OGH 15Os42/07a (RS0122090)

OGH15Os42/07a31.3.2022

Rechtssatz

Bei Delikten mit geringeren Strafobergrenzen ist angesichts des vom Gesetzgeber solcherart zum Ausdruck gebrachten geringeren sozialen Störwertes die Schwelle für die Bejahung des Vorliegens einer nicht als schwer anzusehenden Schuld im Sinn des § 90a Abs 2 Z 2 StPO niedriger anzusetzen als bei einem mit einer höheren Strafe bedrohten Vergehen oder Verbrechen. Hieraus folgt, dass die Fälle „schweren Verschuldens" im Sinn des § 88 Abs 2 StGB in aller Regel keine „schwere Schuld" begründen, vielmehr ist davon auszugehen, dass beim Vergehen der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 StGB eine diversionelle Erledigung aufgrund Erreichens des in Rede stehenden Schuldgrades überhaupt nur in besonderen Ausnahmefällen nicht in Betracht kommt. Dies wird dann anzunehmen sein, wenn ein außergewöhnlich gravierender Sorgfaltsverstoß vorliegt, der einen Schadenseintritt mehr als wahrscheinlich erscheinen lässt, wobei die Tat mit einem erheblichen sozialen Störwert einhergehen muss.

Normen

StGB §88 Abs2
StGB §88 Abs4 erster Fall
StPO §90a
StPO §198 Abs2 Z2 B

15 Os 42/07aOGH30.05.2007
15 Os 128/07yOGH22.11.2007
14 Os 32/08zOGH15.04.2008

Auch; Beisatz: Bei Prüfung der Frage, ob die Schuld als schwer einzustufen ist, ist zu berücksichtigen, dass das Diversionshindernis der „schweren Schuld" vom Strafbefreiungshindernis des „schweren Verschuldens" im Sinne des § 88 Abs 2 StGB strikt zu unterscheiden ist. Während das „schwere Verschulden" ganz spezifisch auf gravierende Verletzungen gerade des § 88 Abs 1 StGB zielt, ist die „schwere Schuld" auf den Gesamtbereich der für Diversion prinzipiell offenen Delikte zu beziehen. (T1)<br/>Beisatz: Hier: Erheblicher sozialer Störwert verneint. (T2)

15 Os 64/08pOGH21.08.2008

Beisatz: Für den Begriff „schwere Schuld", der strikt vom „schweren Verschulden" im Sinn des § 88 Abs 2 StGB zu unterscheiden ist, ist jener Schuldbegriff maßgebend, der nach §§ 32 ff StGB die Grundlage für die Strafbemessung bildet. (T3) <br/>Beisatz: Der Begriff „schwere Schuld" umfasst das vom Verdächtigen verwirklichte deliktstypische Handlungsunrecht, das verschuldete Erfolgsunrecht, die als Gesinnungsunwert bezeichnete täterspezifische Schuld und darüber hinausgehend alle für die Bestimmung der Strafe sonst noch bedeutsamen Umstände im Sinn des §§ 32 ff StGB, somit Faktoren vor, nach und neben der Tatbestandserfüllung. Die Bewertung dieser Kriterien erfolgt dabei durch eine Gesamtbetrachtung aller nach Lage des konkreten Falls maßgeblichen Kriterien. (T4)<br/>Beisatz: Hier: Der Täter schüttete dem Opfer zweimal den Inhalt seines Bierglases ins Gesicht, wobei das Glas zerbrach und dem Opfer Schnittverletzungen zugefügt wurden. Angesichts der vollkommen grundlosen Aggressionshandlung, die sich einer vorsätzlichen Tatbestandsverwirklichung annähert, der dabei vorhersehbaren Nähe eines Schadenseintritts, des nicht bloß geringfügigen verschuldeten Erfolgsunrechts und vor allem der sich in den gesamten Umständen der Tat konkretisierenden, gravierenden täterspezifischen Schuld erreichen Handlungs- und Gesinnungsunwert insgesamt eine Unwerthöhe, die als auffallend und ungewöhnlich zu beurteilen ist, und die auch nicht durch das Nachtatverhalten des Verurteilten gemindert werden kann. Die Schuld des Täters ist im konkreten Fall als schwer zu qualifizieren, sodass sich die vom Schuldspruch umfasste Tat - auch im Hinblick auf den nicht unerheblichen sozialen Störwert - nicht für eine diversionelle Erledigung eignet. (T5)

15 Os 162/08zOGH13.11.2008

Auch; Beis wie T1

11 Os 64/12iOGH28.06.2012

Ähnlich; Beisatz: Hier § 88 Abs 4 erster Fall StGB. (T6)

12 Os 100/12sOGH07.03.2013

Beisatz: Bei Delikten mit geringen Strafobergrenzen ist insbesondere zu berücksichtigen, dass angesichts des vom Gesetzgeber solcherart zum Ausdruck gebrachten geringeren sozialen Störwerts die Schwelle für die Bejahung des Vorliegens einer nicht als schwer anzusehenden Schuld iSd § 198 Abs 2 Z 2 StPO niedriger anzusetzen ist, als bei einem mit höherer Strafe bedrohten Vergehen oder Verbrechen. (T7)

15 Os 154/13fOGH19.02.2014

Auch; Beis wie T1; Beis wie T7; Beisatz: Da sich bei der - wie hier - bloß fahrlässigen Herbeiführung eines deliktischen Erfolgs (§ 88 Abs 4 erster Fall StGB) selbst bedeutsame Folgen nur minimal auf die Schuldschwere auswirken, führen auch die massiven Verletzungen des Opfers nicht eo ipso zur Annahme einer schweren Schuld. (T8)

12 Os 14/15yOGH05.03.2015

Auch; Beisatz: Dem Gesetz ist nicht zu entnehmen, dass einzelne Berufsgruppen hinsichtlich bestimmter Kriminalitätsbereiche generell aus dem Anwendungsbereich der Diversion ausgeschlossen sind. (T9)<br/>Beisatz: Hier: Vergehen der Urkundenfälschung nach § 223 Abs 2 StGB durch einen Versicherungskaufmann. (T10)

12 Os 44/15kOGH19.11.2015

Auch; Beisatz: Hier: § 83 Abs 1 StGB. (T11)

14 Os 3/18zOGH10.04.2018

Auch; Beis wie T4

12 Os 111/18tOGH24.01.2019

Beisatz: Vergleichsmaßstab bilden auch bei Straftaten von Jugendlichen vorerst alle einer Diversion im Bereich des über 21 Jahre alten Erwachsenen zugänglichen Straftaten. (T12)

14 Os 87/19dOGH07.10.2019

Vgl; Beis wie T7

12 Os 71/20pOGH15.10.2020

Vgl

12 Os 144/21zOGH31.03.2022

Vgl; Beis wie T7

Dokumentnummer

JJR_20070530_OGH0002_0150OS00042_07A0000_001