VwGH 2013/18/0072

VwGH2013/18/007225.4.2013

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger sowie die Hofräte Dr. Sulzbacher, Mag. Eder, Mag. Feiel und Mag. Straßegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des C, vertreten durch Dr. Siegfried Kommar, Rechtsanwalt in 1160 Wien, Roseggergasse 37/4, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 11. August 2009, Zl. UVS-FRG/56/2910/2009-15, betreffend Aufhebung eines unbefristeten Aufenthaltsverbots (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

32004L0038 Unionsbürger-RL;
EURallg;
FrPolG 2005 §56 Abs1;
FrPolG 2005 §56 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §56 Abs2 Z2;
FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z8;
FrPolG 2005 §60 Abs5;
FrPolG 2005 §61 Z2;
FrPolG 2005 §65 Abs1;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
FrPolG 2005 §87;
StGB §125;
StGB §223 Abs1;
StGB §71;
StGB §83 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
32004L0038 Unionsbürger-RL;
EURallg;
FrPolG 2005 §56 Abs1;
FrPolG 2005 §56 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §56 Abs2 Z2;
FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z8;
FrPolG 2005 §60 Abs5;
FrPolG 2005 §61 Z2;
FrPolG 2005 §65 Abs1;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
FrPolG 2005 §87;
StGB §125;
StGB §223 Abs1;
StGB §71;
StGB §83 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein 1953 geborener rumänischer Staatsangehöriger, war im Mai 1979 illegal in das Bundesgebiet eingereist, wo ihm anschließend bis zum 25. Jänner 1995 Asyl gewährt worden war. Mit rechtskräftigem Bescheid vom 26. April 1995 erließ die Bundespolizeidirektion Wien gegen den Beschwerdeführer im Hinblick auf strafgerichtliche Verurteilungen gemäß § 18 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 1 Fremdengesetz ein unbefristetes Aufenthaltsverbot.

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 11. August 2009 wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers vom 2. Februar 2009 auf Aufhebung dieses Aufenthaltsverbots gemäß § 65 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) ab.

In ihrer Begründung stellte die belangte Behörde darauf ab, dass der Beschwerdeführer erstmals am 17. Jänner 1981 wegen der Vergehen der Urkundenfälschung nach § 223 Abs. 1 StGB und der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt worden sei. In der Folge sei er bis 21. März 1995 in acht - im angefochtenen Bescheid näher dargestellten - Fällen wegen Vergehen - vornehmlich der Körperverletzung - zu Geldstrafen verurteilt worden. Nach Verhängung des Aufenthaltsverbots habe er von Jänner bis März 1996 und von Februar bis April 1997 in Österreich gearbeitet. Am 11. April 1997 sei der Beschwerdeführer in Vollziehung des Aufenthaltsverbots nach Rumänien abgeschoben worden. Er sei anschließend ab 31. Dezember 2003 wieder in Wien gemeldet gewesen, jedoch Anfang 2004 nach Rumänien zurückgekehrt. Im Februar 2007 habe er sich abermals in Wien aufgehalten, wo er drei Tage in einem Krankenhaus behandelt worden sei. Weiters sei der Beschwerdeführer zwischen 1. Februar und 19. März 2008 in Wien gemeldet gewesen. Am 28. April 2008 sei der Beschwerdeführer mit Urteil des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien wegen des Vergehens der Sachbeschädigung nach § 125 StGB zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen verurteilt worden, weil er am 8. Dezember 2007 in alkoholisiertem Zustand bei einem Streit um das Bezahlen einer Gasthausrechnung eine Glastür eingeschlagen habe.

Rechtlich führte die belangte Behörde aus, dass im Hinblick auf den Beitritt Rumäniens zur Europäischen Union für die Beurteilung nach § 65 Abs. 1 FPG nun eine Gefährlichkeitsprognose nach § 86 Abs. 1 FPG zu treffen sei. Die vom Beschwerdeführer seit 1979 begangenen Straftaten hätten sich größtenteils gegen dasselbe Rechtsgut - nämlich die körperliche Integrität anderer Personen - gerichtet, was für hohes Aggressionspotential und kriminelle Energie beim Beschwerdeführer spreche. Hinzu kämen zwei Verurteilungen wegen Sachbeschädigung. Besondere Umstände, die die Taten relativieren könnten, seien nicht erkennbar. Der Beschwerdeführer sei vielmehr im Dezember 2007 neuerlich straffällig geworden. Zwar seien die einzelnen Delikte für sich genommen nicht allzu gravierend; es sei jedoch die Gesamtsumme der Delikte maßgebend. Die Häufigkeit der Übergriffe zeuge nämlich von einer gleichgültigen Einstellung gegenüber der körperlichen Integrität anderer Personen und gegenüber fremdem Eigentum. Das in der Berufung hervorgehobene Wohlverhalten des Beschwerdeführers von 13 Jahren liege angesichts seiner neuerlichen Verurteilung vom 28. April 2008 nicht vor. Zudem sei der Beschwerdeführer seiner Ausreiseverpflichtung insofern nicht nachgekommen, als er zwar zwischendurch auch in Rumänien aufhältig gewesen sei. Wegen der diversen Meldungen, Anhaltungen und schließlich auch seiner strafrechtlichen Verurteilung sei jedoch zu schließen, dass der Beschwerdeführer nicht gewillt sei, sich der österreichischen Rechtsordnung gemäß zu verhalten und seiner seit 1995 bestehenden Ausreiseverpflichtung nachzukommen. Auf Grund des dargestellten Verhaltens und der rechtskräftigen Verurteilungen wegen zumeist einschlägiger Taten gegen die körperliche Integrität anderer Personen oder gegen fremdes Eigentum liege auch im Entscheidungszeitpunkt nicht bloß eine abstrakte Gefahr vor, sondern es bestehe nach wie vor eine tatsächliche und erhebliche sowie gegenwärtige Gefahr "für das Allgemeininteresse im Sinn des § 86 FPG". Insbesondere sei dem Beschwerdeführer entgegenzuhalten, dass er sich trotz rechtskräftigen Aufenthaltsverbots im Bundesgebiet aufgehalten habe und im Zuge des illegalen Aufenthalts straffällig geworden sei. Bei Gesamtbetrachtung dieses Verhaltens könne daher noch nicht von einer positiven Prognosebeurteilung für ein künftiges Wohlverhalten ausgegangen werden.

Anschließend begründete die belangte Behörde näher, weshalb die Erlassung des Aufenthaltsverbots trotz eines vorliegenden Eingriffs in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers im Sinn des § 66 FPG nicht rechtswidrig sei.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen:

Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Basis der Sach- und Rechtslage bei seiner Erlassung zu überprüfen hat. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG Bezug genommen, so handelt es sich dabei jeweils um die zu diesem Zeitpunkt (August 2009) geltende Fassung, nämlich BGBl. I Nr. 29/2009.

Gemäß § 65 Abs. 1 FPG ist ein Aufenthaltsverbot auf Antrag oder von Amts wegen aufzuheben, wenn die Gründe, die zu seiner Erlassung geführt haben, weggefallen sind. Bei Fremden, die - wie der Beschwerdeführer - seit der Erlassung des Aufenthaltsverbots die Stellung eines Unionsbürgers erlangt haben, ist überdies zu beachten, dass die Aufrechterhaltung des Aufenthalts- oder Rückkehrverbots nur im Grunde des § 86 Abs. 1 FPG zulässig ist. Bei dieser Beurteilung kommt es darauf an, ob eine Gefährlichkeitsprognose dergestalt (weiterhin) zu treffen ist, dass die Aufrechterhaltung des Aufenthaltsverbots oder des Rückkehrverbots erforderlich ist, weil auf Grund des persönlichen Verhaltens des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig (vgl. das Erkenntnis vom 22. November 2012, Zl. 2011/23/0453, mwN).

Der Verwaltungsgerichtshof hat auch bereits wiederholt festgehalten, dass das FPG ein System abgestufter Gefährdungsprognosen enthält, wobei § 86 Abs. 1 FPG gegenüber den - bei Aufenthaltsverboten im Wege des § 61 Z 2 FPG anzuwendenden - § 56 Abs. 1 FPG und mehr noch gegenüber § 60 Abs. 1 FPG ein höheres Maß an Gefährdung, die vom Fremden ausgehen muss, verlangt (vgl. dazu etwa das Erkenntnis vom 24. April 2012, Zl. 2011/23/0134, mwN).

Die belangte Behörde beschränkte sich bei ihrer Prüfung - insoweit zutreffend - zwar nicht allein auf die Tatsache der Bestrafung, sondern bejahte die nach § 86 Abs. 1 FPG anzustellende Gefährdungsprognose mit Blick auf das den Verurteilungen zu Grunde liegende (Fehl-)Verhalten des Beschwerdeführers. Dabei hätte die belangte Behörde aber zu beachten gehabt, dass die Verurteilungen, die (teilweise) wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhender strafbarer Handlungen erfolgten, zwar die vierte Alternative des § 60 Abs. 2 Z 1 FPG erfüllten. Die ausschließlich wegen Vergehen nach dem Strafgesetzbuch erfolgten Verurteilungen vermögen hingegen für sich keine schwere Gefahr im Sinn des § 56 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 1 FPG zu indizieren. Sie verwirklichten aber auch in ihrer Gesamtheit nicht den im § 56 Abs. 2 Z 2 FPG normierten Tatbestand, wurde der Beschwerdeführer doch in keinem Fall wegen einer auf derselben schädlichen Neigung (§ 71 StGB) wie eine andere von ihm begangene strafbare Handlung, deren Verurteilung noch nicht getilgt war, beruhender Vorsatztat zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten verurteilt.

Da somit schon ein Tatbestand, der ein Aufenthaltsverbot nach § 56 FPG rechtfertigen würde, nicht erfüllt war, kann aber nicht mehr gesagt werden, vom Beschwerdeführer gehe - aus strafrechtlicher Sicht - eine gegenwärtige Gefahr im Sinn des § 86 Abs. 1 FPG aus, ist dabei doch - wie ausgeführt - ein (nochmals) erhöhter Gefährdungsmaßstab anzulegen (vgl. hiezu das Erkenntnis vom 22. November 2012, Zl. 2012/23/0030).

Soweit die belangte Behörde für ihre Beurteilung, die Annahme des § 86 Abs. 1 FPG sei gerechtfertigt, aber auch das mehrfach gezeigte fremdenrechtliche Fehlverhalten des Beschwerdeführers betreffend seines unrechtmäßigen Aufenthalts ins Treffen führte, ist ihr zu erwidern, dass insoweit im Hinblick auf die Unionsbürgerschaft des Beschwerdeführers für sich genommen kein Grundinteresse der Gesellschaft berührt sein kann (vgl. dazu das Erkenntnis vom 19. April 2012, Zl. 2010/21/0110, mwN). Die im angefochtenen Bescheid weiters erwähnte unrechtmäßige Beschäftigung des Beschwerdeführers hätte nicht einmal den Aufenthaltsverbotstatbestand nach § 60 Abs. 2 Z 8 iVm Abs. 5 FPG erfüllt (siehe auch hiezu etwa das bereits erwähnte Erkenntnis vom 22. November 2012, Zl. 2011/23/0453) und sie liegt mehr als zehn Jahre zurück.

Da somit die dargestellten Umstände auch in ihrer Gesamtheit nicht ausreichen, um eine Gefahr im Sinn des § 86 Abs. 1 FPG zu begründen, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Für die nun zu beachtende, durch das am 1. Juli 2011 in Kraft getretene Fremdenrechtsänderungsgesetz 2011 - FrÄG 2011, BGBl. I Nr. 38, geänderte Rechtslage wird auf das Erkenntnis vom 2. Oktober 2012, Zl. 2012/21/0028, hingewiesen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 25. April 2013

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