Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.
Text
Gründe:
Matthias F***** wurde mit Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 29. September 2006, GZ 38 Hv 113/06m-14, - abweichend von dem auf versuchte absichtliche schwere Körperverletzung nach §§ 15 Abs 1, 87 Abs 1 StGB gerichteten Strafantrag (ON 9) - des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 StGB schuldig erkannt, weil er am 7. Dezember 2005 in Radstadt Waltraud L***** fahrlässig am Körper verletzte, indem er ihr den Inhalt eines Bierglases zweimal gegen das Gesicht schüttete, wobei das Bierglas beim zweiten Mal an ihrem Kinn zerbrach und sie dadurch zwei Schnittverletzungen im Kinnbereich rechts erlitt.
Rechtliche Beurteilung
Der dagegen erhobenen Berufung der Staatsanwaltschaft wegen Nichtigkeit und Schuld (ON 15), mit der die anklagekonforme Verurteilung des Angeklagten oder zumindest ein Schuldspruch nach § 83 Abs 1 StGB angestrebt wurde, gab das Oberlandesgericht Linz mit Urteil vom 12. April 2007, AZ 8 Bs 394/06g (ON 22), nicht Folge. In seiner gegen diese Urteile zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde führt die Generalprokuratur folgendes aus:
Auf Basis der vom Berufungsgericht seiner Entscheidung vom 12. April 2007 - nach Wiederholung des Beweisverfahrens - im Wesentlichen unverändert zugrunde gelegten (US 2 in ON 22) Feststellungen des Erstgerichts, wonach Matthias F***** Waltraud L***** die im Spruch bezeichneten Schnittverletzungen ohne Verletzungsvorsatz (US 3 f in ON 14 und US 2 in ON 22) zugefügt hat, wären sowohl das Landesgericht Salzburg als auch das Oberlandesgericht Linz (Letzteres gemäß §§ 489 Abs 1 zweiter Satz iVm 477 Abs 1 zweiter Satz [erste Alternative] StPO aF von Amts wegen) verpflichtet gewesen, die Voraussetzungen für eine diversionelle Maßnahme zu erörtern, zu prüfen und gegebenenfalls - als erstinstanzliches Gericht - nach dem IXa. Hauptstück der StPO aF vorzugehen bzw - als Berufungsgericht - dem Erstgericht ein entsprechendes Vorgehen aufzutragen.
Die Ergreifung diversioneller Maßnahmen nach dem IXa. Hauptstück der StPO aF (nunmehr 11. Hauptstück der StPO) setzt neben einem hinreichend geklärten Sachverhalt und dem Fehlen spezial- und generalpräventiver Notwendigkeit der Bestrafung (§ 90a Abs 1 StPO aF; nun § 198 Abs 1 StPO) unter anderem eine als nicht schwer anzusehende Schuld des Verdächtigen voraus (§ 90a Abs 2 Z 2 StPO aF). Die Bewertung der Schuld als „schwer" orientiert sich an jenem Schuldbegriff, der nach §§ 32 ff StGB die Grundlage für die Strafbemessung bildet, wobei stets nach Lage des konkreten Falls eine ganzheitliche Abwägung aller unrechts- und schuldrelevanten Tatumstände vorzunehmen ist (RIS-Justiz RS0116021; siehe nunmehr auch § 198 Abs 2 Z 2 StPO). Dabei ist der Begriff der „schweren Schuld", der sich auf sämtliche einer Diversion prinzipiell zugänglichen Delikte bezieht, vom „schweren Verschulden" iSd § 88 Abs 2 StGB strikt zu unterscheiden, weil Letzteres ganz spezifisch auf gravierende Verletzungen gerade des § 88 Abs 1 StGB abzielt (Burgstaller in WK2 § 88 Rz 51; 15 Os 128/07y mwN). Bei Delikten mit geringen Strafobergrenzen - somit in erster Linie bei Fahrlässigkeitsdelikten - ist nach der aktuellen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs überdies zu berücksichtigen, dass angesichts des vom Gesetzgeber solcherart zum Ausdruck gebrachten geringeren sozialen Störwerts die Schwelle für die Bejahung des Vorliegens einer nicht als schwer anzusehenden Schuld iSd § 90a Abs 2 Z 2 StPO aF (§ 198 Abs 2 Z 2 StPO) niedriger anzusetzen ist, als bei einem mit höherer Strafe bedrohten Vergehen oder Verbrechen. Beim Vergehen der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 StGB steht das Diversionshindernis der „schweren Schuld" einer diversionellen Maßnahme daher nur in besonderen Ausnahmefällen, nämlich nur dann entgegen, wenn ein außergewöhnlich gravierender Sorgfaltsverstoß vorliegt, der einen Schadenseintritt mehr als wahrscheinlich erscheinen lässt, und die Tat im Übrigen mit einem erheblichen sozialen Störwert einhergeht (RIS-Justiz RS0122090; ebenso Burgstaller aaO).
Gründe für die Annahme einer solcherart als schwer zu beurteilenden Schuld sind im Anlassfall nicht auszumachen. In Ansehung der uneingeschränkten Schuldeinsicht des Verurteilten und seines Nachtatverhaltens, das sich durch mehrfache Entschuldigungen gegenüber dem Opfer sowie durch Schadensgutmachung auszeichnet (AS 80 ff; US 5 in ON 14), stehen einer Diversionserledigung fallbezogen auch spezial- oder generalpräventive Gesichtspunkte nicht entgegen.
Der Oberste Gerichtshof hat erwogen:
Für den Begriff „schwere Schuld", der strikt vom „schweren Verschulden" iSd § 88 Abs 2 StGB zu unterscheiden ist (Burgstaller in WK2 § 88 [2006] Rz 51; RIS-Justiz RS0122090), ist jener Schuldbegriff maßgebend, der nach §§ 32 ff StGB die Grundlage für die Strafbemessung bildet.
Dieser umfasst das vom Verdächtigen verwirklichte deliktstypische Handlungsunrecht, das verschuldete Erfolgsunrecht, die als Gesinnungsunwert bezeichnete täterspezifische Schuld und darüber hinausgehend alle für die Bestimmung der Strafe sonst noch bedeutsamen Umstände iSd §§ 32 ff StGB, somit Faktoren vor, nach und neben der Tatbestandserfüllung. Die Bewertung dieser Kriterien erfolgt dabei durch eine Gesamtbetrachtung aller nach Lage des konkreten Falls maßgeblichen Kriterien (Schroll, WK-StPO § 90a Rz 14 ff).
Zutreffend weist die Generalprokuratur darauf hin, dass bei Delikten mit geringeren Strafobergrenzen angesichts des vom Gesetzgeber solcherart zum Ausdruck gebrachten geringeren sozialen Störwertes die Schwelle für die Bejahung des Vorliegens einer nicht als schwer anzusehenden Schuld iSd § 198 Abs 2 Z 2 StPO niedriger anzusetzen ist als bei einem mit einer höheren Strafe bedrohten Vergehen oder Verbrechen. Beim Vergehen der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 StGB kommt daher eine diversionelle Erledigung dann nicht in Betracht, wenn ein gravierender Sorgfaltsverstoß vorliegt, der einen Schadenseintritt mehr als wahrscheinlich erscheinen lässt, und die Tat im Übrigen mit einem erheblichen sozialen Störwert einhergeht (RIS-Justiz RS0122090; Burgstaller in WK2 § 88 [2006] Rz 51; Schroll, WK-StPO § 90a Rz 16).
Gerade solche Umstände liegen aber im konkreten Fall vor: Der alkoholisierte Täter schüttete Waltraud L*****, die ihn aufgrund der Beschwerden anderer Lokalgäste bloß gebeten hatte, sich leiser zu unterhalten, - nachdem er sie schon zuvor mit unflätigen Worten beschimpft hatte - zweimal den Inhalt seines Bierglases gegen das Gesicht (S 86 f). Durch das Zerbrechen des Glases am Kinn erlitt das Tatopfer multiple Schnittverletzungen im Gesicht (S 53). Bei der Monate später erfolgten gerichtsmedizinischen Untersuchung waren im Kinnbereich rechtsseitig zwei Narben mit einer Länge von 1 bzw 1,5 cm sichtbar, die vom Sachverständigen als noch an sich leichte Körperverletzung bewertet wurden (S 63 f).
Angesichts der vollkommen grundlosen Aggressionshandlung, die sich einer vorsätzlichen Tatbestandsverwirklichung annähert, der dabei vorhersehbaren Nähe eines Schadenseintritts, des nicht bloß geringfügigen verschuldeten Erfolgsunrechts und vor allem der sich in den gesamten Umständen der Tat konkretisierenden, gravierenden täterspezifischen Schuld (vgl hiezu Schroll, WK-StPO § 90a Rz 18 ff) erreichen Handlungs- und Gesinnungsunwert vorliegend insgesamt eine Unwerthöhe, die als auffallend und ungewöhnlich zu beurteilen ist, und die auch nicht durch das von der Generalprokuratur ins Treffen geführte Nachtatverhalten des Verurteilten gemindert werden kann. Bei einer übergreifenden Gesamtbewertung aller maßgeblichen Kriterien ergibt sich somit, dass die Schuld des Täters im konkreten Fall als schwer zu qualifizieren ist, sodass sich die vom Schuldspruch umfasste Tat - auch im Hinblick auf den nicht unerheblichen sozialen Störwert - nicht für eine diversionelle Erledigung eignet. Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.
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