfolgung und Verfolgung wegen westlicher Orientierung die Voraussetzungen der Flüchtlingseigenschaft erfülle. Das Bundesverwaltungsgericht geht daher von dem aktuellen Länderinformationsblatt der Staatendokumentation aus.

Das Vorbringen des Beschwerdeführers wird wie folgt gewürdigt:

Obwohl der Beschwerdeführer keinerlei Personal- oder Identitätsdokumente vorlegen konnte, ist auch die belangte Behörde davon ausgegangen, dass dieser - wie auch von ihm selbst behauptet - afghanischer Staatsangehöriger, Hazara und schiitischer Moslem ist. Hinsichtlich des Geburtsdatums hat der Beschwerdeführer selbst unterschiedliche Angaben gemacht, indem er zunächst sowohl vor der Erstaufnahmestelle Ost als auch Regionaldirektion Niederösterreich des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl behauptete am XXXX geboren zu sein, während er vor dem Bundesverwaltungsgericht bestätigte am XXXX geboren zu sein, was auch den Altersfeststellungen und der Volljährigkeitsfeststellung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl entspricht, die er ausdrücklich akzeptiert hat. Somit geht offenbar nun der Beschwerdeführer selbst davon aus, an diesem Tag geboren zu sein und jedenfalls volljährig zu sein.

Aufgrund des konsistenten Vorbringens des Umstandes, aus dem der Beschwerdeführer auch keine Vorteile ableiten kann, erscheint es auch glaubwürdig, dass dieser Afghanistan bereits im Kindesalter verlassen hat und fortan in Pakistan gelebt hat, ohne wieder nach Afghanistan zurückzukehren und, dass er in Afghanistan selbst keine Probleme mit staatlichen Behörden oder Privatpersonen hatte, was schon aufgrund seines damaligen Alters plausibel naheliegend ist.

Die vom Beschwerdeführer ins Treffen geführten Probleme beim Verkauf christlicher Bücher (wobei der Beschwerdeführer offen und durchaus ehrlicherweise angab, quasi wahllos Bücher verschiedenster Religionen zur Bestreitung seines Lebensunterhalts verkauft zu haben) haben sich nach den diesbezüglichen glaubwürdigen Angaben des Beschwerdeführers offenbar in Pakistan und somit nicht im Herkunftsstaats des Beschwerdeführers ereignet und ist daher nicht weiter zu untersuchen, in wie fern diese asylrelevant wären. Es haben sich in dem Vorbringen des Beschwerdeführers jedoch keine Hinweise dafür ergeben, dass dieser besonderes Interesse am Christentum gezeigt hätte oder nun mehr - allenfalls auch in Österreich - zum Christentum konvertiert wäre, sondern bezeichnet dieser sich nach wie vor als Moslem Schiit, vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl sogar als sehr gläubiger Moslem (AS181).

Der Beschwerdeführer gibt an, nun mehr auch mit einer serbischen Staatsbürgerin, welche nicht Moslemin ist, befreundet zu sein, ohne mit dieser zusammenzuleben und haben sich bei dem Beschwerdeführer, der rechtskräftig subsidiären Schutz genießt, durchaus gewisse Ansätze für eine Integration in Österreich (mehrere Deutschkurse, gute Deutschkenntnisse, zeitweilige Erwerbsarbeit) ergeben.

Der Beschwerdeführer hat selbst angegeben gesund zu sein und an keinen organischen oder psychischen Erkrankungen zu leiden und intensiv verschiedene Sportarten zu betreiben.

Es erscheint auch glaubwürdig, dass der Beschwerdeführer, der schon vor rund 14 Jahren Afghanistan verlassen hat, dort keinerlei Kontakte, noch weniger ein familiäres Netz besitzt und lediglich mit seinen unmittelbaren Familienangehörigen in Pakistan in Kontakt steht.

Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass dem Vorbringen des Beschwerdeführers insoweit Glaubwürdigkeit zugebilligt wurde als dieses in den obigen personenbezogenen Feststellungen eingeflossen ist.

3. Rechtliche Beurteilung:

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I 33/2013 idF BGBl. I 122/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Eine derartige Regelung wird in den einschlägigen Normen (VwGVG, BFA-VG, AsylG) nicht getroffen.

Zu A)

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 AsylG 2005 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, idF des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974 (Genfer Flüchtlingskonvention - GFK), droht.

Als Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK ist anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffes ist nach ständiger Rechtsprechung des VwGH die "wohlbegründete Furcht vor Verfolgung" (vgl. VwGH 22.12.1999, Zl. 99/01/0334; 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131; 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011). Eine solche liegt dann vor, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0370; 21.09.2000, Zl. 2000/20/0286).

Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen (VwGH 24.11.1999, Zl. 99/01/0280). Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 19.12.1995, Zl. 94/20/0858; 23.09.1998, Zl. 98/01/0224; 09.03.1999, Zl. 98/01/0318;

09.03.1999, Zl. 98/01/0370; 06.10.1999, Zl. 99/01/0279 mwN;

19.10.2000, Zl. 98/20/0233; 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131;

25.01.2001, Zl. 2001/20/0011).

Die Verfolgungsgefahr muss aktuell sein, was bedeutet, dass sie zum Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen muss (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0318; 19.10.2000, Zl. 98/20/0233). Bereits gesetzte vergangene Verfolgungshandlungen können im Beweisverfahren ein wesentliches Indiz für eine bestehende Verfolgungsgefahr darstellen, wobei hierfür dem Wesen nach eine Prognose zu erstellen ist (VwGH 05.11.1992, Zl. 92/01/0792; 09.03.1999, Zl. 98/01/0318). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der GFK genannten Gründen haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 nennt, und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatstaates bzw. des Staates ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein, wobei Zurechenbarkeit nicht nur ein Verursachen bedeutet, sondern eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr bezeichnet (VwGH 16.06.1994, Zl. 94/19/0183).

Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Es ist erforderlich, dass der Schutz generell infolge Fehlens einer nicht funktionierenden Staatsgewalt nicht gewährleistet wird (vgl. VwGH 01.06.1994, Zl. 94/18/0263; 01.02.1995, Zl. 94/18/0731). Die mangelnde Schutzfähigkeit hat jedoch nicht zur Voraussetzung, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht - diesfalls wäre fraglich, ob von der Existenz eines Staates gesprochen werden kann -, die ihren Bürgern Schutz bietet. Es kommt vielmehr darauf an, ob in dem relevanten Bereich des Schutzes der Staatsangehörigen vor Übergriffen durch Dritte aus den in der GFK genannten Gründen eine ausreichende Machtausübung durch den Staat möglich ist. Mithin kann eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewendet werden kann (VwGH 22.03.2000, Zl. 99/01/0256).

Einleitend ist festzuhalten, dass Gegenstand des Verfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht lediglich die Frage der Asylgewährung ist, zumal dem Beschwerdeführer bereits (unangefochten) subsidiärer Schutz erteilt wurde.

Weiters ist festzuhalten, dass die Verfolgungsgefahr hinsichtlich des Herkunftsstaates zu prüfen ist, das ist primär jener Staat, dessen Staatsbürgerschaft der Beschwerdeführer besitzt, im vorliegenden Fall Afghanistan (VwGH vom 22.10.2002, 2001/01/0089, VwGH vom 02.03.2006, 2004/20/0240, VwGH vom 24.05.2011, 2011/23/0093).

Wie oben bereits ausgeführt hat der Beschwerdeführer, der Afghanistan bereits in frühem Kindesalter verlassen hat und seither nicht mehr in sein Herkunftsland zurückgekehrt ist, jegliche Verfolgung durch staatliche Organe oder Privatpersonen in Afghanistan verneint.

Er bringt als Asylgründe einerseits eine behauptete Gruppenverfolgung der Volksgruppe der Hazara und anderseits eine "westliche Orientierung" als Mann (ohne allerdings eine Nähe zum Christentum zu behaupten) vor:

Aus den obigen Länderfeststellungen ergeben sich keine Hinweise für eine Gruppenverfolgung von Hazara (und Schiiten), vielmehr hat sich deren Situation seit dem Ende der Talibanherrschaft nachhaltig und wesentlich verbessert.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem Erkenntnis am 13.10.2015 (Ra2015/19/0106) lediglich deswegen eine Gruppenverfolgung der Hazara nicht ausgeschlossen, weil das Bundesverwaltungsgericht zur Lage der Hazara keine Feststellungen getroffen hat, was hier nicht der Fall ist. In zahlreichen Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichtes (teilweise auch nach Einholung länderkundlicher Sachverständigengutachten) wurde eine Verfolgung ausschließlich aufgrund der Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara durchgehend verneint (z.B. erst jüngst BVwG vom 09.05.2016 W119 2012593-1/20E, BVwG vom 18.04.2016 W171 2015744-1, BVwG vom 13.11.2015 W124 2014289-1/8E und viele andere mehr).

Der Verwaltungsgerichtshof hat jedoch keineswegs in letzter Zeit eine Gruppenverfolgung der Hazara irgendwo in Afghanistan judiziert zum Unterschied zur Region XXXX (wo der BF wohl gelebt hat, die Situation in Pakistan ist für die asylrechtliche Beurteilung des Vorbringens des BF, der afghanischer Staatsangehöriger ist, jedoch irrelevant in Pakistan (VwGH vom 17.12.2015 Ra2015/20/0048). Es ist daher mit Sicherheit anzunehmen, dass der Verwaltungsgerichtshof, sollte er der Auffassung sein, dass eine Gruppenverfolgung - auch lokal - in Afghanistan aktuell festzustellen wäre, in der zahlreichen zu Afghanistan ergangenen Judikatur dies festgestellt hätte.

Es ist als wesentlicher Unterschied zwischen einer westlicher Orientierung afghanischer Männer und Frauen festzuhalten, dass Männer in Afghanistan auch ein selbstständiges und eigenständiges Leben mit Schulausbildung und außerhäuslicher Erwerbsarbeit etc., sowie freier Lebensgestaltung (im Rahmen der islamischen Religion) führen können und ist daher die zahlreich ergangene Judikatur des Bundesverwaltungsgerichtes (und früher auch des Asylgerichtshofes) zu westlich orientierten Frauen nicht auf Männer übertragbar.

Wenn der Beschwerdeführer vorbringt, dass er gerne in die Disco und ins Schwimmbad gehe, so ist dem entgegenzuhalten, dass der Verwaltungsgerichtshof erst jüngst auch bei Frauen ausgeführt hat, dass Rauchen und Trinken von Alkohol kein Zeichen für einen "selbstbestimmten westlichen Lebensstil" darstellt (VwGH vom 01.03.2016 Ra2015/18/0254-6)

Was das immer wieder zitierte Erkenntnis des Asylgerichtshofs vom 02.02.2009 C223517-0/2008/33E betrifft, so ist hier (nach mehr als 15 Jahren Aufenthalt in Österreich!) nicht nur ein "europäischer Lebensstil" vorgelegen, sondern auch ein "Abfall vom Islam", was beim Beschwerdeführer - seinen eigenen Aussagen zufolge - jedenfalls nicht der Fall ist.

Schließlich ist auch darauf hinzuweisen, dass der Verwaltungsgerichthof mehrfach in jüngster Zeit ausgesprochen hat, dass die allgemeine Situation in Afghanistan alleine nicht einmal mehr subsidiären Schutz zutragen vermag (vgl. die Urteile des EGMR jeweils vom 12. Jänner 2016, jeweils gegen Niederlande: S. D. M., Nr. 8161/07; A. G. R., Nr. 13 442/08; A. W. Q. und D. H., Nr. 25 077/06; S. S., Nr. 39 575/06; M. R. A. u.a., Nr. 46 856/07 sowie VwGH vom 18.03.2016 RA2015/01/0255).

Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass im vorliegenden Fall weder wegen der Volksgruppenzugehörigkeit des Beschwerdeführers (alleine) noch wegen des "westlichen Lebensstils" des männlichen Beschwerdeführers bei einer hypothetischen Rückkehr in den Herkunftsstaat Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Eingriffe von asylrelevanter Intensität aus GFK-relevanten Gründen zu erwarten wären.

Wegen des Verlassens Afghanistans schon im Kindesalter und der daraus resultierenden "Entwurzelung" sowie wegen des Fehlens jeglichen familiären Netzes in Afghanistan hatte bereits die belangte Behörde (rechtskräftig) dem Beschwerdeführer subsidiären Schutz gewährt.

Die Beschwerde zu Spruchteil I. des angefochtenen Bescheides war daher abzuweisen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung, weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfragen vor.

Wie unzweifelhaft der rechtlichen Beurteilung zu entnehmen ist, weicht die gegenständliche Entscheidung weder von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (noch von jener des Asylgerichtshofes) ab, noch fehlt es zu irgendeinem Sachverhaltsaspekt des gegenständlichen Falles an einer Rechtsprechung und kann auch nicht davon gesprochen werden, dass die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes in Bezug auf den gegenständlichen Fall uneinheitlich zu beurteilen wäre.

Vielmehr beruht die gegenständliche Entscheidung insbesondere auf der jüngsten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

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