Normen
BauO Tir 2011 §39 Abs1;
BauRallg;
BauO Tir 2011 §39 Abs1;
BauRallg;
Spruch:
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführerin hat dem Land Tirol Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Vorgeschichte des Beschwerdefalles ist dem hg. Erkenntnis vom 25. September 2007, Zl. 2006/06/0242, zu entnehmen. Daraus ist festzuhalten, dass die Beschwerdeführerin Eigentümerin einer Liegenschaft im Gebiet der mitbeteiligten Gemeinde ist, auf der sich ein Haus mit Zubau befindet.
Der Bürgermeister erteilte mit dem erstinstanzlichen Bescheid vom 31. März 2008 gemäß § 37 Abs. 1 der Tiroler Bauordnung 2001 (TBO 2001) den baubehördlichen Auftrag, den näher umschriebenen Zubau binnen acht Wochen ab Zustellung des Bescheides zur Gänze abzutragen, was damit begründet wurde, dass es für diesen Zubau keine Baubewilligung gebe und der Versuch der Beschwerdeführerin, eine Baubewilligung für diesen Zubau zu erwirken, erfolglos geblieben sei (Anmerkung: siehe zur Nichterteilung der Baubewilligung das eingangs genannte hg. Erkenntnis vom 25. September 2007).
Die Beschwerdeführerin erhob Berufung. Der Gemeindevorstand wies mit Bescheid vom 18. August 2008 die Berufung ab und bestätigte den erstinstanzlichen Bescheid vollinhaltlich. Dagegen erhob die Beschwerdeführerin Vorstellung.
Mit Bescheid der belangten Behörde vom 2. März 2009 wurde der Vorstellung Folge gegeben, der bekämpfte Berufungsbescheid behoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an die Berufungsbehörde verwiesen. Tragender Aufhebungsgrund war, dass das Ermittlungsverfahren in Bezug auf das Vorliegen eines "vermuteten Konsenses" ergänzungsbedürftig sei. Überdies werde allenfalls eine ausreichende Frist zur Beseitigung festzulegen sein.
Nach einer Verfahrensergänzung, zu der sich die Beschwerdeführerin äußerte, gab der Gemeindevorstand mit Bescheid vom 2. März 2011 der Berufung abermals keine Folge und bestätigte den Bescheid des Bürgermeisters vom 31. März 2008 vollinhaltlich. Zusammenfassend führte die Berufungsbehörde aus, anlässlich eines Lokalaugenscheines am 14. Oktober 2002 sei festgestellt worden, dass entgegen der Baubewilligung und den Plänen aus dem Jahr 1965 der gegenständliche Zubau errichtet worden sei, für den es keine Baubewilligung gebe. Die Überprüfung des Bauakten-Archives der Gemeinde habe ergeben, dass nicht nur seit 1965, sondern bereits ab 1947 Baubewilligungen in Form von Bescheiden erteilt worden seien. Die Beschwerdeführerin habe angegeben, dass der besagte Zubau im Jahr 1967 errichtet worden sei. Durch die Baubehörde der Gemeinde seien in diesem Jahr sieben Baubewilligungen erteilt worden, davon drei für je einen Wohnhausneubau, zwei Bewilligungen für Wochenendhütten, eine Bewilligung für ein Hotel und eine Bewilligung für eine Garage mit Lager und Betriebswohnung. Im Jahr 1966 seien ebenfalls sieben Baubewilligungen und 1965 14 Baubewilligungen erteilt worden; auch nach 1967 lägen alle Baubewilligungen vor, sodass ein vermuteter Baukonsens ohne Baubescheid nicht angenommen werden könne. Dies werde umso mehr dadurch bestätigt, dass bereits im Jahr 1965 vom Vorbesitzer des Gebäudes für Umbauten, Sanierungsmaßnahmen und einen Terrassenzubau im Zuge einer Instandsetzung eines Gebäudes für Wohnzwecke ein Bauansuchen gestellt worden sei. Es sei daher davon auszugehen, dass demnach auch für einen Zubau, der später erfolgt sei, ein Bauansuchen mit Baubewilligung notwendig gewesen wäre.
Dagegen erhob die Beschwerdeführerin Vorstellung.
Mit Bescheid der belangten Behörde vom 12. September 2011 (zweiter Vorstellungsbescheid) wurde der Vorstellung Folge gegeben, der angefochtene Berufungsbescheid behoben und die Angelegenheit nochmals zur neuerlichen Entscheidung an die Berufungsbehörde verwiesen. Zusammenfassend führte die belangte Behörde aus, das Ermittlungsergebnis, das die Berufungsbehörde ihrer nunmehrigen Entscheidung zugrunde gelegt habe, sei schlüssig und nachvollziehbar; der Berufungsbehörde könne nicht entgegengetreten werden, wenn sie davon ausgehe, dass ein "vermuteter Baukonsens" für den fraglichen Zubau nicht bestehe. Allerdings habe sie mit der Abweisung der Berufung den Spruch des erstinstanzlichen Bescheides - demnach auch die darin festgesetzte, längst abgelaufene Leistungsfrist - unverändert übernommen. Der Berufungsbescheid sei deshalb rechtswidrig, sodass er zu beheben und die Angelegenheit an die Berufungsbehörde zurückzuverweisen gewesen sei.
Mit Berufungsbescheid des Gemeinderates vom 12. Jänner 2012 wurde die Berufung abermals als unbegründet abgewiesen, für die Beseitigung des Zubaues aber eine Frist bis zum 31. Juli 2012 eingeräumt. Nach Darstellung des Verfahrensganges heißt es zur Begründung, die grundlegende Voraussetzung für die Erteilung eines Beseitigungsauftrages, nämlich ein fehlender Konsens, sei nachgewiesen. "Auch im - bindenden - Bescheid" der belangten Behörde vom 12. September 2011 werde festgestellt, dass die Erhebungen zur Frage des vermuteten Konsens ausreichend gewesen seien und ein Konsens nicht zu vermuten sei. Einer derartigen Vermutung stehe vor allem das Vorliegen von schriftlichen Bescheiden aus dem relevanten Zeitraum entgegen. Die Aufhebung durch die belangte Behörde mit Bescheid vom 12. September 2011 sei nur erfolgt, weil durch die Formulierung des Spruches des Berufungsbescheides die Leistungsfrist des erstinstanzlichen Bescheides übernommen worden sei. Dieser Mangel werde nunmehr behoben.
Die Beschwerdeführerin erhob mit Schriftsatz vom 26. Jänner 2012 abermals Vorstellung, in der sie ihren Standpunkt, es handle sich um einen rechtmäßig bestehenden Zubau, was sich auch bei einem mängelfreien Ermittlungsverfahren ergeben hätte, bekräftigte.
Mit dem nun angefochtenen Bescheid wurde die Vorstellung vom 26. Jänner 2012 als unbegründet abgewiesen. Soweit für das Beschwerdeverfahren erheblich, führte die belangte Behörde aus, die Gemeinde sei (im Fall einer aufhebenden Vorstellungsentscheidung) an den Spruch und an die den Spruch tragende Rechtsanschauung in der Begründung gebunden. Die tragenden Aufhebungsgründe eines aufhebenden rechtskräftigen Vorstellungsbescheides seien für das fortgesetzte Verfahren vor der Gemeindebehörde, vor der Aufsichtsbehörde im Falle einer neuerlichen Vorstellung und vor den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts bindend. Die Bindungswirkung bestehe auch dann, wenn die Rechtsansicht der Vorstellungsbehörde objektiv rechtswidrig sei oder auf einem unrichtigen Sachverhalt beruhe. Die Gemeinde bzw. die betroffene Partei könnten sich nur durch die Anfechtung des Vorstellungsbescheides von der Bindungswirkung befreien.
Wenn die Beschwerdeführerin nun die Ansicht vertrete, es sei ihr verwehrt gewesen, gegen den zweiten Vorstellungsbescheid vom 12. September 2011 ein Rechtsmittel einzubringen, so sei sie damit nicht im Recht. Es wäre ihr durchaus frei gestanden, auch bei einem aufhebenden Bescheid eine Beschwerde hinsichtlich der Unrichtigkeit/Unvollständigkeit des tragenden Aufhebungsgrundes einzubringen. Dies umso mehr, weil im Vorstellungsbescheid vom 12. September 2011 "ausdrücklich ausgesprochen worden ist, dass das Ermittlungsergebnis, das der Gemeindevorstand der Gemeinde G(…) seiner Entscheidung zugrunde gelegt habe, schlüssig und nachvollziehbar" sei, sodass der Behörde nicht entgegengetreten werden könne, wenn sie davon ausgegangen sei, dass ein "vermuteter Baukonsens" für den Zubau im Nordwesten des Gebäudes nicht bestehe. Der Vorstellungsbescheid vom 12. September 2011 sei in Rechtskraft erwachsen. Sache des gegenständlichen Verfahrens sei daher lediglich die Frage, ob die Berufungsbehörde "der Aufforderung der Fristerstreckung" im Vorstellungsbescheid vom 12. September 2011 entsprochen habe. Da die Berufungsbehörde dem tragenden Aufhebungsgrund (Neufestsetzung der Frist) vollinhaltlich entsprochen habe, sei spruchgemäß zu entscheiden gewesen.
Dagegen erhob die Beschwerdeführerin zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der mit Beschluss vom 10. Oktober 2012, B 1136/12-3, die Behandlung der Beschwerde ablehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.
In der über Aufforderung des Verwaltungsgerichtshofes verbesserten (ergänzten) Beschwerde wird inhaltliche Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte in einer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 62 Abs. 2 Tiroler Bauordnung 2011 - TBO 2011, LGBl. Nr. 57/2011, sind alle zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes nach den bisherigen Tiroler Bauordnungen anhängigen Verfahren - mit Ausnahme von anhängigen Baubewilligungsverfahren und Verfahren aufgrund von Bauanzeigen (§ 62 Abs. 1 TBO 2011) - nach den Bestimmungen dieses Gesetzes weiterzuführen, sofern sie darin eine gesetzliche Grundlage finden. § 39 Abs. 1 TBO 2011 lautet:
"§ 39
Herstellung des gesetzmäßigen Zustandes
(1) Wurde eine bewilligungspflichtige oder anzeigepflichtige bauliche Anlage ohne die erforderliche Baubewilligung bzw. Bauanzeige errichtet, so hat die Behörde dem Eigentümer der baulichen Anlage deren Beseitigung und erforderlichenfalls die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes des Bauplatzes aufzutragen. Wurde eine solche bauliche Anlage ohne die erforderliche Baubewilligung bzw. Bauanzeige geändert, so hat die Behörde dem Eigentümer der baulichen Anlage die Herstellung des der Baubewilligung bzw. Bauanzeige entsprechenden Zustandes aufzutragen. Dies gilt auch, wenn ein Bauvorhaben abweichend von der Baubewilligung bzw. Bauanzeige ausgeführt wurde und diese Abweichung eine Änderung der baulichen Anlage darstellt, zu deren selbstständigen Vornahme eine Baubewilligung oder eine Bauanzeige erforderlich wäre. Ist die Herstellung des der Baubewilligung bzw. Bauanzeige entsprechenden Zustandes technisch nicht möglich oder wirtschaftlich nicht vertretbar, so hat die Behörde dem Eigentümer der baulichen Anlage stattdessen deren Beseitigung und erforderlichenfalls die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes des Bauplatzes aufzutragen.
(2) …"
Die belangte Behörde erkannte zutreffend, dass dem tragenden Aufhebungsgrund einer kassatorischen Vorstellungsentscheidung Bindungswirkung für das fortgesetzte Verfahren zukommt. Weiteren Ausführungen, wonach Argumente des Vorstellungswerbers unzutreffend seien, kommt hingegen keine Bindungswirkung zu, weil es sich dabei begrifflich nicht um tragende Aufhebungsgründe handelt (siehe etwa beispielsweise aus jüngerer Zeit die hg. Erkenntnisse vom 18. Oktober 2012, Zl. 2012/06/0119, vom 20. September 2012, Zl. 2012/06/0101, vom 28. Februar 2012, Zl. 2009/05/0346, oder auch vom 31. Jänner 2012, Zl. 2009/05/0296, mwN).
Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist ein Auftrag zur Herstellung des gesetzmäßigen Zustandes. Ein solcher Auftrag setzt gemäß § 39 Abs. 1 TBO 2011voraus, dass die bauliche Anlage, die beseitigt werden soll, einerseits bewilligungspflichtig ist, andererseits weder eine solche Bewilligung noch ein "vermuteter Konsens" vorliegen.
Tragender Aufhebungsgrund des Vorstellungsbescheides vom 12. September 2011 war ausschließlich die Erstreckung der Leistungsfrist. Ein solcher Auftrag setzt jedoch zwingend voraus, dass die Voraussetzungen zur Erteilung eines Beseitigungsauftrages - nämlich eine bewilligungspflichtige bauliche Anlage, für die auch kein "vermuteter Konsens" vorliegt - gegeben sind. Dazu führte die belangte Behörde im aufhebenden Vorstellungsbescheid ausdrücklich aus, das Ermittlungsergebnis der Berufungsbehörde, wonach kein "vermuteter Konsens" für den verfahrensgegenständlichen Zubau vorliege, sei schlüssig und nachvollziehbar.
Im Beschwerdefall erstreckt sich die Bindungswirkung des aufhebenden Vorstellungsbescheides vom 12. September 2011 daher auch auf die zuvor umschriebenen zwingenden Voraussetzungen für die Erstreckung der Leistungsfrist, nämlich die Konsenslosigkeit der bewilligungspflichtigen baulichen Anlage (vgl. zur "zwingenden logischen Voraussetzung" das hg. Erkenntnis vom 26. Juni 2008, Zl. 2008/06/0052, mwN). Eine wesentliche Änderung der Sachlage im fortgesetzten Verfahren wurde in der Beschwerde verneint; eine solche der Rechtslage, auf Grund derer diese Bindungswirkung nicht griffe, ergab sich nicht.
Die Beschwerde rügt im Wesentlichen, die Berufungsbehörde sei in ihrem Bescheid vom 2. März 2011 dem Auftrag der belangten Behörde mit Bescheid vom 2. März 2009 nicht nachgekommen, habe kein ausreichendes Ermittlungsverfahren durchgeführt und die Frage des "vermuteten Konsenses" für den verfahrensgegenständlichen Zubau nicht beantwortet. Darüber hinaus hätte der Zubau nach der Tiroler LandesBauO 1901 keiner Genehmigung bedurft.
Damit bringt die Beschwerde jedoch ausschließlich Argumente zu einer Frage vor, die - wie oben dargestellt - bereits bindend entschieden wurde. Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Die Beschwerdeführerin hat die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt. Es kann dahingestellt bleiben, ob der im Beschwerdefall in Rede stehende Anspruch als "civil right" im Sinne der EMRK zu beurteilen ist, weil im vorliegenden Fall die Durchführung einer mündlichen Verhandlung aus folgenden Gründen jedenfalls nicht erforderlich ist: Gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG kann der Verwaltungsgerichtshof ungeachtet eines Parteienantrages von einer Verhandlung absehen, wenn die Schriftsätze der Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens und die dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegten Akten des Verwaltungsverfahrens erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt und wenn Art. 6 Abs. 1 EMRK dem nicht entgegensteht.
Der EGMR hat in seinen Entscheidungen vom 10. Mai 2007, Nr. 7401/04 (Hofbauer/Österreich Nr. 2), und vom 3. Mai 2007, Nr. 17.912/05 (Bösch/Österreich), unter Hinweis auf seine frühere Rechtsprechung dargelegt, dass der Beschwerdeführer grundsätzlich ein Recht auf eine mündliche Verhandlung vor einem Tribunal hat, außer es lägen außergewöhnliche Umstände vor, die eine Ausnahme davon rechtfertigen. Der EuGH hat das Vorliegen solcher außergewöhnlichen Umstände angenommen, wenn das Verfahren ausschließlich rechtliche oder "hoch-technische" Fragen ("exclusively legal or highly technical questions") betrifft. Der Gerichtshof verwies im Zusammenhang mit Verfahren betreffend ziemlich technische Angelegenheiten ("rather technical nature of disputes") auch auf das Bedürfnis der nationalen Behörden nach zweckmäßiger und wirtschaftlicher Vorgangsweise, das angesichts der sonstigen Umstände des Falles zum Absehen von einer mündlichen Verhandlung berechtigte (vgl. das hg. Erkenntnis vom 24. August 2011, Zl. 2011/06/0090).
Diese Voraussetzungen liegen auch im Beschwerdefall vor: Es geht in diesem verwaltungsgerichtlichen Verfahren ausschließlich um Rechtsfragen, zu deren Lösung im Sinne der Judikatur des EGMR eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist. Art. 6 EMRK steht somit dem Absehen von einer mündlichen Verhandlung nicht entgegen. Die Entscheidung konnte daher im Sinne des § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.
Wien, am 7. November 2013
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