Spruch:
In der Strafsache AZ 11 U 497/06t des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien verletzt der Beschluss des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Beschwerdegericht vom 12. Februar 2007, AZ 132 Bl 13/07a (ON 17), § 90l Abs 3 StPO iVm § 90c Abs 4 (§ 90b) StPO.
Gemäß § 292 letzter Satz StPO wird dieser Beschluss aufgehoben und in der Sache selbst dahin erkannt, dass die Beschwerde der Staatsanwaltschaft zurückgewiesen wird.
Text
Gründe:
Im Verfahren AZ 11 U 497/06t des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien beantragte der Bezirksanwalt die Bestrafung der Katerina B***** wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 StGB, weil diese am 28. August 2006 in Wien als Radfahrerin die im Straßenverkehr gebotene Sorgfalt und Aufmerksamkeit außer Acht gelassen, deshalb die die Fahrbahn am Schutzweg überquerende Fußgängerin Maria W***** niedergestoßen und der Genannten dabei eine leichte Körperverletzung, nämlich eine Rissquetschwunde an der linken Augenbraue und auf der rechten Stirnseite, zugefügt habe (ON 3). In der hierüber am 20. November 2006 durchgeführten Hauptverhandlung ersuchte die geständige Beschuldigte um Durchführung einer Diversion und erklärte sich mit der Zahlung einer Geldbuße einverstanden. Die Hauptverhandlung wurde daraufhin „zur Durchführung einer Diversion" auf unbestimmte Zeit vertagt (S 79).
Am 24. November 2006 wurde der Bezirksanwalt schriftlich von der beabsichtigten Vorgangsweise nach § 90c Abs 4 StPO in Kenntnis gesetzt und zur Stellungnahme aufgefordert. Dieser trat einem diversionellen Vorgehen entgegen, weil (seiner Ansicht nach) von einem schweren Verschulden der Radfahrerin auszugehen sei (S 3 des Antrags- und Verfügungsbogens).
Mit Schreiben vom 27. Dezember 2006 (ON 11) teilte das Bezirksgericht Innere Stadt Wien der Beschuldigten gemäß § 90c Abs 4 StPO mit, dass die Fortführung des Strafverfahrens unterbleiben würde, wenn sie einen Geldbetrag in der Höhe von 500 Euro bezahle. Gleichzeitig wies sie Katerina B***** darauf hin, dass sich die Staatsanwaltschaft Wien mit einer solchen Vorgangsweise nicht einverstanden erklärt habe und bei erfolgreicher Beschwerde der Anklagebehörde gegen die endgültige Verfahrenseinstellung das Strafverfahren fortgesetzt werde. Gegen diese Mitteilung richtete sich eine Beschwerde der Staatsanwaltschaft Wien (ON 12 und 14) mit dem Ziel „den angefochtenen Beschluss" aufzuheben und dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens aufzutragen.
Das Landesgericht für Strafsachen Wien gab mit Beschluss vom 12. Februar 2007, AZ 132 Bl 13/07a (ON 17), dieser Beschwerde Folge, hob den angefochtenen Beschluss auf und trug dem Bezirksgericht Innere Stadt Wien auf, das gesetzliche Verfahren durchzuführen (gemeint: das Strafverfahren fortzusetzen).
Rechtliche Beurteilung
Der Beschluss des Landesgerichtes für Strafsachen Wien steht - wie der Generalprokurator in seiner zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt - mit dem Gesetz nicht im Einklang.
Wenn das Gericht aus eigenem - ohne entsprechenden Antrag des öffentlichen Anklägers - eine Verfahrenseinstellung nach Zahlung eines Geldbetrages (§ 90c Abs 4 StPO iVm § 90b StPO) anstrebt, so hat es zunächst die Staatsanwaltschaft zu hören (§ 90l Abs 2 zweiter Satz StPO) und das Angebot dem Verdächtigen erst danach zur Kenntnis zu bringen. Die Zustimmung des öffentlichen Anklägers zur Diversion ist nicht erforderlich; das Anbot kann auch gegen den erklärten Willen der Anklagebehörde erstellt werden. Dem Staatsanwalt steht gegen eine derartige Verfügung kein Rechtsmittel offen. Er kann sich nach § 90l Abs 3 StPO vielmehr erst gegen eine nach § 90c Abs 5 (§ 90b) StPO erfolgte Verfahrenseinstellung zur Wehr setzen (14 Os 24/05v, EvBl 2005/137, 639 = SSt 2005/28; Schroll, WK-StPO § 90c Rz 9). Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen die an die Beschuldigte Katerina B***** gerichtete Mitteilung nach § 90c Abs 4 StPO iVm § 90b StPO war daher unzulässig und hätte vom Landesgericht für Strafsachen Wien zurückgewiesen werden müssen.
Für den Fall einer neuerlichen Befassung des Beschwerdegerichtes nach (endgültiger) Verfahrenseinstellung wird dieses bei der Prüfung, ob die Schuld der Radfahrerin als schwer einzustufen ist, zu berücksichtigen haben, dass das Diversionshindernis der „schweren Schuld" iSd § 90a Abs 2 Z 2 StPO vom Strafbefreiungshindernis des „schweren Verschuldens" iSd § 88 Abs 2 StGB strikt zu unterscheiden ist. Während das „schwere Verschulden" ganz spezifisch auf schwere Verwirklichungen gerade des § 88 Abs 1 StGB zielt, ist die „schwere Schuld" auf den Gesamtbereich der für Diversion prinzipiell offenen Delikte zu beziehen (Burgstaller in WK² [2006] § 88 Rz 51; Schroll, Diversion bei Verkehrsunfällen, Der Sachverständige Heft 3/2003, 142 f). Bei Delikten mit geringeren Strafobergrenzen (hier: § 88 Abs 1 StGB mit einer solchen von drei Monaten) ist angesichts des vom Gesetzgeber solcherart zum Ausdruck gebrachten geringeren sozialen Störwertes daher die Schwelle für die Bejahung des Vorliegens einer nicht als schwer anzusehenden Schuld iSd § 90a Abs 2 Z 2 StPO niedriger anzusetzen als bei einem mit einer höheren Strafe bedrohten Vergehen oder Verbrechen. Hieraus folgt, dass die Fälle „schweren Verschuldens" iSd § 88 Abs 2 StGB in aller Regel keine „schwere Schuld" begründen, vielmehr ist davon auszugehen, dass beim Vergehen der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 StGB eine diversionelle Erledigung aufgrund Erreichens des in Rede stehenden Schuldgrades überhaupt nur in besonderen Ausnahmefällen nicht in Betracht kommt. Dies wird dann anzunehmen sein, wenn ein außergewöhnlich gravierender Sorgfaltsverstoß vorliegt, der einen Schadenseintritt mehr als wahrscheinlich erscheinen lässt, wobei die Tat mit einem erheblichen sozialen Störwert einhergehen muss (Schroll, Diversion bei Verkehrsunfällen, aaO; Burgstaller in WK² [2006] § 88 Rz 51).
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