VwGH 2006/06/0242

VwGH2006/06/024225.9.2007

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl und die Hofräte Dr. Bernegger, Dr. Waldstätten, Dr. Rosenmayr und Dr. Bayjones als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Fritz, über die Beschwerde der E K in W, vertreten durch Dr. Guido Kollmann, Rechtsanwalt in Wien 1, Elisabethstraße 24, gegen den Bescheid der Tiroler Landesregierung vom 7. August 2006, Zl. Ve1-8-1/341-1, betreffend die Abweisung eines Baugesuches (mitbeteiligte Partei: Gemeinde G, vertreten durch den Bürgermeister), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §56;
AVG §68 Abs1;
BauO Tir 2001 §26;
BauO Tir 2001 §6 Abs1;
BauRallg;
VwRallg;
AVG §56;
AVG §68 Abs1;
BauO Tir 2001 §26;
BauO Tir 2001 §6 Abs1;
BauRallg;
VwRallg;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Land Tirol Aufwendungen in der Höhe von insgesamt EUR 381,90 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin ist Eigentümerin einer Liegenschaft im Gebiet der mitbeteiligten Gemeinde, bestehend aus den aneinandergrenzenden Grundstücken Nr. .64 und Nr. 163/2. Auf dem Grundstück Nr. .64 befindet sich ein Haus.

Gemäß dem Lageplan ist das auf dem Grundstück Nr. .64 befindliche Gebäude kleiner als dieses Grundstück und hält zu den Grundgrenzen, insbesondere auch zu der nördlichen Grundgrenze, unterschiedliche Abstände ein. Das Grundstück Nr. 163/2 grenzt südwestlich an das Grundstück Nr. .64, die zusammen eine trapezförmige, nicht ganz quadratische Gestalt haben. Das Grundstück Nr. 163/1 umschließt beide Grundstücke. In den Akten des Verwaltungsverfahrens befinden sich auch Urkunden dahin, dass von der Rechtsvorgängerin der Beschwerdeführerin im Eigentum an ihrer Liegenschaft im Jahr 1967 ein Grundstreifen an der Westseite und im Jahr 1971 ein solcher an der Ostseite zur Vergrößerung der Liegenschaft erworben wurden; im Beschwerdefall geht es aber um die nördliche Grenze zum Grundstück Nr. 163/1. Einem von der Beschwerdeführerin vorgelegten "Kauf- und Pachtvertrag" vom 29. September 1948 ist zu entnehmen, dass das fragliche Haus "während des Krieges" auf dem damals noch ungeteilten Grundstück Nr. 163 errichtet wurde und auf Grund eines Vermessungsplanes vom 31. Juli 1948 das Grundstück Nr. 163 in die Grundstücke Nr. 163/1, Nr. 163/2 und Nr. .64 geteilt wurde.

Mit Baugesuch vom 24. Juni 1965 war B. F. (Rechtsvorgänger der Beschwerdeführerin im Eigentum am Grundstück Nr. .64) beim Bürgermeister der mitbeteiligten Gemeinde um die Erteilung der baubehördlichen Bewilligung für verschiedene "Umbauarbeiten" an diesem Gebäude eingekommen. Mit Bescheid des Bürgermeisters der mitbeteiligten Gemeinde vom 28. Juli 1965 wurde das Gesuch mit verschiedenen Vorschreibungen bewilligt. In dem in diesem Bescheid enthaltenen Befund heißt es, der Bauwerber beabsichtige, das fragliche Wohnhaus "wohnlich herzurichten" und verschiedene Umbauten durchzuführen. Das Ausmaß des Baues bleibe unverändert, es komme lediglich an der Südseite eine Terrasse hinzu. Die baufälligen Fenster würden vergrößert und neue Stöcke laut Plan versetzt. Das Schindeldach werde abgetragen und durch ein dunkelgraues Welleternitdach ersetzt. Die Außenwände würden an den Innenseiten wärmeisoliert und zum Teil verputzt bzw. vertäfelt. Eine Zwischenwand werde zwecks Gewinnung eines Wohnraumes herausgenommen. Die Wasserversorgung erfolge aus einer Privatleitung. Lichtanschluss an das Stromnetz der T sei möglich. Die Abwässer würden über eine Kläranlage in eine Sickergruppe geleitet. Der Zugang erfolge über einen Privatweg.

Der Bausachverständige der Gemeinde hielt in einem Aktenvermerk vom 19. November 2001 fest, der Eigentümer des Grundstückes Nr. 163/1, J. P., habe dem Bürgermeister einen Auszug aus der Katastralmappe vorgelegt, auf welchem das auf dem Grundstück Nr. .64 stehende Wohnhaus zum Teil auf seinem Grundstück eingezeichnet sei, und habe um Abklärung gebeten. Der Bausachverständige hielt unter anderem fest, zwischen den Lageplänen aus dem Bauakt (des Jahres 1965) und dem nun von J. P. vorgelegten Plan zeige sich ein deutlicher Unterschied bei der Situierung des Gebäudes, und zusätzlich zeige sich, dass das Gebäude westseitig durch einen Anbau verlängert worden sei. Es müsse überprüft werden, ob für diesen Anbau eine Baubewilligung gegeben sei. Gemäß der Baubewilligung aus dem Jahr 1965 sei jedoch festzuhalten, dass der östliche Teil des Gebäudes baubehördlich genehmigt sei und somit rechtens bestehe, zumal zum Zeitpunkt der Baubewilligung das Gebäude bereits Bestand gehabt habe.

Den Verwaltungsakten ist zu entnehmen, dass am 14. Oktober 2002 ein Ortsaugenschein stattfand.

Unter Hinweis auf diesen Ortsaugenschein teilte der Bürgermeister der Beschwerdeführerin mit Erledigung vom 7. November 2002 unter anderem mit, dass an das genehmigte Gebäude im Nordwesten ein Zubau im Ausmaß von ca. 5,5 m x 3,0 m angebaut worden sei, für welchen keine Baubewilligung vorliege. Dieser Zubau sei nach § 20 Abs. 1 lit. a TBO 2001 bewilligungspflichtig. Es werde der Beschwerdeführerin nunmehr als Eigentümerin des Bauplatzes von der Baubehörde innerhalb einer Frist von längstens sechs Wochen die Möglichkeit gegeben, ein vollständiges Baugesuch einzubringen (es folgen Hinweise über die erforderlichen Unterlagen). Verstreiche die Frist ungenützt oder werde die Baubewilligung versagt, so habe die Baubehörde nach § 37 Abs. 1 TBO 2001 die Beseitigung der baulichen Anlage aufzutragen.

Mit Baugesuch vom 21. November 2002 kam die Beschwerdeführerin beim Bürgermeister der mitbeteiligten Gemeinde um Erteilung der baubehördlichen Bewilligung für einen "Zubau Schlafraum zum bestehenden Ferienhaus" ein (das Baugesuch weist einen Eingangsvermerk der Gemeinde vom 10. Dezember 2002 auf; in einem begleitenden Schreiben vom 4. Dezember 2002 an den Bürgermeister führte die Beschwerdeführerin aus, sie übermittle unter anderem den korrigierten Lageplan des Vermessungsamtes L. Dieses habe nunmehr die Grundbuchsmappe richtig gestellt, sodass sie im Einklang mit den Planunterlagen aus dem Jahr 1949 stehe).

In einer Stellungnahme vom 16. Jänner 2003 äußerte der Bausachverständige der Gemeinde Bedenken gegen das Vorhaben. Die für ein Bauansuchen erforderlichen Lagepläne mit Bemaßung des Gebäudes, der Abstände, mit Angabe der Höhenlage und Angabe des umschließenden Geländes fehlten. Schon jetzt werde aber auf den Umstand hingewiesen, dass für Zubauten im Freiland - für den Bauplatz bestehe eine Freilandwidmung - gemäß § 6 Abs. 1 lit. a TBO 2001 Mindestabstände einzuhalten seien, die sich aus den 0,4-fachen der Gebäudehöhe ergäben, jedenfalls jedoch 3 m ausmachen müssten. Bei der Höhe des Zubaues sei nach allen Seiten hin ein Abstand von 3 m zu den Parzellengrenzen erforderlich, jedoch sei schon aus den Auszügen aus der Katastralmappe zu erkennen, dass zumindest zur nordöstlichen und nordwestlichen Bauplatzgrenze diese Abstände von 3 m fehlten. Bei Durchführung eines Bauverfahrens werde es also aus baurechtlicher Sicht mangels Vorhandenseins der notwendigen Mindestabstände zu einer negativen Beurteilung kommen und es werde demzufolge auch die Möglichkeit zur Erteilung einer Baubewilligung fehlen. Es werde daher empfohlen, dass die Beschwerdeführerin versuche, die "erforderlichen Abstände" aus dem Grundstück Nr. 163/1 zu erwerben.

In der Folge teilte der Beschwerdevertreter namens der Beschwerdeführerin dem Bürgermeister mit, dass die vorgeschlagene Lösung (Erwerb von Grundflächen aus dem Nachbargrundstück) wegen unterschiedlicher Preisvorstellungen bislang nicht zu Stande gekommen sei. Im nachfolgenden Schriftverkehr vertrat die Beschwerdeführerin (durch ihren Vertreter) insbesondere die Auffassung, es sei davon auszugehen, dass die Baubewilligung für das "Stammhaus" aus dem Jahr 1965 datiere. Schon damals habe offenkundig sein müssen, dass dieses "Stammhaus" zum Nachbargrund weder an der nördlichen noch an der östlichen oder auch an der westlichen Seite einen 3 m-Abstand gehabt habe. Die seinerzeitige Baubewilligung könne als nur gemäß § 70 der Tiroler Landesbauordnung 1900 (kurz: LBO) in der Fassung LGBl. Nr. 10/1960 erteilt worden sein. Die LBO habe auch im Zeitpunkt der Errichtung des jetzt in Frage stehenden Zubaues im Jahr 1967 noch in Geltung gestanden. Für den Zubau könne nichts anderes gelten, als für das baurechtlich genehmigte "Stammhaus". Der Bau in seiner Gesamtheit sei nach den seinerzeit in Geltung gestandenen Bauvorschriften zu beurteilen, demnach im Sinne des § 70 der im Jahr 1967 in Geltung gestandenen LBO; danach habe der Zubau keiner ergänzenden Baubewilligung bedurft.

Hierauf wies der Bürgermeister der mitbeteiligten Gemeinde mit dem erstinstanzlichen Bescheid vom 23. Mai 2006 das Baugesuch der Beschwerdeführerin vom 10. Dezember 2002 (ohne Durchführung einer Bauverhandlung und ohne Beiziehung des Nachbarn) ab, was im Wesentlichen damit begründet wurde, dass der nun verfahrensgegenständliche Zubau den erforderlichen Grenzabstand von 3,0 m nicht einhalte.

Dagegen erhob die Beschwerdeführerin Berufung, die mit Bescheid des Gemeindevorstandes der mitbeteiligten Gemeinde vom 3. Juli 2006 als unbegründet abgewiesen wurde. Die Berufungsbehörde vertrat die Auffassung, dass das nunmehrige Baugesuch nicht nach der LBO, sondern nach der TBO 2001 zu beurteilen sei. Auch sei es unzutreffend, wenn behauptet werde, dass das "Stammhaus" im Jahr 1965 baubehördlich genehmigt worden sei. Die Baubewilligung für dieses Haus müsse jedenfalls zuvor erlassen worden sein, weil 1965 das Gebäude bereits zur Gänze errichtet worden sei. Das gelte jedoch nicht für den bislang nicht genehmigten Anbau des Schlafzimmers. Jedenfalls halte der verfahrensgegenständliche Zubau den erforderlichen Grenzabstand von 3,0 m nicht ein.

Dagegen erhob die Beschwerdeführerin Vorstellung, die mit dem angefochtenen Bescheid als unbegründet abgewiesen wurde. Begründend führte die belangte Behörde insbesondere aus, um die erforderliche Bewilligung für den fraglichen Zubau sei erst am 4. Dezember 2002 (Einlangen des Gesuches bei der Gemeinde am 10. Dezember 2002) angesucht worden. Zu diesem Zeitpunkt habe die TBO 2001 gegolten, die in der Folge zu Recht angewendet worden sei (und nicht, wie die Beschwerdeführerin meine, die LBO). Gemäß § 6 Abs. 1 lit. a TBO 2001 müsse jeder Punkt an der Außenhaut von baulichen Anlagen gegenüber den Grenzen des Bauplatzes zu den angrenzenden Grundstücken im Freiland mindestens einen horizontalen Abstand von 3 m aufweisen.

Sache des gegenständlichen Verfahrens sei die Abweisung des Antrages auf Erteilung der baubehördlichen Bewilligung für einen Zubau an der Nordwestseite des ursprünglich bestehenden Gebäudes. Demnach sei die Frage, ob für das ursprüngliche Gebäude eine rechtskräftige Baubewilligung vorliege, wonach die Mindestabstände zu Recht unterschritten worden seien, nicht von Belang. Weiters könne der von der Beschwerdeführerin gezogene Größenschluss, dass auf Grund der Zulässigkeit des ursprünglichen Gebäudes auch der Zubau rechtmäßig sein müsste, im Hinblick auf § 6 Abs. 9 TBO 2001 nicht überzeugen, weil nach dieser Bestimmung bei rechtmäßig bestehenden Gebäuden, bei denen die Mindestabstände unterschritten worden seien, lediglich geringfügige Zubauten erlaubt seien.

Die Auffassung der Beschwerdeführerin, für die Bewilligung des Zubaues müsse die Ausnahmebestimmung nach § 70 LBO zur Anwendung kommen, sei unzutreffend, weil die LBO mit Ende des Jahres 1974 außer Kraft getreten sei. Der Vollständigkeit halber sei darauf zu verweisen, dass nach § 44 LBO sowohl Umbauten als auch Zubauten bewilligungspflichtig gewesen seien. Nach § 71 LBO seien, entgegen den Ausführungen der Beschwerdeführerin, für Gebäude auf dem offenen Lande und im Gebirge zwar verfahrensrechtliche Erleichterungen vorgesehen gewesen, allerdings sei eine grundsätzliche Bewilligungspflicht bestehen geblieben.

Abschließend sei darauf zu verweisen, dass es hier auch nicht darauf ankomme, ob sich der Nachbar J. P. am Verfahren beteiligt habe oder nicht (nach dem Zusammenhang gemeint: weil das Fehlen des erforderlichen Grenzabstandes zweifellos gegeben sei).

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die Beschwerdeführerin erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid in ihren "durch § 70 Tiroler Landesbauordnung 1900 gewährleisteten Rechten verletzt".

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und in einer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die Beschwerdeführerin beruft sich auf die Tiroler Landesbauordnung (LBO) vom 15. Oktober 1900, LGBl. Nr. 1/1901 (in den Jahren 1965 und 1967 idF LGBl. Nr. 10/1960, zuletzt idF LGBl. Nr. 12/1970).

Der II. Teil der LBO, überschrieben mit "Vorschriften für Bauten auf dem offenen Lande und im Gebirge", enthält die §§ 70 ff.

§ 70 LBO lautet:

"§ 70. Unter die Vorschriften dieses Teiles der Bauordnung fällt die Herstellung solcher Gebäude, welche nicht zu größeren, geschlossenen Orten vereinigt sind, mehr oder weniger einzeln stehen, hauptsächlich zur eigenen Bewohnung oder für den landwirtschaftlichen Betrieb bestimmt sind und ihrem Zwecke nach nicht eine besondere Festigkeit erfordern.

Solchen Bauten gegenüber hat die Baubehörde ihr Augenmerk darauf zu richten, dass das Bauen erleichtert und minder kostspielig gemacht werde, und hat somit nur das jenige vorzuschreiben, was aus öffentlichen Sicherheitsrücksichten unerlässlich ist."

Die LBO ist gemäß § 57 Abs. 2 Z 1 der Tiroler Bauordnung, LGBl. Nr. 42/1974, mit Ablauf des 31. Dezember 1974 außer Kraft getreten.

Im Zeitraum des nunmehrigen gemeindebehördlichen Bauverfahrens galt die Tiroler Bauordnung 2001 (TBO 2001), LGBl. Nr. 93 (Wiederverlautbarung), zunächst idF LGBl. Nr. 35/2003 und zuletzt idF LGBl. Nr. 60/2005 (wobei diese unterschiedlichen Fassungen hier keine Rolle spielen).

Strittig ist, welche Rechtslage anzuwenden ist.

Die Beschwerdeführerin vertritt, wie schon im Verwaltungsverfahren, die Auffassung, dass die Behörden die LBO anzuwenden gehabt hätten, weil ja der Zubau 1967 errichtet worden sei (Hinweis unter anderem auf das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 4. Mai 1977, Slg. Nr. 9315/A.). Aus dem Umstand, dass das "Stammhaus", dessen "Ausbau" im Jahr 1965 genehmigt worden sei, in seinem nördlichen Bereich über seine gesamte Länge hin nirgends einen 3 m-Abstand zur Nachbarparzelle habe, könne nur gefolgert werden, dass die seinerzeitige Baubewilligung gemäß § 70 LBO erteilt worden sei. "Warum sollte heute für den im Jahre 1967 errichteten Zubau eine andere Regelung gelten?" Der Zubau bestehe seit nahezu 40 Jahren, ohne dass sich bis zum Jahr 2002 jemand an der angeblich fehlenden Abstandsfläche zum Nachbargrundstück gestoßen hätte. Die "heutige Forderung der belangten Behörde", den nach der heute in Geltung stehenden Tiroler Bauordnung fehlenden Mindestabstand herzustellen, bedeute einen Eingriff "in wohl erworbene Rechte". Bei richtiger rechtlicher Beurteilung hätten die Gemeindeorgane die Erteilung der Baubewilligung - allenfalls nach Durchführung einer Bauverhandlung - nach den Bestimmungen der LBO erteilen müssen, oder sie hätten auszusprechen gehabt, "dass entsprechend dieser gesetzlichen Bestimmung, auf der die Baubewilligung des 'Stammhauses' fußt, für den Zubau keine gesonderte Bewilligung notwendig ist" (Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom 1. April 1960, Slg. Nr. 5257/A).

Die Tatsache, dass gegen den Zubau im Jahre 1967 weder von der Gemeinde noch von einem Anrainer durch mehr als 30 Jahre hindurch irgendein Einwand erhoben worden sei, spreche für einen "vermuteten Konsens" (wurde näher ausgeführt).

Der Eigentümer des Grundstückes Nr. 163/1, J. P. habe sich am gesamten Verfahren nicht beteiligt, er habe sich auf die Abstandsvorschriften nicht berufen. Den Behörden des Verwaltungsverfahrens sei es daher verwehrt gewesen, "diese Abstandsvorschriften geltend zu machen (Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom 27. Juni 2006, Zl. 2005/05/0125).

Dem ist Folgendes zu entgegnen:

Aus dem Hinweis der Beschwerdeführerin auf das hg. Erkenntnis vom 4. Mai 1977, Slg. Nr. 9315/A, wonach die Behörde zwar prinzipiell das im Zeitpunkt der Erlassung eines Bescheides geltende Recht anzuwenden habe, eine andere Betrachtungsweise aber dann geboten sein werde, wenn etwa der Gesetzgeber in einer Übergangsregelung zum Ausdruck gebracht habe, dass auf anhängige Verfahren noch das bisher geltende Recht anzuwenden sei, wie auch, wenn darüber abzusprechen sei, was an einem bestimmten Stichtag oder in einem konkreten Zeitraum rechtens gewesen sei, ist hier ebensowenig etwas zu gewinnen wie mit dem Hinweis auf die Rechtsfigur des "vermuteten Konsens". Es geht nämlich nicht darum, etwa förmlich festzustellen, dass der fragliche Zubau zum Zeitpunkt seiner Errichtung genehmigungsbedürftig oder genehmigungsfähig gewesen wäre, oder auch, ob er aus baubehördlicher Sicht als rechtmäßig zu gelten habe (sogenannter "vermuteter Konsens"). Verfahrensgegenstand im Verwaltungsverfahren war vielmehr das Baugesuch der Beschwerdeführerin vom 21. November 2002, gerichtet auf (nachträgliche) Bewilligung des Zubaues. Nun ist aber ein Baubewilligungsverfahren auch dann, wenn eine "nachträgliche Baubewilligung" erwirkt werden soll, ein Projektgenehmigungsverfahren, in welchem es also nicht darauf ankommt, welcher Zustand besteht, sondern darauf, welcher Zustand projektgemäß herbeigeführt werden soll. Demnach sind auch im Verfahren zur Erlangung einer nachträglichen Baubewilligung ausschließlich Baubeschreibung und Pläne maßgeblich, nicht aber der tatsächlich errichtete Bau. Daraus ergibt sich auch folgerichtig, dass in einem solchen Baubewilligungsverfahren - sofern das Gesetz nichts Abweichendes bestimmt - die geltende Rechtslage (also jene bei Erlassung des Baubewilligungsbescheides) maßgeblich ist und nicht eine frühere, nicht mehr geltende (ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes; siehe beispielsweise die Hinweise in Hauer, Der Nachbar im Baurecht5, 121f; Hauer, Tiroler Baurecht3, 197f, hier insb. E. 24 - 30 zu § 31 TBO 1989; Schwaighofer, Handbuch des Tiroler Baurechts2, 243 E 6 zu § 24 TBO 1998, weiters 299, E 63f zu § 26 TBO 1998).

Im gesamten gemeindebehördlichen Verfahren (beginnend mit dem Einlangen des Baugesuches) galt die TBO 2001, die keinerlei Bestimmungen enthält, wonach auf das hier gegenständliche Baugesuch das im Zeitpunkt der (behaupteten) tatsächlichen Errichtung des fraglichen Zubaues (1967) geltende Recht anzuwenden gewesen wäre (die Beschwerdeführerin vermag eine solche gesetzliche Bestimmung auch nicht zu nennen). Damit haben die Behörden des Verwaltungsverfahrens zutreffend die im Beschwerdefall maßgeblichen Abstandsbestimmungen der TBO 2001 der Beurteilung des Vorhabens zugrundegelegt. Da der Zubau den gemäß § 6 Abs. 1 TBO 2001 erforderlichen Grenzabstand von 3 m unstrittig nicht einhält, war das Vorhaben nicht bewilligungsfähig. Der Umstand nämlich, dass das "Stammhaus" (wie die Beschwerdeführerin es nennt) nicht diesen Abstand einhält, ist im Beschwerdefall ohne Bedeutung, weil im Falle der Erteilung einer neuen Baubewilligung die Abstandsvorschriften nach der maßgeblichen Rechtslage anzuwenden sind, ohne Rücksicht darauf, welche Abstände einer früheren Baubewilligung zu Grunde lagen (vgl. dazu auch das hg. Erkenntnis vom 15. September 1983, Zl. 82/06/0192, BauSlg. 96, zur damaligen TBO). In diesem Zusammenhang ist auch anzumerken, dass die Situierung des "Stammhauses" und damit die Abstände zu den Grundgrenzen nicht Gegenstand der Baubewilligung des Jahres 1965 waren (Geht man von den von der Beschwerdeführerin im Zuge des Verwaltungsverfahrens vorgelegten Urkunden aus, wäre das fragliche Haus während des Weltkrieges auf dem noch ungeteilten, großen Grundstück Nr. 163 errichtet worden, sodass sich die Frage einer Verletzung von Grenzabständen wegen der Größe des Grundstückes gar nicht stellte; die nunmehrige Nordgrenze wäre demnach erst durch die Teilung des Grundstückes gemäß einem Teilungsplan vom 31. Juli 1948 entstanden, wodurch sich die nunmehr problematisierten Grenzabstände ergaben).

Unzutreffend ist auch die Auffassung der Beschwerdeführerin, die Baubehörden hätten die Abstandsfrage ohne Einwendung des Nachbarn gar nicht berücksichtigen dürfen. Vielmehr war die Behörde erster Instanz verhalten, alle für die Erteilung der Baubewilligung maßgeblichen Umstände (auch) von Amts wegen zu prüfen (vgl. § 26 Abs. 3 und 3 TBO 2001; das von der Beschwerdeführerin bezogene, zum Burgenländischen Baugesetz ergangene hg. Erkenntnis vom 27. Juni 2006, Zl. 2005/05/0125, betraf einen ganz anders gelagerten Sachverhalt, es ging nämlich darum, dass die Berufungsbehörde aus Anlass der Berufung von Nachbarn gegen eine erteilte Baubewilligung die Verletzung von Abstandsbestimmungen ohne entsprechende zulässige Einwendung aufgegriffen hatte). Folgte man der Auffassung der Beschwerdeführerin, wäre die Baubehörde dann, wenn es nach den Umständen des Falles entweder keinen Nachbarn gäbe oder aber niemand Einwendungen erheben würde, verhalten, auch offenkundig rechtswidrige Baugesuche bewilligen zu müssen, ein Ergebnis, das nicht ernsthaft in Betracht gezogen werden kann.

Zusammenfassend wurde daher die Beschwerdeführerin durch den angefochtenen Bescheid im geltend gemachten Beschwerdepunkt, nämlich in ihren "durch § 70 Tiroler Landesbauordnung 1900 gewährleisteten Rechten" nicht verletzt.

Ergänzend ist noch auf Folgendes zu verweisen: Wie schon dargelegt, ist die Frage, ob dieser Zubau zum Zeitpunkt seiner Errichtung konsensbedürftig war oder auch, ob er als rechtmäßig zu geltend hat ("vermuteter Konsens"), hier nicht zu prüfen. Eine entsprechende Argumentation steht der Beschwerdeführerin in einem anderen Verfahren, insbesondere in einem allfälligen Beseitigungsverfahren betreffend den tatsächlich errichteten Zubau, offen. Zwar sind die Behörden des Verwaltungsverfahrens argumentativ auch davon ausgegangen, der Zubau sei zum Zeitpunkt seiner Errichtung konsensbedürftig gewesen und haben erkennbar implizit auch einen "vermuteten Konsens" verneint, dem kommt aber für ein allfälliges Beseitigungsverfahren keine Bindungswirkung zu (vgl. das hg. Erkenntnis vom 22. Jänner 2004, Zl. 2001/06/0049).

Vor diesem Hintergrund konnte die Durchführung der von der Beschwerdeführerin beantragten mündlichen Verhandlung gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG unterbleiben, weil es hier nämlich nur um die Lösung der Rechtsfrage ging, welche Rechtslage im gegenständlichen Baubewilligungsverfahren maßgeblich war (welche Rechtsfrage im Übrigen im Sinne der ständigen Rechtsprechung beantwortet wurde).

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am 25. September 2007

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte