OGH 14Os87/19d

OGH14Os87/19d7.10.2019

Der Oberste Gerichtshof hat am 7. Oktober 2019 durch die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als Vorsitzende, den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner‑Foregger, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Setz‑Hummel in Gegenwart des Schriftführers Bodinger in der Strafsache gegen Mag. Gerald S***** und andere Angeklagte wegen des Vergehens des schweren Betrugs nach § 12 zweiter Fall, §§ 146, 147 Abs 1 Z 1 und Abs 2 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Angeklagten Ingrid W***** gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Schöffengericht vom 17. Mai 2019, GZ 51 Hv 24/18s‑127, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0140OS00087.19D.1007.000

 

Spruch:

 

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im die Angeklagte Ingrid W***** betreffenden Umfang aufgehoben und die Strafsache an das Landesgericht Wiener Neustadt mit dem Auftrag verwiesen, nach den Bestimmungen des

11. Hauptstücks der StPO vorzugehen.

Mit ihrer Berufung wird die Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

 

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil, das auch einen in Rechtskraft erwachsenen

Freispruch des Angeklagten Mag. S***** enthält, wurde Ingrid W***** des Vergehens des schweren Betrugs nach §§ 12 zweiter Fall, 146, 147 Abs 1 Z 1 (fünfter Fall) und Abs 2 StGB schuldig erkannt.

Danach hat sie „von 1. Jänner 2014 bis 1. April 2015“ in W***** N***** mit dem Vorsatz, durch das Verhalten der Getäuschten Dritte unrechtmäßig zu bereichern, durch die Vorlage falscher – nämlich um die vom Land N***** geleisteten Annuitätenzuschüsse nicht verringerte – Darlehensaufstellungen an die Gemeinnützige Bau- und Wohnungsgenossenschaft W***** S*****, sohin unter Verwendung falscher Beweismittel, die vorsatzlos handelnden Mieter näher bezeichneter Mietobjekte dazu bestimmt, dass diese die jeweils Verfügungsberechtigten des Amts der Landesregierung N***** durch die mit der Vorlage der falschen – nämlich die geleisteten jährlichen Annuitätenzuschüsse nicht berücksichtigenden – Rückzahlungsbestätigungen einhergehenden Vorgabe, Kreditrückzahlungen auch im Umfang der Annuitätenzuschüsse geleistet zu haben, sohin durch Täuschung über Tatsachen unter Verwendung falscher Beweismittel, zu Handlungen, nämlich zur Auszahlung überhöhter Wohnbeihilfen, verleitet, die das Land N***** mit insgesamt zumindest 200.000 Euro, sohin in einem 5.000 Euro übersteigenden Betrag, am Vermögen schädigten.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die aus Z 10a des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten. Dieser kommt Berechtigung zu.

Die Diversionsrüge (Z 10a) kritisiert zutreffend, dass die Urteilskonstatierungen die Nichtanwendung der

Diversion nicht zu tragen vermögen (Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 659).

Ein Vorgehen nach dem 11. Hauptstück der StPO setzt neben einem hinreichend geklärten Sachverhalt und dem Fehlen spezial- und generalpräventiver Notwendigkeit der Bestrafung (§ 198 Abs 1 StPO) unter anderem eine als nicht schwer anzusehende Schuld des Beschuldigten voraus (§ 198 Abs 2 Z 2 StPO).

Bei Bewertung des Grades der Schuld als schwer ist von jenem Schuldbegriff auszugehen, der nach §§ 32 ff StGB die Grundlage für die Strafbemessung bildet, wobei stets nach Lage des konkreten Falles eine ganzheitliche Abwägung aller unrechts- und schuldrelevanten Tatumstände vorzunehmen ist. Demnach müssen Handlungs-, Erfolgs- und Gesinnungsunwert insgesamt eine Höhe erreichen, die im Weg einer überprüfenden Gesamtwertung als auffallend und ungewöhnlich zu beurteilen ist. Dabei kommt auch der vom Gesetzgeber in der Strafdrohung zum Ausdruck gebrachten Vorbewertung des deliktstypischen Unrechts- und Schuldgehalts eine Indizwirkung für die Schuldabwägung zu (RIS‑Justiz RS0122090 [T7], RS0116021 [T8, T12, T17]; Schroll, WK-StPO § 198 Rz 28 ff).

Bei einem Strafrahmen von bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe – wie ihn § 147 Abs 1 StGB vorsieht – ist in der Regel von einem im Vergleich zum Einzugsbereich diversionsfähiger Straftaten bloß durchschnittlichen Unrechtsgehalt derartiger Taten auszugehen, sodass im konkreten Fall schwere Schuld erst bei einem über dem Durchschnitt gelegenen Unrechtsgehalt anzunehmen ist (Schroll, WK‑StPO § 198 Rz 29; idS auch 14 Os 118/03).

Schuldsteigernd wirken vorliegend die zweifache Qualifikation des Betrugs sowie das Überschreiten der Wertgrenze des § 147 Abs 2 StGB um ein Vielfaches (vgl RIS‑Justiz RS0099961). Von einem zu Lasten der Angeklagten zu wertenden langen Tatzeitraum (vgl dazu Salimi in WK2 StGB § 67 Rz 12) kann – der Ansicht des Schöffengerichts zuwider – schon insoweit nicht die Rede sein, als ihr nach den Feststellungen nur eine einzige tatkausale (Bestimmungs‑)Handlung zur Last liegt (US 10 f). Da die unmittelbaren Täter vorsatzlos handelten (US 12), liegt auch der Erschwerungsgrund des § 33 Abs 1 Z 4 erster Fall StGB nicht vor (arg „strafbare Handlung“).

Demgegenüber stehen die schuldmindernden Umstände des zuvor ordentlichen Lebenswandels, der teilweisen Schadensgutmachung (in der Höhe eines Zehntels des Schadensbetrags) und die nicht von der Angeklagten oder ihrem Verteidiger zu vertretende unverhältnismäßig lange Verfahrensdauer. Überdies war zugunsten der Angeklagten zu berücksichtigen, dass sie die Tat nicht eigeninitiativ, sondern aufgrund der Vorgaben eines (ursprünglich mitangeklagten) Finanzstadtrats (als politisch Verantwortlichen der – zuvor mit der Hausverwaltung der vom Urteilsspruch erfassten Objekte und damit auch mit der Ausstellung der über Jahre hinweg die Annuitätenzuschüsse irrtümlich nicht ausweisenden Rückzahlungsbestätigungen betrauten – Magistratsabteilung) beging (US 9 f), und dass sie sich selbst durch die Tat nicht bereichert hat (US 18).

Bei Gesamtbetrachtung aller nach Lage des konkreten Einzelfalls maßgeblichen Kriterien (Schroll, WK‑StPO § 198 Rz 22; RIS‑Justiz RS0116021) werden vorliegend die schuldsteigernden durch die schuldmindernden Tatumstände aufgewogen, weshalb kein über dem Durchschnitt gelegener Unrechtsgehalt gegeben war und somit – wie die Beschwerde zutreffend aufzeigt – keine schwere Schuld iSd § 198 Abs 2 Z 2 StPO vorlag.

Obwohl ein Geständnis nicht generell Voraussetzung für die Durchführung einer Diversion ist, hängt die Möglichkeit einer solchen in spezialpräventiver Hinsicht auch von der Haltung des Angeklagten ab und setzt dessen Bereitschaft voraus, Verantwortung für das ihm zur Last gelegte Tatgeschehen zu übernehmen (vgl RIS‑Justiz RS0116299). Schon die Bereitschaft zur diversionellen Vorgangsweise indiziert in der Regel eine solche Verantwortungsübernahme (RIS‑Justiz RS0130304; Schroll, WK‑StPO § 198 Rz 36/2); ebenso legt die Bereitschaft zur Schadensgutmachung oder zum Tatfolgenausgleich eine entsprechende Einsicht des Angeklagten nahe. Keine Voraussetzung für ein Vorgehen nach dem 11. Hauptstück der StPO ist aber ein Schuldeinbekenntnis hinsichtlich aller das Unrecht der vorgeworfenen Tat betreffenden Begleitumstände (erneut RIS‑Justiz RS0130304). Es reicht vielmehr, dass der Angeklagte die ihm angelastete Tat dem Grunde nach als Fehlverhalten einbekennt.

Unter Berücksichtigung der oben angeführten Grundsätze weist die Beschwerde zutreffend darauf hin, dass die für ein diversionelles Vorgehen erforderliche Verantwortungsübernahme bei der Angeklagten vorlag, wenngleich sie sich zur subjektiven Tatseite formal nicht schuldig bekannte, ist sie doch neben der mehrfachen Bekundung ihrer Verantwortungsübernahme in der Hauptverhandlung (vgl insb ON 112 S 8 f [wo sie ausdrücklich ein Fehlverhalten eingestand]) auch den Bedingungen der Diversionsanbote des Schöffengerichts vom 6. Juli 2018 (ON 89 S 28 ff) und vom 18. Jänner 2019 (ON 112 S 11) in der Form der Zahlung einer Geldbuße samt Kosten von 6.250 Euro und der aufgetragenen (teilweisen) Schadensgutmachung von 20.000 Euro nachgekommen.

Schließlich stehen einem diversionellen Vorgehen – wie die Beschwerde zutreffend darlegt – im vorliegenden Fall auch keine generalpräventiven Erfordernisse entgegen. Denn § 198 Abs 1 StPO schließt eine Diversion nur dann aus, wenn generalpräventiven Bedürfnissen auch unter Berücksichtigung der Diversionsmaßnahme nicht ausreichend Rechnung getragen wird. Gerade aber die für die Angeklagte spürbare Reaktion – wie hier die Zahlung eines nicht bloß geringfügigen Geldbetrags und die teilweise Schadensgutmachung – vermittelt auch in Fällen wie diesem der Öffentlichkeit ein ausreichendes Signal der Rechtsbewährung (Schroll, WK‑StPO § 198 Rz 41).

Fallbezogen lagen ein diversionelles Vorgehen hindernde Umstände somit nicht vor, weshalb das angefochtene Urteil im bezeichneten Umfang (zur Beseitigung auch des Adhäsionserkenntnisses vgl RIS‑Justiz RS0101303; Ratz, WK‑StPO § 289 Rz 7) bereits bei nichtöffentlicher Beratung aufzuheben (§ 285e StPO) und die Angeklagte mit ihrer Berufung darauf zu verweisen war.

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