BFG RV/7104082/2023

BFGRV/7104082/20238.4.2024

Exekutivdienst-Polizeigrundausbildung: Zurückweisung infolge res iudicata

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BFG:2024:RV.7104082.2023

 

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter R. in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch Mag. Wolfgang Andreas Kleinhappel, Rabensteig 8/3a, 1010 Wien, über die Beschwerde vom 23. Mai 2023 gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom 10. Mai 2023 betreffend Zurückweisung des Antrages auf Familienbeihilfe vom 14. Juni 2021 für ***[Tochter]*** für den Zeitraum März 2020 bis April 2021, Steuernummer ***BF1StNr1*** (SVNR ***Bf1SVNR***), zu Recht erkannt:

I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

Die im Mai 2000 geborene Tochter der Beschwerdeführerin (Bf.) absolvierte vom 01. September 2019 bis 31. August 2021 den Polizeigrundausbildungslehrgang (vgl. FON-Antrag vom 16.06.2022).

Das Finanzamt erließ einen Abweisungsbescheid vom 4. Februar 2020, mit dem der Antrag vom 16. September 2019 auf Zuerkennung der Familienbeihilfe für die Tochter der Bf. für den Zeitraum September 2019 bis August 2021 abgewiesen wurde.
Die gegen diesen Abweisungsbescheid am 25. Februar 2020 eingebrachte Bescheidbeschwerde vom 21. Februar 2020 wies das Finanzamt mit Beschwerdevorentscheidung vom 5. März 2020 als unbegründet ab.
Ein Vorlageantrag gegen diese Beschwerdevorentscheidung ist nicht aktenkundig.

Mit Schriftsatz vom 14. Juni 2021 beantragte der rechtsfreundliche Vertreter der Bf. die Auszahlung von Familienbeihilfe für die Tochter der Bf. für den Zeitraum März 2020 bis April 2021.

Mit Antrag vom 16. Juni 2022 beantragte die Bf. (mit FON Antrag) die Zuerkennung von Familienbeihilfe für ihre Tochter für den Zeitraum März 2020 - Apr. 2021.

Mit Bescheid des Finanzamtes vom 28. September 2022 wurde der Antrag der Bf. (vom 16. Juni 2022) auf Zuerkennung der Familienbeihilfe für ihre Tochter für den Zeitraum März 2020 - Apr. 2021 zurückgewiesen.
Die Zurückweisung wurde wie folgt begründet:
Ihr Antrag auf Gewährung der Familienbeihilfe für Ihre Tochter … wurde bereits für den Zeitraum 09/2019 - 08/2021 rechtskräftig abgewiesen.
Eine neuerliche Antragstellung für den Zeitraum 03/2020 - 04/2021 ist nicht mehr möglich.
Dieser Zeitraum ist im Zeitraum des Abweisungsbescheides enthalten.

Mit dem beschwerdegegenständlichen Bescheid des Finanzamtes vom 10. Mai 2023 wurde der Antrag der Bf. auf Zuerkennung der Familienbeihilfe für ihre Tochter vom 14. Juni 2021, eingebracht am 15. Juni 2021, für den Zeitraum März 2020 - Apr. 2021 zurückgewiesen.
Die Zurückweisung wurde wie folgt begründet:
Mit Bescheid vom 04.02.2020 wurde der Antrag auf Familienbeihilfe für Ihre Tochter … für den Zeitraum 09/2019 - 08/2021 rechtskräftig abgewiesen.
Da somit für den beantragten Zeitraum 03/2020 - 04/2021 bereits ein rechtskräftiger Bescheid vorliegt, ist ein neuerlicher Antrag für diesen Zeitraum wegen bereits entschiedener Sache nicht zulässig.
Der Antrag auf Familienbeihilfe vom 14.06.2021 war daher als unzulässig zurückzuweisen.

Gegen diesen Bescheid hat die steuerliche Vertretung der Bf. mit Eingabe vom 23. Mai 2023 die verfahrensgegenständliche Beschwerde erhoben:
Gegen den Zurückweisungsbescheid des Finanzamtes Österreich vom 10.05.2023 erhebt die Beschwerdeführerin innerhalb offener Frist BESCHWERDE an das Bundesfinanzgericht.
Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Antrag auf Familienbeihilfe vom 14.06.2021 für das Kind … (Nachname wie Bf.) VN …0500 für den Zeitraum März 2020 bis April 2021 (14 Monate) wegen entschiedener Rechtssache zurückgewiesen.
Bezug genommen wurde dabei auf den Bescheid des Finanzamtes … vom 04.02.2020 mit dem Familienbeihilfe für das Kind … (Nachname wie Bf.) für den Zeitraum ab 09/2019 abgewiesen wurde.
Eine Abweisung einer Zuerkennung von Familienbeihilfe auch für die Zeit nach dem Zeitpunkt der Erlassung des Bescheides (04. Februar 2020) ist aus Sicht der Beschwerdeführerin rechtlich nicht zulässig.
Für den antragsrelevanten Zeitraum von März 2020 bis April 2021 liegt demnach noch keine entschiedene Rechtssache vor.
Nach neuerer Judikatur des VwGH steht auch einem Polizeischüler für die Dauer seiner Ausbildung die Familienbeihilfe zu.
Es wird gestellt der ANTRAG das Bundesfinanzgericht möge der Beschwerde der Beschwerdeführerin auf Auszahlung von Familienbeihilfe für das Kind … (Nachname wie Bf.) VN … 0500 für den Zeitraum März 2020 bis April 2021 Folge geben.

Das Finanzamt erließ am 28. Juli 2023 eine abweisende Beschwerdevorentscheidung, dies mit folgender Begründung:
Mit Antrag vom 10.09.2019 beantragte die Beschwerdeführerin (Bf.) die Zuerkennung der Familienbeihilfe für ihre Tochter … (geb. … .05.2000) ab 09/2019.
Mit Bescheid vom 04.02.2020 wurde der Antrag auf Zuerkennung der Familienbeihilfe für den Zeitraum 09/2019 bis 08/2021 abgewiesen. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass Grundausbildungen oder sonstige Ausbildungsphasen, die öffentliche Bedienstete in der ersten Zeit ihres Dienstverhältnisses absolvieren, als Berufsausübung und nicht als Berufsausbildung im Sinne des FLAG 1967 anzusehen seien, weshalb kein Anspruch auf Familienbeihilfe bestehe.
Die gegen diesen Abweisungsbescheid eingebrachte Bescheidbeschwerde vom 21.02.2020 wurde mit Beschwerdevorentscheidung vom 05.03.2020 als unbegründet abgewiesen. Ein Vorlageantrag gegen diese Beschwerdevorentscheidung wurde nicht gestellt, weshalb die Entscheidung in Rechtskraft erwuchs.
Mit Antrag vom 14.06.2021 beantragte die Bf. unter Verweis auf die neuere Judikatur des VwGH zu Polizeischülern (Erkenntnis vom 04.11.2020, Ra 2020/16/0039) die Zuerkennung der Familienbeihilfe für ihre Tochter … für den Zeitraum 03/2020 bis 04/2021.
Mit Bescheid vom 10.05.2023 wurde der Antrag wegen bereits entschiedener Sache als unzulässig zurückgewiesen.
Dagegen brachte die Bf. fristgerecht Beschwerde ein und beantragte die Auszahlung der Familienbeihilfe für den Zeitraum 03/2020 bis 04/2021. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, eine Abweisung einer Zuerkennung von Familienbeihilfe auch für die Zeit nach dem Zeitpunkt der Erlassung des Bescheides (04. Februar 2020) sei rechtlich nicht zulässig.
Für den antragsrelevanten Zeitraum von März 2020 bis April 2021 liege demnach noch keine entschiedene Rechtssache vor.
Die Tochter der Bf. hat von 01.09.2019 bis 31.08.2021 den Grundausbildungslehrgang für den Exekutivdienst im Bildungszentrum der Sicherheitsakademie … absolviert.
Rechtlich folgt daraus:
Grundsätzlich darf über eine bereits entschiedene Sache nicht nochmals ein Bescheid ergehen. Ist ein Bescheid in Rechtskraft erwachsen, bedeutet dies grundsätzlich Unwiderrufbarkeit, Unwiederholbarkeit und Verbindlichkeit des Bescheides (vgl. Wanke in Lenneis/Wanke, FLAG 2.A. 2020 § 26 Rz 3). Wird für denselben Zeitraum, über den bereits ein Abweisungsbescheid ergangen ist, neuerlich Familienbeihilfe beantragt, liegt durch diesen Bescheid res iudicata vor und ist der neuerliche Antrag für diesen Zeitraum zurückzuweisen (vgl. Lenneis in Lenneis/Wanke, FLAG 2.A. 2020 § 13 Rz 25; VwGH 26.4.2018, Ra 2018/16/0003).
Eine geänderte rechtliche Beurteilung eines unveränderten Sachverhalts bei unveränderten Rechtsvorschriften ändert nichts am Vorliegen einer entschiedenen Sache. Eine andere fachliche Beurteilung unverändert gebliebener Tatsachen berührt die Identität der Sache nicht. In Bezug auf die Rechtslage kann nur eine Änderung der maßgeblichen Rechtsvorschriften selbst bei der Frage, ob Identität der Sache gegeben ist, von Bedeutung sein, nicht aber eine bloße Änderung in der interpretativen Beurteilung eines Rechtsbegriffs oder einer Rechtsvorschrift bei unverändertem Normenbestand (vgl. VwGH 26.3.2021, Ra 2020/06/0119; BFG vom 10.11.2021, RV/7102544/2021).
Gegenüber der Beschwerdevorentscheidung vom 05.03.2020 hat sich die Sachlage nicht geändert. Die Tochter der Bf. hat die Polizeigrundausbildung absolviert. Es hat sich seither auch nicht die maßgebende Rechtsvorschrift, nämlich § 2 Abs 1 lit b Satz 1 FLAG 1967, geändert.
Geändert oder aus Sicht des Verwaltungsgerichtshofs präzisiert wurde die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zu Polizeischülern mit Erkenntnis des VwGH vom 4.11.2020, Ra 2020/16/0039. Die Änderung der Rechtsprechung hinsichtlich der Auslegung einer Rechtsnorm führt jedoch nicht zu einer Änderung der Rechtslage und ist für das Vorliegen einer entschiedenen Sache somit ohne Bedeutung.
Ferner ist dem Beschwerdevorbringen, wonach der Abweisungsbescheid vom 04.02.2020 teilweise als rechtlich unzulässig erachtet werde, entgegenzuhalten, dass die Beurteilung der Rechtsrichtigkeit des in Rechtskraft erwachsenen Abweisungsbescheides vom 04.02.2020 nicht den Gegenstand des vorliegenden Verfahrens bildet. Eine etwaige Rechtswidrigkeit des Abweisungsbescheides wäre im dafür vorgesehenen Rechtsmittelweg zu bekämpfen gewesen. Die Rechtskraftwirkung besteht gerade darin, dass die entschiedene Sache nicht neuerlich untersucht und entschieden werden darf.
Da über den beantragten Zeitraum 03/2020 bis 04/2021 bereits mit Bescheid vom 04.02.2020 rechtskräftig abgesprochen wurde und keine Änderung der rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse eingetreten ist, war die Beschwerde gegen den Zurückweisungsbescheid als unbegründet abzuweisen.

Der Vorlageantrag vom 11. August 2023 "zur Beschwerdevorentscheidung des Finanzamtes Österreich vom 28.07.2023 (ON 8 … 200) mit der die Beschwerde vom 23.05.2023 als unbegründet abgewiesen wurde", wurde ohne Erstattung eines weiteren Vorbringens gestellt.

Die Beschwerdevorlage erfolgte mit nachstehendem Sachverhalt und Anträgen:
Sachverhalt:
Mit Antrag vom 10.09.2019 beantragte die Beschwerdeführerin (Bf.) die Zuerkennung der Familienbeihilfe für ihre Tochter … (geb. … .05.2000) ab 09/2019.
Die Tochter der Bf. hat von 01.09.2019 bis 31.08.2021 den Grundausbildungslehrgang für den Exekutivdienst im Bildungszentrum der Sicherheitsakademie ... absolviert.
Mit Bescheid vom 04.02.2020 wurde der Antrag auf Zuerkennung der Familienbeihilfe für den Zeitraum 09/2019 bis 08/2021 abgewiesen. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass Grundausbildungen oder sonstige Ausbildungsphasen, die öffentliche Bedienstete in der ersten Zeit ihres Dienstverhältnisses absolvieren, als Berufsausübung und nicht als Berufsausbildung im Sinne des FLAG 1967 anzusehen seien, weshalb kein Anspruch auf Familienbeihilfe bestehe.
Die gegen diesen Abweisungsbescheid eingebrachte Bescheidbeschwerde vom 21.02.2020 wurde mit Beschwerdevorentscheidung vom 05.03.2020 als unbegründet abgewiesen. Ein Vorlageantrag gegen diese Beschwerdevorentscheidung wurde nicht gestellt, weshalb die Entscheidung in Rechtskraft erwuchs.
Mit Antrag vom 14.06.2021 beantragte die Bf. unter Verweis auf die neuere Judikatur des VwGH zu Polizeischülern (Erkenntnis vom 04.11.2020, Ra 2020/16/0039) die Zuerkennung der Familienbeihilfe für ihre Tochter … für den Zeitraum 03/2020 bis 04/2021.
Mit Bescheid vom 10.05.2023 wurde der Antrag wegen bereits entschiedener Sache als unzulässig zurückgewiesen (Säumnisbeschwerdeverfahren).
Dagegen brachte die Bf. fristgerecht Beschwerde ein und beantragte abermals die Auszahlung der Familienbeihilfe für den Zeitraum 03/2020 bis 04/2021. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, eine Abweisung einer Zuerkennung von Familienbeihilfe auch für die Zeit nach dem Zeitpunkt der Erlassung des Bescheides (04. Februar 2020) sei rechtlich nicht zulässig. Für den antragsrelevanten Zeitraum von März 2020 bis April 2021 liege demnach noch keine entschiedene Rechtssache vor.
Mit Beschwerdevorentscheidung vom 28.07.2023 wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass über den beantragten Zeitraum 03/2020 bis 04/2021 bereits mit Bescheid vom 04.02.2020 rechtskräftig abgesprochen worden sei und keine Änderung der rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse vorliege. Eine etwaige Rechtswidrigkeit des Abweisungsbescheides wäre im dafür vorgesehenen Rechtsmittelweg zu bekämpfen gewesen.
Dagegen brachte die Bf. mit Eingabe vom 11.08.2023 einen Antrag auf Entscheidung über die Bescheidbeschwerde durch das Bundesfinanzgericht ein.
Beweismittel:
Auf die vorgelegten Aktenteile wird verwiesen.
Stellungnahme:
Da im Vorlageantrag kein neues Vorbringen erstattet wurde, wird auf die ausführliche Begründung in der Beschwerdevorentscheidung verwiesen.
Es wird daher beantragt die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt

Vorausgegangenes Verfahren:

Am 4. Februar 2020 hatte das Finanzamt Waldviertel folgenden Bescheid an die Bf. erlassen:
Abweisungsbescheid
Ihr Antrag vom 16.9.2019 auf Familienbeihilfe wird abgewiesen für:
Name des Kindes VNR/Geb.dat. Zeitraum von - bis
(Nachname wie Bf.) *[Vorname]* … 05 00 Sep. 2019 - Aug. 2021
Begründung
Der VwGH vertritt in seinem Erkenntnis vom 18.12.2018, Ra 2018/16/0203, die Auffassung, dass Grundausbildungen oder sonstige Ausbildungsphasen, die öffentliche Bedienstete in der ersten Zeit ihres Dienstverhältnisses absolvieren, als Berufsausübung und nicht als Berufsausbildung im Sinne des FLAG 1967 anzusehen sind,- weshalb ein Anspruch auf Familienbeihilfe nicht gegeben ist.
Demzufolge besteht ua. für Personen, die eine Grundausbildung für den Exekutivdienst-Polizeigrundausbildung absolvieren, kein Anspruch auf Familienbeihilfe.

Mit Eingabe vom 21. Februar 2020 war gegen diesen Bescheid von der Bf. Beschwerde erhoben worden.

Das Finanzamt hatte die abweisende Beschwerdevorentscheidung vom 05. März 2020 erlassen und auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 18.12.2018, Ra 2018/16/0203 (die Ausbildungsphase/Grundausbildung eines (Grenz-)Polizisten stelle keine Berufsausbildung iSd § 2 Abs 1 lit b FLAG 1967 dar) verwiesen.

In der Folge war ein Vorlageantrag nicht beim Finanzamt eingelangt (laut Beschwerdevorlage wurde ein Vorlageantrag gegen diese Beschwerdevorentscheidung nicht gestellt), weshalb die Entscheidung in Rechtskraft erwuchs.

beschwerdegegenständliches Verfahren:

(Erst) Am 14. Juni 2021 - somit über 1 Jahr nach dem Erlassen der oben angeführten Beschwerdevorentscheidung vom 05. März 2020 - beantragte die Bf. unter Verweis auf die neuere Judikatur des VwGH zu Polizeischülern (Erkenntnis vom 04.11.2020, Ra 2020/16/0039) die Zuerkennung der Familienbeihilfe für ihre Tochter … für den Zeitraum 03/2020 bis 04/2021 - mit der Anmerkung: "liegt noch keine Entscheidung des Finanzamtes … vor" und folgenden weiteren Angaben: Beihilfensystem FABIAN:
Art der Tätigkeit in sonstiger Ausbildung
Art der Ausbildung Grundausbildungslehrgang
Beginn 01.09.2019
(voraussichtliches) Ende 31.08.2021
Name der Einrichtung/ Grundausbildungslehrgang
Ausbildungsstätte Y-PGA32-19-D-N
Art des Ausbildungsabschlusses sonstige Abschlussprüfung
Art des Berufes nach Abschluss Polizei

Schreiben der steuerlichen Vertretung der Bf. vom 14. Juni 2021:
Mit Abweisungsbescheid vom 04.02.2020 des FA Waldviertel wurde Familienbeihilfe für die das Kind … (Nachname die Bf.) (VNR … 05 00) für den Zeitraum September 2019 bis Februar 2020 (ist der Zeitpunkt der Erlassung des Bescheides) abgewiesen.
Aufgrund neuerer Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (Ra 2020/16/0039 Erkenntnis vom 04.11.2020) steht auch einem Polizeischüler im Rahmen der Polizeigrundausbildung Familienbeihilfe im Ausmaß von 20 Monaten zu.
Für den Zeitraum März 2020 bis April 2021 (14 Monate) liegt noch keine Entscheidung des Finanzamtes Waldviertel über die Gewährung von Familienbeihilfe vor.
Es wird gestellt der ANTRAG auf Auszahlung von Familienbeihilfe für das Kind … (Nachname wie Bf.), VN … 0500 für den Zeitraum 03/20 bis 04/2021.

2. Beweiswürdigung

Das Bundesfinanzgericht gründet die getroffenen Feststellungen auf den Inhalt der vom Finanzamt Österreich vorgelegten Verwaltungsakten. Dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 4. November 2020, Ra 2020/16/0039-6, liegt die Grundausbildungsverordnung-Exekutivdienst BMI des Bundesministers für Inneres, BGBl. II vom 12. Juni 2017, zu Grunde. Der Sachverhalt ist unbestritten.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I. (Abweisung)

Ein Bescheid ist formell rechtskräftig, wenn er durch ordentliche Rechtsmittel (Beschwerde) nicht oder nicht mehr anfechtbar ist (vgl. VwGH 9.9.2013, 2010/17/0274, 0275). Unter Rechtskraft im materiellen Sinn ist die Unwiderrufbarkeit und die Unwiederholbarkeit des Bescheides zu verstehen (vgl. VwGH 17.4.2008, 2007/15/0278).

Grundsätzlich darf über eine bereits entschiedene Sache nicht nochmals ein Bescheid ergehen. Ist ein Bescheid in Rechtskraft erwachsen, bedeutet dies grundsätzlich Unwiderrufbarkeit, Unwiederholbarkeit und Verbindlichkeit des Bescheides (vgl. Wanke in Lenneis/Wanke, FLAG2 2020 § 26 Rz 3). Wird für denselben Zeitraum, über den bereits ein Abweisungsbescheid ergangen ist, neuerlich Familienbeihilfe beantragt, liegt durch diesen Bescheid res iudicata vor und ist der neuerliche Antrag für diesen Zeitraum zurückzuweisen (vgl. Lenneis in Lenneis/ Wanke, FLAG2 2020 § 13 Rz 25; VwGH 26.4.2018, Ra 2018/16/0003).

Liegt ein bereits rechtskräftig abgeschlossenes Verfahren vor, ist auf Grund des Wiederholungsverbots bzw. des Prozesshindernisses der entschiedenen Sache (res iudicata) eine neuerliche Entscheidung nicht zulässig (vgl. VwGH 9.12.2020, Ra 2016/08/0059; VwGH 5.3.2020, Ra 2019/15/0114; VwGH 28.4.2017, Ra 2017/03/0027; VwGH 24.5.2016, Ra 2016/03/0050 u.v.a.).

In seinem Erkenntnis VwGH 26.4.2018, Ra 2018/16/0003, hat der Verwaltungsgerichtshof ausgeführt:
Ein Bescheid über die Abweisung eines Antrages auf Gewährung der (erhöhten) Familienbeihilfe "ab" einem bestimmten Anspruchszeitraum, ohne im Spruch einen Endpunkt festzusetzen, gilt nach der ständigen Rechtsprechung jedenfalls für den Zeitraum bis einschließlich jenes Kalendermonats, in welchem der Bescheid erlassen wird, ungeachtet dessen, ob sich zwischen dem Anfangszeitpunkt und diesem Zeitpunkt die Sach- oder Rechtslage geändert hat. Ein solcher Bescheid gilt jedoch über diesen Zeitpunkt der Bescheiderlassung hinaus solange weiter, als sich die der Bescheiderlassung zugrundeliegende Sach- und Rechtslage nicht ändert (vgl. ausdrücklich VwGH 29.9.2011, 2011/16/0065, und VwGH 25.3.2010, 2009/16/0121). Wird somit nach Erlassung eines solchen Bescheides neuerlich ein Antrag auf Gewährung der (erhöhten) Familienbeihilfe gestellt, so hat das Finanzamt zu prüfen, ob oder zu welchem Zeitpunkt sich die Sach- und Rechtslage geändert hat. Für den Zeitraum vom Zeitpunkt, ab dem die Familienbeihilfe neuerlich beantragt wurde, bis zu einem späteren Zeitpunkt, in dem sich die Sach- und Rechtslage gegenüber dem ersten Bescheid nicht geändert hat (auch wenn dieser Zeitpunkt nach dem Zeitpunkt der Erlassung des ersten Bescheides liegt), liegt durch den ersten Bescheid res iudicata vor. Für diesen Zeitraum ist der neuerliche Antrag zurückzuweisen. Eine meritorische Entscheidung über den neuerlichen Antrag hat nur insoweit zu erfolgen, als sich die Sach- oder Rechtslage seit Erlassung des Bescheides über den seinerzeitigen Antrag geändert hat und dem neuerlichen Antrag auch nach Änderung der Sach- oder Rechtslage nicht vollinhaltlich entsprochen wird.

Im Erkenntnis vom 29.9.2011, 2011/16/0157, erwog der Verwaltungsgerichtshof:
Soweit mit dem angefochtenen Bescheid im Instanzenzug eine Berufung gegen einen erstinstanzlichen Bescheid über die Rückforderung von Familienbeihilfen und Kinderabsetzbeträgen wegen Verspätung zurückgewiesen wurde, konnte die Beschwerdeführerin im geltend gemachten Recht auf Familienbeihilfe nicht verletzt werden (vgl. etwa die hg. Beschlüsse vom 16. Dezember 2010, Zl. 2010/16/0225 und vom 4. August 2010, Zl. 2010/13/0079).
Ist damit von der rechtskräftigen Rückforderung der Familienbeihilfe für den Zeitraum August 2005 bis April 2008 für das minderjährige Kind der Beschwerdeführerin auszugehen, so erweist sich der (neuerliche) Antrag der Beschwerdeführerin vom 15. April 2010 auf Gewährung der Familienbeihilfe für dasselbe Kind und für denselben Zeitraum als unzulässig, weil diesem Antrag die entschiedene Sache (res iudicata) entgegenstand. Daraus ergibt sich, dass die belangte Behörde diesen Antrag vom 15. April 2010 im Instanzenzug zu Recht zurückgewiesen hat.

Wann eine entschiedene Sache vorliegt, hat der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 26.03.2021, Ra 2020/06/0119, unter Bezugnahme auf § 68 AVG, näher präzisiert:
"Identität der Sache als eine der Voraussetzungen für die Anwendbarkeit des § 68 Abs. 1 AVG ist dann gegeben, wenn sich der für die Entscheidung maßgebende Sachverhalt, der dem rechtskräftigen Vorbescheid zugrunde lag, nicht geändert hat. Im Übrigen ist bei der Überprüfung, ob sich der Sachverhalt maßgeblich verändert hat, vom rechtskräftigen Vorbescheid auszugehen, ohne dass dabei dessen sachliche Richtigkeit nochmals zu ergründen wäre, weil die Rechtskraftwirkung ja gerade darin besteht, dass die von der Behörde entschiedene Sache nicht neuerlich untersucht und entschieden werden darf. Eine andere fachliche Beurteilung unverändert gebliebener Tatsachen berührt die Identität der Sache nicht. In Bezug auf die Rechtslage kann nur eine Änderung der maßgeblichen Rechtsvorschriften selbst bei der Frage, ob Identität der Sache gegeben ist, von Bedeutung sein, nicht aber eine bloße Änderung in der interpretativen Beurteilung eines Rechtsbegriffs oder einer Rechtsvorschrift bei unverändertem Normenbestand."

Mit Bescheid des Finanzamtes Waldviertel vom 4. Februar 2020 war der Antrag der Bf. auf Zuerkennung der Familienbeihilfe für ihre Tochter für den Zeitraum Sep. 2019 - Aug. 2021 abgewiesen worden (begründend wurde ausgeführt, die Polizeigrundausbildung stelle eine Berufsausübung und keine Berufsausbildung im Sinne des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 (FLAG) dar).

Auf Grund der Beschwerdeerhebung hatte das Finanzamt die Beschwerdevorentscheidung vom 05. März 2020 erlassen (und auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 18.12.2018, Ra 2018/16/0203 [die Ausbildungsphase/Grundausbildung eines (Grenz-)Polizisten stelle keine Berufsausbildung iSd § 2 Abs 1 lit b FLAG 1967 dar] verwiesen).

Die Beschwerdevorentscheidung stellt eine endgültige Entscheidung dar. Eine Entscheidung ist dann als endgültig ("final") anzusehen, wenn sie die Wirkung einer res iudicata erlangt hat. Das ist der Fall, wenn sie unwiderruflich ist, dh wenn keine ordentlichen Rechtsmittel mehr vorhanden sind, alle Rechtsmittel ergriffen wurden oder Rechtsmittelfristen ergebnislos verstrichen sind (vgl. VfGH 23.2.2021, E 2917/2020).

Gegenüber der (abweisenden) Beschwerdevorentscheidung - wie auch dem Bescheid vom 4. Februar 2020 - hat sich die Sachlage nicht geändert. Die Tochter der Bf. hat, wie dem oben wiedergegebenen Antrag vom 14. Juni 2021 zu entnehmen ist, im in Rede stehenden Zeitraum die Polizeigrundausbildung absolviert. Es hat sich seit Erlassung der (abweisenden) Beschwerdevorentscheidung - wie auch des Bescheides vom 4. Februar 2020 - auch nicht die maßgebende Rechtsvorschrift, nämlich § 2 Abs. 1 lit. b Satz 1 FLAG 1967, geändert. Diese Norm ist unverändert geblieben.

Geändert oder aus Sicht des Verwaltungsgerichtshofs präzisiert wurde die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zu Polizeischülern mit Erkenntnis VwGH 4.11.2020, Ra 2020/16/0039. Demnach wird das Vorliegen einer Berufsausbildung und keiner Berufsausübung bei Polizeischülern grundsätzlich bejaht.

Eine geänderte rechtliche Beurteilung eines unveränderten Sachverhalts bei unveränderten Rechtsvorschriften ändert nichts am Vorliegen einer entschiedenen Sache. Eine andere fachliche Beurteilung unverändert gebliebener Tatsachen berührt die Identität der Sache nicht. In Bezug auf die Rechtslage kann nur eine Änderung der maßgeblichen Rechtsvorschriften selbst bei der Frage, ob Identität der Sache gegeben ist, von Bedeutung sein, nicht aber eine bloße Änderung in der interpretativen Beurteilung eines Rechtsbegriffs oder einer Rechtsvorschrift bei unverändertem Normenbestand (vgl. VwGH 26.3.2021, Ra 2020/06/0119).

Wie ausgeführt, erstreckt sich die Wirkung eines Bescheides über den Zeitraum bis einschließlich jenes Kalendermonats, in welchem der Bescheid erlassen wird, hinaus solange, als sich die der Bescheiderlassung zugrundeliegende Sach- und Rechtslage nicht ändert.

Der angefochtene Zurückweisungsbescheid erweist sich daher nicht als rechtswidrig, die gegen ihn gerichtete Beschwerde ist gemäß § 279 BAO als unbegründet abzuweisen.

Beschwerden in ähnlich/gleich gelagerten Exekutivdienst-Polizeigrundausbildungs-Fällen wurden vom Bundesfinanzgericht bereits abgewiesen (siehe BFG 10.11.2021, RV/7102544/2021; 19.10.2022, RV/4100398/2022; 15.2.2023, RV/7103210/2021).

3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision nicht zulässig, da es sich um keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung handelt. Das Bundesfinanzgericht folgt in seiner Entscheidung der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.

Wien, am 8. April 2024

Zusatzinformationen

Materie:

Steuer, FLAG

betroffene Normen:

§ 2 Abs. 1 lit. b FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967

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